Massenradikalisierung (eBook)

Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt | Warum unsere Demokratie bedroht ist wie noch nie | Sachbuch-Bestenliste (DLF Kultur/ZDF/DIE ZEIT)

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
360 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77583-7 (ISBN)

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Massenradikalisierung -  Julia Ebner
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Noch vor wenigen Jahren zielten Extremisten auf den Rand, auf Einzelgänger und weit Abgetriebene. Doch seit Corona, dem Sturm aufs Kapitol, dem Ukraine-Krieg ist Radikalisierung zum Massenphänomen geworden. Als Extremismusforscherin will Julia Ebner verstehen, warum so viele anfällig sind für radikale Ideen, welche Strukturen und Mechanismen dahinterstehen und was jetzt endlich unternommen werden muss im Kampf um Gerechtigkeit und Demokratie.

Nach vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit, Recherche und zahlreichen verdeckten Einsätzen glaubte Julia Ebner ihren Forschungsgegenstand zu kennen. Doch mit der Pandemie beginnt eine ungeahnte Eskalation. Nun scheren in jedem Freundeskreis, in jeder Familie Leute aus: Massenbewegungen, rekrutiert aus der Mitte der Gesellschaft, entstehen - Querdenker, QAnon, Impfgegner -, radikal und brandgefährlich. Für Julia Ebner folgen intensive Beobachtung, online wie offline, wissenschaftliche Auswertung, riskante Undercover-Missionen, um den Bauplan der Massenradikalisierung freizulegen und laut Alarm zu schlagen.



<p>Julia Ebner, geboren 1991 in Wien, forscht am Institute for Strategic Dialogue in London sowie am Centre for the Study of Social Cohesion an der Universit&auml;t von Oxford zu Extremismus. Als Expertin arbeitet sie mit Regierungsorganisationen und Polizeiorganen zusammen, ber&auml;t UN, NATO und die Weltbank in Fragen des Extremismus. Der &Ouml;ffentlichkeit ist sie durch Auftritte bei Markus Lanz, den Tagesthemen und dem heute-journal bekannt. Ihr Buch <em>Radikalisierungsmaschinen</em> wurde 2020 als &raquo;Wissenschaftsbuch des Jahres&laquo; ausgezeichnet, war SPIEGEL-Bestseller und stand auf der Sachbuch-Bestenliste.</p>

Einführung


»Wann stürmen wir Capitol Hill, ich bin am Start«, schreibt Kevin am 5. Januar 2021. »Morgen wird's im Kapitol heiß hergehen, nicht nur in der Stadt«, kommentiert Tony.

Nachdem der abgewählte US-Präsident Donald Trump monatelang Wahlbetrugsvorwürfe lanciert hat, sind die Unterhaltungen in dem verschlüsselten 4Deep News-Kanal voll von Emotion und gespannter Vorfreude. Tausende Online-Aktivisten der Pro-Trump-Chatgruppe auf der Gaming-App Discord bereiten sich darauf vor, ihre Wut hinaus in die reale Welt zu tragen. Sie sprechen über gebuchte Hotels und bereits getroffene Reisevorbereitungen, so als würden sie einen Kurzurlaub planen. »Im Trump-Hotel gibt's die besten Taco-Salate und die besten Chocolate Chip Cookies«, schreibt Kevin. Janet lässt von anderen in der Chatgruppe sogar ihre Reisekosten übernehmen.

Die meisten selbsternannten Patriotinnen und Patrioten treffen einen Tag vor der Erstürmung des Kapitols in Washington ein. Für die Mehrheit der Aktivisten aus der Chatgruppe ist es das erste Mal, dass sie sich begegnen. Unter den leidenschaftlichen Trump-Fans, die sich selbst als the deplorables bezeichnen (als ›die Bedauernswerten‹), herrscht eine Atmosphäre der Solidarität und der Unbesiegbarkeit. Alles scheint möglich. »Mein ganzes Hotel ist voll von Trump-Anhängern. Totaler Wahnsinn!«, schreibt Janet. Kevin bestätigt: »Mein Hotel ist eine einzige Party.« Jenn bekundet ebenfalls ihre Aufregung: »OMG, ein Paradies von Hotel! Auch unser Hotel ist voller Patrioten.« Wie viele von ihnen glauben tatsächlich, dass die Präsidentschaftswahl in den USA manipuliert worden ist? Und wie viele wollen eigentlich nur bei einem Experiment in politischer Machtausübung dabei sein? Das lässt sich nur sehr schwer sagen.

Keine vierundzwanzig Stunden später sieht man Mitglieder der neofaschistischen und frauenfeindlichen »Proud Boys«-Bewegung zum Kapitol marschieren. Sie versprechen: »Wir holen uns unser Land zurück1!« In einem Park südlich des Kapitols ruft Trump kurz darauf seinen Anhängerinnen zu: »Wir kämpfen wie die Wilden! Und wer hier nicht wie ein Wilder kämpft, wird bald kein Land mehr haben!« Während der Kongress Joe Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2020 bestätigt, wird die Menge auf der »Stop the Steal«-Demonstration stetig größer. »Fight for Trump! Fight for Trump! Fight for Trump!«, rufen die Protestierenden in Sprechchören, die wie ein Echo von Trumps eigenen Schlachtrufen klingen.

»Fickt euch, ihr Verräter!«, schreit ein Mann mit Army-Shirt, roter Mütze, Sonnenbrille und Stoppelbart einigen Polizeibeamten zu, die durch die Menge gehen. »Ihr Drecksäue!« Dann wendet er sich der Kamera zu, die gerade live über die Website der ›Young Patriot Society‹ streamt: »Wir werden keine Gewalt anwenden. Wir werden keine tödliche Gewalt anwenden. Wir werden diese Gewalt anwenden. Gottes Gewalt.« Der Mann spannt seinen Bizeps an. »Seht euch an, was für einen Schiss sie haben. Seht her, wie viele wir sind. Es wird ein Leichtes sein, den ganzen Ort hier einzunehmen.« Trunken vor begeisterter Erregung fährt er mit irrer Stimme fort: »Scheiß auf unsere Jobs2, scheiß auf unsere Häuser, scheiß auf alles andere. Wir setzen uns jetzt zur Wehr. Denn wenn wir uns nicht zur Wehr setzen, verlieren wir alles. Einfach alles. Sollen sie uns doch erschießen. Sollen sie uns erschießen!«

»Ich bin am Kapitol«, schreibt Lori, eine Frau aus Baltimore, um 13.21 Uhr in die Chatgruppe von 4Deep News. Eine halbe Stunde später fügt sie hinzu: »Also, ich stürme jetzt das Kapitol.« Tony antwortet: »Macht das, ihr Motherfucker. Stop the Steal!«

Um 12.53 Uhr fängt die Menge an, auf die Polizeiabsperrungen zuzumarschieren. Die Beamten der Capitol Police stehen tausenden »Stop the Steal«-, QAnon-, Kekistan- und Konföderierten-Fahnen gegenüber und sind massiv in Unterzahl. Die ersten Protestler durchbrechen bereits die Polizeilinien. Manche klettern über die Absperrzäune, andere feuern nur an und skandieren motivierende Sprechgesänge.

Aufnahmen von Körperkameras der Polizei3 zeigen die Kämpfe an den Frontlinien: Pfefferspray-Scharmützel und Auseinandersetzungen mit Schlagstöcken. Die Polizisten weichen zurück. Es gibt wehende Fahnen4 zu sehen und triumphierende Schreie zu hören, als die ersten Randalierer es bis zur Westtreppe des Kapitols geschafft haben und anfangen, die Stufen hinaufzulaufen. »Fuck you, bitches!«, zischt einer von ihnen, während der Mob im Hintergrund »USA! USA!« brüllt.

Um 13.45 Uhr setzt ein Polizist einen Hilferuf ab. Sie seien auf der Terrasse oben an der westlichen Treppe von beiden Seiten angegriffen und überrannt worden. Er fordert sämtliches militärisches Personal (Military Personnel Divisions, MPD) zur Unterstützung an. »Unsere Linie ist durchbrochen5 worden. Wir können unsere Linie nicht halten. An alle MPD: Zurück!« Es ist zu spät. Immer mehr Randalierer durchbrechen die Tore. Einige schlagen mit Stöcken so lange auf die Fenster des Kapitols ein, bis sie hineinklettern können. Dann treten sie von innen die Türen auf, um andere hinterherkommen zu lassen. »Das ist unser Haus!«, rufen sie, während sie an den Empfangsschaltern vorbei- und auf den Senatssaal zumarschieren, wo die formelle Bestätigung des Wahlergebnisses noch läuft. »USA! USA! USA

Der Secret Service beginnt umgehend mit der Evakuierung von Vizepräsident Mike Pence, der bis zu diesem Zeitpunkt den Sitzungsvorsitz geführt hat. Ein Stockwerk tiefer laufen die Randalierer bereits durchs Gebäude, auf der Suche nach dem Plenarsaal. Einige tragen Militäruniformen oder Milizkleidung. Aber die überwiegende Mehrheit direkt hinter ihnen sieht nach völlig durchschnittlicher Trump-Anhängerschaft aus. Als sie nur noch dreißig Meter von Mike Pence entfernt sind, stellt sich ihnen ein Polizist in den Weg. Rufe werden laut, Pence soll genauso aufgehängt werden wie Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses.

Währenddessen drehen die Chatgruppen 4Deep News und God Emperor Trump regelrecht durch. Die Mitglieder, die es nicht zur Demo geschafft haben, verfolgen die unterschiedlichen Livestreams der Protestierenden. Ihr Traum steht kurz davor, in Erfüllung zu gehen. Astrophel schreibt: »Ich hoffe irgendwie, dass die Demonstranten ins Kapitol einbrechen ngl.« Ein paar User geben zu, nicht zu wissen, wie man ›Capitol‹ richtig schreibt, während sie dabei zusehen, wie das wichtigste Symbol der Demokratie in ihrem Land erstürmt wird.

»Drin im Kapitol«, so das nächste Update von Lori.

Will kann es nicht so recht fassen. »Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass ich mal für 10 Minuten eingepennt bin und wir das Kapitol erobert haben?«, schreibt er.

»Welp, das Kapitol wurde geschleift und wir sind im Krieg, so viel dazu«, kommt es von Susan.

Will möchte mehr wissen: »Was ist in den letzten 2 Stunden passiert? Sind irgendwelche Politiker vor dem Kapitol aufgehängt worden?«

»Ich dachte, die schnappen sich Pelosi im Kapitol drinnen«, kommentiert Tony.

»Sie ist verdammt schnell gerannt«, erwidert Susan.

Die Grenze zwischen Gewitzel und Anstiftung zur Gewalt wird sehr dünn.

»Die kriegt den Strick als Erste«, schreibt Kevin. Und das liest sich in diesem Augenblick wirklich nicht mehr wie ein Scherz.

»Wo bist du, Nancy?«, rufen einige der Randalierer. Sie versuchen, Pelosi ausfindig zu machen, und hämmern dabei gegen jede Tür, an der sie vorbeikommen. Pelosi ist gerade noch rechtzeitig aus dem Gebäude evakuiert und an einen sicheren Ort gebracht worden. Aber ihre Mitarbeiter verstecken sich immer noch unter den Tischen, ein paar Meter entfernt vom Mob. Sie haben sich in einem Konferenzzimmer verbarrikadiert und hören, wie die Randalierer die äußere Tür zu ihrem Versteck aufbrechen. Sie fürchten um ihr Leben.

Um 14.40 Uhr schreibt Sam: »GERADE WURDE NOCH EINE TÜR ZUM KAPITOL AUFGEMACHT.« Die Randalierer strömen jetzt auch durch das Portal an der Ostseite und verteilen sich im gesamten Gebäude. Die Sitzung im Plenarsaal ist unterbrochen worden, den Abgeordneten ...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2023
Übersetzer Kirsten Riesselmann
Sprache deutsch
Original-Titel Split and Fuse
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
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ISBN-10 3-518-77583-9 / 3518775839
ISBN-13 978-3-518-77583-7 / 9783518775837
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