NEXUS (eBook)
656 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-32478-0 (ISBN)
In den letzten 100 000 Jahren hat die Menschheit enorme Macht erlangt. Doch trotz all unserer Entdeckungen, Erfindungen und Eroberungen befinden wir uns heute in einer existenziellen Krise. Die Welt steht am Rande des ökologischen Zusammenbruchs. Zuhauf werden Falschinformationen verbreitet. Und wir stürzen uns kopfüber in das Zeitalter der künstlichen Intelligenz - ein neues Informationsnetzwerk, das uns auszulöschen droht. Wenn wir so klug sind, warum sind wir dann so selbstzerstörerisch?
»Nexus« zeigt, wie der Informationsfluss uns und unsere Welt geformt hat. Yuval Noah Harari nimmt uns mit von der Steinzeit und biblischen Zeiten über die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen, den Stalinismus und den Nationalsozialismus bis zum Wiederaufleben des Populismus in der heutigen Zeit. Dabei lenkt er unseren Blick auf die komplexe Beziehung zwischen Information und Wahrheit, Bürokratie und Mythologie, Weisheit und Macht. Er erkundet, wie verschiedene Gesellschaften und politische Systeme Informationen genutzt haben, um ihre Ziele zu erreichen - zum Guten wie zum Schlechten. Und er befasst sich mit den drängenden Entscheidungen, vor denen wir heute stehen, da nicht-menschliche Intelligenz unsere Existenz bedroht.
Informationen sind nicht der Rohstoff, aus dem die Wahrheit ist, aber auch nicht einfach nur eine Waffe. »Nexus« erkundet den hoffnungsvollen Mittelweg zwischen diesen Extremen und zeigt, wie sich unser gemeinsames Menschsein wiederentdecken lässt.
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Yuval Noah Harari, geboren 1976, promovierte in Oxford und ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Universalgeschichte. Sein Kultbuch »Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit« wurde in knapp 40 Sprachen übersetzt und weltweit zu einem Bestseller, aus dem weiterhin eine Graphic-Novel- und eine Jugendbuchreihe entstanden. Auch Hararis Zukunftsvision »Homo Deus« und »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« begeisterten weltweit Millionen. 2017 wurde er mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet. 2019 gründete Yuval Noah Harari gemeinsam mit Itzik Yahav »Sapienship« - eine gesellschaftlich engagierte Organisation mit Projekten in Unterhaltung und Bildung, um das öffentliche Gespräch auf die globalen Herausforderungen zu lenken, vor denen wir heute stehen. Harari ist einer der maßgeblichen Vordenker, der sich regelmäßig zu den wichtigsten Themen unserer Zeit äußert.
»Der große Denker unserer Zeit« - The Times über 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
»Interessant und provokativ« - Barack Obama über Eine kurze Geschichte der Menschheit
»Einer meiner Lieblingsschriftsteller und -denker« - Natalie Portman über Eine kurze Geschichte der Menschheit
»Fegt die Spinnweben aus dem Gehirn... Strahlt Kraft und Klarheit aus« - Sunday Times über Eine kurze Geschichte der Menschheit
»Es hat meine Sicht auf unsere Spezies und unsere Welt verändert« - Guardian über Eine kurze Geschichte der Menschheit
KAPITEL 1
Was ist Information?
Grundlegende Konzepte zu definieren, ist immer knifflig. Da alles Folgende auf ihnen aufbaut, bauen sie scheinbar selbst auf nichts auf. Daher ringen zum Beispiel Physiker mit der Definition von Materie und Energie, Biologen können nicht sagen, was Leben ist, und Philosophen haben ihre liebe Not mit der Definition der Wirklichkeit.
Information gilt vielen Philosophen und Biologen, aber auch einigen Physikern inzwischen als Grundbaustein der Wirklichkeit, noch grundlegender als Materie und Energie.[1] Kein Wunder, dass über die Definition von Information heftig debattiert wird, genauso wie über ihre Beziehung zur Evolution des Lebens oder zu grundlegenden physikalischen Konzepten wie Entropie, den Gesetzen der Thermodynamik oder der Unschärferelation der Quantenphysik.[2] Dieses Buch unternimmt keinen Versuch, diese Diskussion zu klären oder auch nur nachzuzeichnen, und es will auch keine umfassende Definition der Information vorlegen, die in der Physik, der Biologie und allen anderen Wissensgebieten anwendbar wäre. Da es sich um ein historisches Werk handelt, das die Zukunft und Vergangenheit menschlicher Gesellschaften untersucht, konzentriert es sich auf die Definition und Rolle der Information in der Geschichte.
Im Alltagsgebrauch hängt Information mit menschengemachten Symbolen zusammen, zum Beispiel gesprochenen oder geschriebenen Worten. Zur Veranschaulichung wollen wir uns die Geschichte von Cher Ami und dem verschollenen Bataillon ansehen. Als die US-Armee im Oktober 1918 in den Ersten Weltkrieg eingriff, um die deutschen Truppen aus Nordfrankreich zurückzudrängen, geriet ein Bataillon mit mehr als 500 amerikanischen Soldaten hinter die deutschen Linien. Die Artillerie versuchte, ihnen Feuerschutz zu geben, doch dabei nahm sie die falsche Stellung ins Visier und beschoss die eigenen Leute. Der Kommandant des Bataillons, Major Charles Whittlesey, wollte die Einsatzleitung über den Irrtum informieren, doch kein menschlicher Kurier kam durch die deutschen Reihen. In seiner Verzweiflung griff Whittlesey zu Cher Ami, einer Brieftaube der Armee. Auf einen Papierschnipsel schrieb er: »Wir sind an der Straße parallel 276.4. Wir werden von unserer eigenen Artillerie beschossen. Stellt um Himmels willen das Feuer ein.« Der Zettel wurde in eine Kapsel an Cher Amis rechtem Fuß gesteckt, und damit flog die Taube los. John Nell, einer der Soldaten, erinnerte sich Jahre später: »Uns war klar, das war unsere letzte Chance. Wenn diese einsame und verängstigte Taube nicht in ihren Schlag zurückfand, dann war unser Schicksal besiegelt.«
Zeugen beschrieben später, Cher Ami sei in heftigen Beschuss hineingeflogen. Eine Granate explodierte direkt unter ihr, tötete fünf Männer und verletzte sie schwer. Ein Splitter durchschlug ihre Brust, und ihr rechter Fuß hing nur noch an einer Sehne. Doch sie schaffte es. In rund 45 Minuten flog die Taube zur vierzig Kilometer entfernten Kommandozentrale der Division, mit der Kapsel und der Botschaft an den Überresten ihres rechten Beines. Die Einzelheiten sind nicht ganz klar, doch die Artillerie korrigierte ihr Ziel, und mit einem amerikanischen Entlastungsangriff konnte das eingeschlossene Bataillon gerettet werden. Cher Ami wurde von Armeeärzten behandelt, als Held in die Vereinigten Staaten geschickt und in zahlreichen Artikeln, Geschichten, Kinderbüchern, Gedichten und sogar Filmen gefeiert. Die Taube hatte keine Vorstellung davon, welche Information sie transportierte, doch die Symbole, die mit Tinte auf das Stück Papier geschrieben wurden, das sie trug, bewahrten Hunderte Männer vor Tod oder Gefangenschaft.[3]
Information muss jedoch nicht aus menschengemachten Symbolen bestehen. Im biblischen Mythos der Sintflut erfuhr Noah, dass das Wasser zurückging, als eine Taube, die er von der Arche losgeschickt hatte, mit einem Olivenzweig im Schnabel zurückkehrte. Dann zeichnete Gott einen Regenbogen in die Wolken als himmlisches Zeichen seines Versprechens, nie wieder eine Flut zu schicken. Tauben, Olivenzweige und Regenbogen gelten seither als Symbole für Frieden und Toleranz.
Auch weiter entfernte Objekte können Information sein. Astronomen erfahren aus der Form und Bewegung von Galaxien Entscheidendes über die Geschichte des Universums. Seefahrern zeigt der Polarstern, wo Norden ist. Und für Astrologen sind die Sterne eine kosmische Sprache, die Information über die Zukunft einzelner Menschen und ganzer Gesellschaften vermittelt.
Ob man etwas als »Information« versteht, ist natürlich eine Frage der Perspektive. Astronomen oder Astrologen können im Sternzeichen Waage zwar eine Information sehen, doch diese fernen Himmelskörper sind mehr als nur ein Schwarzes Brett für menschliche Beobachter. Vielleicht gibt es außerirdische Zivilisationen, die keine Ahnung haben, welche Information wir aus ihrer Heimat beziehen und welche Geschichten wir uns über sie erzählen. Und ein Stück Papier mit ein paar Tintenklecksen kann zwar lebenswichtige Information für eine Armeeeinheit sein, aber genauso gut kann es auch eine Mahlzeit für eine Termitenfamilie sein. Jedes Objekt kann Information sein – oder auch nicht. Deshalb ist Information so schwer zu definieren.
Die Ambivalenz der Information spielte eine wichtige Rolle in den Annalen der Kriegsspionage, wenn Agenten heimlich Information weitergeben mussten. Nordfrankreich war nicht der einzige Schauplatz des Ersten Weltkriegs. Von 1915 bis 1918 kämpften britische und osmanische Truppen um die Kontrolle des Nahen Ostens. Nachdem die Briten einen Angriff der Osmanen auf die Halbinsel Sinai und den Suezkanal abgewehrt hatten, rückten sie auf das Osmanische Reich vor, wurden jedoch bis Oktober 1917 von einer befestigten Linie zwischen Be’er Scheva und Gaza aufgehalten. Versuche eines Durchbruchs wurden in der Ersten und Zweiten Schlacht von Gaza (26. März und 17. bis 19. April 1917) zurückgeschlagen. Gleichzeitig richteten die pro-britischen Juden in Palästina ein Spionagenetz mit dem Codenamen NILI ein, um die Briten über osmanische Truppenbewegungen zu informieren. Zur Kommunikation verwendeten sie unter anderem Fensterläden. Sarah Aaronsohn, eine der NILI-Kommandeure, wohnte in einem Haus mit Blick aufs Mittelmeer. Sie sendete Signale an britische Schiffe, indem sie einen bestimmten Fensterladen nach einem verabredeten Code öffnete und schloss. Viele Menschen sahen die Fensterläden, darunter auch osmanische Soldaten, doch nur die NILI-Agenten und ihre britischen Kontaktleute wussten, dass es sich um wichtige militärische Information handelte.[4] Wann also ist ein Fensterladen nur ein Fensterladen, und wann ist er Information?
Durch ein Missgeschick flog der Spionagering schließlich auf. Die NILI-Agenten kommunizierten nämlich nicht nur mit Fensterläden, sondern auch mit Brieftauben. Am 3. September 1917 kam eine der Tauben vom Kurs ab und landete ausgerechnet im Haus eines osmanischen Offiziers. Der fand die kodierte Nachricht, konnte sie aber nicht entziffern. Doch die Taube selbst war Information genug, denn ihre Existenz verriet den Osmanen, dass direkt vor ihrer Nase ein Spionagering tätig war. Wie Marshall McLuhan gesagt hätte: Die Taube war die Botschaft. Als die NILI-Agenten vom Verlust der Taube erfuhren, töteten und begruben sie die übrigen Tauben sofort, denn der Besitz einer Brieftaube wäre nun eine belastende Information gewesen. Doch das Taubenmassaker konnte die Agenten nicht retten. Binnen eines Monats wurde der Spionagering enttarnt, einige Angehörige wurden hingerichtet, und Sarah Aaronsohn beging Selbstmord, um nicht unter Folter Geheimnisse zu verraten.[5] Wann ist eine Taube nur eine Taube, und wann ist sie Information?
Information lässt sich also nicht über konkrete materielle Objekte definieren. Jedes Objekt – ein Stern, ein Fensterladen oder eine Taube – kann im richtigen Kontext Information sein. Aber welcher Kontext macht solche Objekte zu Information? Dem naiven Informationsverständnis zufolge werden Objekte im Zusammenhang mit der Suche nach Wahrheit zu Information. Ein Objekt ist dann Information, wenn jemand versucht, die Wahrheit zu ermitteln. Dieses Verständnis stellt eine Verbindung zwischen Information und Wahrheit her und geht davon aus, dass die wesentliche Aufgabe der Information darin besteht, die Wirklichkeit darzustellen. Es gibt eine Wirklichkeit, und Information stellt diese Wirklichkeit dar, weshalb wir sie verwenden können, um die Wirklichkeit zu verstehen. So sollte zum Beispiel die Information, die NILI an die Briten weitergab, die Wirklichkeit der osmanischen Truppenbewegungen darstellen. Wenn die Osmanen in Gaza – dem Zentrum ihrer Verteidigungslinie – 10 000 Soldaten zusammenzogen, dann war ein Stück Papier, das »10 000« und »Gaza« darstellte, eine wichtige Information, die den Briten helfen konnte, die Schlacht zu gewinnen. Wenn sich aber tatsächlich 20 000 osmanische Soldaten in der Stadt befanden, dann stellte dieses Stück Papier die Wirklichkeit nicht korrekt dar und konnte die Briten zu einem folgenschweren militärischen Fehler veranlassen.
Anders ausgedrückt: Information ist dem naiven Verständnis zufolge ein Versuch, die Wirklichkeit darzustellen, und wenn dieser Versuch gelingt, dann nennen wir es Wahrheit. Auch wenn ich in diesem Buch dem naiven Informationsverständnis in vielen Punkten widerspreche, stimme ich zu, dass Wahrheit eine korrekte Darstellung der Wirklichkeit ist. Allerdings würde ich behaupten, dass der größte Teil der...
Erscheint lt. Verlag | 10.9.2024 |
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Übersetzer | Jürgen Neubauer, Andreas Wirthensohn |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2024 • 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert • AI • Artificial Intelligence • Bestsellerautor • Chatbot • ChatGPT • eBooks • Eine kurze Geschichte der Menschheit • Geschichte • Homo Deus • KI • Künstliche Intelligenz • Maschinelles Lernen • Neuerscheinung • neues buch harari • nexus deutsche ausgabe • sapiens • Weltbestseller |
ISBN-10 | 3-641-32478-5 / 3641324785 |
ISBN-13 | 978-3-641-32478-0 / 9783641324780 |
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