Auf Augenhöhe (eBook)

Wie wir unsere Jugendlichen nicht verlieren Als Sozialarbeiter auf den Straßen von Berlin

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
240 Seiten
Kösel-Verlag
978-3-641-32039-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf Augenhöhe - Burak Caniperk
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Mit Herz und Hip-Hop - Ein Berliner Streetworker über die Jugend von heute
Burak Caniperk ist Sozialarbeiter aus Leidenschaft und nimmt uns mit auf die Straßen: In »Auf Augenhöhe« erzählt er von seinem täglichen Einsatz für Jugendliche in Berlin, die oft am Rand der Gesellschaft stehen. Ob Drogen, psychische Probleme oder fehlende familiäre Unterstützung - Burak begegnet ihnen mit Empathie und Respekt, nicht nur in Problembezirken, sondern auch in scheinbar besseren Vierteln Berlins.

Die Probleme vieler Jugendlicher kennt Burak Caniperk nur zu gut: Einst selbst antriebslos, hat er sich aus schwierigen Verhältnissen herausgekämpft. Auch, weil es Menschen gab, die an ihn geglaubt haben. Heute weiß er, wie wichtig es ist, Jugendlichen Hoffnung und Perspektiven zu geben. Sein Buch ist ein kraftvolles Plädoyer dafür, Vorurteile abzubauen gemeinsam Lösungen zu finden - damit jeder Jugendliche sein Potenzial entfalten kann.

Burak Caniperk arbeitet seit 2017 für die Outreach gGmbH, einen großen Träger für mobile Jugendsozialarbeit in Berlin. Außerdem moderiert er Sendungen im HipHop-Sender TV Straßensound und berichtet auf seinem Instagram-Account und seinem Youtube-Kanal über seine Arbeit als Sozialarbeiter. Er wird häufig für Interviews zu sozialen Themen angefragt und trat unter anderem in der Tagesschau auf, im Mittagsmagazin der ARD und im ZDF-Format heute live, hatte ein großes Interview in der SZ und im Berliner Tagesspiegel. Es geht ihm bei seinen Auftritten auch darum, das Augenmerk darauf zu lenken, wie wichtig soziale Arbeit für diese Gesellschaft ist.

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Was macht überhaupt ein Sozialarbeiter?

Als Sozialarbeiter kann man in ganz vielen verschiedenen Bereichen mit ganz unterschiedlichen Menschen arbeiten: mit Erwachsenen, Jugendlichen, Kindern, Senioren, mit geflüchteten Menschen oder Menschen mit psychischen oder physischen Einschränkungen. Man kann in Behörden wie Jugend- oder Sozialämtern, in Schulen, Gefängnissen oder bei der Jugendgerichtshilfe arbeiten, die Jugendlichen dabei helfen soll, dass sie gar nicht erst ins Gefängnis kommen. Man kann in Krankenhäusern arbeiten, in Altenheimen oder Obdachloseneinrichtungen, als Schul- oder Kita-Sozialarbeiter oder in betreuten Wohngemeinschaften für junge Menschen, die in ihren Familien Probleme haben oder kriminell oder drogensüchtig waren.

Man arbeitet dabei also meistens entweder in staatlichen Einrichtungen oder, wie ich, bei sogenannten Freien Trägern. Das sind überwiegend Vereine oder gemeinnützige Gesellschaften, die Aufgaben der staatlichen Fürsorge – etwa die Versorgung mit Kindergartenplätzen – übernehmen und deren Angebote und Arbeit, also auch die Personalkosten, deshalb mit staatlichen Geldern unterstützt werden.

Es gibt mittlerweile aber auch private Unternehmen, die Sozialarbeiter unter ihren Angestellten haben, weil sie Beschäftigten in persönlichen Krisen oder schwierigen Lebenslagen Hilfe anbieten wollen, diese Probleme zu bewältigen, um sie nicht als Mitarbeiter und dringend benötigte Fachkräfte zu verlieren.

In all diesen unterschiedlichen Arbeitsbereichen hat man als Sozialarbeiter jedoch eigentlich immer die gleiche Aufgabe: Es geht darum, Menschen dabei zu unterstützen, in schwierigen Lebenssituationen und in dieser Gesellschaft (wieder) zurechtzukommen und ihren eigenen, für sie richtigen Weg in das Leben, das sie führen möchten, zu finden und zu gehen. Unsere Aufgabe ist es dann, uns darum zu kümmern, dass sie dabei genau den Support bekommen, den sie ganz individuell brauchen und der ihnen laut Gesetz zusteht – entweder direkt von uns Sozialarbeitern oder von anderen Hilfsinstitutionen, zum Beispiel Bildungsträgern wie Schulen oder Fort- und Weiterbildungsanbietern oder von Schuldnerberatungen oder Drogenhilfeeinrichtungen, von Anwälten oder Therapeuten. Denn wir Sozialarbeitenden sind zwar Pädagogen, aber eben keine Therapeuten, keine Rechtsanwälte, Krankenpflegende oder Schuldnerberater. Wir haben in der Regel Soziale Arbeit oder Sozialpädagogik oder etwas Ähnliches studiert, manche meiner Kollegen sind gelernte Erzieher, ehemalige Lehrkräfte oder Sozialwissenschaftler. Dort, wo ich arbeite, gibt es zudem viele Quereinsteiger, die ganz andere Berufe gelernt oder studiert haben, aber dann oft noch berufsbegleitend eine Erzieherausbildung oder ein Zusatzstudium oder entsprechende Fortbildungen besucht haben, um diesen Job machen zu können. Wir alle begleiten unsere Klienten dabei, die für sie jeweils richtige Beratung und die passende Unterstützung zu bekommen. Und vor allem: auf diesem manchmal langen und schwierigen Weg nicht aufzugeben und die Hoffnung nicht zu verlieren. Wir motivieren und unterstützen Menschen, ihren Platz in dieser Gesellschaft, in unserem sozialen Gefüge zu finden. Deshalb heißt es Sozialarbeit! Und deshalb bin ich Sozialarbeiter geworden.

Jugendsozialarbeiter arbeiten natürlich mit jungen Menschen, genauer gesagt: mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Als Jugendliche gelten in Deutschland laut Gesetz Menschen ab ihrem 14. Geburtstag bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, also bis zur Volljährigkeit. Volljährige junge Menschen zwischen 18 und 21 gelten nach dem Gesetz jedoch noch immer als Heranwachsende, die unter bestimmten Bedingungen deshalb zum Beispiel nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können, wenn Gerichte der Ansicht sind, dass es ihnen an erwachsener Reife fehlt. Jugendsozialarbeit richtet sich deshalb vor allem an Menschen zwischen 14 und 21 Jahren, manchmal aber auch an etwas Jüngere oder Ältere, wenn sie unsere Hilfe brauchen.

Die jungen Menschen, mit denen ich als Streetworker arbeite, sind überwiegend zwischen 16 und 21 Jahre alt. Es sind Teenager und junge Erwachsene, die aus individuellen oder gesellschaftlich bedingten Gründen keine guten und gerechten Chancen haben, ihre eigenen Zukunftsträume und Lebensentwürfe zu verwirklichen, etwa weil sie aus armen und benachteiligten Familien kommen oder weil sie persönliche Probleme haben. Meine Kollegen und ich begleiten dabei zum Teil einzelne Jugendliche – das nennen wir Einzelfallhilfe –, oft aber auch Jugendgruppen. Am Anfang, gleich nach meinem Studium und meinem Umzug nach Berlin, habe ich im Stadtteil Charlottenburg junge Menschen mit intensiver Einzelfallhilfe dabei unterstützt, einen (Wieder-)Einstieg in Bildung und Ausbildung hinzukriegen, zum Beispiel einen Schulabschluss nachzuholen, nachdem sie die Schule hingeschmissen hatten oder einfach lange nicht hingegangen waren, oder einen Job oder eine Lehrstelle zu finden oder in vielen Fällen zunächst überhaupt erst mal den Mut und das Selbstwertgefühl dafür zu entwickeln, sich das zuzutrauen. Ich war dort ein sogenannter Berufscoach. Das ist eine der vielen Aufgaben, die wir als Jugendsozialarbeiter übernehmen können. Mittlerweile arbeite ich als Streetworker in Berlin-Schöneberg – und dort oft mit Gruppen von Jugendlichen, die einen großen Teil ihres Lebens draußen auf den Straßen verbringen.

Das hört sich jetzt vielleicht so an, als ob wir Streetworker bloß durch die Gegend spazieren und gucken, ob irgendwo ein paar Jugendliche abhängen, die nichts Sinnvolleres zu tun haben, als draußen herumzulungern und dabei auch noch andere Leute zu stören. Das stimmt so nicht ganz. Ja, wir laufen durch die Straßen, im Sommer wie im Winter, bei Regen, Schnee und Dunkelheit, und lassen uns immer wieder da blicken, wo Jugendliche rumhängen und dabei tatsächlich ziemlich oft jemanden stören. Wir tun das aber nicht, um dort für diese anderen Leute wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Wir tun das für die Jugendlichen: Wir suchen sie und quatschen sie an, um zu erfahren, warum sie überhaupt da draußen abhängen und warum sie nichts Besseres zu tun haben – und ob sie vielleicht eigentlich gern etwas Besseres zu tun hätten. Falls das so ist, helfen wir ihnen dabei, das zu erreichen oder erst mal anzugehen. Bis es so weit ist, schauen wir tatsächlich einfach nur immer wieder bei ihnen vorbei, um Hallo zu sagen und ein paar kurze Gespräche zu führen, um zu erklären, wer wir sind und warum wir auftauchen.

Denn es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass diese Jugendlichen sofort sagen: »Da kommt jetzt endlich mal ein Jugendsozialarbeiter und kümmert sich um uns, darauf haben wir schon lange gewartet!« Schon gar nicht, wenn es sich dabei um Gruppen von Jungs handelt, die auch mal kiffen oder vielleicht sogar selbst dealen, Schlägereien mit anderen Jugendlichen haben und wegen all dem vielleicht schon Ärger mit der Polizei hatten, was bei meiner Arbeit im Schöneberger Norden leider ziemlich häufig vorkommt.

Nur weil man Sozialarbeit studiert hat, hat man nämlich nicht automatisch gleich zu allen Menschen, mit denen man dann arbeitet, einen leichten Zugang. Man muss sich ihr Vertrauen erst verdienen. Jugendliche kommen nicht einfach zu uns und erzählen uns ihre Probleme. Stattdessen gehen wir zu ihnen und sprechen mit ihnen oder spielen mit ihnen irgendwelche Games, bis sie irgendwann genug Vertrauen haben, um uns etwas von sich zu erzählen.

Viele der jungen Menschen, mit denen wir arbeiten, sind »gebrannte Kinder«, sie haben miese Leben und oft schon eine ganze Menge schlechte Erfahrungen gemacht. Um sich zu schützen, gehen sie erst mal auf Abstand. Gerade zu Erwachsenen haben sie meist wenig Vertrauen – häufig ganz besonders wenig zu solchen, die von staatlichen Institutionen kommen. Ich muss den Jugendlichen bei meiner Arbeit auf der Straße dann erklären: Nein, ich bin nicht von der Polizei, nicht von der Kripo oder vom Ordnungsamt. Ich werde nicht zu euch geschickt, um auf den Straßen für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Und ich bin auch nicht vom Jugendamt.

Wir erfüllen als Jugendsozialarbeiter zwar einen staatlichen Auftrag. Aber ich bin nicht im Auftrag des Staates hinter den Jugendlichen her und schon gar nicht, um sie irgendwo zu vertreiben, weil sie dort andere Leute stören. Mein Auftrag ist es, ihnen Unterstützung anzubieten, wenn sie als Einzelne Hilfe brauchen ebenso, wie wenn sie als Gruppe nach einem Ort suchen, wo sie sich in Ruhe treffen können. Die Jugendlichen nehmen das Angebot entweder freiwillig oder gar nicht an. Niemand wird gezwungen, mit uns Jugendsozialarbeitern oder auch Streetworkern zusammenzuarbeiten.

Wir Streetworker versuchen aber, bei solchen Jugendlichen, die irgendwo auf der Straße rumhängen, möglichst so lange aufzutauchen, bis die irgendwann glauben und sehen: Die kommen ja tatsächlich immer wieder! Die sind da, die hören uns zu und verstehen uns. Die sind okay! Wir tun das, um erst mal eine Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Damit sie dann anfangen, mit uns zu reden, weil sie kapieren: Die wollen wirklich wissen, was wir wollen. Das bedeutet: Unseren konkreten Arbeitsauftrag geben uns eigentlich die Jugendlichen selbst. Wir als Jugendsozialarbeiter sind dazu da, ihnen dann dabei zu helfen, einen Weg zu finden, um ihre Ziele zu erreichen.

Wir sind eben keine Polizisten, keine Ordnungshüter, die Verbote erlassen oder Strafen erwirken können. Wir arbeiten mit den Jugendlichen auf Augenhöhe. Vor allem aber hören wir ihnen wirklich zu, wenn sie Vertrauen...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2024
Co-Autor Alke Wierth
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • Berlin • Chancengerechtigkeit • Chancengleichheit • der große bruder von neukölln • Drogen Jugendliche • eBooks • Eltern • Erziehung • Erziehungsratgeber • fadi saad • Gesundheit • Jugendgewalt • Jugendliche verstehen • Kindererziehung • Komasaufen • Leben auf der Straße • Neuerscheinung • Pädagogik • Pubertät • Respekt • Schule schwänzen • schwer erziehbare Jugendliche • schwierige Jugendliche • strassensound • Streetworker • Teenager • Teenager erziehen • überforderung in der erziehung • uwe browatzki • was macht ein sozialarbeiter • Was macht Politik falsch
ISBN-10 3-641-32039-9 / 3641320399
ISBN-13 978-3-641-32039-3 / 9783641320393
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