Das Vermächtnis von Papst Franziskus (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie der Kämpfer im Vatikan die katholische Kirche verändert hat
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-30479-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Vermächtnis von Papst Franziskus -  Andreas Englisch
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Zehn Jahre Papst Franziskus im März 2023: Bestsellerautor Andreas Englisch zieht Bilanz
Vor zehn Jahren überraschte die katholische Kirche die ganze Welt. Die Kardinäle brachen mit den Konventionen und wählten einen äußerst ungewöhnlichen Mann zum Papst: Jorge Mario Bergoglio, der sich als Papst »Franziskus« nannte, ist der erste Bischof von Rom, der vom amerikanischen Kontinent stammt, der erste Jesuitenpater und der erste radikale Reformer an der Spitze der katholischen Kirche seit Jahrhunderten. Seit seinem Amtsantritt hat Franziskus die Kirche, den Vatikan und das Amt des Papstes tiefgreifend verändert. Doch zugleich erlebt die katholische Kirche in seiner Amtszeit die wohl dramatischste Krise ihrer Geschichte. Die nicht enden wollende Enthüllung von Missbrauchsskandalen erzürnt Menschen weltweit, immer mehr Gläubige wenden sich enttäuscht von der Kirche ab.

Bestsellerautor Andreas Englisch, der Franziskus vielfach getroffen hat und auf seinen Reisen begleiten durfte, zeigt in seinem neuen Buch, mit welchen Herausforderungen der Papst während seiner Amtszeit konfrontiert war und welche Reformen ihm trotz aller Widerstände gelangen. Das Vermächtnis des Franziskus, so Englisch, ist dabei weit beeindruckender, als es auf den ersten Blick wirkt.

Andreas Englisch lebt seit fast vierzig Jahren in Rom und gilt als einer der bestinformierten Journalisten im Vatikan. Seit der Amtszeit von Johannes Paul II. trifft er alle amtierenden Päpste regelmäßig und begleitet sie auf ihren Reisen. Als Vatikanexperte und Italienkenner ist er ein gefragter Talkshowgast und Interviewpartner, seine Bücher sind Bestseller und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter »Franziskus - Zeichen der Hoffnung« (2013), »Der Kämpfer im Vatikan. Papst Franziskus und sein mutiger Weg« (2015), »Der Pakt gegen den Papst. Franziskus und seine Feinde im Vatikan« (2020) sowie zuletzt »Das Vermächtnis von Papst Franziskus» (2023). Zudem begeistert Andreas Englisch als kenntnisreicher Reiseführer durch Rom. Die Geschichte und Geschichten der Ewigen Stadt hat er in seinen Bestsellern »Mein Rom. Die Geheimnisse der Ewigen Stadt« (2018) sowie »Mein geheimes Rom. Die verborgenen Orte der Ewigen Stadt« (2021) aufgeschrieben.

19. November 2022


Rom


Es ist 8.30 Uhr, als Georg Bätzing, der Chef der deutschen Bischofskonferenz, allein über den Petersplatz in Richtung des großen Synodensaals im Antonianum geht, dem modernen Gebäude in der Nähe des Palastes der Glaubenskongregation im Vatikan. Der Nieselregen taucht Rom an diesem Morgen in eine düstere Atmosphäre. Das sommerliche Wetter, das bis in den späten Herbst reichte und den Römern erlaubte, noch im November im Meer zu baden, ist endgültig vorbei. Der Nebel und die Kälte scheinen die Menschen nach sieben Monaten mit zum Teil sengender Sonne in ihre Wohnungen zu treiben. Die Besitzer der Cafés räumen an diesem Morgen keine Stühle mehr auf die Plätze von Rom. Bätzing weiß, dass er zu einem außergewöhnlichen Ereignis unterwegs ist, in einer für die katholische Kirche in Deutschland historischen Zeit. Die Auseinandersetzungen zwischen den Bischöfen aus Deutschland und dem Papst eskalierten derart, dass etwas Ungeheuerliches eintrat. Ein Ereignis, das jahrzehntelang bei niemandem Neugier weckte, der »Ad-limina-Besuch« der deutschen Bischöfe beim Papst, also der reine Routinebesuch an den Schwellen (ad limina) der Gräber der Apostel, der alle fünf Jahre fällig wird, schaffte es an diesem Samstagmorgen, die Weltpresse zu mobilisieren. Reporter aus den USA, aus England, Frankreich, Spanien, Italien und natürlich aus Deutschland warten drauf, dass sich Bätzing ihren Fragen stellt.

Es ist lange her, dass sich die internationale Presse brennend für einen Besuch der Bischöfe aus Deutschland im Vatikan interessierte. Das letzte Mal sorgte der erbitterte Streit zwischen Papst Johannes Paul II. und dem damaligen Chef der Bischofskonferenz Karl Lehmann über die Frage der Schwangerenkonfliktberatung für internationales Aufsehen. Das war vor 30 Jahren. Wenn es einen Gott gibt, scheint es ihm Spaß zu machen, die entscheidenden Erschütterungen in der römischen Kirche seit Martin Luther von Deutschland ausgehen zu lassen.

Diesmal geht es um die Frage: Will die deutsche katholische Kirche tatsächlich eine Kirchenspaltung, ein Schisma? Wollen die reformbereiten Katholiken in Deutschland, die sich eine offenere, modernere, demokratischere Kirche wünschen, wirklich gehen? Am ersten Advent des Jahres 2019 hatte die Deutsche Bischofskonferenz zusammen mit den Laien des Zentralkomitees der deutschen Katholiken einen »Synodalen Weg« beschlossen, erschüttert durch die Ausmaße des Missbrauchsskandals.

Lässt diese jahrelange Debatte in Deutschland über die Abschaffung des Zölibats, die Beendigung der Diskriminierung homosexueller Menschen, die Möglichkeit, Frauen zu Priestern zu weihen, überhaupt noch etwas anderes zu als die Trennung der katholischen Kirche Deutschlands von Rom, sollten alle diese Vorschläge einfach wieder sang- und klanglos vom Tisch gefegt werden?

Im Synodensaal warten nervöse Reporter. Sie gieren nach Nachrichtenfutter. Aus dem Umfeld der Kurienkardinäle gibt es klare Signale, dass es während der Treffen mit den deutschen Bischöfen gekracht hat. Wie angespannt dieser Morgen ist, zeigt allein die Liste der Journalisten, die eine Frage stellen wollen. Bei gewöhnlichen Ad-limina-Besuchen zeigen sich Pressesprecher der Bischofskonferenzen erfreut, wenn es überhaupt Fragen gibt. Diesmal muss Pressechef Matthias Kopp versuchen, die lange Liste der Anfragen mit dem geplanten Abflug von Bischof Bätzing vom römischen Flughafen unter einen Hut zu bekommen.

Georg Bätzing verneint natürlich die spektakulärste aller Varianten, dass die katholische Kirche auf eine Spaltung zusteuere. Darum gehe es nicht. Es gehe darum, dass die dramatischen Entwicklungen in Deutschland dazu führten, dass die Kirchenspitze in Rom einen »Flächenbrand« fürchtet. Bei der Pressekonferenz wird Georg Bätzing sagen, in den Gesprächen mit der Kurie sei zu spüren gewesen, dass Rom eine weltweite Eskalation fürchtet, ausgelöst von Deutschland.

Die Sorge scheint durchaus begründet. Im deutschen Kirchenvolk brodelt es. Hunderttausende verlangen eine regelrechte Revolution. Der Priester Oliver Lahl, Geistlicher Rat der deutschen Botschaft, legt während der Pressekonferenz den Finger in die Wunde. Wie es möglich sei, will er wissen, dass es in den Dokumenten, die während des Besuchs der Bischöfe erstellt wurden, heiße, dass das Volk Gottes »geduldig« auf Entscheidungen warte.

Bätzing muss einräumen, dass das eine eklatante Fehleinschätzung sei. Geduldig scheint das deutsche Gottesvolk beim besten Willen nicht mehr zu sein. Die katholische Kirche, die in Deutschland so drastisch an Bedeutung verliert wie nie zuvor, hat es seltsamerweise geschafft, zum heiß diskutierten Dauerbrenner-Thema in der öffentlichen Debatte zu werden und wieder einen »Fall« zu schaffen, den des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Woelki.

Selbst gesellschaftliche Gruppen, die absolut nichts mit der katholischen Kirche zu tun haben, debattieren plötzlich den »Fall Woelki«. Fernsehsatiriker stürzen sich auf diese Personalfrage.

Im Kern geht es um Vertuschungsvorwürfe. Der Kardinal soll in Fällen, in denen es um sexualisierte Gewalt geht, nicht die Wahrheit gesagt haben. Die Staatsanwaltschaft entschloss sich nach anfänglichem Zögern im November 2022, gegen Kardinal Woelki zu ermitteln. Doch die umstrittenen Vorwürfe allein hätten vermutlich kaum das Potenzial gehabt, dass Millionen Menschen in Deutschland in einer aufgeheizten Debatte den Kopf des Kölner Erzbischofs fordern.

Es ist Woelkis extrem konservative Haltung, die die Debatte anheizt, vor allem seine Meinung über den Umgang mit Homosexuellen.

Im März 2021 hatte Rainer Maria Woelki das vatikanische Verbot der Glaubenskongregation, »Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen«, begrüßt. Kardinal Luis Ladaria Ferrer, der spanische Chef der Glaubenskongregation, geboren auf der Insel Mallorca, hatte am 15. März 2021 verlauten lassen:

»Aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (das heißt außerhalb einer unauflöslichen Verbindung eines Mannes und einer Frau, die an sich für die Lebensweitergabe offen ist) einzuschließen, wie dies bei Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts der Fall ist.«

Kardinal Ladaria hatte damit die erste ernsthafte Revolte homosexueller Menschen innerhalb der katholischen Kirche ausgelöst. An Kirchen hingen plötzlich die Regenbogenfarben der LGBT-Bewegung. Der Vorstoß entpuppte sich als kolossales Eigentor, vor allem wegen einer Formulierung in dem Verbot. Kardinal Ladaria hatte geschrieben:

»Das Vorhandensein positiver Elemente (…) in solchen Beziehungen ist trotzdem nicht in der Lage, diese zu rechtfertigen und sie daher rechtmäßig zum Gegenstand einer kirchlichen Segnung zu machen, weil diese Elemente im Dienst einer Verbindung stehen, die nicht auf den Plan des Schöpfers hingeordnet ist.«

Kardinal Ladaria hatte sich also entschlossen, die härteste Keule aus dem Schrank der Theologie zu holen, denn der Satz bedeutet: Gott will keine homosexuellen Menschen. Sie sind im Plan des Schöpfers nicht vorgesehen. Diese Menschen leben gegen Gottes Willen.

Die Reaktion darauf war eine regelrechte Revolution in Deutschland. Mehr als 100 Mitarbeiter der katholischen Kirche outeten sich in einer TV-Dokumentation als homosexuell. Der Titel des Films schoss genau auf Ladarias Verbot. Er lautete: »Wie Gott uns schuf«. Die betroffenen gläubigen Katholikinnen und Katholiken, die sich in dem Film äußern, wehren sich dagegen, dass Gott sie in seinem Plan nicht vorgesehen habe, nur weil Kardinal Ladaria das so sieht.

In Deutschland erzielte die Dokumentation einen sensationellen Erfolg und räumte den Deutschen Fernsehpreis als beste Reportage ab. Aber nicht nur in Deutschland sorgte das Verbot, Homosexuelle zu segnen, für Widerstand, weltweit protestierten Priester und Ordensleute. Jetzt kam es darauf an, ob der Papst Kardinal Ladaria den Rücken stärken würde. Sollte er das nicht tun, würde er der Glaubenskongregation jede Glaubwürdigkeit nehmen.

Die Anhänger von Kardinal Ladaria verlangten, dass der Papst zuschlug, also konkrete Strafen verhängte für alle Priester und Bischöfe, die sich nicht an das Verbot hielten. Schließlich leitete Kardinal Ladaria nicht irgendeine Kongregation, denn seine Behörde ging auf die Inquisition zurück, deren erster Chef der spätere Papst Paul IV. war, der im Jahr 1556 in Rom einen Studenten in heißem Fett töten ließ, weil er Luthers Gedanken guthieß. Doch der Papst verweigerte sich. Es wurden keine Strafen verhängt, der Papst ließ zu, dass Ladarias Verbot ganz offen ignoriert wurde.

Kardinal Woelki musste hinnehmen, dass er ein Eigentor geschossen hatte, als er die Ablehnung, Homosexuelle zu segnen, offen als »Stärkung der Ehe« feierte. Der Papst sah es offenbar anders.

Während der Pressekonferenz hatte Bischof Georg Bätzing kein Problem damit, zuzugeben, dass Woelkis Freude über das Ladaria-Verbot einen tiefen Graben gerissen hatte, weil Woelki, obwohl Kardinal, mit seiner Meinung keineswegs die komplette Deutsche Bischofskonferenz vertrete. Bätzing bestätigte, dass er die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in seiner Diözese nicht verbieten werde. Gleichzeitig unterstrich er, dass die Situation in der Diözese Köln »unerträglich« geworden sei. Der Papst, der Kardinal Woelki ein Rücktrittsgesuch abverlangt hatte, das seitdem unbeachtet in seiner Schublade liegt, solle jetzt endlich entscheiden. Georg Bätzing räumte ein, dass er wohl wisse,...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2023
Zusatzinfo mit Farbbildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Biografie • Biographien • Christlich-islamisches Gespräch • eBooks • Franziskus • Homosexualität im Vatikan • Islam • Katholische Kirche • Kirchenaustritt • Missbrauchsskandal • Neuerscheinung • Papsttum • Vatikan • Weltreligionen & interreligiöser Dialog
ISBN-10 3-641-30479-2 / 3641304792
ISBN-13 978-3-641-30479-9 / 9783641304799
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