Der Chip-Krieg (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft auf der Welt kämpfen | Ein Economist Book of the Year | Barack Obama Leseliste 2023

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
500 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01934-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Chip-Krieg -  Chris Miller
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Wir denken selten an sie, aber ohne Mikrochips funktioniert heute nichts mehr: kein Auto, kein Stromnetz, keine Börse, kein Internet - keine Armee. Die militärische, wirtschaftliche und geopolitische Macht der Staaten ruht heutzutage auf einem Fundament aus Computerchips. Nur wenige Firmen können bei der rasanten technologischen Entwicklung noch mithalten. Der Kampf um die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist in vollem Gange.  «Der Chip-Krieg» zeichnet eindrucksvoll die Hintergründe im Wettlauf um die immer kleineren, immer leistungsstärkeren Chips nach: von den Anfängen der «digitalen Revolution» im später so getauften «Silicon Valley» über das Kräftemessen mit der Sowjetunion, die mit der Auslagerung der Produktion nach Südostasien einsetzende Globalisierung, bis hin zur technologischen Aufrüstung Chinas und der Chip-Krise während des Corona-Lockdowns: Chris Miller legt die erste vollumfängliche Geschichte der wohl wichtigsten Ressource unserer Zeit vor. Dabei wird klar: Wer den Zugang zu ihr kontrolliert, kontrolliert die Welt. 

Chris Miller ist Professor für Internationale Geschichte an der Tufts University in Massachusetts und Director am Foreign Policy Research Institute. Er hat in Yale und Harvard studiert und schreibt regelmäßig für die New York Times, das Wall Street Journal und Foreign Affairs. Er hat drei Bücher zur Geschichte der Sowjetunion und Russlands veröffentlicht. Als er sich mit der Technik der sowjetischen Raumfahrt beschäftigte, stieß er auf die faszinierende Geschichte der modernen Halbleiterentwicklung, die schließlich im Chip-Krieg mündete.

Chris Miller ist Professor für Internationale Geschichte an der Tufts University in Massachusetts und Director am Foreign Policy Research Institute. Er hat in Yale und Harvard studiert und schreibt regelmäßig für die New York Times, das Wall Street Journal und Foreign Affairs. Er hat drei Bücher zur Geschichte der Sowjetunion und Russlands veröffentlicht. Als er sich mit der Technik der sowjetischen Raumfahrt beschäftigte, stieß er auf die faszinierende Geschichte der modernen Halbleiterentwicklung, die schließlich im Chip-Krieg mündete. Hans-Peter Remmler, Jahrgang 1957, übersetzt aus dem Englischen und Spanischen. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Bill Gates, Ronan Farrow, Carol Leonnig, Maria Ressa und Bob Woodward. Doro Siebecke, Jahrgang 1960, studierte in Germersheim, Stirling und Hamburg und übersetzt seit vielen Jahren im Bereich Computer und Technik aus dem Englischen und Spanischen.

Einleitung


Am 18. August 2020 erreichte die USS Mustin, das Mark-45-Geschütz nach Süden gerichtet, das nördliche Ende der Formosastraße. Der Zerstörer hatte den Auftrag, die Meerenge zu durchqueren und deren Status als internationales Gewässer zu untermauern, das nicht von China kontrolliert wird – zumindest noch nicht. Auf der Fahrt nach Süden peitschte eine steife Brise über das Deck. Am Himmel türmten sich hohe Wolken, deren Schatten bis nach Fuzhou, Xiamen, Hongkong und zu all den kleineren Hafenstädten entlang der südchinesischen Küste zu reichen schienen. Weit im Osten erhob sich die Insel Taiwan, eine weite, dicht besiedelte Küstenebene, die von hohen, in den Wolken verborgenen Berggipfeln überragt wurde. An Deck stand ein Matrose mit blauer Navy-Mütze und Mundschutz und suchte den Horizont mit dem Fernglas ab. Die vielen Frachtschiffe ringsum, die Waren aus asiatischen Fabriken für Käufer auf der ganzen Welt geladen hatten, interessierten ihn nicht.

In einem abgedunkelten Raum an Bord der USS Mustin saßen mehrere Matrosen vor großen Bildschirmen, über die grellbunte Bewegungsdaten zu Flugzeugen, Drohnen, Schiffen und Satelliten im Indopazifik flimmerten.[1] Eine Radaranlage über der Brücke des Zerstörers versorgte die Computer mit den aktuellen Daten. An Deck befanden sich 96 einsatzbereite Startanlagen, aus denen Lenkwaffen auf Flugzeuge, Schiffe oder U-Boote in Hunderten von Kilometern Entfernung abgefeuert werden konnten. In den Krisen des Kalten Krieges hatte das US-Militär mit Nuklearwaffen gedroht. Heute stützt es sich auf Mikroelektronik und Präzisionsangriffe.

Während sich die USS Mustin dicht bepackt mit computergesteuerten Geschützen durch die Meeresstraße schob, kündigte die chinesische Volksbefreiungsarmee Schießübungen vor der Küste Taiwans an, um das zu trainieren, was eine chinesische Zeitung als «Wiedervereinigung mit Gewalt» bezeichnete.[2] Doch an diesem Tag sorgte sich die chinesische Führung weniger wegen der US-Marine, sondern wegen einer obskuren Sanktionsliste des US-Wirtschaftsministeriums, die den Export amerikanischer Technologie reglementierte. Bis dahin war diese «Entity List» nur dazu genutzt worden, den Verkauf von Rüstungsgütern wie Raketenteilen oder Atomwaffenmaterial an andere Länder zu verhindern. Jetzt aber fasste die USA die Regeln enger, sodass die Liste auch Halbleiter einschloss, die in Rüstungsgütern ebenso wie in normalen Gebrauchsgütern allgegenwärtig waren.

Im Visier dieser Maßnahme stand Huawei, der chinesische Technologie-Riese, der Smartphones und andere Telekommunikationsprodukte, Cloud-Computing-Dienste sowie weitere hoch entwickelte Technologien vertrieb. Die USA waren alarmiert, weil die Produkte von Huawei – teilweise auch aufgrund von staatlichen Subventionen – inzwischen so günstig waren, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein schien, bis sie das Rückgrat der Telekommunikationsnetze der nächsten Generation auf der ganzen Welt bilden würden. Amerikas Vormachtstellung bei der weltweit genutzten technischen Infrastruktur wäre damit untergraben, und Chinas geopolitischer Einfluss würde wachsen. Um dieser Gefahr zu begegnen, hatten sich die USA entschlossen, die Belieferung von Huawei mit komplexeren Computerchips, die mit US-Technologie gefertigt worden waren, zu unterbinden.

Huaweis Expansion auf dem Weltmarkt kam dadurch bald zum Erliegen. Ganze Produktlinien konnten nicht mehr hergestellt werden, die Umsätze brachen ein. Ein Marktriese stand vor dem Ruin, weil er technologisch ausgehungert wurde. Huawei musste feststellen, dass es, wie alle anderen chinesischen Unternehmen auch, bei der Chipproduktion, auf der die gesamte moderne Elektronik basiert, auf fatale Weise von Ausländern abhängig war.

Noch kontrollieren die USA den Markt für Siliziumchips, die dem Silicon Valley seinen Namen gegeben haben. Diese Vormachtstellung ist jedoch bedroht. China gibt inzwischen jedes Jahr mehr für den Import von Chips aus als für Öl. Diese Chips stecken in allen möglichen Geräten – vom Smartphone bis zum Kühlschrank –, die die Chinesen selbst nutzen oder in alle Welt exportieren. Strategen schwadronieren gern über das «Malakka-Dilemma» Chinas – eine Anspielung auf die wichtigste Schiffspassage zwischen Pazifik und Indischem Ozean – und dem in Krisenzeiten bedrohten Zugang des Landes zu Öl und anderen Rohstoffen. Peking fürchtet sich jedoch mehr vor einer Blockade, deren Ausmaß nicht in Barrel, sondern in Bytes gemessen wird. Um die Halbleiterindustrie aus dem Würgegriff Amerikas zu befreien, investiert das Land Milliarden von Dollar in die Entwicklung der eigenen Chiptechnologie und sorgt dafür, dass die klügsten Köpfe des Landes in diesem Bereich arbeiten.[3]

Ist diese Strategie erfolgreich, wird Peking die Weltwirtschaft umgestalten und das militärische Gleichgewicht neu justieren können. Der Zweite Weltkrieg wurde durch den Zugang zu Stahl und Aluminium entschieden. Bald darauf folgte der Kalte Krieg, in dem die Vormachtstellung über Atomwaffen definiert wurde. Jetzt könnte die Rivalität zwischen den USA und China über die Rechenleistung entschieden werden. Strategen in Peking und Washington erkennen derzeit, dass die gesamte moderne Technologie – vom maschinellen Lernen bis zu Lenkwaffensystemen, von fahrerlosen Fahrzeugen bis zu militärischen Drohnen – auf Chips der jeweils neuesten Generation angewiesen ist. Deren Produktion wird von einer sehr überschaubaren Zahl von Firmen kontrolliert.

Wir machen uns selten Gedanken über Computerchips (bzw. Halbleiter oder integrierte Schaltkreise, wie sie auch genannt werden), obwohl wir ihnen unsere moderne Welt verdanken. Das Schicksal ganzer Nationen hängt von ihrer Fähigkeit ab, das Potenzial der Mikroelektronik auszuschöpfen. Ohne den weltweiten Handel mit Halbleitern und den damit hergestellten elektronischen Produkten würde es die Globalisierung, wie wir sie kennen, nicht geben. Die militärische Vormachtstellung der USA beruht zu einem großen Teil auf dem effizienten Einsatz von Chips in der Rüstungsindustrie. Der enorme Aufstieg Asiens in den letzten fünfzig Jahren basiert auf Silizium. Er ist ohne die Spezialisierung der aufstrebenden Volkswirtschaften auf die Chipfertigung und die Montage der Computer und Smartphones, die der Erfindung der integrierten Schaltkreise zu verdanken sind, nicht denkbar.

Das zentrale Merkmal der Datenverarbeitung sind Einsen und Nullen. Das gesamte digitale Universum besteht aus diesen beiden Ziffern. Die Tasten Ihres iPhones, Ihre E-Mails, Ihre Fotos und YouTube-Videos, sie alle sind in langen Ketten von Einsen und Nullen codiert. Diese Ziffernfolgen existieren jedoch nicht wirklich. Sie sind lediglich Ausdruck elektrischer Ströme, die entweder ein- (1) oder ausgeschaltet (0) sind. Ein Chip ist ein Gitter von Millionen oder Milliarden Transistoren, winzigen elektrischen Schaltern, die zwischen Ein und Aus wechseln, um diese Ziffernfolgen zu verarbeiten, zu konservieren und Erscheinungen der realen Welt wie Bilder, Töne und Radiowellen in Millionen und Abermillionen von Einsen und Nullen umzuwandeln.

Während die USS Mustin nach Süden fuhr, wurden in den Fabriken und Montageanlagen auf beiden Seiten der Meeresstraße mit Hochdruck Komponenten für das iPhone 12 hergestellt, dessen für den Oktober 2020 geplante Markteinführung nur noch zwei Monate entfernt war. Etwa ein Viertel des Umsatzes der Halbleiterindustrie wird mit Mobiltelefonen erzielt.[4] Der Verkaufspreis neuer Mobiltelefone setzt sich zu einem großen Teil aus den Kosten für die integrierten Halbleiter zusammen. In den letzten zehn Jahren enthielt jede neue iPhone-Generation einen der modernsten Prozessorchips der Welt. Jedes Smartphone benötigt ein gutes Dutzend Halbleiter, um zu funktionieren, wobei verschiedene Chips für den Akku, Bluetooth, das WLAN, den Ton, die Kamera und andere Funktionen zuständig sind.

Apple stellt nicht einen einzigen dieser Chips her und deckt den eigenen Bedarf weitgehend mit dem auf dem Markt verfügbaren Standardangebot: Speicherchips der japanischen Firma Kioxia, RFID-Chips von Skyworks in Kalifornien und Audiochips von Cirrus Logic mit Sitz in Texas.[5] Apple selbst entwickelt die hochkomplexen Prozessoren für das Betriebssystem des iPhones. Der Gigant aus Cupertino in Kalifornien ist jedoch nicht in der Lage, diese Chips selbst herzustellen. Auch kein anderes Unternehmen in den USA, Europa, Japan oder China kann das. Die komplexesten Prozessoren von Apple, die die komplexesten Prozessoren auf der ganzen Welt sein dürften, können nur von einem einzigen Unternehmen in einer einzigen Produktionsanlage gefertigt werden, die vermutlich die teuerste Fabrik der Menschheitsgeschichte ist.[6] Diese Fabrik befand sich am Morgen des 18. August 2020 nur etwa 50 Kilometer vom Bug der USS Mustin entfernt.

Die Herstellung immer kleinerer Computerchips bleibt die größte technische Herausforderung unserer Zeit. Derzeit gibt es kein Unternehmen, das Chips mit größerer Präzision herstellt als die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, besser bekannt als TSMC. 2020, als die Welt von Lockdown zu Lockdown taumelte, getrieben von einem Virus mit einem Durchmesser von gerade einmal...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Übersetzer Hans-Peter Remmler, Doro Siebecke
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 5G • AI • Barack Obama Leseliste 2023 • Barack Obama Reading List 2023 • China • Computerchips • Digitalisierung • Elektrotechnik • Geopolitik • Globalisierung • Halbleiter • huawei • IC • Intel • Jack St. Clair Kilby • Japan • Kalter Krieg • Künstliche Intelligenz • Lieferketten • microchips • Mikroelektronik • Mikroprozessoren • Mooresches Gesetz • Samsung • Sillicon Valley • Sony • Taiwan • Technik • Technologie • TSMC • USA • Weltwirtschaft • Wirtschaft • Wirtschaftsbücher • Wirtschaftsgeschichte
ISBN-10 3-644-01934-7 / 3644019347
ISBN-13 978-3-644-01934-8 / 9783644019348
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