Vom Regierungsberater zum Inneren Exil 1920-1941 (eBook)

1940. Die versunkene bürgerliche Welt. Hans Gmelin, Staatsrecht vom Kaiserreich bis Hitler, Band 3

Ralf-Andreas Gmelin (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
888 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-8061-4 (ISBN)

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Vom Regierungsberater zum Inneren Exil 1920-1941 -
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Der dritte Band der Lebenserinnerungen von Hans Gmelin führt uns in dessen Glanzzeit als Berater der hessen-darmstädtischen Landesregierung bei der Verfassung für einen demokratischen "Volksstaat". Er zeugt von der Gründung seiner Familie, vom Erwerb eines Eigenheims und dann der Machtergreifung des Nationalsozialismus, der alle Träume von einer künftigen Rechtssicherheit im deutschen Sprachraum und darüber hinaus wegfegt. Diese umfangreiche Biographie verdankt sich dem inneren Exil von Hans Gmelin, der die Zeit, die er früher auf juristische Fachveröffentlichungen aufgewendet hatte, nun in die handschriftliche Verfassung seiner Lebensgeschichte steckt. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs starb Hans Gmelin, ohne Hoffnung auf die Erneuerung rechtssicherer Verhältnisse, als der Nazi-Terror in Deutschland kaum auf Widerstand traf.

III. Verlobung und Hochzeit


In Freiburg: Die Zeit bis zum „Verlobungstag“, Dienstag, 31. August 1920

Anderen Tags erkrankte ich an Grippe, die wohl durch die Erkältung und die Darmverstimmung in Römerkessel, zum Teil wohl auch durch Aufregung ausgelöst wurde. Zu Hause fand ich einen übrigens ganz farblosen Kartengruß von Frl. Meili aus München vor. Aber wenige Tage nach mei-ner Rückkehr traf eine Karte mit den Worten: „Es wird eine freudige Über-raschung sein,“ die einen Brief ankündigte. Da wußte ich, daß sie sich ent-schieden hatte, ihr Leben mit dem meinen zu verbinden. Anderen Tags erhielt ich den Brief bereits. Sie teilte mir darin mit, daß sie ihren früheren Bräutigam – von dem sie sich bereits ein Jahr zuvor losgesagt hatte – endgültig abgeschrieben habe. Marthel8 erklärte sich bereit, meinen Antrag anzunehmen. Sie glaubte, daß der große Altersunterschied keine Rolle spie-len werde, weil wir uns verstünden. Noch am gleichen Tage, am 31. August, der unseren Verlobungstag bedeutet, dankte ich meiner Braut telegraphisch für die glückbringende Nachricht und sandte ihr einen dankerfüllten Brief. Ich schrieb vom Bett aus, denn der Arzt ließ mich nicht aufstehen, bevor das Fieber geschwunden war, natürlich eingeschrieben aus lauter Angst, die wichtige Nachricht könne verlorengehen. Mein Brief zeugt von großer Un-geduld, denn ich schlug vor, den Zeitpunkt der Hochzeit möglichst nahe zu rücken und bat meine Braut, ihre Stelle bei Goossens möglichst rasch aufzu-geben. Ich lud sie ein, sich bei uns in Günterstal zu erholen, dann mit uns und ihrer Mutter nach Gießen zu fahren zur Inspizierung meiner Wohnung, um sich zu über-zeugen, daß wir nicht viel zur Ergänzung meines Haushalts beschaffen müßten. Vor allem aber nahm ich eine Verlobungsfeier in Aussicht. Am folgenden Tag hielt ich brieflich bei meinen Schwiegereltern um die Hand ihrer Tochter an. Wiederum konnte ich – wie mein Brief vom 3. September zeigt – ihre Zusage kaum abwarten und doch hatte ich, da meine Braut alsbald ihren Eltern schrieb, schon am 4. September die Zustimmung meiner Schwiegereltern, von meiner Schwiegermutter geschrieben, da mein Schwiegervater gerade eine Reise hatte antreten müssen. In mei-nem Brief hob ich hervor, daß ich Marthel auf den zwischen uns beste-henden großen Altersunterschied hingewiesen habe, daß aber Marthel in ihm keinen Hinderungsgrund für gegenseitiges Verständnis erblickte. Ich legte auch offen meine Einnahmen dar, um auch in dieser Hinsicht keine Illusionen hervor-zurufen. Doch gab ich der Hoffnung Ausdruck, daß Marthel in den ange-nehmen gesellschaftlichen Verhältnissen Gießens sich wohlfühlen werde und daß sie im Kreise der Frauen meiner Kollegen vor dem Gefühl der Ver-einsamung bewahrt bliebe und daß die mannigfaltige Umgebung Gießens ihre Freude an der Natur befriedigen werde.

War ich vor allem bestrebt, über mein Alter und über meine materiellen Verhältnisse keine falschen Vorstellungen zu erwecken, so fürchtete meine Schwiegermutter, die Bildung Marthels könne mir vielleicht nicht genügen. Das war eine unnötige Sorge. Wenn meine Verwandten früher gelegentlich äußerten, ich werde einmal eine „Gstudierte“ heiraten, so waren sie völlig auf dem Holzweg. Mein Sinn stand nicht nach übergebildeten eman-zipierten Frauenzimmern. Was ich brauchte und wünschte, war eine Lebensgefährtin, die den Pflichten einer Hausfrau und einer Mutter genügen konnte, die aber darüber hinaus mir in allem ein treuer Kamerad zu werden versprach. Dazu war keine abgehobene Bildung vonnöten. Übrigens ging Marthels musikalische Vorbildung über den üblichen Durchschnitt hinaus, indem sie nicht nur das Violinspiel erlernte, sondern auch im Klavierspiel, namentlich durch häufiges vierhändig spielen mit ihrer Schwester Friedel, eine beneidenswerte Fertigkeit gewonnen hat, sodaß sie mich später beim Violinspiel trefflich begleiten konnte.

Die Ehefrau Marta Meili

Es mag am Platze sein, hier einiges über die Familie meiner Frau einzu-stellen. Meine Schwiegereltern waren Schweizer und zwar besaßen beide die zürcherische Staatsangehörigkeit. Die Familie meines Schwiegervaters soll aus Graubünden stammen, worauf auch sein ausgesprochen dinarischer Gesichtstypus hinweist. Er war bäuerlicher Herkunft, noch sein Großvater betrieb die Landwirtschaft, aber da sein Bauernhof abbrannte, so mußten die Söhne sich nach anderen Beschäftigungen umsehen. Der Vater meines Schwiegervaters erbaute eine kleine Fabrik, die ebenfalls dem Feuer zum Opfer fiel. Auch dadurch geriet er in bedrängte Verhältnisse. Mein Schwiegervater, streng religiös erzogen, wollte ursprünglich den Beruf des Missio-nars ergreifen, aber die Notlage seiner Familie zwang ihn, darum besuchte er die Webschule in Zürich und übernahm schon in jungen Jahren die Leitung einer Webfabrik in Gütersloh9 in Westfalen (1894).

Im Laufe des Sommersemesters entsprang der flüchtigen Eisenbahnbekanntschaft mit Frl. Meili ein regelmäßiger Briefwechsel, der schließlich zu einem Bund fürs Leben führte. Dem Briefe Marthels vom 2. Februar 1920, ließ ich erst Ende April, am 25., einen allerdings recht ausführlichen folgen, in dem ich ihr von unserem Garten in Günterstal und von meiner Geige erzählte. Die Antwort ließ auf sich warten. Marthel hatte am 15. Februar eine Stelle in der Familie eines Aachener Großindustriellen angenommen – sie hatte dessen beiden Mädelchen im Alter von sechs und acht Jahren zu betreuen. Als die beiden an Scharlach erkrankten, hatte sich Marthel angesteckt, wenn auch die Krankheit bei ihr nicht zu vollem Ausbruch kam. Seelische Kämpfe spielten herein – die Überwindung einer früheren Ent-täuschung. So kam es, daß sie mir nach flüchtiger Karte erst am 20. Juni einen Brief sandte, in dem es mich besonders ansprach, daß sie aus seeli-scher Not Trost in der Natur suchte. Von da ab vertrauten wir uns immer mehr über unser Leben, unsere Anschauungen und unsere Angehörigen an. Als mir Marthel am 4. Juli schrieb, „Sie haben mich durch Ihre wohltu-enden, liebevollen Worte zu einem viel froheren, heitereren Menschen gemacht,“ da fühlte ich, daß ich den Weg zu ihrem Herzen finden konnte. Um Marthel kennen zu lernen, lud sie meine Mutter, die damals gerade in Gießen weilte, für einige Tage ein. Leider konnte Marthel der Einladung nicht Folge leisten, da sie in jenen Tagen ihre Schützlinge nach Tutzing am Starnberger See zu begleiten hatte. In dem Briefe, den ich der Einladung meiner Mutter beilegte, ließ ich durchblicken, daß ich gelegentlich eines Ausflugs mit meiner Mutter ihren Eltern einen Besuch abstatten wolle. Marthel teilte dieses Vorhaben, ihren Eltern mit, denn sie schrieb mir in einem späteren Briefe, daß ihre Mutter sich auf unseren Besuch freue. Da die Dekanatsgeschichten mich noch über den Semesterschluß hinaus in Gießen festhielten, so konnte ich mit meiner Mutter, die seit dem 13. Juli wieder in Gießen weilte, erst am Freitag, den 12. August nach Freiburg reisen.

Bereits am Freitag, den 13. August bat ich die Eltern Marthels um die Erlaubnis, ihnen an einem der nächsten Tage mit meiner Mutter unsere Aufwartung machen zu dürfen. Am folgenden Tage, dem Samstag, traf die Draht-Nachricht ein, daß sie uns am Sonntag erwarteten. Ich retourierte telegraphisch, daß wir mit dem 3:00 Uhr Zuge nach Lörrach kämen. In Wirklichkeit aber reisten wir schon mit dem Morgenzuge, wanderten nach Tumringen und stiegen bei einförmig bedecktem Himmel hinauf zum Röttler Schloß. Auf dem Wege sahen wir das malerische Kirchlein, in dem später die Trauung stattfinden sollte und schauten hinab zu der, von meinem künftigen Schwiegervater geleiteten Seidenfabrik, der Geburts-stätte Marthels.10 Nachdem wir nach Lörrach zurückgekehrt waren und dort gegessen hatten, begaben wir uns zum Dreiuhr-Zug an den Bahnhof. Wir suchten nun zu erraten, wer von den Leuten, die sich nach und nach in Erwartung des Zuges an der Sperre einfanden, wohl Herr Meili sein mochte, rieten aber ganz daneben, denn nicht er, sondern Frau Meili er-schien an der Bahn: Als der Zug eingetroffen war, verließ ich mit meiner Mutter den Bahnhof. Da schritt eine schwarzgekleidete Dame auf uns zu und frug, ob wir Frau Gmelin und ihr Sohn seien. So lernte ich meine künftige Schwiegermutter kennen. Sie war im eigenen Gefährt gekommen, um uns abzuholen. Begleitet war sie von ihrer Tochter Friedel, die in einem weißen, ziemlich kurzen Kleide sehr jung aussah, sodaß ich sie auf etwa 17 Jahre schätzte. Als wir in dem Wagen verstaut waren, die beiden Mütter auf den Vorder-, wir beiden anderen auf den Rücksitzen, sagte ich Friedel, ich hätte ihre ältere Schwester kennen gelernt, denn ich hatte Marthel für ca. 23jährig...

Erscheint lt. Verlag 20.6.2024
Reihe/Serie 1940 Die versunkene bürgerliche Welt
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte Das Leben in der Universitätsstadt Gießen • Familienleben - Weimar und Hitler • Professorenalltag 1920 bis 1940 • Rechtslehrer ohne Rechtssicherheit • Staatsrecht in der Weimarer Republik und im Dritten Reich
ISBN-10 3-7597-8061-X / 375978061X
ISBN-13 978-3-7597-8061-4 / 9783759780614
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