Immer auf'm Platz (eBook)
280 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46489-2 (ISBN)
Hermann Gerland, Jahrgang 1954, Spitzname »Tiger«, gilt in Fußballerkreisen als Kulttrainer. Seine Laufbahn als Profi begann 1972 beim VfL Bochum, für den er mehr als 200 Bundesligaspiele bestritt. Seit 1986 ist er als Trainer tätig, zunächst für den VfL Bochum, ab 1988 beim 1. FC Nürnberg, Tennis Borussia Berlin, Arminia Bielefeld und SSV Ulm 1846. Von 1991 bis 1995 und von 2001 bis 2021 war er als Nachwuchs- und Amateur-Trainer tätig. Aktuell ist er Co-Trainer der U21-Nationalmannschaft. Zudem war er Co-Trainer unter Jupp Heynckes, Louis van Gaal, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti und Hansi Flick. Hermann Gerland gilt als Vater der »Goldenen Bayern-Generation« und hat Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Mats Hummels, Thomas Müller, David Alaba und andere an die Weltspitze im Fußball herangeführt. Das Münchner Stadion an der Grünwalder Straße wird von Bayern-Fans liebevoll »Hermann-Gerland-Kampfbahn« genannt. Er ist Vater von drei erwachsenen Töchtern und lebt mit seiner Frau im Landkreis München.
Hermann Gerland, Jahrgang 1954, Spitzname »Tiger«, gilt in Fußballerkreisen als Kulttrainer. Seine Laufbahn als Profi begann 1972 beim VfL Bochum, für den er mehr als 200 Bundesligaspiele bestritt. Seit 1986 ist er als Trainer tätig, zunächst für den VfL Bochum, ab 1988 beim 1. FC Nürnberg, Tennis Borussia Berlin, Arminia Bielefeld und SSV Ulm 1846. Von 1991 bis 1995 und von 2001 bis 2021 war er als Nachwuchs- und Amateur-Trainer tätig. Aktuell ist er Co-Trainer der U21-Nationalmannschaft. Zudem war er Co-Trainer unter Jupp Heynckes, Louis van Gaal, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti und Hansi Flick. Hermann Gerland gilt als Vater der »Goldenen Bayern-Generation« und hat Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Mats Hummels, Thomas Müller, David Alaba und andere an die Weltspitze im Fußball herangeführt. Das Münchner Stadion an der Grünwalder Straße wird von Bayern-Fans liebevoll »Hermann-Gerland-Kampfbahn« genannt. Er ist Vater von drei erwachsenen Töchtern und lebt mit seiner Frau im Landkreis München. Christian Eichler, 1959 geboren, wuchs dort auf, wo das deutsche Fußballherz schlägt: im Pott. Nach dem Studium arbeitete er als Diplombibliothekar, daneben schrieb er für zahlreiche Blätter. Von 1989 bis 2020 war Christian Eichler Sportredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er wurde mit dem Großen Preis des Verbandes Deutscher Sportjournalisten und zwei Mal mit dem Fairplay-Preis für Sportjournalismus ausgezeichnet. Christian Eichler ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Gardine mit Gelbstich:
Eine Kindheit im Pott
Als ich fast sechs war, habe ich den besten Fußball der Welt gesehen. Zusammen mit meinem Vater, in Kindermanns Eckkneipe in Bochum-Weitmar. Den Fußball von Real Madrid. Als ich 66 war, sah ich immer noch den besten Fußball der Welt. Auf der Bank in der Allianz Arena. Und auf dem Trainingsplatz an der Säbener Straße. Den Fußball von Bayern München.
Bei Kindermann, der Eckkneipe, die voller Menschen war, weil damals in unserer Siedlung kaum jemand einen eigenen Fernseher hatte, schaute Papa das berühmte Europapokal-Endspiel 1960 zwischen Real Madrid und Eintracht Frankfurt, als Ferenc Puskás und Alfredo Di Stéfano alle sieben Tore für Real schossen. Und ich durfte mit. Da war was los! Da wurde getrunken und gegrölt und geraucht. Papa rauchte Eckstein, die Filterlosen in der grünen Packung, in der immer ein Groschen steckte, wenn ich sie für Papa am Automaten zog. Die Packung kostete 90 Pfennig, man warf eine Mark rein und kriegte die Zigaretten und zehn Pfennig. Und mittendrin in dem Lärm und dem Qualm saß der kleine Hermann und hatte nur Augen für den Fußball. Bis ihm die Augen zufielen, weil er so müde war.
Vier Jahre später war Papa tot. Das Herz, mit 39. Zwei Wochen vor meinem zehnten Geburtstag. Ich war der Älteste. Ich habe von da an auf die jüngeren Geschwister aufgepasst. Mein jüngster Bruder war erst zwei, als Papa starb. Wenn die Geschwister verhauen worden sind, bin ich hinterhergegangen. Damit so was nicht wieder passiert.
All das ist in mir immer noch so gegenwärtig, als wäre es erst gestern passiert. Diese ganzen Geschichten, die ich erlebt habe in meinem Leben mit dem Fußball. Ich musste sie alle selbst erleben, denn meine Mama hatte keine Zeit, uns Geschichten vorzulesen. Nach dem Tod von Papa musste sie allein das Geld verdienen, musste uns satt kriegen. Wir hatten eine sehr kleine Wohnung. 55 Quadratmeter, vier Kinder, da ist überall Lärm und Geschrei. Damit meine Mama ihre Ruhe haben konnte, mussten wir draußen spielen. Ob Sommer oder Winter, Sonne oder Schnee, wir waren immer draußen. Mama wäre sonst verrückt geworden. Wir waren wild, wir waren laut, wir haben uns gestritten. Wenn es zu stark regnete, setzten wir uns unter den Balkon. Und warteten auf die anderen Kinder aus der Nachbarschaft, um mit denen zu spielen.
Ich bin aus Bochum. Das ist meine Stadt und da will ich wieder hin – spätestens bei meiner Beerdigung. Ich bin da geboren, und ich will da begraben werden. Als Musik wird dann »Bochum« von Herbert Grönemeyer laufen. Im Musikregal in meinem Wohnzimmer, 650 Kilometer weg von Bochum, liegt die CD ganz oben.
Bochum-Weitmar in den späten Fünfziger- und in den Sechzigerjahren, dort begann mein Leben mit dem Fußball. Es hat mich vom staubigen Hinterhof, in dem wir den Ball auf die Teppichstange kickten, in die berühmtesten Stadien der Welt geführt. Nie hat sie mich verlassen, die Liebe zum Fußball. Vielleicht wird einem das im Pott in die Wiege gelegt. Bei mir war es jedenfalls so.
Grönemeyer singt: »Tief im Westen ist es viel besser, als man glaubt.« Jedenfalls viel besser, als viele glauben. Die, die den Pott nicht kennen. Ich habe das oft erlebt bei Bayern München, wenn ich mit Torwart Manuel Neuer und Torwarttrainer Toni Tapalovic, die beide aus Gelsenkirchen kommen, über den Pott sprach. Wenn andere aus dem Team uns hörten, grinsten sie und versuchten uns zu foppen: »Der Ruhrpott? Da will ich nicht tot überm Zaun hängen!« Sie verstehen nicht, dass wir von unserer Heimat schwärmen. Und denken, da ist immer noch alles voller Ruß.
Früher war das auch so. Die Luft in meiner frühen Kindheit war schmutzig und rußig. Die Mama konnte die weiße Wäsche nicht einfach nach draußen zum Trocknen auf die Leine hängen. Sonst sah die hinterher schlimmer aus als vor dem Waschen. Sie musste immer darauf achten, wie der Wind stand. Aber schon Anfang der Fünfzigerjahre ging das mit den Zechenschließungen im Ruhrgebiet los. Die Zeche Lieselotte in Bochum war die erste, die zugemacht wurde. Es folgten viele andere. Und die Luft wurde immer sauberer.
Wir wohnten im Parterre in einer Zechensiedlung. Damit wir dort einziehen konnten, hatte mein Vater extra den Job gewechselt. Bis ich vier Jahre alt war, wohnten wir noch in einer Bruchbude mit zwei Zimmern und Plumpsklo draußen. Da waren wir schon zu fünft. Als mein Vater hörte, dass Zechenhäuser gebaut wurden, bewarb er sich bei der Zeche Prinz Regent. Er wurde Hauer und fuhr in den Pütt. Fast tausend Meter unter der Erde machte er die Knochenarbeit unter Tage, damit er für seine Familie eine bessere Wohnung bekam.
Mein Vater war Jahrgang 1925. Eine Generation, der man ihre Jugend gestohlen hatte. Er war im Krieg, er war in Gefangenschaft. Wenn ich ihn bat, erzähl doch mal, wie es im Krieg war, sagte er nur: »Hermann, der Krieg ist so was Schlimmes, ich möchte mit dir nicht darüber sprechen.«
Als er meine Mutter heiratete, war das seine zweite Ehe. Aus der ersten hatte ich zwei Halbgeschwister. Mein Vater musste also für sechs Kinder Geld verdienen, deshalb hat er ständig Überstunden gemacht.
Als die Zeche Prinz Regent geschlossen wurde, auf der er unter Tage gewesen war, wechselte er als Maschinenschlosser zur TEAG Maschinenbau. Dorthin brachte ich ihm abends das Essen, wenn er wieder Überstunden machte. Am Wochenende verdiente er als Schlagzeuger in einer Tanzkapelle etwas dazu. Und im Weitmarer Holz, im Restaurant Borgböhmer, kellnerte er auch noch oft bis in die Nacht. Einmal ist da ein ganzer Tisch abgehauen. Die haben die Zeche geprellt, und er hatte umsonst gearbeitet, weil er den Schaden ersetzen musste.
Wir waren arm. Und als Papa starb, waren wir noch ärmer. Wenn der Eismann kam, liefen die anderen Kinder zu ihren Eltern und bekamen 20 Pfennig, um sich zwei Kugeln zu kaufen. Wenn ich zu meiner Mutter lief und fragte: »Mama, kann ich nicht auch einen Groschen kriegen?«, sagte sie: »Hermann, wenn ich dir jetzt einen Groschen fürs Eis gebe, hast du am 27. keine Wurst mehr auf dem Brot.«
Später, als ich selbst junger Familienvater war, sagte ich zu meiner Frau: »Gudrun, wenn unsere Kinder draußen mit anderen spielen und du ihnen ein Eis gibst oder eine Schokolade, dann gib den anderen Kindern auch etwas. Sonst kriegen unsere auch nichts.«
Sie erwiderte: »Das brauchst du mir nicht zu erzählen, das weiß ich von allein.«
Ich kann nicht sagen, ob man das nun Gerechtigkeitssinn nennen soll oder was auch immer. Ich kann nur sagen: Für mich ist das selbstverständlich, bis heute. Wenn ich mit meinen Enkeln draußen bin, wird alles mit den anderen Kindern geteilt. Ich möchte einfach nicht, dass irgendjemand ausgegrenzt wird.
Anders, als ich das in meiner Kindheit erlebt habe. Wenn die anderen ihr Eis gegessen haben, bin ich weggegangen. Wenn ich als Kind zum Einkaufen geschickt wurde, bekam ich immer nur passend abgezähltes Geld mit. Ich sagte zu meiner Mutter: »Mama, wenn ich einmal zu wenig Geld habe, gehe ich nie wieder einkaufen.« Mit dem abgezählten Geld ging ich zu Erdmann, dem Lebensmittelladen in unserer Straße. Ein kleines Geschäft mit Ladentheke, Supermärkte gab es damals ja noch nicht. In der Auslage schielte ich nach dem angestoßenen Obst, das schon kleine Flecken hatte. Bananen, die schon ein bisschen braun aussahen. Äpfel mit kleinen Druckstellen. Die waren billiger. Aber es war mir unangenehm, wenn die anderen Kunden sahen, wie ich nach den angestoßenen Früchten suchte.
Damals wusste ich das ja nicht: dass Armut nicht schändet. Als Kind weiß man das nicht. Ich habe es als sehr, sehr unangenehm empfunden, dass wir immer das Billigste kaufen mussten, dass meine Geschwister und ich viele Dinge, die andere hatten, nicht haben konnten. Und auch, dass manche Leute, statt zu sagen, die Frau hat ihren Mann verloren und ist allein mit vier Kindern, wir sollten ein bisschen Rücksicht auf sie nehmen – dass manche stattdessen das Gegenteil taten.
Nach Papas Tod hatte Mama das kleine Auto, das er von seinen Überstunden gekauft hatte, einen roten Borgward Arabella mit weißem Dach, behalten. Meine Frau hat mich später gefragt, warum meine Mutter denn ein Auto brauchte. Ganz einfach: Weil sie Geld verdienen musste. Sie ging putzen, und sie hatte Aufträge in anderen Ortsteilen von Bochum, wohin sie von Weitmar aus mit Bus und Bahn mit Umsteigen eine Stunde gebraucht hätte. Zurück dann noch mal. Mit dem Auto aber nur gut zehn Minuten pro Weg. So sparte sie Zeit, um ein oder zwei Stunden mehr arbeiten und Geld verdienen zu können.
Einmal konnte sie nicht zur Arbeit fahren, weil das Auto zugeparkt war. Jemand hatte seinen Wagen auf der Fahrerseite ganz dicht drangestellt, war dafür sogar extra ein Stück auf eine Grünfläche gefahren. Auch auf der anderen Seite stand ein Auto so nah, dass meine Mutter nicht einmal die Beifahrertür aufbekam. Die Polizei musste kommen und die Besitzer der beiden Autos ausfindig machen, die dann Mamas Auto wieder frei parkten. Da war ihr Putztermin natürlich schon lange vorbei. Und das fest eingeplante Geld weg.
Aber ich habe mir die gemerkt, die das gemacht haben. Ich war elf oder zwölf, und ich war gerissen. Erst habe ich denen an der Haustür die Klingeldrähte durchgeschnitten. Und dann guckte ich immer, ob bei ihnen die Fenster gekippt waren. Wenn sie gekippt waren, kam mein Einsatz. Dann holte ich ein paar rohe Eier und warf sie mit Wucht auf die Scheibe, paff! Und zwar so, dass das Eigelb schön klebrig in die Gardinen spritzte.
Dabei haben die noch Glück gehabt. Später, als ich größer war, hätte ich mir die...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2022 |
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Co-Autor | Christian Eichler |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1. FC Nürnberg • Amateurfußball • Arminia Bielefeld • Bankkaufmann • Bastian Schweinsteiger • Bayern Campus • Biografie Sportler • Carlo Ancelotti • Champions League • FC Bayern • FC Bayern München • Finale Dahoam • Fußball • fußball biografien • Fußball Buch • Fußball Bundesliga • Fußball Geschenke • Fußballgeschichten • Fußball Nachwuchsförderung • Fußballprofi • Fußballtrainer • Fußballtraining • Geschenk • Geschenk für Männer • Geschenk Fußballfans • Hansi Flick • hermann gerland • Jupp Heynckes • Karl-Heinz Rummenigge • Lebensgeschichte • Louis van Gaal • Mats Hummels • Nachwuchsleistungzentrum • Nachwuchstrainer • Pep Guardiola • Philipp Lahm • Säbener Straße • SSV Ulm 1946 • Tennis Borussia Berlin • Thomas Müller • Uli Hoeneß • VfL Bochum • Wahre GEschichte • Weihnachtsgeschenk • Weihnachtsgeschenk Fußballfans • Weihnachtsgeschenk Männer |
ISBN-10 | 3-426-46489-6 / 3426464896 |
ISBN-13 | 978-3-426-46489-2 / 9783426464892 |
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