Stimmen der Eintracht (eBook)
304 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-32414-8 (ISBN)
Eintracht Frankfurt, einer der erfolgreichsten und beliebtesten Klubs in Deutschland, steht wie kaum ein anderer Traditionsverein für Individualität und Offenheit, für Toleranz und Lebendigkeit - und gegen Ausgrenzungen aller Art. Der renommierte Sportjournalist und Bestsellerautor Michael Horeni hat mit aktuellen und früheren Spielerinnen und Spielern, Trainern, Verantwortlichen sowie prominenten Fans auf sehr persönliche Weise über ihr Leben, den Fußball und die Eintracht gesprochen. »Stimmen der Eintracht« nähert sich so dem Herz des Fußballs, es erzählt Geschichten von Eintracht-Legenden, die sich unsterblich gemacht haben; vom Aufstiegswillen, der aus Kriegen kommt; von Versuchungen in der Glamourwelt des Fußballs; von Torjägern, die gegen Rassismus kämpfen; oder vom Kampf der Frauen in zwei Männerwelten. Ein einzigartiges Buch nicht nur für Eintracht-Fans, sondern für alle, die den Fußball und das Leben lieben.
Mit Geschichten von Ekko Feigenspan, Jan Åge Fjørtoft, Laura Freigang, Mario Götze, Makoto Hasebe, Bernd Hölzenbein, Randal Kolo Muani, Matthias Ohms, Egon Loy, Petra Roth, Uli Stein, Anthony Yeboah.
Michael Horeni, Jahrgang 1965, hat Politische Wissenschaften, Geschichte und Philosophie studiert und war langjähriges Sportredaktionsmitglied der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, zuletzt als Fußballkorrespondent Europa. Er veröffentlichte u. a. »Klinsmann« (2005), »Die Brüder Boateng« (2012), in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Watzke den Bestseller »Echte Liebe« (2019) und zuletzt »Die Begnadeten« (2022). Horeni, der über zwanzig Jahre als Berichterstatter zuständig für die deutsche Nationalelf war und von 16 Welt- und Europameisterschaften im Fußball berichtet hat, wurde ausgezeichnet mit dem deutschen Fair Play Preis.
Es ist ein heißer Nachmittag im Sommer 2023. Bernd Hölzenbein steht im Halbdunkel und lächelt. Um die Hitze fernzuhalten, hat seine Frau die Rollläden zum Garten heruntergelassen. Das abgedunkelte Wohnzimmer ist angenehm kühl, im Hintergrund summt ein Ventilator. Bernd Hölzenbein trägt eine kurze Sporthose und ein Poloshirt. Körperlich wirkt er fit, fitter als viele Männer seines Alters. Sein Händedruck ist fest. Nach einer stummen Begrüßung setzt er sich an den Holztisch.
Auf dem Tisch steht eine Tasse, die von Eintracht Frankfurt zum Pokalfinale 2023 herausgebracht worden ist, mit dem Slogan: »Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehen«. Man sieht darauf, wie Hölzenbein als Kapitän den DFB-Pokal in die Höhe reckt. Daneben liegen Autogrammkarten in einem Korb. Hölzenbein schiebt eine herüber. Auf der Vorderseite ist ein schönes Foto von ihm aus jüngster Vergangenheit: Er lächelt verschmitzt, die Augen strahlen. Auf der Rückseite eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus den Siebzigerjahren, auf der er den Ball eng am Fuß führt, im Eintracht-Trikot mit dem ersten Trikotsponsor »Remington«, dazu die Stationen seiner Karriere, seine Erfolge.
Die Autogrammkarte ist eines der wenigen Dinge, die in der Wohnung der Hölzenbeins an seine Karriere erinnern. An die rund fünfzig Jahre, in denen er bei Eintracht Frankfurt auf verschiedenen Positionen zur prägendsten Figur des Klubs wurde. »Bernd kann sie leider nicht mehr unterschreiben«, sagt seine Frau Jutta.
Bernd Hölzenbein steht unvermittelt vom Tisch auf, getrieben von innerer Unruhe. Er durchstreift die Wohnung. Unablässig. Immer wieder geht er an diesem Tag an einem antiken Eichenschrank mit verglasten Fenstern vorbei, in dem ein Weltmeister-Pokal in Miniaturformat steht, für den er keinen Blick mehr hat.
Mit Hölzenbeins Leben verknüpfen sich Erinnerungen, die ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen sind: der WM-Triumph 1974 gegen die Niederlande beim 2:1-Sieg im Finale mit dem umstrittenen Foulelfmeter, der durch Paul Breitner zum Ausgleich führte. Die unvergessene »Schwalbe«, von der Hölzenbein stets sagte, es sei keine gewesen. Im kollektiven Gedächtnis von Eintracht Frankfurt ist wiederum sein Sitzkopfballtor in letzter Sekunde gegen Dinamo Bukarest tief verankert. Ein Tor, das den Weg zum UEFA-Pokalsieg im Jahr 1980 erst möglich machte. Vermutlich das einzige Sitzkopfballtor, das jemals im internationalen Topfußball erzielt worden ist.
Es gibt aber auch die schmerzhaften Erinnerungen in seinem Leben, wie die am letzten Spieltag verspielte Deutsche Meisterschaft 1992 in Rostock, die zur Krönung von Hölzenbeins zweiter Karriere als Vizepräsident hätte führen sollen. Oder der erste Bundesliga-Abstieg in der Geschichte der Eintracht im Jahr 1996, für den Hölzenbein als Manager die größte Verantwortung zugeschrieben wurde. Und wenige Jahre später sein persönlicher Tiefpunkt, als er wegen eines unzulässigen Vertrags für Anthony Yeboah im Jahr 2001 zu sieben Monaten Haft auf Bewährung wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, als vorbestraft galt und wegen horrender Anwaltskosten den Ruin fürchtete.
Wie sich diese Erinnerungen, die wunderbaren wie die schmerzhaften, über die Jahre für ihn veränderten, ein anderes Gewicht und neue Bedeutungen angenommen haben, kann Bernd Hölzenbein schon im Sommer 2023 nicht mehr in Worte fassen. Selbst die unvergesslichen Momente sind im großen Vergessen verschwunden. Doch in seinem Fall werden die Erinnerungen innerhalb der Familie weitergetragen, von Generation zu Generation, über seine Ehefrau, Kinder und Enkel. Neben dem Halbdunkel, das ihn umgibt, vollzieht sich gleichzeitig ein lebendiger Prozess, der mit der Biografie von Bernd Hölzenbein auf einzigartige Weise verknüpft ist und die Erinnerungen in die Zukunft trägt.
Jutta Hölzenbein, Ehefrau
Am Anfang, als das Vergessen begann, haben wir gedacht, es ist das »übliche« Vergessen. Das, was jeder kennt: Wo ist der Schlüssel? Wo ist das Portemonnaie? Dann habe ich irgendwann gespürt, dass es ein andersartiges Vergessen sein könnte. Das war 2017. Bernd hatte, wenn er etwas gesucht hat, plötzlich eine ungewöhnliche Unruhe in sich.
Bei einem Golfturnier haben wir im Hotel übernachtet. Bernd ist morgens um fünf aufgestanden. Er verließ das Zimmer und hat sich unten im Hotel in eine Ecke gesetzt. Dort hat er weitergeschlafen. Dass nächtliche Unruhe und Umherwandern ein Teil der Krankheit sind, wusste ich damals nicht.
Zwei Jahre später waren wir bei einer Versteigerung für einen guten Zweck. Da stand er mit dem Organisator auf der Bühne. Bernd sagte ihm, dass er nur das sagen werde, was er sagen wolle. Und nicht, was er gefragt werde. Er wollte da nicht mehr vor Publikum interviewt werden, das machte ihn unsicher. Da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmen kann. Aber wir haben immer noch gehofft, dass es nicht so schlimm ist.
Im Jahr 2019 hat sich Bernd bereit erklärt, zum Neurologen zu gehen, um sich gründlich untersuchen zu lassen. Zu Ärzten wollte er grundsätzlich nicht. Nach dem Vorgespräch wollte er wieder gehen. Die Fragen haben ihm nicht gefallen. Welchen Tag haben wir? Welchen Monat? Fragen, die man Alzheimer-Patienten stellt. Er blieb dann aber zwei Tage zur Untersuchung. Als ich ging, bat ich ihn, mich am nächsten Morgen um sieben Uhr anzurufen. Punkt sieben klingelte das Telefon. Da dachte ich, wenn das funktioniert, fällt die Diagnose vielleicht doch nicht so schlecht aus.
Zu dieser Zeit hatte ich einen Artikel gelesen, dass Profifußballer wegen der vielen Kopfbälle in ihrer Karriere ein erhöhtes Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken. Auch Bernd hatte in seiner Karriere eine schwere Gehirnerschütterung. Lothar Schämer hat ihm versehentlich, aber sehr hart an den Kopf geschossen. Bernd lag drei Tage im Krankenhaus.
Der Vorfall ereignet sich am 30. Januar 1971, am 19. Bundesliga-Spieltag gegen Hannover 96. Die Eintracht steht auf dem letzten Tabellenplatz – und gewinnt 2:1. Am letzten Spieltag rettet sich die Eintracht vor dem Abstieg. Nach dem 2:1 sagt Trainer Erich Ribbeck: »Das war vielleicht unser wichtigster Sieg. Schade nur, dass wir wieder einen Verletzten mehr haben. Hölzenbein musste wegen einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. Er hat nicht mehr gewusst, wie der Spielstand war.«
Den Artikel über die Folgen der Kopfbälle hat Bernd auch gelesen. Wir haben ihn dem Arzt gezeigt. Der hat das anders gesehen. Dabei gibt es heute immer mehr Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Kopfbällen und Alzheimer zeigen. Die Bälle damals waren ja extrem schwer, vor allem wenn sie sich bei Regen vollgesogen hatten. Bernd war enttäuscht, dass der Arzt auf das Thema nicht eingegangen ist. Das wäre eine Erklärung für ihn gewesen.
In der Zeit, als Bernd Hölzenbein mit seiner Frau medizinische Hilfe sucht, informiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung über die ansteigende Zahl an Demenzerkrankungen: »In Deutschland leben mehr als 1,5 Millionen Menschen mit einer Demenz. Viele von ihnen sind von Alzheimer betroffen. Diese neurodegenerative Erkrankung schädigt Zellen des Gehirns und lässt sie nach und nach absterben – ein schleichender Vorgang, der über Jahre unbemerkt bleiben kann. Ursache dafür ist die enorme Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns: Es kann den Verlust von Nervenzellen in einem gewissen Maße ausgleichen. Erst wenn solche Ausfälle überhandnehmen, machen sich Gedächtnisprobleme oder andere Auffälligkeiten bemerkbar, die für Alzheimer typisch sind. Gehen die Betroffenen dann zum Arzt, hat die Erkrankung bereits umfangreiche Zerstörungen angerichtet.«1
Eine Untersuchung des Nervenwassers nach einer Punktion hat dann 2019 schließlich Gewissheit gebracht. Bernd saß auf der Bettkante, der Arzt sagte: »Ich muss Ihnen sagen: Sie haben Alzheimer.«
Wir haben uns angeschaut und gesagt: »So eine Scheiße.« Und uns entschlossen, einfach wie gewohnt weiterzuleben. Bernd hatte zu dieser Zeit noch einige Wochen Vertrag bei der Eintracht, der lief im Juli 2019 aus. Nach der Entlassung sind wir direkt ins Auto gestiegen und dann wie geplant zum Frankfurter Golf Club zu einem Turnier vom Deutschen Olympischen Sportbund gefahren. Alle haben sich gefreut, dass wir kamen. Wir haben zwei, drei Bierchen getrunken und sind nach Hause gefahren. Am nächsten Tag hatte Bernd einen Termin für eine Autogrammstunde mit den Eintracht-Oldies. Auch das hat er gemacht. Wir sind gemeinsam dorthin gefahren. Was sollten wir auch anderes tun?
Über die Krankheit und ihre Auswirkungen haben wir danach kaum gesprochen. Mit Bernd konnte man nicht über Krankheiten sprechen, das war schon früher so. Es klingt komisch, aber die Krankheit hat ihn nicht interessiert. Er hat das bestimmt auf seine Weise für sich verarbeitet, aber nicht nach außen.
Im folgenden Jahr habe ich versucht, dass er in eine Studie reinkommt, um vielleicht doch eine neue Möglichkeit zu finden, die Krankheit zu verlangsamen. Zu dem Professor hatte Bernd sofort einen guten Draht. Der begrüßte ihn mit dem Satz: »Herr Hölzenbein, ich sehe immer noch, wie Sie im Sitzen mit dem Kopf das Tor machen.«
Aus der Studienteilnahme wurde nichts. Bernd hatte dafür einen zu niedrigen Puls. Den hatte er ohnehin vom Sport, und dann kamen noch die Medikamente dazu. Wir wollten in dieser Zeit alle Möglichkeiten ausschöpfen, die es gab.
Im Juni 2022 war eine schlimme Phase, in der ist er oft weggelaufen. Da haben wir es mit TPS (Transkranielle Pulsstimulation) versucht. Man bekommt so eine Art Mütze auf den Kopf mit Drähten darunter. Über den Kopf werden...
Erscheint lt. Verlag | 25.9.2024 |
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Zusatzinfo | 16 Seiten farbiger Bildteil |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 125 jahre eintracht frankfurt • 2024 • Anthony Yeboah • Bernd Hölzenbein • Biografie • Biographien • Bundesliga • dfb-pokalsieger • eBooks • europa league-sieger • Football • Fussball • Fussballklub • Jürgen Grabowski • karl-heinz körbel • Mario Götze • Neuerscheinung • randal kolo muani • Sport • Traditionsverein • Uli Stein • Waldstadion |
ISBN-10 | 3-641-32414-9 / 3641324149 |
ISBN-13 | 978-3-641-32414-8 / 9783641324148 |
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