Krieg ohne Ende? (eBook)

Spiegel-Bestseller
Warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-32363-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Krieg ohne Ende? -  Michael Lüders
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Das Buch zum Krieg im Nahen Osten
Der Großangriff der islamistischen Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 hat einen neuen Krieg ausgelöst - mit verheerenden Folgen für die Menschen auf beiden Seiten, vor allem aber im Gazastreifen. Jederzeit kann die Gewalt die gesamte Region in Brand setzen, vom Jemen bis in den Iran. Die Folgen auch für Deutschland und Europa wären fatal. Die Instabilität in der Region bedroht jetzt schon die Wirtschaftsbeziehungen und verschärft die Konfrontation zwischen Ost und West.
Anschaulich und spannend erklärt der Nahostexperte und Bestsellerautor Michael Lüders die Hintergründe und Ursachen der Konfrontation zwischen Juden und Arabern, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Lüders erzählt von der Staatswerdung Israels 1948, der Vertreibung der Palästinenser, von Kriegen und enttäuschten Hoffnungen. Und er stellt die Haltung der Bundesregierung infrage, die sich auf Staatsräson beruft und den unkritischen Schulterschluss mit einer ultrarechten israelischen Regierung meint.
Wird der Nahe Osten je zur Ruhe kommen? Welche Zukunft haben Israelis und Palästinenser? Zum Schluss unternimmt der Autor den Versuch, Konturen einer Lösung zu skizzieren. Ist das Zwei-Staaten-Modell noch realistisch? Oder bedarf es eines gemeinsamen, ganz neuen Gebildes?

Michael Lüders studierte Politik- und Islamwissenschaften in Berlin und Damaskus und war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Er war Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, in Nachfolge des verstorbenen Peter Scholl-Latour, und Mitglied im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Er hält Vorträge über das Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt und ist häufiger Gast in Hörfunk und Fernsehen. Auf YouTube äußert sich Michael Lüders regelmäßig zu aktuellen politischen Themen. Zuletzt erschienen von ihm die Spiegel-Bestseller Hybris am Hindukusch, Die scheinheilige Supermacht und zuletzt bei Goldmann Moral über alles?

www.michael-lueders.de
YouTube: @michaelluders1787

Die Suche nach Vergebung:
Israel und die deutsche »Staatsräson«


Deutschlands kollektive Identität beruht wesentlich auf dem öffentlichen Erinnern an die Verbrechen des NS-Regimes, wobei der Holocaust im Vordergrund steht. Damit einher geht ein häufig heilsgeschichtlicher Tonfall, wenn etwa von der »Gnade der Versöhnung« oder dem »Wunder der Vergebung« zwischen Deutschen und Juden die Rede ist. Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur, die Schlüsselbegriffe des staatlich institutionalisierten Gedenkens, verleihen der Suche nach der rechten Form des Erinnerns eine stark moralisierende Färbung, wie sie spätestens seit der deutschen Wiedervereinigung für die hiesige Politik insgesamt prägend ist. Im Vordergrund stehen dabei weniger klassische Tugenden wie Diplomatie oder die Suche nach Gemeinsamkeiten, als vielmehr die Festschreibung eigener Standpunkte, Weltbilder oder Überzeugungen auf der Ebene einer ultimativen und somit auch nicht infrage zu stellenden Wahrheit. Im verinnerlichten Wissen um das einzig Richtige und Machbare, destilliert aus einer absolut gesetzten Moralität, die sich als Widerpart der Monstrosität von Auschwitz versteht. Die Deutschen haben in jüngerer Vergangenheit so grundlegend auf der falschen Seite der Geschichte gestanden, dass sie nunmehr den kollektiven Wunsch verspüren, für alle Zeiten auf der richtigen zu stehen. Als Gute das Böse unwiderruflich zu tilgen.

Anders gesagt: Das kleine Israel spielt für das deutsche Selbstbild und die hiesige Identitätssetzung eine übergroße Rolle. In den Worten des Politologen Daniel Marwecki: »Während die deutsche Politik ihr Verhältnis zu Israel in seltener Einmütigkeit pflegt, wird der israelisch-palästinensische Konflikt in der deutschen Öffentlichkeit ohne Bandagen ausgetragen. Dabei geht es in den Zeitungen, auf Twitter oder in den Fachschaftsräten kaum um den Konflikt an sich. Vielmehr ist der seit dem frühen 20. Jahrhundert andauernde Konflikt zweier Nationen um ein entferntes Territorium eine willkommene Schablone für deutsche Identitätskämpfe.«[1] Zu den Ritualen der Selbstvergewisserung hiesiger Entscheider wie auch Meinungsmacher gehört die Beschwörung des Allerheiligsten, wofür an erster Stelle die deutsche »Staatsräson« wie auch das »Existenzrecht« Israels stehen. Als Mantra eingesetzt, sucht diese Ritualisierung die Dämonen der Vergangenheit zu bändigen. Gleichzeitig rührt sie an den Wesenskern einer staatlichen Identität, die sich angesichts einer fragwürdigen Traditionslinie – angefangen bei der Staatswerdung Deutschlands aus dem Geist des Militarismus 1871 in Versailles bis hin zur bedingungslosen Kapitulation 1945 – nicht ohne Weiteres auf die vermeintliche Großartigkeit der eigenen Nation berufen kann, im Gegensatz etwa zu Frankreich. Auch die Religion entfällt als Bezugsrahmen, wenngleich aus anderen Gründen.

Doch ungeachtet der Seligsprechung Israels in weiten Teilen der Öffentlichkeit als höchstem Ausdruck einer als makellos empfundenen Gesinnung seitens des Staates war das tatsächliche Verhalten (West-)Deutschlands im Zuge der »Wiedergutmachung« stets weniger von Moral, Wunder oder Versöhnung geprägt als vielmehr von Eigeninteressen. Die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen passt in kein Gut/Böse-Schema, dafür ist sie zu widersprüchlich. Sie begann mit Konrad Adenauer, dem ersten Kanzler der Bundesrepublik (1949 – 1963). Seine Ägide stand im Zeichen des Kalten Krieges. Entsprechend ging es ihm in erster Linie um gute Beziehungen zu den USA, zu den westlichen Nachbarn in Europa und um die Wiederbewaffnung, konkret die Gründung der Bundeswehr und den Beitritt zur NATO, beides 1955 vollzogen. Der Schlüssel für die angestrebte Westintegration Bonns war das Verhältnis zu Israel.

1965 erklärte Adenauer im Gespräch mit dem Fernsehjournalisten Günter Gaus, rückblickend auf seine Zeit als Kanzler: »Wir hatten den Juden so viel Unrecht getan, wir hatten solche Verbrechen an ihnen begangen, dass sie irgendwie gesühnt werden mussten, wenn wir überhaupt wieder Ansehen unter den Völkern der Welt gewinnen wollten … Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, sollte man nicht unterschätzen.«[2]

Die Bundesrepublik wollte also so schnell wie möglich wieder in den Kreis der zivilisierten Nationen aufgenommen werden. Folglich galt es »irgendwie zu sühnen«. Der zweite Teil von Adenauers Ausführung entsprach dem damaligen Zeitgeist. Dabei galt es in Bonn nicht als Widerspruch, einerseits Entschädigungen an Israel zu zahlen und die »Wiedergutmachung« voranzutreiben, andererseits aber verbrecherischen Funktionseliten zu erlauben, ihre Kriegs- und Vorkriegskarrieren im Beamtenapparat, in Politik und Wirtschaft ungebrochen fortzusetzen. Am bekanntesten dürfte der Fall Hans Globke sein, Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze von 1935 (»Arier-Nachweis«, »Judenstern«), Adenauers graue Eminenz und neben ihm der mächtigste Mann im Staat. Globke, der zudem im Verdacht stand, für die Deportation von 20 000 griechischen Juden in die Vernichtungslager mitverantwortlich zu sein, kontrollierte insbesondere den Bundesnachrichtendienst BND und den Verfassungsschutz.

Dergleichen Widersprüche begünstigten das Entstehen eines demonstrativ zur Schau getragenen Philosemitismus, der sich weniger für die Realität jüdischen Lebens interessierte als vielmehr für Außenpolitik und Staatsräson im vordemokratischen Sinn – mit anderen Worten für dem Staatswohl untergeordnete Aktivitäten von nationaler Bedeutung.

Kurzum: (West-)Deutschland wurde nach Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens von 1952, dem ersten Schritt zur »Versöhnung« mit Israel, zu dessen wichtigstem Handelspartner in Europa. Die vereinbarten Entschädigungszahlungen halfen bei der Transformation Israels von einer Agrarökonomie in einen Industriestaat. Gleichzeitig wurde die Bundesrepublik zum größten Waffenlieferanten des dortigen Militärs und blieb es bis etwa Mitte der 1960er Jahre, als die USA die Führung übernahmen. Paradoxerweise legte die von Judenfeindschaft geprägte Generation der Täter das Fundament für Israels Aufstieg zur regionalen Hegemonialmacht. Ungeachtet der Tatsache, dass Bonn und Tel Aviv erst 1965 diplomatische Beziehungen zueinander aufnahmen.

Seinem Biograf Hans-Peter Schwarz zufolge war Adenauer »ein Kolonialherr alter Schule«, der 1956 volles Verständnis für den Suezkrieg zeigte, den gemeinsamen Angriff von Großbritannien, Frankreich und Israel auf Ägypten, nachdem der dortige Staatschef, Gamal Abdel Nasser, den Suezkanal verstaatlicht hatte. Die Beziehungen zu Israel waren der Regierung Adenauer wichtiger als die zu den arabischen Staaten, als Vermittler in der Region mochte (West-)Deutschland nicht auftreten. Zumal die Hallstein-Doktrin von 1955 unter Sanktionsandrohung einen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik formulierte, viele arabische Staaten aber infolge der westlichen Unterstützung Israels außenpolitisch der Sowjetunion zuneigten und sukzessive die DDR anerkannten.

»Juden – blond und blauäugig«


Theodor W. Adorno war überzeugt, dass es in der deutschen »Aufarbeitung der Vergangenheit« (so der Titel seines Essays von 1963) nicht darum gehe, sich ernsthaft mit Fragen von Schuld und Verstrickung zu befassen. Über Aufarbeitung zu reden bedeute nicht, sie auch zu betreiben. Die Auseinandersetzung mit dem, was war, könne auch von dem Wunsch geleitet sein, die Vergangenheit zu überwinden, die eigene Verantwortung zu relativieren oder schlicht vergessen zu machen.[3] Wie richtig Adorno mit dieser Einschätzung lag, zeigte sich auch im Eichmann-Prozess 1961. Israelische Agenten hatten Adolf Eichmann, den Cheforganisator der Verfolgung, Vertreibung und Deportation der europäischen Juden in die Vernichtungslager, im Mai 1960 in Argentinien aufgespürt und entführt. Von April bis Dezember 1961 stand er in Jerusalem vor Gericht, im Mai 1962 wurde er gehenkt.

Adenauer war über den Eichmann-Prozess regelrecht »verzweifelt«, da er um (West-)Deutschlands Ruf in der Welt fürchtete. Was so weit ging, dass der Kanzler die Waffen- und Finanzhilfen verzögerte, die er dem israelischen Premier David Ben-Gurion 1960 in New York zugesagt hatte, und Bonns weiteres Vorgehen vom Verlauf des Eichmann-Prozesses abhängig machte, wie der Politikwissenschaftler Daniel Marwecki nachweisen konnte. Tatsächlich kam Ben-Gurion der Bundesregierung entgegen, indem er auf das Verfahren einwirkte und Änderungen an der Eröffnungsrede des Chefanklägers Gideon Hausner vornahm. Dabei ging es insbesondere darum, »das Ansehen Westdeutschlands zu schützen und die Schuld des deutschen Volkes zu mindern« sowie die Schuld Hitlers zu betonen, »um Diskussionen über eine Kollektivschuldthese abzuschwächen«.[4]

Nicht zuletzt sorgte sich Adenauer, was Eichmann wohl über Globke aussagen mochte. Doch die neuen Verbündeten in Israel sorgten dafür, dass dessen federführende Rolle bei den antijüdischen Rassegesetzen vor Gericht nicht weiter thematisiert wurde. Auch nicht die Präsenz anderer Alt-Nazis an den Schaltstellen der Macht in der Bundesrepublik. Stattdessen nutzte die israelische Seite den Eichmann-Prozess, um eine vermeintliche historische wie ideologische Nähe zwischen dem Nationalsozialismus und dem Großmufti von Jerusalem in den 1930er- und 1940er-Jahren zu behaupten. Wider jede Faktenlage wurde der ranghöchste Vertreter der Palästinenser jener Zeit als Urheber und geistiger Vater der »Endlösung« präsentiert – dazu später mehr.

Während...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2024
Zusatzinfo s/w-Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • 7. Oktober 2023 • Ägypten • Antisemitismus • Benjamin Netanjahu • Carlo Masala • die sache mit israel • Die scheinheilige Supermacht • differenziert • eBooks • Fatah • Frieden • fundiert • Gaza • Gazakonflikt • Gazastreifen • Geiselnahme • HAMAS • Hisbollah • Huthi • Iran • Islamexperte • Islamismus • Israel • Jemen • Judentum • Kritische Analyse • Libanon • moral über alles? • Nahostkonflikt • Neuerscheinung • Palästinensische Autonomiebehörde • PLO • Sachbuch • sachlich • Siedlungspolitik • SPIEGEL-Bestsellerautor • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Terror • Terrorismus • Wer den Wind sät • Westjordanland • Zweistaatenlösung
ISBN-10 3-641-32363-0 / 3641323630
ISBN-13 978-3-641-32363-9 / 9783641323639
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