Keine Freiheit ohne Mut (eBook)
365 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7575-0167-9 (ISBN)
Mag.Mag. Barbara Effenberg, Bildungwissenschaftlerin und Psychologin ist in eigener Praxis tätig. Sie begleitet Firmen im Human Resource Management Bereich, veranstaltet Workshops und Weiterbildungen zu verschiedenen Themen und arbeitet im Einzelsetting mit Klienten. Als Autorin schreibt sie für verschiedene Fachzeitschriften und hat mehrere Bücher veröffentlicht.
Mag.Mag. Barbara Effenberg, Bildungwissenschaftlerin und Psychologin ist in eigener Praxis tätig. Sie begleitet Firmen im Human Resource Management Bereich, veranstaltet Workshops und Weiterbildungen zu verschiedenen Themen und arbeitet im Einzelsetting mit Klienten. Als Autorin schreibt sie für verschiedene Fachzeitschriften und hat mehrere Bücher veröffentlicht.
Bedarfsorientierung
Was alle Kinder benötigen, um gesund und glücklich groß zu werden, sind Grenzen. Wie weit diese gesteckt werden ist nicht so wichtig. Die Hauptsache besteht darin, dass sie existieren und den Bewegungsrahmen festsetzen. Die darin lebenden Eltern haben selbst spezielle persönliche Grenzen. Mama verträgt es gar nicht, wenn man ihr beim Stillen in die Brustwarze beißt. Papa mag es nicht, wenn man seine Babyfinger in seine Nase steckt, auch wenn da lustige Haare drin sind.
Das sind wahrscheinlich die allerersten Grenzen, die ein Baby kennenlernt. Erst viel später mit der Mobilität folgen verbotene Gegenstände und Gefahren, denen es ausweichen muss oder Aktionen, die es besser erst gar nicht startet. Dazu gehören Karottenbreimalerei oder auch Experimente mit der Schwerkraft, die Speisen oder Getränke betreffen.
Die Art des Eingreifens erfolgt so gelinde wie möglich, aber so deutlich wie nötig. Immerhin gibt es die Sensibelchen unter den Kindern, bei denen man schon nach einer hochgezogenen Augenbraue sicher sein kann, dass der Kakao in Zukunft nicht mehr in Papas Steuererklärung landet. Bei anderen Kandidaten weiß man schon im Vorhinein, dass sämtliche verfügbaren und erlaubten Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen werden, um bei einmaliger Anwendung, das Kind vom Plantschen in der Kloschüssel, abhalten zu können.
Dranbleiben ist in dieser Phase die Devise. Und das ist auch schon der entscheidende Punkt: Eltern sind an ihren Kindern dran. Es gibt eine unsichtbare Verbindung, die beide spüren. In Momenten der Breikunstwerke an der Wand, ist die enge Verbindung durchaus unangenehm, aber sie ist da. Das Kind spürt, dass es seinen Eltern sicher nicht egal ist, denn sie sind ja da, mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit. Das geht sogar so weit, dass Kinder, die diese Verbindung zu wenig spüren, absichtlich Verbotenes tun, denn jedes Kind wird lieber geschimpft, als nicht beachtet.
Das ist eine sehr traurige Tatsache, leider ist das aber so. Die sozialen Kontakte sind für uns Menschen lebenswichtig. In Isolation werden wir verrückt oder sterben. Unsere Spezies ist dafür nicht ausgelegt. Es braucht sozialen Austausch und Nähe. Das geht zu Beginn eines neuen Lebens nur mit den Eltern, später kommen andere Verwandte dazu, dann treten die Freunde an deren Stelle und spätestens in der Pubertät ist man abgeschrieben als Eltern, dann zählen nur noch die Gleichaltrigen. Ohne soziale Kontakte geht es jedenfalls nicht. Im besten Fall sind diese Beziehungen von guter Qualität und stärken die Heranwachsenden.
Wann immer Mütter und Väter können, treten sie also in Kontakt mit dem Kind und gehen in den positiven Austausch. Man lebt und erlebt vieles gemeinsam, man bietet viel an und verbietet so manches. Man akzeptiert die persönlichen Grenzen des Kindes, fordert genauso aber auch die Beachtung der eigenen Grenzen ein. Miteinander bedeutet, dass keiner zu kurz kommt, auch nicht die Eltern. In den ersten Monaten ist das noch unvermeidbar, doch es sollte sich nicht zum Dauerzustand auswachsen.
Jeder hat Bedarf an verschiedenen Dingen, jeder hat Wünsche, diese darf jedes Familienmitglied äußern, um die anderen daran teilhaben zu lassen. Auch Eltern sollten das tun, Geschwisterkinder und die Großeltern. Kinder dürfen sehen und hören, dass jeder Wünsche hat und Dinge braucht, um sich gut versorgt zu fühlen. Gleichzeitig erlebt der junge Mensch aber auch, dass diese nicht immer und sofort befriedigt werden können, denn man ist nicht allein auf dieser Welt und gelegentlich kollidieren die eigenen Wünsche mit jenen der anderen. Gleichzeitig lernt der junge Mensch in der Reflexion mit dem Umfeld auch, dass manche scheinbar so brennenden Bedürfnisse in Wirklichkeit keine sind, sondern einfach nur Wünsche, die aufschiebbar und nicht lebenswichtig sind.
Wünsche erfüllen sich nicht alle und auch nicht sofort. Würde das funktionieren oder würden sich Eltern so stark zurücknehmen, dass sie es schaffen würden, hauptsächlich nach der Pfeife des Kindes zu tanzen, würde das Zusammenleben richtig ungemütlich werden. Das ist falsch verstandene Bedürfnisorientierung. Es ist Ichzentrierung und Egoismus, der über jedes gesunde Maß hinausgeht. Taucht ein Bedürfnis oder Bedarf in einem so aufwachsenden jungen Menschen auf, kann es weder zugeordnet noch aufgeschoben werden, weil er beides nicht gelernt hat. Mutter und Vater sind ab einem gewissen Alter nicht mehr immer und unmittelbar in der Nähe, vor allem haben sie kaum mehr Möglichkeiten einzugreifen. Das Kind bleibt allein, wie ein Boot auf offener See, manövrierunfähig und hilflos.
Dann wird computergespielt bis tief in die Nacht, immerhin erfüllt das nach der Meinung des Jugendlichen ein tiefes Bedürfnis nach Beschäftigung. Entspannung wird oft durch Drogen sofort und gleich erreicht, auf dem schnellsten und unkompliziertesten Weg, weil der junge Mensch nur ihn kennt. Er hat leider keine Ausdauer gelernt, um seine Ziele zu erreichen, weil seine Wünsche bisher, ohne jede Anstrengung seinerseits, erfüllt wurden. Bedürfnisse aufzuschieben, zu hinterfragen oder anders zu befriedigen kommt für ihn nicht in Frage. Die Erkenntnis, dass all die vielen anscheinenden Bedürfnisse einfach nur Wünsche sind, bleibt aus. Der Jugendliche sieht sich meist früher als später in einer existenziellen Bedrohung und gleichzeitig zurückgewiesen, wenn er seine Wünsche nicht mehr, wie gewohnt, erfüllt bekommt. Und das ist eben nie unendlich lange möglich.
In diesem Alter erwachen Wünsche, Triebe und Ideen, die altersbedingt drängender sind als alle jemals zuvor. Ein junger Mensch, der sich bis dahin alle Wünsche erfüllen durfte, tut es auch dann. Das gilt für gewagte Abenteuer, leichtsinnige Mutproben, für Sexualität und auch für erste Partnerschaften. Die Konflikte mit den Mitmenschen, dem Gesetz und der eigenen Gesundheit sind dabei vorprogrammiert.
Wo sollte man richtig abbiegen, damit es eine bedürfnisorientierte Babyzeit gibt, danach aber eine umsichtige Unterscheidung zwischen Bedürfnis und Bedarf stattfinden kann? Genau da, wo die allererste Grenze verletzt wird. Sie werden es spüren! Wenn das engelsgleiche, unschuldige Baby eine Grenze überschreitet, führt das zu einiger Verwirrung bei seinen Eltern.
Kein Grund traurig zu sein, denn das ist der Startschuss für echte Interaktion, für Geben und Nehmen, für Auseinandersetzungen, Diskussionen, Nachgeben in vielen Belangen und dem Beharren auf seinen Standpunkten in anderen. Die Dynamik, die damit beginnt, macht das Familienleben erst richtig spannend. Auch als Eltern, wird man einige seiner Prinzipien über Bord werfen, man wird viel Spaß haben mit den Kindern und ihrem eigenen Willen und man wird sich oft ärgern, sehr oft. Das gehört aber dazu. Wer nicht anecken will, sollte sich keine Kinder zulegen, sondern Goldfische.
Die Oma meiner Kinder sagte einmal, als Eltern wäre man der Kratzbaum seiner Kinder. Ein gutes Stück hat sie schon recht, denn Kinder probieren fast alle Regelverletzungen und Verrücktheiten zuerst daheim aus. Gibt es einen guten Kontakt und hat der junge Mensch die Sicherheit, dass die Eltern einschreiten, wenn es brenzlig wird, haben sie die Chance, so gut wie alles auszuprobieren.
Kinder und Jugendliche, deren Eltern Gummipuppen sind und sich alles gefallen lassen, denken, sie wären diesen Eltern egal. Nachdem von ihnen, aus ihrer Erfahrung, kein Feedback zu erwarten ist, starten sie ihre Verhaltensexperimente an anderer Stelle, das geht nicht immer glimpflich aus.
Gibt es also einen Bedarf oder Bedürfnisse, gehören sie artikuliert, und zwar in allen menschlichen Beziehungen, sei es zwischen Eltern und Kindern, zwischen Partnern oder am Arbeitsplatz. Liegen die Fakten am Tisch, kann sich die Gruppe überlegen, wie damit umzugehen ist. Einen Bedarf automatisch zu erfüllen, ist selten eine Option, das Leben ist schließlich kein Wunschkonzert. Aber durch das Aussprechen des Wunsches, bekommen alle Beteiligten die Chance zu sehen, an welchen Punkten sie beteiligt sind und können gut überlegt handeln, um die Balance im sozialen System zu wahren. Sie können beitragen, um Bedarf und Bedürfnisse zu achten, anzuerkennen und vielleicht einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dem Gegenüber zu geben, was es so dringend braucht. Bleiben Wünsche und Bedürfnisse der Außenwelt verborgen, kann von dort keine Mithilfe kommen und das ist für beide Seiten sehr schade.
Ein Jugendlicher hat etwa den Wunsch einen Ball zu besuchen. Dahinter steht der sehr verständliche Bedarf mit Gleichaltrigen zu feiern und seine Sozialkontakte zu pflegen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, der junge Mann ist leider noch nicht sehr alt, was ihn in Bezug auf das Jugendschutzgesetz und nächtliche Unternehmungen einschränkt. Hat man es vergeigt und die falsch verstandene Bedürfnisorientierung bis zur Pubertät durchgezogen und überlebt, geht der Jugendliche einfach, schließlich entspricht das der Befriedigung seines Bedürfnisses. Er ist es aus vielen, vielen Jahren gewohnt, dass seine Eltern nicht oder nur halbherzig widersprechen und Konflikten aus dem Weg gehen. Die Eltern haben wenig Handhabe und kaum eine Chance einzugreifen, denn die haben sie viele Jahre zuvor verwirkt.
In einer Familie die Bedarf von Bedürfnis unterscheiden kann und mit beidem adäquat umzugehen weiß, wird das Problem anders abgehandelt. Der Jugendliche äußert den Wunsch, die Eltern erkennen auch das dahinterliegende Grundbedürfnis nach Nähe und Sozialkontakten. Sie wissen, dass diese altersbedingt durch die Peergroup abgedeckt werden. Es geht also um mehr als nur einen Ballbesuch.
Es werden das Jugendschutzgesetz, der Wunsch zum Ball zu gehen und der wenig vorhandene Wunsch der Eltern, das Kind mitten in...
Erscheint lt. Verlag | 21.12.2022 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Erwachsenenbildung | |
Schlagworte | Freie Erziehung • freie Kinder • Glückliche Kindheit • Kindergarten • kindergartenfrei • Kindheit • ohne Kindergarten |
ISBN-10 | 3-7575-0167-5 / 3757501675 |
ISBN-13 | 978-3-7575-0167-9 / 9783757501679 |
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