Friede den Kurven, Krieg den Verbänden (eBook)
254 Seiten
Papyrossa Verlag
978-3-89438-907-9 (ISBN)
Raphael Molter, *1998, kommt aus Berlin-Köpenick und lebt mittlerweile in Gießen. Seine Schwerpunkte liegen bei kritischen Sport- und Demokratietheorien. Zu seinen journalistischen Beiträgen gehört auch der Podcast »beyond the ball«.
Raphael Molter, *1998, kommt aus Berlin-Köpenick und lebt mittlerweile in Gießen. Seine Schwerpunkte liegen bei kritischen Sport- und Demokratietheorien. Zu seinen journalistischen Beiträgen gehört auch der Podcast »beyond the ball«.
1.
Wem gehört der Fußball?
Das Spiel, das keines sein darf
Kapitalismus, Fußball, Fans. Die Verkettung dieser drei Begriffe bildet das Kernstück des Buches. Aus der kritischen Betrachtung unserer Wirtschaftsordnung hin zu den konkreten Folgen für den Fußball und zu den Menschen, die den Fußball erst zu dem Massenspektakel machen, das es ist: die Fans. Um jedoch an den Punkt zu kommen, wo man sich überlegt, wie sich die Fans ihren Sport wieder zurückholen können, muss vorher einiges an Analyse und Kritik vorgenommen werden. Die Fanproteste der letzten Jahre beweisen das und haben nochmal verdeutlicht, wie stark die Fähigkeit zur Veränderung momentan an allen Ecken und Enden fehlt. Wie gesagt: Der Aktivismus um des Aktivismus willen hat noch nie Früchte getragen. Es braucht eben auch eine Auseinandersetzung darüber, was man bekämpft. Es mag dabei ironisch klingen, aber die Misere der gesellschaftlichen Linken hat zumindest eine gute Folge für Fußballfans, denn es wird analysiert, was das Zeug hält. Linke Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten eine solche Bandbreite an gesellschaftlicher und herrschaftskritischer Analyse geliefert, dass man eigentlich nur noch zugreifen und sie auf den Fußball anwenden muss. Wer den Fußball verändern möchte, muss auf die ihn umgebenden Verhältnisse blicken und damit beim Kapitalismus als Grundlage anfangen.
Die Philosophin Eva von Redecker hat 2020 mit Revolution für das Leben ein Buch herausgebracht, das erhebliche Aufmerksamkeit bekommen hat und sich genau dieser Frage widmet: Was macht den Kapitalismus so »schlecht« und wie können wir ihn bekämpfen? Zwischenzeitlich mag der Kampf gegen den Kapitalismus nur noch von einer theoretischen Angst bezeugt worden sein, doch mittlerweile erleben wir alle, wie der Kapitalismus direkt unsere Lebensgrundlagen zerstört. Man muss nicht mehr in abstrakter Weise von Ausbeutung und Klassenkämpfen sprechen, denn die Folgen der kapitalistischen Produktionsweise sind für uns alle greifbar. Die Klimakatastrophe ist nicht nur menschengemacht, sondern eine Krise des Kapitalismus. Wir diskutieren nicht mehr über das Ende der Geschichte, sondern über das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Unsere Wirtschaftsordnung hat den Planeten so stark beeinflusst, dass selbst im globalen Norden (also Westeuropa und Nordamerika) die Folgen mittlerweile zu spüren sind: Hitzesommer, Dürren, Flutkatastrophen. Das Problem des Kapitalismus ist, dass er Lebensgrundlagen zerstört. Das mag vielleicht recht radikal klingen, aber greift man Redeckers Argumentation auf, wird deutlich, woher der Gedanke rührt. Sie verbindet die Umweltzerstörung, rassistische Polizeiarbeit und die alltäglichen Mühen der Lohnarbeit zu einer verdichteten Kritik des Ist-Zustands. Überall wird das Leben zerstört, denn es sind die Bedingungen unserer wirtschaftlichen Organisation, die solche Probleme herbeiführen und verstärken.
Die Umweltkatastrophe ist keine gottgegebene Katastrophe, sie ist vielmehr das Ergebnis gnadenloser Ausbeutung unserer Natur im Kapitalismus. Allein die mittlerweile sehr bekannte Grenze von 1,5 Grad Celsius Erderwärmung hat einen Hintergrund, der die Verknüpfung mit dem Kapitalismus deutlich macht, denn es wird vom Beginn der Industrialisierung gerechnet. Der Moment, an dem sich der Kapitalismus im globalen Norden durchgesetzt und die Industrialisierung vorangebracht hat. Sprechen wir also von der Einhaltung dieser magischen Grenze, dann ist daran automatisch ein Rückbezug auf die Wirtschaftsordnung verknüpft. Die Zerstörung von Natur und Umwelt ist eben nicht natürlich, sondern sie entsteht aus dem Wachstums- und Profitgedanken. Er zerstört die Lebensgrundlage vieler Tiere und von uns Menschen für den kurzfristigen Profit einiger weniger. Deshalb gibt es Umweltbewegungen wie Fridays for Future: Sie setzen sich nicht nur als Abhängige eines bestimmten Systems für seine Überwindung ein, sondern sind gleichermaßen ein »Aufstand der Lebenden gegen die Lebenszerstörung.« Ein ähnliches Bild kommt auf, wenn man über rassistische Polizeiarbeit redet, denn auch sie ist mittelbar an die wirtschaftliche Struktur gebunden. Rassismus ist niemals ein Einzelfall und rassistische Menschen sind nicht isolierte Übeltäter. Black Lives Matter ist keine Bewegung, die bei den bekannten Problemen der Polizeiarbeit Halt macht, sie hinterfragt rassistische Gesellschaften grundsätzlich. Redecker formuliert daraus das Motiv, dass »diese Befreiung (von kapitalistischer Herrschaft) kein hehrer Anspruch ist, sondern eine dringende Aufgabe. Denn der Kapitalismus zerstört das Leben. Die Befreiung von kapitalistischer Herrschaft ist auch deshalb mehr als ein bloßer Anspruch, weil sie an verschiedenen Stellen bereits stattfindet. Wir erleben eine Revolution für das Leben.«1 Soziale Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter sind neu und sie setzen sich auf eine andere, vormals unbekannte Art und Weise mit unserer Welt auseinander. Nicht aus einer Bürgerrechtsbewegung entwachsen oder als eine revolutionäre Avantgarde, sondern als ein Zusammenschluss von Menschen, die bedrohtes Leben verteidigen und gemeinsam wahren. Nicht ein abstrakter Kampf, sondern die reelle Gefahr der Zerstörung durch den Kapitalismus bringt sie zusammen.
Man mag sich also denken, weshalb es sich lohnt, sich kritisch mit der uns umgebenden wirtschaftlichen Struktur auseinanderzusetzen. Das sollte aber nicht auf einige Orte beschränkt sein, sondern überall dort konkret weitergehen, wo eben auch der Kapitalismus ist. Die Durchökonomisierung aller Lebensbereiche ist ein Phänomen, das viel zu selten genannt wird, wo es uns doch überall begegnet: Sei es bei der Hausärztin oder im Stadion. Alles ist den Profiten untergeordnet, und der Fußball macht keine Ausnahme. Warum auch der Fußball im Kapitalismus zur Zerstörung von Leben beiträgt, lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen. Wir alle erinnern uns an die FIFA-Weltmeisterschaft 2014, bei der die deutsche Mannschaft den Sieg errang und Jubelstürme im eigenen Land auslöste. Was für viele im Party-Patriotismus unterging, war die Ausbeutung Brasiliens durch den Weltfußballverband. Dieser nahm eine Rekordsumme von umgerechnet rund 3,3 Milliarden Euro mit nach Hause in die Schweiz. Richtig gelesen: 3,3 Milliarden Euro. Nicht dazu gerechnet sind Milliardengewinne für die Hauptsponsoren der WM wie Adidas oder Coca-Cola. Um an den Milliardengewinnen nicht beteiligt zu werden, musste das Gastgeberland zuerst – bekanntermaßen – einiges an Geldern hinlegen, damit es überhaupt das Anrecht darauf hatte, eine WM austragen zu dürfen. Neben den Millionenbeträgen für ein paar Funktionäre brauchte es dann noch den notwendigen Ausbau der Infrastruktur inklusive kostenintensiver Stadien. Allein für das Stadion in Manaus, das mitten im Regenwald liegt, müssen die brasilianischen Bürger 218 Millionen Euro an Schulden abbezahlen. Nun möchte die ein oder der andere Leser/in an dieser Stelle dazu neigen zu sagen, dass sich die Investitionen Brasiliens in seine Infrastruktur ja über kurz oder lang doch noch auszahlen mögen, doch wem nützt eine dreistellige Millionenschuldenfalle irgendwo im brasilianischen Regenwald? Die Mär der langfristigen Förderung durch eine WM ist schwierig nachzuvollziehen und sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die FIFA an ihrem Großevent ordentlich bereichert. Nach Prämienauszahlungen an die jeweiligen Verbände und Vereine bleibt ein Gewinn von 1,6 Milliarden Euro, die der angeblich gemeinnützige Verein in der Schweiz steuerfrei durchgewunken bekommt. Für Brasilien bleibt nur ein Schuldenloch inklusive viel zu großer Stadien, die nicht genutzt werden und wartungs- und dadurch kostenintensiv sind. Ganz zu schweigen von den Umweltschäden, die eine Weltmeisterschaft verursacht.
Der Fußball hat wenig mit Gemeinnützigkeit zu tun und arbeitet, wie andere Unternehmungen auch, offensichtlich profitorientiert. Diese Profitorientierung im Kapitalismus hat der Journalist Gabriel Kuhn einmal schön zusammengefasst, als er schrieb: »Die moderne Sportindustrie unterscheidet sich nicht von anderen Wirtschaftszweigen und folgt einer neoliberalen Logik.«2 Wir sollten uns an diese Sprache gewöhnen, denn sie macht deutlich, was ist. Fußball ist kein Sport der Gemeinnützigkeit und des gesellschaftlichen Engagements mehr, er ist Teil der Unterhaltungsindustrie und zielt vor allem darauf ab, Gewinne zu erwirtschaften. Dazu kommt der Begriff des Neoliberalismus, der die verstärkte Individualisierung in den Mittelpunkt rückt. Oder wie die langjährige britische Premierministerin Margaret Thatcher es in der ihr eigenen Art auf den Punkt brachte: »There’s no such thing as society.« Wo keine Gesellschaft existiert, ist der Kampf des Einzelnen im Mittelpunkt. Diese Ideologie umgibt uns so sehr, dass sie auch im Fußball Einzug gefunden hat und sich dort permanent widerspiegelt....
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 50+1-Regel • Bundesliga • Deutscher Fußball-Bund • DFB • Fankulturen • Fans • FIFA • Funktionäre • Fußball • Investoren • Investorenmodell • Kommerz • Kommerzialisierung • Kritik • moderner Fußball • Profisport • Theorie • UEFA • Verbände • Vereine • Weltmeisterschaft |
ISBN-10 | 3-89438-907-9 / 3894389079 |
ISBN-13 | 978-3-89438-907-9 / 9783894389079 |
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