Zwischen Dürre und Flut (eBook)
304 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30452-2 (ISBN)
Der Klimawandel hat Deutschland erreicht: Rekordtemperaturen, sinkende Grundwasserspiegel, ausgetrocknete und versiegelte Böden, die den Regen nicht mehr aufnehmen können und so Flutkatastrophen erst möglich machen. Wasser wird auch bei uns zunehmend zum raren Gut, schon heute entnehmen Industrie, Landwirtschaft und Haushalte mehr, als natürlich nachkommt. Doch noch spricht kaum jemand über die Folgen dieser Notlage, die Verteilungskämpfe, die bereits jetzt hinter den Kulissen zwischen Unternehmen und Kommunen stattfinden und die jeden von uns schon bald so direkt betreffen werden wie heute jene um Gas und Strom. Uwe Ritzer, Wirtschafts- und Investigativjournalist der »Süddeutschen Zeitung«, schreibt einen packenden Bericht über ein Land im akuten Klimawandel und zeigt, was heute geschehen muss, damit unsere Wasserversorgung auch morgen noch gewährleistet werden kann. Ein längst überfälliger Weckruf an Politik und Verbraucher.
Uwe Ritzer, Jahrgang 1965, ist Wirtschaftskorrespondent der Süddeutschen Zeitung und wurde als Investigativreporter unter anderem bekannt für seine Berichte über krumme Geschäfte in der Energiewirtschaft und die Enthüllung des ADAC-Manipulationsskandals. Für seine Arbeit wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Wächterpreis, dem Henri-Nannen-Preis und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis. Als Autor erschienen von ihm »Die Affäre Mollath« (2013, mit Olaf Przybilla), »Lobbykratie« (2016, mit Markus Balser) sowie »Markus Söder« und »Die Spiele des Jahrhunderts« (2018 und 2020, beide mit Roman Deininger). Zuletzt erschien bei Penguin sein Buch »Zwischen Dürre und Flut«, das 2023 sowohl für den Wirtschaftsbuchpreis wie auch für den Preis als Wissensbuch des Jahres nominiert war.
Der alte Mann und das Wasser
Erhard Bendig ist nah am Wasser gebaut, sehr nah. Es zieht ihn an, magisch und pausenlos, so war das schon immer. Andere haben davon gehört oder gelesen, dass der menschliche Körper hauptsächlich aus Wasser besteht. Und natürlich wissen sie auch, dass Menschen ohne zu trinken schneller sterben, als ohne zu essen. Aber sie wissen es eben nur. Erhard Bendig hat es verinnerlicht.
Er nähert sich Wasser mit besonderem Respekt und bisweilen, so wie damals am Rhein, mit Sorge. Er kämpft für naturbelassene Flüsse, sauberes Trinkwasser und ausreichende Wasservorräte. Und wenn es sein muss, auch gegen einen einflussreichen Konzern. Er schreibt sogar Gedichte übers Wasser, illustriert mit abstrakten Wasserwelten, die er bei Sonnenlicht im Spiegel bunter Glasscherben fotografiert. Es sind opulente Bilder, mal in mystischem Nachtblau, mal in kraftvollem Ozeanblau, mit scheinbar tosenden Wellen.
Als Kind, vor bald 80 Jahren, hat er instinktiv begriffen, dass Wasser ihn am Leben hält. Tagelang dauerte am Ende des Zweiten Weltkriegs die Flucht vor der Roten Armee mit der Eisenbahn aus Königsberg in Ostpreußen nach Stralsund. Der Sechsjährige hungerte erbärmlich, aber in jedem Bahnhof füllte Wasser den Magen wenigstens etwas. Diese Zeit habe ihn geprägt, sagt Bendig. »Seit damals trage ich eine unstillbare Sehnsucht in mir nach einer Gesellschaft, in der man in Ruhe leben kann. Und das heißt für mich auch, dass man sich kümmern muss um diese Gesellschaft und um die Art, wie man lebt.« Deshalb sei er Naturschützer geworden, Wasserschützer.
Der alte Mann und das Wasser.
Bendig führt auf den Balkon, Südseite. Ehe er hier sesshaft wurde, ist er 23 Mal umgezogen. 1975 haben er und seine Frau sich dieses Haus am Hang gekauft, etwas oberhalb von Treuchtlingen im bayerischen Altmühltal. Es ist ein perfekter Ort, um für dieses Buch eine Wasserreise durch Deutschland zu starten. Sie wird unter anderem am Main vorbei und über den trockenen Taunus ins niedersächsische Lüneburg bis zur monströsen Tesla-Fabrik nach Brandenburg führen. Die spannendsten und lehrreichsten Geschichten beginnen häufig in der Provinz, in Orten wie Treuchtlingen im Altmühltal. Es wird sich später herausstellen, dass sich auf dieser Reise durch ein Land zwischen Dürre und Flut vieles von dem, was Wasser-Mann Bendig über viele Jahrzehnte hinweg erlebt und bekämpft hat, andernorts genauso wiederfindet. Und dass es immer mehr Bendigs in Deutschland gibt, Menschen ganz nah am Wasser, die sich einbringen und einmischen. In Lüneburg heißt eine solche Wasser-Frau Marianne Temmesfeld, in Grünheide/Brandenburg Manuela Hoyer.
Von Bendigs Balkon aus schweift der Blick über ein Städtchen im Tal, aus dessen Zentrum graue Tanks in die Höhe ragen. Fast verdecken sie die Kirchtürme daneben. Am anderen Ende des Tals steht ein unübersehbar großer, grauer Kasten. Beides, die Tanks mitten in der Stadt und der Kasten außerhalb, gehören zu der Fabrik eines Mineralwasserkonzerns. Mineralwasser ist in den vergangenen Jahren überall in Deutschland von einer Selbstverständlichkeit zu einem umstrittenen Gut geworden. Das Geschäftsmodell ist ins Gerede gekommen: Wasser, das doch allen gehört, wird aus dem Boden gepumpt, in Flaschen abgefüllt und verkauft. Die Gewinne streichen einige wenige Abfüllunternehmer ein. »Wasser ist nicht nur Hauptnahrungsmittel und Handelsgut, sondern Urquell jedweder Wertschöpfungskette«, sagt Bendig. »Ob bezahlt oder nicht, Wasser ist durch nichts ersetzbar, durch gar nichts. Alles andere schon.«
Sein Leben bildet deutsche Wassergeschichte ab. Als junger Mann, nach nur sechseinhalb Jahren Volksschule, hat Bendig Kfz-Mechaniker und Tankwart gelernt. Er arbeitete für Esso und später in der Chemieproduktion von Bayer in Leverkusen. Kaum eine Industrie braucht mehr Wasser als die Chemieindustrie. Anders als heute stellte damals niemand deren exorbitanten Verbrauch infrage, auch Bendig nicht. An freien Wochenenden paddelte er mit Kumpels in Kanus über die Flüsse. »Manche haben wir gemieden, weil sie zu vergiftet waren.« Stinkende, bizarr verfärbte Gewässer. Bendig hatte Angst, in die giftige Brühe zu fallen.
Er litt mit dem Rhein, überhaupt mit dem miserablen Zustand der Flüsse. Er hat es vor Ort miterlebt, wie die Deutschen vor einem halben Jahrhundert mit Blick auf die zu Kloaken verkommenen Gewässer an ihrem Umgang mit der Ressource Wasser zu zweifeln begannen.
Dann zog Bendig nach Niedersachsen und verpflichtete sich für zwölf Jahre als Soldat bei der Luftwaffe. In seiner Freizeit flog er Segelflugzeuge, und manchmal kam es vor, dass er über das Steinhuder Meer glitt, den größten See Niedersachsens. Wenn ich nicht mehr fliegen kann, dachte er sich, fange ich mit Segeln auf dem Wasser an. Während der Zeit bei der Bundeswehr holte er an der Abendschule in Hannover die Mittlere Reife nach, zog nach München, machte Abitur und studierte Lehramt für die Volksschule. Als Junglehrer kam er mit seiner Frau nach Treuchtlingen und blieb; die Familie wuchs um zwei Kinder.
Als er hier ankam, diskutierte man über einen Gasspeicher, den ein Energieversorger unterirdisch errichten wollte. »Ein Wahnsinn wäre das gewesen, angesichts des karstigen Untergrundes und der geologischen Verwerfungen«, sagt Bendig. Das könne dem Grundwasser nicht guttun. »Man hätte das Grundwasser verdrängt für Gas.« Also fing er an, sich zu wehren. Des Wassers wegen.
1975 war auch das Jahr, in dem ein Buch für Aufsehen sorgte, das bis heute als Klassiker der Umweltliteratur gilt. »Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik« hieß der Bestseller, geschrieben vom CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl (Frankfurt/Main 1975). So etwas kannte man bis dahin nicht. Umwelt- und Wasserschutz, Kritik an Wachstumspolitik und Kernenergie, der Schutz von und der Umgang mit natürlichen Ressourcen – das alles war bürgerlichen Parteien schwer vermittelbar und erst recht nicht der Union. Gruhl, der schon 1971 als einer der ersten Politiker das Waldsterben angeprangert hatte, eckte an. 1978 kam es zum Zerwürfnis mit seiner Partei. Er avancierte zu einem der Urväter der Grünen, fand sich dort aber nicht wirklich wieder und trat aus. Er gründete die ÖDP, wurde Bundesvorsitzender, warf dann aber wieder hin.
Die neue Umweltbewegung und ihre Themen wurzelten in der Gesellschaft. Bendig sagt, Gruhls Buch habe ihn bewegt und beschäftigt, vielleicht sogar etwas ausgelöst. Er gründete mit seiner Frau Barbara und ein paar Gleichgesinnten in Treuchtlingen eine Ortsgruppe des BUND Naturschutz. In ihrer Freizeit fuhr das Paar im Kanu die Altmühl rauf und runter. Bendig schrieb einen Routenführer für Bootswanderer auf dem Fluss. Auf der Donau lag ihr Segelboot. Wasser nutzen, warum auch nicht? »Es kommt auf das Wie an«, sagt Bendig, und für ihn heiße das bis heute: wenn Boot, dann ohne Motor.
Und dann nahm da dieses gigantische Wasserbauprojekt vor der Haustür immer deutlicher Gestalt an, mit all seinen Möglichkeiten und Nebenwirkungen. Die bayerische Politik vollendete in den 1980er-Jahren eines der größten Wasserbauprojekte in der Geschichte des Freistaates: das Fränkische Seenland. Ein System von sieben künstlichen Stauseen, etwa eine Autostunde südlich von Nürnberg. Mit ihrer Hilfe sollte Wasser aus dem nassen Süden Bayerns über die Wasserscheide hinweg in den trockenen Norden geleitet werden. Bendig gehörte vor Ort zu den Mitbegründern eines Segelklubs. »Diese ganze Region, ein riesiges Stück Landschaft wurde durch den Bau der Stauseen zutiefst verändert, und deshalb habe ich noch intensiver begonnen, mich mit Wasser zu beschäftigen«, sagt er.
Das Seenland wurde gebaut – ohne jeden Protest. Viele erhofften sich erhöhten Tourismus in einer bis dahin touristenfreien und obendrein wirtschaftlich schwachen Region. Und entlang der Altmühl waren sie froh, dass fortan das viele Hochwasser, das der Fluss regelmäßig mit sich führte und das den Dörfern und vor allem den Landwirten arg zusetzte, von den Seen aufgefangen wurde. Bendig sah auch die andere Seite. Er stritt dafür, den Fluss zu renaturieren, seinen Verlauf zu mäandern und natürlich zu gestalten, ihm den Platz zu verschaffen, der ihm von Natur aus gebührt. 1991 wählten die Mitglieder des BUND Naturschutz ihn zum Kreisvorsitzenden. »Der BUND war lange ein CSU-Wahlverein«, sagt Bendig. »Erst Hubert Weinzierl hat daraus einen Naturschutzverband und in der Folge einen Umweltverband gemacht.« Diese Unterscheidung ist ihm wichtig. Ein Naturschutzverband kümmert sich um Flora und Fauna. Ein Umweltverband auch um Wasser.
Nebenher zum Lehrerberuf sattelte Bendig im Fernstudium zwei Semester Ökologie und Umweltschutz drauf; neue, exotische Fächer damals. Als Parteiloser gehörte er zu den Mitbegründern des Arbeitskreis Umwelt in der CSU. Er beschäftigte sich mit Wetterkunde, Wolken- und Regenforschung. Er zog mit anderen Naturschützern los und lief Bäche in der Region ab um zu kartieren, wie der Mensch sie verunstaltet hat, wie er Quellen und Flussbett künstlich eingefasst und eingezwängt hat, wo die Bäche verrohrt wurden und wo sie illegal angezapft werden. Die Daten übergab er den Naturschutzbehörden. Für die war das neu.
Bendigs politisches Engagement nahm Fahrt auf, außerhalb politischer Gremien. Solange er BUND-Kreisvorsitzender war, bis 2012, hat Erhard Bendig 600 Stellungnahmen an Behörden geschrieben. Sehr oft ging es um Wasser. Er hat an Gemeinderäte und Baubehörden appelliert, doch in Bebauungsplänen festzuschreiben, dass mit den Häusern auch...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2023 • Ahrtal • Coca Cola • Daseinsvorsorge • Dürre • eBooks • Fernnetz • Flut • Getränkekonzerne • Grundwasser • heiß • Hitze • Industrie • Jahrhundertsommer • Katastrophe • Klima • Klimawandel • Lüneburg • Mineralwasser • Nestlé • Neuerscheinung • nominiert wirtschaftsbuchpreis • Notstand • Pegel • pepsi • Politik • Quelle • Rekord • Soda Stream • Sommer • Süßwasser • Tafelwasser • Temperatur • Temperaturanstieg • Tiefbrunnen • Trinkwasser • Trinkwassermangel • Trocken • Trockenheit • Verbraucher • Versorgung • Vio • Waldbrand • Wasser • Wassermangel • Wassernetz • Wassernot • Wasserplan • Wasserverbrauch • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-641-30452-0 / 3641304520 |
ISBN-13 | 978-3-641-30452-2 / 9783641304522 |
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