Der grüne Krieg (eBook)

Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat
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2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3265-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der grüne Krieg - Simone Schlindwein
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Weltweit werden immer mehr Naturräume unter Schutz gestellt. Das klingt nach einem wichtigen Beitrag zur Rettung des Planeten. Doch in diesen Gebieten leben Millionen Menschen. Im globalen Süden wird den Ärmsten ein Großteil ihres fruchtbaren Ackerlandes weggenommen. Geht Artenvielfalt auf Kosten von Menschenrechten?

Simone Schlindwein hat mehr als ein Jahr im Kongo und in Uganda recherchiert. Sie berichtet davon, wie Nationalparks zu Festungen ausgebaut werden und hochgerüstete Wildhüter immer häufiger Gewalt gegen Indigene und örtliche Bauern anwenden. Als Geldgeber sind darin westliche Länder wie Deutschland verstrickt, deren Rüstungskonzerne zugleich von der Militarisierung des Naturschutzes profitieren. Dabei gäbe es zu westlichen Schutzkonzepten durchaus afrikanische Alternativen. Ein aufrüttelndes Buch.



Simone Schlindwein, Jahrgang 1980, lebt seit 2008 in Uganda und ist Korrespondentin der Tageszeitung (taz) für die Region der Großen Seen: DR Kongo, Ruanda, Burundi, Uganda, Zentralafrikanische Republik, Südsudan. Von 2006 bis 2008 war sie u.a. Moskau-Korrespondentin des Spiegel. Für ihre Arbeit wurde sie u.a. mit dem Journalistenpreis »Der lange Atem« sowie dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt veröffentlichte sie die Bücher »Diktatoren als Türsteher Europas« (mit Christian Jakob) und »Tatort Kongo« (mit Dominic Johnson und Bianca Schmolze).

I

Die Idee von der unberührten Wildnis


»Wir müssen draußen bleiben«

Kahuzi-Biéga: Der deutsche Park in Afrika


Es war kurz nach Mitternacht, als eine Kugel das Vorhängeschloss an der Holztür sprengte. Dutzende Wildhüter und Soldaten stürmten die armselige Lehmhütte von Jean-Marie Kasula. Die bewaffneten Männer zerrten den Chef der Batwa aus dem Bett und legten ihm Handschellen an, seiner Frau ebenso. Barfuß wurden die beiden gemeinsam mit vier weiteren Dorfbewohnern abgeführt, erzählte Kasulas Schwägerin Jacqueline Zimire später: »Sie haben uns in Angst und Schrecken versetzt und die letzten Habseligkeiten geklaut.«1

Das Dorf Muyange liegt malerisch an einem dicht bewaldeten Berghang im Osten der Demokratischen Republik Kongo: rund ein Dutzend windschiefer Lehmhütten mit Strohdächern, eingeklemmt zwischen den Maisfeldern der örtlichen Bauern und dem Regenwald des Kahuzi-Biéga-Nationalparks in der Provinz Süd-Kivu. Zwischen den Hütten spielen barfüßige Kinder im Dreck, unterernährt und schmutzig.

Die indigene Volksgruppe der Batwa, auch Pygmäen genannt, besitzt kein Land. Ihre Angehörigen wohnten ursprünglich im Wald und lebten von dessen Früchten, Honig und der Jagd. Doch seitdem sie bei der Gründung des Parks in den 1970er-Jahren aus dem Wald ausquartiert wurden, verdingen sie sich auf den Feldern der benachbarten Bauern für umgerechnet nicht einmal einen Euro pro Tag. Die Batwa sind bei weitem die ärmste Bevölkerungsgruppe im Kongo.

Knapp eine Woche nach seiner Verhaftung Ende Januar 2020 begann unweit von Muyange der Prozess gegen den Batwa-Chef vor dem Kriegsgericht; ein Schauprozess unter freiem Himmel, nur knapp einen Kilometer vom Haupteingang des Kahuzi-Biéga-Nationalparks entfernt. Soldaten stellten Tische, Stühle und Sonnenschirme auf einer Straßenkreuzung auf. Dahinter prangte ein Werbeplakat mit einem Gorilla: »Willkommen im Kahuzi-Biéga«.

Ein Gerichtshelfer in Flecktarnuniform breitete Kongos himmelblaue Nationalflagge als Tischtuch auf der Richterbank aus und postierte darauf ein rostiges AK-47-Sturmgewehr mit der Registriernummer 9664 – das zentrale Beweisstück im Verfahren. Militärstaatsanwalt Julien Luemba brüllte seine Anklagepunkte ins Mikrofon: »Bildung einer bewaffneten Gruppe, illegaler Waffenbesitz und Zerstörung von Flora und Fauna.« Die Parkverwaltung hatte zusätzlich fünf zivile Anwälte als Kläger geschickt. Diese argumentierten: Der Klimawandel und das Artensterben seien eine weltweite Bedrohung. »Doch während die einen bereit sind, für den Schutz der Natur zu sterben, bedroht Kasula das Ökosystem.«

Die Anklage präsentierte anschließend das Opfer: Parkwächter Assani Bongabonga zeigte dem Militärrichter seine verwundete Hand, ein glatter Durchschuss. »Es war am 17. Juli 2019, als wir morgens um neun Uhr auf Patrouille durch Muyange kamen, nur 15 Meter vom Park entfernt«, stotterte er. »Wir trafen auf Leute, die Holzkohle herstellten, und wollten sie verhaften. Eine Kugel traf mich in die Hand.« Der Richter fragte den Wildhüter, ob er erkannt habe, wer geschossen habe. Da zeigte Bongabonga auf Kasula.

Die sechs angeklagten Batwa standen hinter einer erhöhten Holzbank in der prallen Sonne. Schweiß tropfte ihnen von der Stirn. Die kleinwüchsigen Männer und Frauen waren barfuß und trugen zerlumpte Häftlingskleidung. Nach einer Woche Gefängnis sahen sie verwahrlost und geschwächt aus. Einer zitterte so sehr, dass er sich setzen musste. Die Haftbedingungen im Kongo sind mit die schlimmsten weltweit.

Chef Kasula konnte dem Verfahren kaum folgen, denn der Dolmetscher neben ihm übersetzte nur das Nötigste. Und auch sein Pflichtverteidiger Serge Bufole wirkte sichtlich überfordert. Er sei erst eine Stunde vor Prozessbeginn aus dem Bett geklingelt worden, habe sich nicht vorbereiten können, gab er zu. »Der kongolesische Staat hat nicht nur die internationalen Konventionen des Naturschutzes, sondern auch der Menschenrechte unterzeichnet«, argumentierte er gegenüber den Richtern: »Der Park hat den Batwa Land versprochen, doch dies ist nie geschehen – jetzt sollen sie also im Gefängnis sterben?«

Vom Kleinod zum Sündenfall


Über 6000 Kilometer liegen zwischen dem Kahuzi-Biéga-Nationalpark und dem von deutscher Seite zuständigen BMZ mit den beiden Häusern in Bonn und Berlin. Doch beide trennen Welten. Der Kahuzi-Biéga ist das Kleinod der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit dem Kongo, quasi das Aushängeschild der deutschen Naturschutzanstrengungen im gesamten Kongobecken. Jeder deutsche Botschafter, der in den Kongo abgesandt wird, besucht in dem Park die gefährdeten Gorillas.

Allerdings hat der Kahuzi-Biéga wie so viele Nationalparks auf dem Kontinent eine gewaltsame Vergangenheit. Er wurde 1970 im Osten des damaligen Zaire von belgischen Naturschützern gegründet. Die Aktivisten der ehemaligen Kolonialmacht hatten den zairischen Diktator Mobutu Sese Seko, einen fanatischen Großwildjäger, der sich in Leopardenfelle kleidete, überzeugt, die großen Wildtiere wie die Gorillas unter Schutz zu stellen. 1976 wurde der Park auf 6000 Quadratkilometer erweitert – ausgerechnet in jenem Gebiet, wo die Batwa ihre rituellen Kultstätten im Wald eingerichtet haben, bei den Gräbern ihrer Vorfahren. Die Erweiterung führte letztlich zur Vertreibung von rund 13.000 Menschen, darunter 6000 Batwa.2

Bekannt ist der Kahuzi-Biéga heute als eines der weltweit letzten Reservate der Östlichen Flachlandgorillas, auch Grauergorillas genannt. Ihre Zahl wird auf rund 250 geschätzt.3 Diese sollen von Kongos Naturschutzbehörde ICCN (Institut Congolais pour la Conservation de la Nature) im Auftrag der Menschheit geschützt werden. 1980 hat die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) den Park zum Weltkulturerbe erklärt.4 2019 wurde er auf der Berliner Tourismusmesse ITB ausgezeichnet als eine der Top-100-Touristenattraktionen.5

Seit 1986 ist die Bundesregierung der wichtigste Geldgeber des Parks. Selbst als in den 1990ern und den frühen Nullerjahren alle offiziellen Beziehungen eingestellt waren, weil das Land im Krieg versank und keine gewählte Regierung mehr hatte, hielt Deutschland die Finanzierung des Kahuzi-Biéga aufrecht. Im Auftrag der GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) hatte der Schweizer Carlos Schuler den Park jahrzehntelang unter Einsatz seines Lebens und mit großen Schwierigkeiten verwaltet, selbst als Rebellen das Gebiet erobert hatten.6 Ihm ist es zu verdanken, dass die Gorillas diese gewaltsame Zeit überlebten. Er ist mit der Tochter des belgischen Parkgründers Adrien Deschryver verheiratet und hat damals die ersten Batwa als Fährtenleser eingestellt. In Bonn und Berlin rühmt man sich, dass ohne die eigene Unterstützung die Gorillas den Krieg nicht überstanden hätten. Kongolesen in der Region nennen den Kahuzi-Biéga deswegen auch den »Deutschen Park«.

Doch diese Zusammenarbeit entpuppte sich in den vergangenen Jahren als Sündenfall. Der erste Übergriff ereignete sich im August 2017, als ein Batwa-Junge von einem Wildhüter erschossen wurde. Der Vater des Jungen wandte sich mit Hilfe von CAMV (Centre d’Accompagnement des Autochtones Pygmées et Minoritaires Vulnérables) per Brief direkt an die Entwicklungsbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) in Frankfurt, die für die Finanzierung zuständig ist. »Der Park ist unser traditioneller Lebensraum«, erklärte er in seinem Schreiben. »Unsere Vorfahren haben immer in Eintracht mit der Natur und den Tieren gelebt.« Doch dann seien sie gewaltsam vertrieben worden. »Und jetzt leiden wir auch noch unter den Angriffen.«7 Die Batwa heute seien nicht mehr bei so guter Gesundheit wie noch ihre Großeltern. Sie hätten nicht genügend zu essen und litten daher an...

Erscheint lt. Verlag 28.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Wirtschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
Schlagworte Artenvielfalt • Bernhard Grzimek • Biodiversität • Demokratische Republik Kongo • Elfenbein • Indigene • Kahuzi- Biéga-Nationalpark • Kenia • KfW • Kolonialismus • Kongo-Becken • Militarisierung • Naturschutz/ Nationalparks • Ökotourismus • Regenwald • Regenwaldzerstörung • Simbabwe • Tansania • Uganda • Virunga-Nationalpark • Wilderer • Wildhüter
ISBN-10 3-8412-3265-5 / 3841232655
ISBN-13 978-3-8412-3265-6 / 9783841232656
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