Handbuch Wirtschaft im Nationalsozialismus (eBook)

eBook Download: EPUB
2023
911 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-079643-8 (ISBN)

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Handbuch Wirtschaft im Nationalsozialismus -
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Der Band bietet ein Kompendium zur deutschen Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus unter Einschluss der Kriegsperiode und der Besatzungswirtschaft.

Wirtschaftsgeschichte wird in einem umfassenden Sinne verstanden, d. h. es werden auch Themenfelder wie Sozial-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik oder Wissenschafts- und Konsumgeschichte einbezogen. Ausführliche Kapitel widmen sich dem Kern der bisherigen Forschung: Rüstung, Industriebranchen, Landwirtschaft, Außenwirtschaft und Wirtschaftslenkung. Daneben werden Bereiche wie Tourismus, Medien oder Luxusgüter behandelt. In vielen Kapiteln findet das Thema der Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen einen Platz. Forschungserkenntnisse der vergangenen Jahre, insbesondere auch aus den umfangreichen Forschungsprojekten zur Geschichte deutscher Institutionen und Ministerien im Nationalsozialismus, werden in einen größeren Rahmen eingebettet.

Eine solch facettenreiche Behandlung der NS-Wirtschaftsgeschichte in einem Werk ist eine Neuheit auf dem Büchermarkt.

Der Band richtet sich an alle Interessierten, die Informationen über die Wirkungen der nationalsozialistischen Ideologie auf wirtschaftliche Prozesse suchen. Der Band ist sowohl in der schulischen als auch der universitären Lehre einzusetzen, kann aber auch als Einstieg für weiterreichende oder detailliertere Forschungen dienen.



Marcel Boldorf, Univ. Lumière Lyon 2, Frankreich; Jonas Scherner, Norwegian Univ. of Science and Technology, Trondheim, Norwegen.

1 Einleitung


1.1 Forschungsfragen und Bandkonzeption


Marcel Boldorf

Schumannstr. 48 66111 Saarbrücken Deutschland

Jonas Scherner

Norwegian University of Science and Technology (NTNU) Department of Modern History and Society n/a 7491 Trondheim Norwegen jonas.scherner@ntnu.no

1.1.1 Nationalsozialistische Ideologie und Wirtschaftspolitik


Die nationalsozialistische Ideologie und die Wirtschaftspolitik standen miteinander auf Kriegsfuß. Bei ihrer Gründung 1920 entwickelte die NSDAP kein ausgefeiltes Wirtschaftsprogramm, sondern verhielt sich ökonomischen Problemen gegenüber eher ignorant. Hitlers eigene Auffassung war geprägt „von der niederen Rangordnung der Wirtschaft hinter Volk und Rasse, Staat und Partei und von ihrer dienenden Rolle.“ Er glaubte, dass jeder „machtpolitische Aufschwung“ einen wirtschaftlichen Aufstieg nach sich ziehe und jeder Machtverlust „auch die Wirtschaft verkümmern“ ließe. 1 Sucht man nach einer kennzeichnenden Leitlinie, lässt sich als Hauptcharakteristikum des Wirtschaftsdenkens festhalten, dass die Wirtschaft politischen Interessen unterzuordnen sei, insbesondere der völkischen Neuregelung Europas und der Kriegsführung zu diesem Zweck.

Trotzdem lassen sich im 25-Punkte-Programm der NSDAP, das immer wieder als grundlegend für die Parteientwicklung bezeichnet wird, Befunde zur „Wirtschaft“ finden. 2 Einige Punkte hatten klassenkämpferische Züge, insbesondere wenn sie den heftig angegriffenen Finanzsektor betrafen: Der „Brechung der Zinsknechtschaft“ verschrieb sich vor allem der sog. Strasser-Flügel der Partei, der in den frühen 1930er Jahren ausgeschaltet wurde. Bereits im Programm von 1920 waren Umverteilungsvorstellungen ebenso vorzufinden wie die Forderung nach Verstaatlichung aller bereits vergesellschafteten Trusts. Ergänzt wurden diese Punkte durch die Forderung nach staatlicher Gewinnbeteiligung an Großbetrieben und einer Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser. Die Dominanz der Landwirtschaft in den wirtschaftspolitischen Vorstellungen drückte sich in der Forderung einer „unseren nationalen Bedürfnissen angepasste[n] Bodenreform“ aus.

Hieran schlossen sich die Forderung der Abschaffung des Bodenzinses und der Verhinderung der Bodenspekulation an. Schließlich wurde ein hartes Vorgehen gegen „gemeine Volksverbrecher, Wucherer, Schieber“ gefordert. Sie seien mit dem Tode zu bestrafen, „ohne Rücksichtnahme auf Konfession und Rasse.“ Manche Stellen des Programms enthielten Reminiszenzen an den zwei Jahre zurückliegenden Krieg, z. B. auch die aufgenommene konkrete Forderung nach „restlose[r] Einziehung aller Kriegsgewinne“. Die Rassenideologie ragte bereits in zentrale Wirtschaftsvorstellungen hinein, denn die Angriffe auf verschiedene Wirtschaftsbereiche und Unternehmenstypen betrafen Entitäten, die im nationalsozialistischen Sinn als „jüdisch“ dominiert begriffen wurden.

Für die Wirtschaft galt wie für andere Bereiche, dass die NSDAP nur wenige Ergänzungen zu dem ursprünglichen Programm machte, das zur Grundfeste für die Parteiarbeit wurde. Im Wahlkampf 1930 distanzierte sich die Partei von Sozialisierungsideen, weil Punkte wie „unentgeltliche Enteignung“ vom politischen Gegner süffisant aufgenommen worden waren. Während der Wirtschaftskrise erlebte die NSDAP ein rasantes Wachstum des Wählerzuspruchs, als sich ihre Stimmenanteile von der vierten Weimarer Reichstagswahl im Mai 1928 (2,6 %) über die fünfte im September 1930 (18,3 %) bis zur sechsten im Juli 1932 (37,4 %) stark erhöhten. Inmitten der Krisenperiode gründete die NSDAP im Januar 1931 eine wirtschaftspolitische Abteilung, die sich intensiver mit den wirtschaftspolitischen Zielen der Partei beschäftigen sollte. 3 Um eine mögliche Regierungsbeteiligung vorzubereiten, hatte sich die Abteilung unter der Leitung von Otto Wagener schwerpunktmäßig den Arbeitsgebieten Währung, Finanzen, Sozialpolitik und Arbeitsbeschaffung zuzuwenden. 4 Konkret beraten wurden Themen wie die ständische Organisation der Wirtschaft unter Wahrung des Leistungsprinzips, die Lösung der Probleme der Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise, die Finanz- und Währungsordnung sowie einzelne Problemfelder, z. B. die Landwirtschaftsförderung, die Verkehrspolitik, Steuerfragen und Ausländerbeschäftigung. Es entstand kein konzises Programm, weil sich die von Hitler hinzugezogenen Vertrauten über konkurrierende Konzepte stritten. Mittelständisch und proletarisch orientierte Lobbyisten versuchten zu intervenieren. Konsensvorstellungen herrschten vor allem über die Gewinnung von Lebensraum im Osten vor, denn dies sei die „vordingliche volkswirtschaftliche Aufgabe“, sowie über die Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat. In der Praxis folgte die Idee eines Sofortprogramms, an dem Gottfried Feder und Gregor Strasser mitarbeiteten; es betonte die Notwendigkeit schnell zu ergreifender Maßnahmen nach einer Regierungsbeteiligung. 5

Für den Nationalsozialismus an der Macht gewannen konkrete Thematiken an Bedeutung. Nach dem Januar 1933 „lief die Uhr für die Programmatiker ab“, zum Beispiel für Feder, der ursprünglich eine nationalsozialistische „Wirtschaftslehre“ erarbeitet hatte. Es begann „die Stunde der Politiker, die nicht idealen Zielen nachjagen, sondern reale Zwecke zu verwirklichen trachten“. 6 Viele der bisher entwickelten Programmideen wurden über Bord geworfen, zum Teil in machtpolitischen Kämpfen wie mit Strasser, die Hitler und seine Gefolgsleute für sich entschieden. Vor allem die antikapitalistischen Elemente wurden kaum wirkungsmächtig („Brechung der Zinsknechtschaft“), es sei denn, man bediente sich ihrer zur Rechtfertigung rassistischer Verfolgung.

Unter dem Primat der Politik stand von vornherein die Umstellung der Wirtschaft auf einen Krieg im Vordergrund. Der Staat versuchte dafür Sorge zu tragen, dass ein Maximum an kriegswichtigen Gütern produziert wurde. Im Zentrum stand die eigentliche Rüstungsproduktion, die von Waffen und Munition bis zu Kriegsgeräten wie Panzern, Flugzeugen und U-Booten reichte. 7 Daneben erfasste der rüstungswirtschaftliche Wandel auch andere Industriesektoren, die nun vermehrt Güter für den militärischen Gebrauch herstellten, wie etwa elektrische Geräte oder militärische Kleidung, z. B. Uniformen. 8 Von grundlegender Bedeutung waren auch Basissektoren wie die Energiewirtschaft 9 oder die Landwirtschaft, die im nationalsozialistischen Wirtschaftsdenken eine besonderen Platz einnahm. Dies zog nicht nur ideologisch fundierte Maßnahmen wie den Erlass des Reichserbhofgesetzes nach sich, weil das „Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes“ 10 galt, sondern hatte auch praktische Auswirkungen für die Kriegsplanung: Hitler leitete aus agrarwirtschaftlichen Engpässen die Notwendigkeit einer Siedlungspolitik ab. 11

Die Vorstellungen Hitlers bewegten sich von einer offenen hin zu einer geschlossen gedachten Volkswirtschaft, was eine Abkehr von Weltmarktbindungen implizierte. Die Autarkiepolitik war in den Augen Hitlers weder allein ein Instrument, um sich auf den Lebensraumkrieg vorzubereiten – wie in der „Denkschrift zum Vierjahresplan“ (1936) 12 zu sehen – noch eine reine Antwort auf kurzfristige Zahlungsbilanzprobleme. Maßgeblich war die aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der Blockade gewonnene Überzeugung, dass die Importabhängigkeit und der relativ beschränkte Zugang zu Rohstoffen und Agrarprodukten Deutschland schwäche und erpressbar mache. Er erwartete, dass es für Deutschland zunehmend schwierig werden würde, seine gewerblichen Warenexporte zur Finanzierung von Rohstoff- und Agrarimporten im Ausland abzusetzen, und zwar nicht nur aufgrund des herrschenden Protektionismus, sondern auch wegen Überkapazitäten, die in anderen Teilen der Welt entstanden. Laut dem Hossbach-Protokoll – einem Schlüsseldokument zur Konkretisierung der Kriegspläne – bemerkte Hitler 1937 hinsichtlich der Frage der deutschen Weltmarktorientierung, es sei „grundsätzlich zu bedenken, daß seit dem Weltkrieg eine Industrialisierung gerade früherer Ernährungsausfuhrländer stattgefunden habe“. 13 Da man im Zeitalter wirtschaftlicher Imperien lebe, müsse Deutschland für die Erweiterung seines Einflussbereiches und seines „Lebensraums“ sorgen.

Die ordnungspolitische Umstellung beinhaltete auch die Einführung zahlreicher Regularien für die Wirtschaft, die zunächst eine Maßnahmenpolitik hervorbrachten, die dann in eine institutionelle Neuordnung des Wirtschaftssystems und den Ausbau eines kriegsrelevanten Bewirtschaftungsapparates mündete. Dass Planung und Regulierung immer nur einen sekundären Stellenwert hatten, hing mit dem sozialdarwinistischen Denken Hitlers und der Nationalsozialisten zusammen: Die Unternehmen stünden in einem Wettbewerb...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2023
Reihe/Serie Handbücher zur Wirtschaftsgeschichte
Handbücher zur Wirtschaftsgeschichte
Zusatzinfo 36 b/w ill., 40 b/w tbl.
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft
Schlagworte Besatzung • Contemporary history • Kriegswirtschaft • Occupation • Persecution • Verfolgung • war economy • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-11-079643-0 / 3110796430
ISBN-13 978-3-11-079643-8 / 9783110796438
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