Geboren für die großen Chancen (eBook)
320 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-30895-7 (ISBN)
Die Angst vor dem Klimawandel, wirtschaftlichem Niedergang oder unberechenbaren Technologien beherrscht zu oft unser Denken. Statt mit dem Besten rechnen wir mit dem Schlimmsten und unterschätzen dabei die Kraft, mit der laufend gewaltige Fortschritte gemacht werden. Nicht als Verhängnis, sondern als Möglichkeit erzählt Ullrich Fichtner, einer der renommiertesten Journalisten des Landes, was uns in den kommenden Jahrzehnten erwartet. Was darf ein Kind, das heute geboren wird, im Laufe seines Lebens an Wandlungen erwarten? Auf welche Paradigmenwechsel muss es sich gefasst machen, welche neuen Horizonte werden sich ihm eröffnen? Basierend auf aktuellen Forschungen und Recherchen entwirft Ullrich Fichtner ein so realistisches wie faszinierendes Bild der Zukunft, das endlich wieder Lust auf die Welt von morgen macht.
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Ullrich Fichtner, Jahrgang 1965, ist Reporter des SPIEGEL mit Dienstsitz Paris, wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet und gehört zu den renommiertesten Journalisten Deutschlands. Bei der DVA veröffentlichte er das essayistische Buch »Tellergericht« (2004), eine kritische Bestandsaufnahme der deutschen Esskultur, sowie »Billionenpoker« (2012, gemeinsam mit Cordt Schnibben) über das internationale Finanzwesen.
Vorwort
In diesem Buch, das ist ein Versprechen, wird weder schöngefärbt noch gejammert, obwohl es um die Zukunft geht, um unsere Aussichten und die unserer Kinder. Die Welt wird genommen, so gebrechlich, wie sie eben ist, Gefahren werden nicht ausgespart, aber ein guter Verlauf für alle und alles wird trotzdem für möglich gehalten.
Anders als offen ist Zukunft nicht zu haben, mit Umbrüchen ist jederzeit zu rechnen, mit schrecklichen und glücklichen Zufällen auch, die Geschichte ist von ihnen voll. Wäre im 20. Jahrhundert ein Atomkrieg ausgebrochen, wer weiß, was von der Welt noch übrig wäre. Und wären die Dinosaurier am Ende der Kreidezeit nicht ausgestorben, dann hätte es uns heute nie gegeben.
Stattdessen wird nach dem Menschen ein neues Erdzeitalter benannt: Das Anthropozän ist gekommen, um zu bleiben, und sogleich verbreitet sich große Furcht. Viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen können es sich nur als tragische Endstufe einer furchtbaren Fehlentwicklung vorstellen, die mit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert irgendwann einsetzte und in deren Verlauf der Mensch jedes Maß und Ziel verlor und die Erde zu zerstören sich aufmachte.
Das ist die jetzt von vielen Menschen – und gerade von jungen – fraglos geglaubte Erzählung: Die Welt ist im Eimer und der Mensch ist der Schurke, und der Niedergang, der jederzeit in den Untergang umschlagen kann, ist eine ausgemachte Sache.
Ich erlaube mir, anderer Meinung zu sein.
Die verdrießliche, bisweilen hysterische Grundstimmung unserer Zeit verkennt die Verhältnisse, in denen wir leben, und sie unterschätzt die Wandlungen, Umbrüche, Disruptionen, mit denen die Geschichte noch jede neue Generation überrascht hat. Ich will Gegenwart und Zukunft in diesem Buch anders erzählen. Nicht als Verhängnisse, sondern als Möglichkeiten.
Ja, der Mensch hat drei Viertel der bewohnbaren Erdoberfläche irgendwie »überformt«, und damit gehen häufig ein Raubbau an der Natur und eine empörende Taubheit für das Leben und die Lebensräume von Tieren und Pflanzen und sonst wertvollen Organismen und Ökosystemen einher. Ja, das bewusstlose Verfeuern und Verbrauchen fossiler Brenn- und Grundstoffe in unvorstellbarem Ausmaß hat uns die Erderwärmung und viele andere Probleme beschert. Und doch wirkt die Idee, der Mensch habe sich in eine Art übergenerationelle Kollektivschuld verstrickt, wie aus einem alten Kirchenbuch abgeschrieben. Als hätte sich die Menschheit mit bösem Eifer gegen die Schöpfung gewendet und sich an ihr versündigt für alle Zeit …
Es fühlt sich aus vielen Gründen falsch an, im Menschen den einen großen Störfaktor in einer eigentlich heilen Welt zu sehen. Der vielfach beschlagene Erfinder, Ökophilosoph und Autor James Lovelock hat in seinen Büchern zum Erdsystem »Gaia« die viel plausiblere Ansicht vertreten, dass der Mensch, so wie er ist, schließlich auch von der Erde hervorgebracht wurde und schon allein deshalb nicht als ihr Feind verstanden werden könne. Und was die vom Menschen gestörte »heile Welt« angeht, solche Ideen kommentiert Michael Braungart, Chemiker und geistiger Vater des wegweisenden Cradle-to-Cradle-Kreislaufkonzepts, mit dem trockenen Hinweis, dass die tödlichsten Gifte auf Erden »noch immer von Mutter Natur selbst hergestellt werden«.
Wer wirklich glaubt, dem Planeten ginge es besser, wenn nur endlich die Menschheit wieder von ihm verschwände, dem fehlt ein tieferes Verständnis für das schillernde menschliche Wirken im Weltgefüge: Auch die Zitronengärten von Sorrent, die Reisterrassen von Bali und Yunnan, die Weinberge entlang der Rhône, die antiken Sumpfäcker von Papua-Neuguinea, die Almen im Allgäu, die ägyptische Flusswirtschaft entlang des Nils oder die jungen Wälder in der Sahara sind Menschenwerk. Kann es bessere Beispiele dafür geben, dass wir sehr gut im Einklang mit der Natur leben können und die Natur sehr gut mit uns?
Die vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaften, die sich wie bunte Patchworkdecken über alle Länder legen, sind jedenfalls ein Hinweis darauf, dass das Anthropozän nicht nur als Etikett für menschliche Hybris gelesen werden kann. Es gilt auch zu sehen, dass der Mensch die Rolle spielt, die ihm dank seiner Ausstattung im Lauf der Evolution zugefallen ist, und nun wächst ihm ein neuer Auftrag zu: seine Irrtümer zu korrigieren, die Erde mit aller Macht zu bewahren und sie zu ihrem Besten zu gestalten.
Anthropozän heißt dann, und das macht ja die Vorstellung von einem neuen Erdzeitalter erst erschütternd: dass die Zukunft ein Raum ist, der von uns planvoll vorbereitet und willentlich hergerichtet werden kann und muss. Es heißt, wie Ernst Bloch in seinem Monumentalwerk über das Prinzip Hoffnung bereits seherisch formuliert hat, dass die Zukunft nicht mehr als Schicksal über den Menschen kommt, sondern »der Mensch über die Zukunft«.
Solche Vorstellungen galten lange Zeit als eitle Verblendung. Sie riefen strafende Götter auf den Plan und eine wütende Natur, die »sich wehrt«. An Europas Küsten stritten die Bewohner einst darüber, ob der Bau von Deichen womöglich Sünde sei, weil dadurch Gottes Wille durchkreuzt werde, ab und an strafende Fluten zu senden. Spielarten solchen Aberglaubens wirken bis heute fort, wenn Neuerungen jeder Art immer wieder mit ganz ähnlichen Fragen abgeklopft werden.
Hat der Mensch das Recht, sich Medikamente, Impfstoffe oder Feldfrüchte genetisch maßzuschneidern? Ist es richtig, Sonnenschirme im All aufzuspannen, um die Strahlung zu filtern oder Energie zu gewinnen? Sind »intelligente« Computer Fluch oder Segen? Bringt das Anthropozän den Geo- und Bioingenieur hervor, der als Schöpfer neuer Organismen auftritt, Wetter macht, Menschen optimiert und den Himmel bestellt wie einen Acker? Werden wir gar, wie der Physiker Michio Kaku meint, zu »Choreografen der Natur«, »so mächtig wie die Götter, die wir einst verehrten und fürchteten«? Trauen wir uns das zu? Dürfen wir es?
Jahrtausendelang war die Welt einfach nur »da« und im Wesentlichen unveränderbar gegeben, nun wird sie verstanden als ein vom Menschen hergestellter Raum und Zustand. Anthropozän heißt: Wir greifen nicht nur, wie lange gedacht, hier und da in bestehende Ökosysteme ein und »stören« sie; wir stellen sie oft überhaupt erst her. Der Mensch ist zum dominierenden Spieler des Planeten geworden, lange schon, zur treibenden Kraft im Guten wie im Schlechten. Der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats vom März 2023 hat es in verlässliche Zahlen gegossen: Wir haben es in der Hand, die Erde weiter zu zerstören, aber auch, genau dies nicht zu tun. Darin liegt eine ungeheure Herausforderung, aber eben auch diese sagenhafte Chance: dass die Erde, die der Mensch die längste Zeit bewusstlos bevölkerte und ausplünderte, von ihm selbst gerettet, geformt und verbessert werden kann.
Das Rettende wächst jetzt, davon berichtet dieses Buch. Ins Wimmelbild der Welt ist Bewegung geraten. In Forschung und Wissenschaft, in Wirtschaft und Gesellschaft, in der Politik, in der Staatenwelt herrscht vielerorts Aufbruchstimmung, es werden Anfänge gefunden, bis vor Kurzem undenkbare Ansätze, es werden Säcke endlich zugemacht. Kurz vor Weihnachten 2022 und dann im März 2023 schlossen die fast 200 Staaten der Vereinten Nationen nach teils jahrzehntelangen Verhandlungen historische Verträge über den Schutz der Meere und der Artenvielfalt auf Erden, die auch von nichtstaatlichen Umweltschutzorganisationen als Durchbrüche gefeiert wurden.
Das epochale Klima-Abkommen von Paris aus dem Jahr 2015, das größte politische Experiment aller Zeiten, entfaltet nach und nach seine Wirkungen bis in die hintersten Winkel des Planeten. Die größten, reichsten, schmutzigsten Staaten der Erde haben einen unerhörten Umbau gestartet, um bis 2030, 2040, 2050 ehrgeizige Klimaziele zu erreichen, um die Erderwärmung einzuhegen. Volkswirtschaften in Entwicklung verlassen die alte Logik des »erst reich, dann sauber werden« und suchen auf dem Weg zum Wohlstand von vorneherein die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie.
Ein Land wie Kenia bezieht seine Energie schon heute zu über 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Der Weltklimarat erkennt an, dass sich in 170 Ländern Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf den Weg gemacht haben, die Erderwärmung in Schach zu halten. Das gewaltige China ist heute nicht mehr nur der größte CO2-Emittent der Erde, sondern zugleich der mit weitem Abstand größte Investor in erneuerbare Energiequellen aller Art, Weltmeister im Zubau von Wind-, Wasser-, Sonnenkraft. Die nicht minder gewaltigen Vereinigten Staaten von Amerika haben – über tiefe innenpolitische Gräben hinweg – ein »grünes« Investitionsprogramm in nie gekannter Größenordnung auf den Weg gebracht, das sogar den ambitionierten »Green Deal« der Europäischen Union noch übertrifft.
Überall auf der Welt ist eine neue Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Werk, die die energetischen, ökologischen, ethischen Konsequenzen ihrer Arbeit von Beginn an selbstverständlich mitdenkt. An Universitäten weltweit werden in schnellem Takt Hunderte, Tausende neue Lehrstühle eingerichtet, die ihre Forschungsarbeit und Lehrtätigkeit auf alle Aspekte der existenziellen Zukunftsfragen konzentrieren. Es ist, als überzöge sich die Welt gerade mit einem neuen Netzwerk des Wissens und der Wissensweitergabe, an dem auch Unternehmerinnen, Gründerinnen, Investoren, Ingenieure und Industrielle teilhaben.
Es ist nicht nur so hingesagt, dass das Rettende wächst. Ein Paradigmenwechsel vollzieht sich, das ist ein großes Wort, aber es geht auch um große Vorgänge. In Jahrzehnten der internationalen Klimaforschung und...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2023 • 2100 • Analyse • Artificial Intelligence • Bing • Chatbot • ChatGPT • Dystopie • eBooks • Entwicklung • Factfulness • Forschung • Fortschritt • Frank Schätzing • Gesellschaft • Hans Rosling • Hoffnung • Humanität • Individualität • Künstliche Intelligenz • Medizin • Menschheit • Menschsein • metaverse • Neuerscheinung • OpenAI • Psychologie • Selbstwahrnehmung • Sidney • Soziologie • Städteentwicklung • Technologie • Utopie • Vertrauen • Was, wenn wir einfach die Welt retten? • Wirtschaft • Zukunft • Zusammenarbeit • Zusammenhalt • Zusammenleben • Zuversicht |
ISBN-10 | 3-641-30895-X / 364130895X |
ISBN-13 | 978-3-641-30895-7 / 9783641308957 |
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