Sätze, die die Welt verändern (eBook)

Eine Gedankenreise von Sokrates bis Nietzsche
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31031-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sätze, die die Welt verändern -  Bruno Preisendörfer
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Es gibt diese Sätze, die jeder kennt. Kein Wunder, dass sie unser Weltbild bis heute beeinflussen. Nur: Kaum jemand weiß, woher sie stammen, wie sie ursprünglich gemeint waren - und was ihnen im Laufe der Zeit zugestoßen ist. Bruno Preisendörfer begibt sich auf eine erstaunliche und spannende Spurensuche. Berühmten Zitaten geht es oft wie literarischen Figuren: So wie diese ihren Herkunftsbüchern entlaufen, verlassen jene ihre Entstehungskontexte und beginnen bei ihrer jahrhundertelangen Wanderung durch die Köpfe der Menschen ein Eigenleben. Manche werden dabei fett vor Bedeutungen, die sie ursprünglich gar nicht hatten, andere magern bis zur Bedeutungslosigkeit ab.  Manchmal richtet das kaum Schaden an, wie bei der Behauptung, über Geschmack ließe sich nicht streiten; die Konsequenzen können jedoch auch äußerst unheilvoll sein, wie bei Darwins »Überleben des Stärksten«; mitunter wird ein Satz auch einem Autor untergeschoben, obwohl der ihn nie geschrieben hat. Von wem stammt noch gleich »Zurück zur Natur« ...? Immer wieder schlägt Preisendörfer elegante Haken zu Kuriosem und Unerwartetem. So wird sein Buch zu einem ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Wunderding irgendwo zwischen philosophischem Handbuch, historischem Panoptikum und zeitdiagnostischem Essay.

Bruno Preisendörfer ist freischaffender Publizist und Schriftsteller mit eigener Internetzeitschrift (www.fackelkopf.de). Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a.: »Die letzte Zigarette«, »Der waghalsige Reisende. Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben« und »Die Verwandlung der Dinge. Eine Zeitreise von 1950 bis morgen«. Seine beiden Bücher »Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Reise in die Goethezeit« und »Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit« waren SPIEGEL-Bestseller. Letzteres wurde zudem mit dem NDR-Sachbuchpreis ausgezeichnet. 

Bruno Preisendörfer ist freischaffender Publizist und Schriftsteller mit eigener Internetzeitschrift (www.fackelkopf.de). Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a.: »Die letzte Zigarette«, »Der waghalsige Reisende. Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben« und »Die Verwandlung der Dinge. Eine Zeitreise von 1950 bis morgen«. Seine beiden Bücher »Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Reise in die Goethezeit« und »Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit« waren SPIEGEL-Bestseller. Letzteres wurde zudem mit dem NDR-Sachbuchpreis ausgezeichnet. 

Bauwerke altern langsamer als Menschen. Aber die Gedanken der Menschen altern manchmal noch langsamer als Bauwerke. So ist es bei Sokrates. Sein Denken geistert seit beinahe zweieinhalb Jahrtausenden durch die Köpfe der Philosophen. Dabei hat er nichts geschrieben, immer nur geredet, geredet und geredet. Alles, was wir von ihm wissen, wissen wir von Platon, dem herrschsüchtigsten aller Philosophen der Antike, von Xenophon, dem Feldherrn und Memoirenschreiber, von Aristophanes, dem üblen Nachredner auf großer Bühne, der in seiner Wolken-Komödie Sokrates als Erforscher der Sprungweite von Flöhen verhöhnte, und von Aristoteles, dem Platon-Schüler, der selbst alles nur vom Hörensagen kannte.

Platon stellte in seiner Apologie, einer arrangierten Darbietung der drei Reden, die Sokrates während des Prozesses gehalten hatte, der zu seinem Todesurteil führte, die Gedankengänge seines Lehrers dar und setzte das in vielen kunstvoll komponierten Dialogen fort. Er vermischte dabei die sokratischen Ideen so sehr mit seinen eigenen, dass kaum zwischen Sokratischem und Platonischem zu unterscheiden ist. Über den Sokrates in Platons Textgewand meinte der geniale mathematische Vernunftmensch Bertrand Russell: »In der Beweisführung ist er unaufrichtig und sophistisch, und in seinem persönlichen Denken setzt er seinen Intellekt ein, um zu den ihm angenehmen Schlußfolgerungen zu kommen, nicht im Interesse des uneigennützigen Strebens nach Erkenntnis. Er hat etwas Selbstzufriedenes und Salbungsvolles an sich.« Xenophon wiederum war für Russell »kein sonderlich begabter Kopf« und »hatte im großen und ganzen konventionelle Ansichten«.

Der Philosoph Karl Jaspers wiederum, der Sokrates mit Jesus, Buddha und Konfuzius zu den vier über alle Zeiten hinweg ›maßgebenden Menschen‹ rechnete, urteilte über die antiken Zeugen: »Xenophon schildert einen etwas pedantischen Rationalisten, der an das Nützliche denkt, Plato den im Denken vom Eros Gelenkten, der das Licht des schlechthin Guten denkend berührt.« Unterhaltsam, sich vorzustellen, wie Sokrates im Gespräch mit Jaspers herauszufinden sucht, wie man Licht berühren kann, und sei es das »des schlechthin Guten«.

Noch interessanter wäre es, eine Begegnung zwischen Sokrates und Kant zu simulieren. Man male sich aus, wie der Streuner Sokrates in einer Logik-Vorlesung des Königsberger Professors sitzt. Was hätte er wohl davon gehalten, dass man Kant gelegentlich sogar mit ihm verglich? Beide dachten weniger über die Natur und die Götter nach als über sich und ihresgleichen, über den Menschen in seiner Not und Nacht – und über das Licht der Vernunft, das diese Nacht durchdringt, ob man es nun ›berühren‹ kann oder nicht. In der Apologie lässt Platon seinen Sokrates vor Gericht erklären, »solange ich noch Atem und Kraft habe, werde ich nicht aufhören, der Wahrheit nachzuforschen und euch zu mahnen und aufzuklären«. Das war provozierend und anmaßend, noch dazu von einem, der gleichzeitig erklärte, der Einzige zu sein, der wisse, dass er nichts wisse. Das Wort ›aufklären‹ allerdings kann Sokrates nicht benutzt haben. Es ist dem deutschen Übersetzer und dessen Zeit geschuldet: Friedrich Schleiermacher, der als romantischer Theologe noch immer von der Aufklärung geprägt war, gegen die und gegen deren überragenden Philosophen Kant er anzudenken und anzuglauben versuchte.

»Die wichtigste Epoche der griechischen Philosophie hebt endlich mit dem Sokrates an«, dozierte Kant, mit dem selbst eine wichtige Epoche der neuzeitlichen Philosophie anhob. »Denn er war es, welcher dem philosophischen Geiste und allen spekulativen Köpfen eine ganz neue praktische Richtung gab. Auch ist er fast unter allen Menschen der einzige gewesen, dessen Verhalten der Idee eines Weisen am nächsten kommt.« Hatte nicht Sokrates selbst schon gesagt, dass dies das Delphische Orakel verkündigt habe, weil er der Einzige sei, der wisse, dass er nichts wisse? Aber vielleicht hat Sokrates gelogen? Oder Sokrates hat die Wahrheit gesagt, und das Orakel hat gelogen?

Zweitausend Jahre später spielt das keine Rolle mehr. René Descartes, für uns Heutige der erste Methodendenker der Neuzeit, beschrieb das Befragen und Bezweifeln des Hergebrachten als Ausdruck der Fähigkeit, überhaupt zwischen Wissen und Nichtwissen unterscheiden zu können: Wenn »Sokrates sagt, ich zweifle an allem, so folgt daraus notwendig: so erkennt er wenigstens dies, daß er zweifelt, und gleichfalls: also erkennt er, daß etwas wahr oder falsch sein kann«.

Rund anderthalb Jahrhunderte nach Descartes erinnerte Kant, der die Selbsterkenntnis der Vernunft als »das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte« bezeichnete, noch einmal daran, dass das Wissen ums Nichtwissen keine Trivialität ist: »Sokrates sagte, er habe durch vieles Forschen gefunden, daß er noch nichts weiß. Dieser tiefsinnige Ausspruch ist von seichten Köpfen herum geworfen, ohne daß sie ihn eingesehen. Es gibt zwei Arten des Bewußtseins der Unwissenheit: 1. indem man sich an den Gegenständen mißt und dadurch sieht, daß man sie nicht kennt; 2. oder materialiter indem man die Gegenstände selbst nicht kennt. Aber einzusehen, daß unser Wissen nichts sey; das ist scientifisch. Die Grenzen seiner Erkenntnis, den Umfang derselben einzusehen, und dadurch zu erkennen, daß ich nichts weiß; das ist sehr tiefe Philosophie.« Und eine dialektische, wenn man Ernst Bloch folgen will: »Immerhin ist der Satz des Sokrates: ›Ich weiß, daß ich nichts weiß‹ insofern echt dialektisch, als er nicht bei sich stehenbleibt; der Widerspruch in ihm treibt zur Auflösung fort.« Und noch forcierter Jean-Paul Sartre: »Behaupten, daß ich nicht[2] weiß, heißt behaupten, daß ich weiß, daß ich erkennen kann […]. Wenn Sokrates sagt: Ich weiß, daß ich nichts weiß, dann ist diese Bescheidenheit zugleich die radikalste Behauptung des Menschen, denn das setzt voraus, daß alles wißbar ist.«

Das Wissen um das Nichtwissen wird zur Antriebsenergie des Fragens. In den Worten des hermeneutischen Philosophen Hans-Georg Gadamer: »Es gehört zu den größten Einsichten, die uns die platonische Sokratesdarstellung vermittelt, daß das Fragen – ganz im Gegensatz zu der allgemeinen Meinung – schwerer ist als das Antworten. Wenn die Partner des sokratischen Gesprächs, um Antworten auf die lästigen Fragen des Sokrates verlegen, den Spieß umdrehen wollen und ihrerseits die vermeintlich vorteilhafte Rolle des Fragers beanspruchen, dann scheitern sie damit erst recht.« Um wirklich fragen zu können, darf man – überspitzt gesagt – keine Meinung haben: »Es ist die Macht der Meinung, gegen die das Eingeständnis des Nichtwissens so schwer erreichbar ist.«

Es bedarf mehr als der Einsicht in die gegenwärtige, künftig überwindbare Beschränktheit wissenschaftlicher Erkenntnis, es bedarf der selbstkritischen Hinnahme der prinzipiellen Fragwürdigkeit menschlichen Erkennens überhaupt. Und zwar weniger bei wissenschaftlichen Problemen, die nach und nach gelöst oder wenigstens eingegrenzt und praktikabel gemacht werden können, als in moralischen Fragen, die Menschen immer wieder neu stellen und stellen müssen, solange sie in Gruppen, Familien, Verbänden, Stämmen und Staaten zusammenleben. Es ist die Anerkenntnis der unaufhebbaren Vorläufigkeit des Wissens über uns selbst, die das sokratische Wissen um das Nichtwissen philosophisch attraktiv und zugleich alltagsmenschlich so schwer erträglich macht.

Anders als Aristophanes mit seiner höhnischen Flohgeschichte in den Wolken behauptete, strebte Sokrates nach ›Tugend‹ und ›Weisheit‹, nicht nach empirischem Wissen über die Natur. Die »Felder und die Bäume wollen mich nichts lehren, sondern nur die Menschen in der Stadt«, heißt es in Platons Dialog Phaidros. Nicht ›die Natur‹, die heutigen Stadtmenschen so am Herzen liegt, dass sie Bäume flüstern und Felder stöhnen hören, beunruhigte und beschäftigte ihn, sondern das, was den sozialen Menschen ausmacht: Wer sind wir, wenn wir nicht allein sind? Wie wollen wir leben? Wie sollen wir sterben?

Weil er der Erste war, von dem dergleichen bezeugt ist, gilt er bis heute als personifizierter Anfang des Philosophierens. Seit der Romantik bezeichnen die Geisteshistoriker diejenigen, die ihm vorausgingen, als ›Vorsokratiker‹. Und alle, die nach ihm kamen, standen in seinem Schatten, auch wenn sie wie Nietzsche mit diesem Schatten boxten, mit »dieser fragwürdigsten Erscheinung des Altertums«, diesem »Hanswurst, der sich ernstnehmen machte«. Nur der sehr junge Marx tat unbeeindruckt und meinte in einem Studienheft zur Vorbereitung seiner Dissertation über die Naturphilosopie Epikurs und Demokrits, der Sokrates sei »ein leutseliger Herr« gewesen. Immerhin trifft das insofern zu, als Sokrates ohne Leute wirklich nicht selig wurde.

Die Leute wiederum wurden mit Sokrates nicht froh. Die Handwerker und Händler wandten sich kopfschüttelnd ab, wenn es ihnen zu viel wurde. Aber die gebildeten und rhetorisch geschulten Sophisten fühlten sich professionell herausgefordert und existenziell infrage gestellt. Möglicherweise verstanden sie ihn auf schlechte Weise besser, als Sokrates wissen wollte. »Du möchtest immer nur andere ausfragen und in die Enge treiben und selbst niemand Rede stehen und über nichts deine Meinung preisgeben«, lässt Xenophon einen von ihnen sagen.

Aus der Perspektive der Sophisten, der gewerbsmäßigen Redner und Redenschreiber, die ›nur ihren Job machten‹, war Sokrates mit seinem Denkverhalten geschäftsschädigend. So gesehen...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2023
Zusatzinfo 11 s/w-Fotos
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Allgemeinwissen • Bruno Preisendörfer • Charles Darwin • Descartes • Feuerbach • Friedrich Nietzsche • Handbuch • Philosophen • Philosophie-Geschichte • Rousseau • Sokrates • Thomas Hobbes • Zeitreise
ISBN-10 3-462-31031-3 / 3462310313
ISBN-13 978-3-462-31031-3 / 9783462310313
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