Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik (eBook)
368 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-0852-6 (ISBN)
Prof. Dr. Dieter Riesenberger (1938-2023) war nach dem Studium der Geschichte, Germanistik und Latinistik in Freiburg i.Br., Basel und Rom, dem Staatsexamen und der Promotion (1966) zunächst als Gymnasiallehrer (1967-1971) tätig, danach von 1972 bis 1980 am Seminar für Geschichte und Politische Bildung der Pädagogischen Hochschule Rheinland, Abteilung Neuss, wo er sich 1976 habilitierte. Von 1981 bis 1998 lehrte er als Professor für Zeitgeschichte und Didaktik der Geschichte an der Universität-Gesamthochschule Paderborn. Neben Aufsätzen zur Fachdidaktik und Fachwissenschaft in Zeitschriften und Sammelwerken befassen sich seine zahlreichen Veröffentlichungen insbesondere mit der Geschichte des Nationalsozialismus, der DDR, der Friedensbewegung sowie des Internationalen und des Deutschen Roten Kreuzes. (Text nach: D. Riesenberger: Den Krieg überwinden. Geschichtsschreibung im Dienste des Friedens und der Aufklärung. Bremen 2008.) - Weitere Bücher (Auswahl): Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik (Düsseldorf 1976); Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933 (Göttingen 1985); Mitherausgeber: Wider den Krieg. Große Pazifisten von Kant bis Böll (München 1987)
I.
Marc Sangnier und die katholische
Friedensbewegung in Deutschland
In der Geschichte der katholischen Friedensbewegung nimmt Marc Sangniers „Congrès démocratique international pour la paix“, der 1923 zu Freiburg im Breisgau stattfand, einen bedeutenden Platz ein. Er gab der katholischen Friedensbewegung in Deutschland einen starken Auftrieb, der sich beispielsweise in der Neubelebung des „Friedensbundes Deutscher Katholiken“ (F.D.K.) niederschlug. Seine Bedeutung läßt sich aber auch aus dem Interesse ableiten, mit dem die katholische Friedensbewegung die weitere Tätigkeit M. Sangniers verfolgte.
Die Bedeutung des Freiburger Friedenskongresses wurde von allen Richtungen der deutschen Friedensbewegung anerkannt, während es vor allem in der Zeit nach 1926 nicht an kritischen Stimmen gegenüber M. Sangnier und seiner Bewegung fehlte. Eigenart und Entwicklung von M. Sangnier und seiner Bewegung sind ein Stück Geschichte der katholischen Friedensbewegung selbst.
Bereits vor dem Freiburger Friedenskongreß gab es im katholischen Deutschland pazifistische Stimmen, die aber nur vereinzelt und schwach vernehmbar waren, vor allem aber ohne erkennbare Resonanz blieben. Im Jahre 1922 hatte N. Ehlen festgestellt, daß unter den Nichtkatholiken die Arbeit für den Frieden sehr viel mehr Anklang fand als unter Katholiken und hatte zugleich die Frage gestellt, warum die Katholiken nicht wagten, sich für den Frieden einzusetzen.1 Ein Jahr später setzte sich W. Dirks unter Kritik an der rein religiös-ethisch bestimmten Einstellung N. Ehlens dafür ein, die Frage nach Krieg und Frieden auch unter den Katholiken als politische Aufgabe zu begreifen und den Krieg mit politischen Mitteln zu überwinden.2 Seit 1919 schon existierte der „Friedensbund Deutscher Katholiken“, wenn auch ohne sichtbaren Erfolg. Fr. M. Stratmann (O. P.) hatte 1922 vor dem Katholischen Akademikerverband eine Rede über den Friedensgedanken gehalten, die „sehr wenig freundlich“ aufgenommen wurde: „Die Gedanken seien ja gut und richtig, aber nicht opportun“.3 Im gleichen Jahr hatte J. Probst unter dem Titel „Worte des Friedens“ die Übersetzung dreier Reden M. Sangniers herausgegeben, mit einem Vorwort von M. Jocham, Sekretär des „Friedensbundes Deutscher Katholiken“, und den Geleitworten des Theologieprofessors A. Gießwein, Mitglied des ungarischen Reichstages und Vorsitzender der Ungarischen Friedensgesellschaft.4 Diesen vereinzelnten Gruppen, Stimmen und Aktionen fehlte nicht nur der organisatorische Zusammenhalt; es fehlte ihnen auch Impuls und Anstoß, ein gemeinsames „Erlebnis“ mit Ereignischarakter und Öffentlichkeitswirkung, um mit Selbstvertrauen und Erfolg tätig sein zu können. Beides gab der Internationale demokratische Friedenskongreß in Freiburg.
M. Sangnier war in Deutschland schon vor dem Ersten Weltkrieg vor allem der gebildeten katholischen Öffentlichkeit als Führer einer um die Zeitschrift „Le Sillon“ sich gruppierenden Bewegung bekannt. Über sie veröffentlichte im Jahre 1911 H. Platz (1880-1946), Romanist und Sozialpädagoge, Mitarbeiter von C. Sonnenschein und nach 1918 einer der unermüdlichen Kämpfer für die deutschfranzösische Verständigung, eine umfangreiche Darstellung in der Zeitschrift „Hochland“.5
Die Bedeutung M. Sangniers vor 1914 liegt in seinem Wirken für eine „démocratie chrétienne“ in Frankreich. Seine Bemühungen müssen im Zusammenhang mit den – wenn auch inkonsequenten, so doch mutigen – Bestrebungen Leos XIII. gesehen werden, die französischen Katholiken aus ihrer Verstrickung mit der Monarchie zu lösen und sie mit der Republik auszusöhnen, In seinem französisch gehaltenen Schreiben „Au milieu des sollicitudes“ vom 16. Februar 1892 hatte Leo XIII. die Katholiken Frankreichs aufgefordert, die Republik anzuerkennen.
Damit löste er unter den konservativen Katholiken eine heftige Opposition aus; es kam zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen der „Action française“ und den Befürwortern einer „démocratie chrétienne“. Auf Grund dieser monarchisch-konservativen Opposition nahm der Papst in seiner Enzyklika „Graves de communi“ (1901) seine Aufforderung indirekt wieder zurück, indem er den Begriff „démocratie chrétienne“ zu entpolitisieren versuchte und ihn als eine Möglichkeit umschrieb, die soziale Lage des Volkes zu verbessern.6
Der Zusammenhang zwischen den Bestrebungen Leos XIII. und den Aktionen M. Sangniers wird schon daran deutlich, daß M. Sangnier bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung des päpstlichen Schreibens „Au milieu des sollicitudes“ die Zeitschrift „Le Sillon“ gründete (1893). Als, durch die unnachgiebige Politik Pius´ X. mitverursacht, in Frankreich die Trennung zwischen Kirche und Staat vollzogen wurde und der Papst sich für die konservative Richtung entschieden hatte, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, daß es zu einer Verurteilung des „Sillon“ kam; sie erfolgte im Jahre 1910. An dieser Verurteilung hatte Ch. Maurras bedeutenden Anteil: „Die Verurteilung des Sillon, d. h. der Anfänge der später so mächtigen christlichen Demokratie, war ein gemeinsames Werk. Maurras hatte sie durch unablässige Polemik vorbereitet, der Vatikan vollzog sie.“7
Die Verwirklichung einer christlichen Demokratie und die Lösung der sozialen Frage sind die zentralen Anliegen, die M. Sangnier von Anfang an und sein ganzes Leben hindurch beschäftigten. Die Demokratie bedeutete ihm nicht eine beliebige Staats- oder Herrschaftsform: sie war für ihn vielmehr wahrhaft christliche Ordnung, wie umgekehrt das Christentum seiner Meinung nach allein zu verhindern vermag, daß die Demokratie zu einem materialistischen und tyrannischen System entartet. Diese Einheit von Demokratie und Christentum wurde in seltsamer Weise metaphysisch begründet:
„Si l´homme est incapable de démocratiser la divinité, Dieu le peut. Et le christianisme n'est précisément autre chose que la démocratie de la vie divine … Par lui, la souveraineté de Dieu est véritablement mise en participation … Dieu, qui aurait pu nous traiter en monarque, a préféré nous proposer l´idéal républicain jusque dans nos rapports avec lui, il nous a en effet envoyé son fils, pour nous convier à nous joindre intimement à ce fils, à lui devenir semblable, Dieu, par ce moyen, nous convie à nous solidariser à sa seconde personne et a devenir ainsi membre adjoint de sa Trinité. Par leur assimilation à la seconde personne de la Trinité …, les hommes pénètrent dans la société des trois personnes divines et participent à leur majestueuse égalité.“8
Wenn M. Sangnier vorgeworfen wurde, das Christentum bestehe für ihn lediglich in seiner Bedeutung für die Demokratie, so trifft dieser Vorwurf in dem Sinne zu, in dem M. Sangnier selbst über das Verhältnis von Demokratie und Christentum schreibt: „Le Christianisme est utile, pour ne pas dire indispensable à la démocratie telle que nous le concevons.“ Allein der Glaube an die Göttlichkeit Jesu Christi ist für ihn die Kraft, die, „subordonnant l'intérêt particulier à l´intérêt général, rend la démocratie possible“.9 Das letzte Ziel ist für M. Sangnier aber immer die Verkündigung des Evangeliums. Es ist jedoch die Demokratie, die – wenn sie christlich sein wird – das Ideal des Evangeliums verwirklichen kann.
Eng verbunden mit dem Bekenntnis zur Demokratie ist M. Sangniers Eintreten für eine Lösung der sozialen Frage, die für ihn nur durch die Überwindung des Kapitalismus denkbar ist. „De mieux en mieux nous sentons que le régime capitaliste actuel et le salariat ne sont pas éternels, que la conception même que nous nous faisons aujourd'hui de l'Etat et de la patrie territoriale se modifieront nécessairement et ne seront pas affranchis de la loi d'évolution qui entraine tout ici bas.“10 In der Wechselwirkung von „conscience“ und „responsabilité“ sieht er den einzigen Weg, die soziale Frage zu lösen. Den Arbeitern müsse die Möglichkeit gegeben werden, Wissen zu erwerben, damit sie die Verantwortung übernehmen könnten. Es müßten Organisationsformen entwickelt werden, die es ermöglichen, entsprechend der moralischen Entwicklung und der technischen Fähigkeiten der Arbeiter die Unternehmer zu ersetzen. Es sei notwendig, „transférer du patron au corps des travailleurs la plus grande partie des fonctions que la propriété de l'usine et sa compétance spéciale permettent actuellement au patron d´exercer“.11
Großen Einfluß auf die Grundhaltung M. Sangniers und auf das Selbstverständnis seiner Bewegung hatte die „Philosophie der...
Erscheint lt. Verlag | 14.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
ISBN-10 | 3-7597-0852-8 / 3759708528 |
ISBN-13 | 978-3-7597-0852-6 / 9783759708526 |
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