Und was ist mit unserer Zukunft? (eBook)

Aufwachsen mit der Klimakrise
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
160 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-492064-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Und was ist mit unserer Zukunft? -  Paula Steingäßer
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Paula Steingäßer erzählt, was es bedeutet, in einer Welt aufzuwachsen, in der die Zukunft nicht mehr sicher ist. Angst, Selbstzweifel und die Frage: Wie sieht meine Zukunft aus? Junge Menschen befinden sich schon immer auf der Suche. Aber in einer Gesellschaft, in der die Klimakrise die Zukunft bedroht, scheint die Orientierungslosigkeit unüberwindbar zu werden. Die Gefühle, die die Auseinandersetzung mit der Klimakrise auslöst, können isolieren und lähmen. Welchen Einfluss das auf uns alle und insbesondere die Jugend hat, wird viel zu wenig thematisiert - wie auch, wenn die öffentlichen Debatten und Entscheidungsfindungen vor allem von älteren Generationen geprägt werden. Aus einer sehr persönlichen Perspektive beschreibt Paula Steingäßer das Aufwachsen in einer Welt, in der eine ganze Generation aus allen Sicherheiten und Überzeugungen gerissen wird. Sie erzählt von ihren Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen, von Ängsten und Problemen und dem Gefühl, nichts ändern zu können. Ein mutiges und eindrückliches Gesprächsangebot, das zeigt: Wir müssen auch über diese Erfahrungen sprechen, über die Unsicherheit und die Verzweiflung. Nur so kann es gelingen, zukunftsfähige Geschichten zu erzählen und wirkungsvolle Formen des Aktivismus zu entwickeln.

Paula Steingäßer, geboren 2000, studiert Geschichte und Philosophie in Freiburg im Breisgau. Aufgrund der journalistischen Arbeit ihrer Eltern ist sie schon als Kind um die Welt gereist, um auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. Neben ihrem Studium besucht Paula Steingäßer Fortbildungen im Bereich der Permakultur, auf denen sie lernt, lebendige Systeme zu designen. 2022 erschien ihr Text »Eine kurze Anleitung fürs Aufgeben« im FUTURZWEI-Anti-Frust-Buch »Zu spät für Pessimismus«.

Paula Steingäßer, geboren 2000, studiert Geschichte und Philosophie in Freiburg im Breisgau. Aufgrund der journalistischen Arbeit ihrer Eltern ist sie schon als Kind um die Welt gereist, um auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. Neben ihrem Studium besucht Paula Steingäßer Fortbildungen im Bereich der Permakultur, auf denen sie lernt, lebendige Systeme zu designen. 2022 erschien ihr Text »Eine kurze Anleitung fürs Aufgeben« im FUTURZWEI-Anti-Frust-Buch »Zu spät für Pessimismus«.

Kalaallit Nunaat


Es sind zu viele Menschen auf zu engem Raum in diesem Flugzeug. Die beiden Sitzreihen sind zu schmal, der Gang dazwischen auch, die Luft scheint knapp zu werden. Das ganze Flugzeug ist zu klein, eine winzige Propellermaschine, die sich von Island aus auf den Weg nach Kulusuk, Ostgrönland, macht. Wie sollen ihre kurzen Flügel diese ganzen Menschen in der Luft halten? Es sind hauptsächlich Männer in Outdoorkleidung, die ihre klobigen Skistiefel anhaben, um die Gewichtsgrenze ihrer Expeditionstaschen nicht zu überschreiten. Die vordersten Sitze hat ein Filmteam eingenommen, es ist noch bepackter als die restlichen Insass*innen. Ein bärtiger Mann aus Mexiko, mit dem sich meine Eltern schon am Flughafen in Reykjavik unterhalten haben, sitzt auf dem Platz am Notausgang und ganz vorne, am Eingang der Maschine, ein gewisser Markus Lanz mit seinem Sohn. Das hat meine Mutter gleich bemerkt, aber ich habe keine Ahnung, wer das ist. Ich beobachte die Gesichter der Menschen um mich herum; jede kleinste Regung in ihrer Mimik lässt mein Herz schneller schlagen. Mein Selbsthilfebuch sagt, ich soll der Flugangst nicht glauben, aber je höher wir steigen, desto stärker wackelt die Maschine. Ist es wirklich so unwahrscheinlich, mit dreizehn Jahren über dem Nordpolarmeer bei einem Flugzeugabsturz zu sterben? Die Motoren dröhnen ungleichmäßig und stotternd. Verlieren wir nicht schon wieder an Höhe? Ich schnalle mich nicht ab, solange wir noch in der Luft sind. Die ganzen drei Flugstunden lang trinke und spreche ich nicht. Bloß nichts riskieren, was das Gleichgewicht dieses Fluges irgendwie stören könnte. Vor allem wenn meine drei kleinen Geschwister neben mir den Ernst der Lage nicht begreifen und munter weiter über die Sitze klettern. Ich versuche mich mit meinem Blick am Horizont festzuklammern, doch die Welt draußen ist durch die runden kleinen Fenster verzogen. Der Himmel geht fast nahtlos in ein blaues Meer über. Blau in Blau, nur von Wolken durchbrochen.

Neben mir sitzen meine Eltern. Meine Mutter ist Ethnologin und mein Vater Fotograf, zwei Journalist*innen auf der Jagd nach den Spuren der Klimakrise, auf der Suche nach Geschichten über sie. Zu Hause wird alles nur in Zahlen erklärt, doch Menschen können keine Zahlen fühlen, sagen meine Eltern. Die Klimakrise betrifft uns alle, aber niemand unternimmt etwas, wenn wir nur von Zahlen sprechen. Sie sagen auch, dass die Erde krank ist, vergiftet von dem, was wir ausstoßen, ausleben und ausatmen. Ich sehe, wie sich im Himmel unter mir Abfall ansammelt und aus den Wolken Rotzfahnen tropfen, wie bei einer Grippe. Also versuche ich, weniger zu atmen, aber das macht die Angst nicht besser, nur noch schwindeliger. Der Horizont verschwimmt so sehr, dass ich ihn nicht mehr festhalten kann. Als ich mich irgendwann der Gefahr des unausweichlich erscheinenden Falles ergeben will, kommt das Eis. Wie ausgelaufene Milch malt es Muster auf das dunkle Meer, erst noch wässrig, Salzwasser am Gefrierpunkt, dann klarer, fester, flächiger. Schollen treiben auf dem Wasser, einzelne kleine, und große, die wie Bienenwaben aneinanderkleben. Das Flugzeug sinkt langsam, und ich möchte näher an das Eis gelangen. Ich möchte die Risse und die verschiedenen Weißtöne von nahem sehen und mit den Fingern über die Kälte streichen. Je weiter wir nordwärts fliegen, desto enger rücken die Eisschollen zusammen, bis sie schließlich miteinander verschmelzen und eine weiße Decke auf dem rauen Meer bilden, die nur von einzelnen dunklen Wasserlinien durchzogen wird. Ich weiß nicht, ob es an der beruhigenden Kraft der kristallisierten Kälte liegt, aber meine Angst hat sich in diesen Mustern verloren. Irgendetwas in ihnen fühlt sich vertraut an, so als würde ein Teil von mir nach sehr langer Zeit zurückkehren, obwohl ich diese Insel noch nie betreten habe. Die Küste kommt in Sicht: eine lange Bergkette, die braungrau zerfurcht aus dem Wasser wächst. Uralte Präsenz, die seit Jahrtausenden über dem Meer thront. Etwas in der Taubheit meines Körpers, die mich seit ein paar Monaten begleitet, beginnt zu schwingen.

Wir kommen der Küste immer näher und fliegen schließlich durch Bergtäler, die so eng sind, dass die kleine Maschine mit ihren Flügeln fast an den Stein kratzt. Wir sind kaum aus den Kurven heraus, da landen wir schon. Die Piste ist nicht mehr als eine Spur aus dreckigem Schnee zwischen den Felsen. Als die Türen aufgehen, spüre ich einen eisigen Luftzug. Der Pilot gibt über die Lautsprecher durch, dass wir schnell über die Landebahn aus Schnee laufen sollen, weil da gestern noch Eisbären waren, eine Mutter mit zwei Jungen, also nicht zu langsam, bitte, danke. Ich nehme eine Schwester an der Hand. Wir steigen aus dem Flugzeug, es ist scheißkalt. Ich beeile mich, wirklich. Nach kurzer Zeit betreten wir den Flughafen, eine kleine Hütte am Fuß der Berge. Ein alter Mann mit dunklen Augen und hellen Falten steht am Eingang und verkauft schwarze Eisbärenkrallen. Wie schon so oft stürzt die Fremde auf mich ein. Die neuen Gerüche und ungewohnten Eindrücke legen sich um mich herum wie eine große Jacke. Ich habe sie schon als Kind getragen, an anderen Orten und aus anderen Stoffen gemacht. Aber sie passt nicht mehr, seitdem mein Körper seine ganzen neuen Rundungen bildet. Mein Körper ist mir inzwischen viel fremder als diese Eiswüste, in der wir gelandet sind. Alles fühlt sich bedrohlicher an als sonst, weil ich mir selbst so körperfremd geworden bin und ohnehin schon nicht mehr weiß, wer, woher oder wohin. Trotzdem ist auch etwas in mir angekommen. Je kälter die Luft wird auf dieser Eispiste, desto wärmer fühlt sich mein Körper an. Die Taubheit wird in der Kälte schwächer und mein Blick weicher. Alle Blicke sind hier weicher, und ich erwidere manche, zaghaft.

Wir packen unsere großen Taschen in einen Anhänger, der an einem Motorschlitten befestigt ist. Das dauert lange, denn es sind viele Taschen. Es sind ja auch viele Kinder, vier Stück, zu den zwei Eltern und viel Gepäck: Jacken, Essen, Windeln, Kameras, ein Snowboard. Wir laufen hinterher, als unsere Taschen zum Hafen gebracht werden, der nicht mehr als ein großer Stein an der Wasserkante ist. Meine Eltern laden alles in ein kleines Boot. Ich passe auf, dass keine Geschwister ins Wasser fallen und der Stoffeisbär auch wirklich dabei ist und nicht noch im Flugzeug liegt oder bei der Eisbärin und ihren zwei Kindern. Das Boot ist orange, mit Plastikglas an den Seiten. Schließlich sind alle Taschen eingeladen, und wir steigen ebenfalls ein, legen ab und fahren los.

Dann wache ich auf.

Ich wache auf, anders kann ich es nicht beschreiben. Ich wache auf, in meinem Körper und in dieser Welt. Plötzlich bin ich nicht mehr außerhalb von allem, sondern innerhalb. Ich kann kaum glauben, wie klar die Luft ist und wie kaltblau das Wasser. Zwischen uns schwimmt das Meereis, dicke flache Schollen, mit Schnee bedeckt, und Eisberge, riesig wie Kathedralen, türkis strahlend. Ich rieche das Benzin des Motorbootes, aber auch noch etwas anderes: Ich rieche blaue Himmel, ich rieche tausend Jahre Eis, ich rieche Möwenlieder. Ich erkenne, ohne zu kennen. Ich wache auf, so fühlt es sich an, aber vielleicht strömt einfach nur das Gefühl in meine Gliedmaßen zurück. Meine Lunge brennt von der eisigen Luft, das Blut pumpt in meinem Gesicht und in meinem ganzen Körper, der versucht, sich gegen die Kälte zu wehren. Meine Hände und Füße, eingepackt in dicken Lagen, beginnen zu kribbeln. Mein ganzer Körper wird von den Wellen hin und her geschaukelt.

Irgendwann kommen wir im Hafen von Tasiilaq an, der Hauptstadt Ostgrönlands. 2000 Menschen leben hier in bunten Holzhäusern, die sich wie rote, blaue und gelbe Tupfen in die schneebedeckten Berghänge am Fjord schmiegen. Wir werden von Robert Peroni abgeholt, ein ehemaliger Extremsportler und Bergsteiger, der schon lange in Grönland lebt. Er hat das Rote Haus gegründet, in dem wir schlafen werden. Im Utiili Aapalartoq, wie das Rote Haus auf Ostgrönländisch heißt, kommen Journalist*innen wie Wandrer*innen unter; hier starten Skitouren und Dokumentationen, Expeditionen und Schlittenhundefahrten. Vor allem aber, sagt Robert mit seiner warmen Stimme, können hier Menschen aus aller Welt die Inuit und ihre Kultur kennenlernen. In Roberts hellen Augen spiegelt sich sein Lachen wider, tiefe Falten ziehen sich über sein Gesicht. Während wir unsere Taschen in seinen Jeep laden, erzählt er uns von dem Land, das er vor Jahrzehnten als seine Heimat erwählt hat, und von den Menschen, die ihn aufgenommen haben. Die Straßen, über die wir fahren, sind holprig und uneben. Es gibt kaum Autos in Tasiilaq und nur ein einziges Taxi. Der Weg endet hinter dem letzten grünen Haus auf der Hügelkuppe – vielleicht, weil es dort keine kleinen bunten Heimaten mehr gibt, die verbunden werden müssen, sondern nur noch eine große weiße Weite.

Ich sitze auf der engen Rückbank des Jeeps und beobachte, wie Tasiilaq am Fenster vorbeizieht. Ich weiß nicht, ob ich einfach übermüdet bin von der Ankunft dieses Landes in meinem Leben oder besonders wach von der plötzlichen Rückkehr meines Körpers. Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes, aber die Wirklichkeit fühlt sich ungewohnt an, als hätte sich ein Schleier von mir gelöst, als hätte ich die Welt bis jetzt immer nur aus der Entfernung sehen können. Jetzt ist sie ganz nah. Wäsche und Eisbärenfelle hängen an Leinen zwischen den Häusern. An den Holzwänden blättert die Farbe ab, die Fenster sind vergraut, Kanister, Gummistiefel und Bierflaschen liegen in den Straßen. Die Wäsche strahlt gleißend hell in der kalten Sonne, und ich frage mich, wie sie trocknen soll, wenn mein Atem selbst im Auto in der...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aktivismus der Letzten Generation • Depressionen überwinden • Essstörung • Extinction Rebellion • Fridays For Future • Futurzwei • Generationenbuch • Generationenkonflikt • Klima-Aktivistin • klimabewegung • Klima-Kleber • Krisenbewältigung • mit Klima-Angst umgehen • ökologische Trauer • Protestformen • Umweltbewegung • Was beschäftigt die junge Generation wirklich? • Wie kann wirkungsvoller Aktivismus aussehen? • Zukunftsangst
ISBN-10 3-10-492064-8 / 3104920648
ISBN-13 978-3-10-492064-1 / 9783104920641
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