Vatersein (eBook)

Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01418-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vatersein -  Tillmann Prüfer
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Wie wir uns als Väter neu finden können - und müssen. Heute wird sehr viel über die Väter diskutiert, und trotzdem gibt es ein seltsames Schweigen. Nämlich das der Väter. Besser ist: Wir nutzen die historische Möglichkeit, aus dem Muster der tradierten Männer-Rollen auszubrechen und uns klarzumachen: Was will ich als Vater? Was sollen meine Kinder davon haben? Wie werden wir alle glücklicher?  Der neue Feminismus ist eine große Chance - besonders für uns Männer. Wir rühmen uns doch gerne, dass wir das Auto, die Glühbirne und die Mondrakete erfunden haben. Da dürfte die Neuerfindung der männlichen Rolle in der Familie doch ein Klacks sein, oder? Also, auf ins Gefecht - besser: ins Geschlecht. «Nach der Lektüre dieses Buches möchte ich am liebsten als Vater noch mal von vorne anfangen.»  Jan Weiler

Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Stellvertretender Chefredakteur des ZEITmagazins, wo seit 2018 wöchentlich seine beliebte Kolumne «Prüfers Töchter» erscheint. Seine beiden Bücher «Kriegt das Papa, oder kann das weg?» und «Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!» wurden von Presse und Publikum gefeiert. Tillmann Prüfer lebt mit seiner Familie in Berlin. 

Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Stellvertretender Chefredakteur des ZEITmagazins, wo seit 2018 wöchentlich seine beliebte Kolumne «Prüfers Töchter» erscheint. Seine beiden Bücher «Kriegt das Papa, oder kann das weg?» und «Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!» wurden von Presse und Publikum gefeiert. Tillmann Prüfer lebt mit seiner Familie in Berlin. 

Teil I: Der Feminismus als Chance für Väter


Schluss mit der Väter-Verunsicherung


Es war ein Tag im Juni, als ich verstand, wozu ein Vater gut ist. Ich war sechs Jahre alt. Vor wenigen Tagen war mein Bruder geboren worden, ein Ereignis, von dem ich noch nicht genau sagen konnte, wie ich es einordnen sollte. Ich fand ihn okay, allerdings war er sehr klein, konnte nichts und schrie zu allen Gelegenheiten.

Meine Mutter war mit dem Kleinen noch im Krankenhaus, mein Vater mit meiner Schwester und mir zu einem Gewässer in der Umgebung gefahren, das Sauteich hieß. Ein dunkler Tümpel im Wald, in dem es Kaulquappen gab. Die Kaulquappen fingen wir und taten sie in ein Glas, um in einem kleinen Aquarium zu beobachten, wie daraus Frösche wurden. Sie bekamen erst kleine Beinchen und dann kleine Ärmchen, und dann sahen sie ein bisschen so aus wie mein kleiner Bruder: knubbelige Viecher von einem anderen Stern.

Mein Vater allerdings wollte an jenem Sommertag Stichlinge fangen. Das sind hübsche Fische, bei denen die Männchen einen roten Bauch haben. Die Stichlinge wollte er für unseren Gartenteich haben. Mein Vater hatte einen langen Kescher, auch wir Kinder hatten Kescher von ihm in die Hand gedrückt bekommen. Bewegungslos wie ein Reiher starrte mein Vater auf das Wasser und lauerte. Von Zeit zu Zeit schoss sein Kescher in den Teich, und mein Vater zog ihn dann wieder heraus und durchsuchte ihn, aber außer Blättern und Mulm fing er nichts. Dann verfiel er wieder in seine Reiherstarre. Meine Schwester schaute neben ihm aufs Wasser. Mich beachteten sie nicht.

In der Teichmitte gab es ein Entenhäuschen. Ich schlenderte am Ufer entlang und zog meinen Kescher durch das Wasser. Ich wollte es besser machen als die beiden. Denn wenn ich das ganze Wasser einmal durch den Kescher strömen ließe, dann müsste ja auch das Wasser dabei sein, in dem all die Fische sich aufhielten. Daran dachte ich, als mein Kescher am Grund an etwas hängen blieb, vielleicht an einem besonders großen Fisch. Im nächsten Moment war ich schon ins modrige Wasser geplatscht.

Meine erste Idee war: schwimmen. Gleich fiel mir ein, dass ich gar nicht schwimmen konnte. Mein zweiter Gedanke war, mich einfach auf den Grund des Teiches sinken zu lassen und dann zur Enteninsel zu spazieren. Zu einem dritten Einfall kam es nicht mehr, denn da war bereits mein Vater neben mir und zog mich heraus. Er fluchte, aber er war gar nicht sauer. An die Stichlinge dachte keiner von uns mehr. Er war auch nicht wütend, dass ich den Autositz unseres Renault R4 nass machte. Irgendwie war er sogar froh.

Das also ist ein Vater, ging mir in diesem Moment auf: Jemand, der herangesprintet kommt, wenn du in Schwierigkeiten gerätst, und dich aus dem Schlamassel zieht. Wenn du einen Vater hast, dann kann dir nichts passieren. Ein Vater macht dich unbesiegbar. Und das ist schon gut.

Für meinen Vater war dieser Moment, als er seinen Sohn aus dem Sauteich zog, später eine der Geschichten, die er gerne bei Tisch erzählte. Für mich würde er lebenswichtig bleiben. Denn damit hatte ich verstanden, wozu man einen Vater braucht. Meine Mutter war damals für mich die fürsorgende Person, die mich umarmte, mich verstand und mir einen warmen Kakao machte. Der Vater aber war der, der mir bei Schwierigkeiten zu Hilfe eilte. Ich lernte, dass man gar nicht genug Unfug anstellen konnte, als dass einen der Vater nicht überall herausboxen würde.

Du bekommst Ärger mit dem Pausenhofschläger? Keine Sorge, dein Vater beschwert sich beim Lehrer. Eine Wespe sticht dich? Sofort saugt dein Vater dir den Stich aus. Du verstauchst dir den Fuß? Tatütata, dein Vater fährt dich ins Krankenhaus und bleibt mit dir in der Notaufnahme, bis dein Knochen geröntgt ist. Eigentlich kann nichts so schlimm sein, dass es ein Vater nicht wiedergutmachen könnte. Das gibt Zutrauen in die Welt. Plötzlich ist man gegen alles Mögliche versichert.

Mein Vater war damals kein großer Mann, die anderen Väter waren meist größer als er. Aber dennoch war ich mir sicher, dass er ihnen in jeder Hinsicht überlegen war. Ich konnte gar nicht sagen, wie stark mein Vater war. Wie soll man das auch abschätzen können als kleiner Junge? Man sieht den eigenen Vater ja nicht etwa Bäume ausreißen oder so. Er musste auch keine Säcke mit Steinen schleppen. Er arbeitete damals als Zahnarzt. Ich war mir aber sicher, dass er sehr stark war, denn bevor mein Vater eine Zahnarztpraxis aufgemacht hatte, war er Pirat in der Karibik gewesen. Das hatte er mir selbst erzählt. Für mich bestand daran kein Zweifel, denn es gab ja Beweise. Im Keller lag eine Holzkiste mit eindeutigen Utensilien. Mein Vater zeigte sie mir manchmal unter dem Siegel der Verschwiegenheit. In der Kiste gab es ein Messer, das hatte mein Vater beim Entern immer zwischen den Zähnen gehabt, wenn er sich mit einem Seil auf das andere Schiff schwang. «Merk dir, mein Sohn, wenn du ein Schiff enterst, immer Schneide nach vorne!», sagte er, «sonst hast du ein ewiges Lächeln im Gesicht, wenn du mit dem Messer wo gegenstößt.» Ich verstand nichts, aber es leuchtete mir ein. Noch heute würde ich jedes Schiff mit Messerklinge voraus entern.

In der Kiste lag auch ein kleiner Totenkopf mit glitzernden Augen aus Strass. Jeder Pirat brauche einen Totenkopf, sagte mein Vater. Und dann gab es sogar eine kleine Kanone. So klein, dass höchstens Feuerwerkskörper in das Rohr passten. Aber mein Vater sagte, Piraten hätten immer kleine, wendige Schiffe gehabt, damit man die plumpen Handelsschiffe besser stellen könne. Kleine Schiffe – kleine Kanonen. Logisch. Es gab für mich also keinen Zweifel an der Darstellung meines Vaters.

Die Seeräuberei sei leider in den moderneren Zeiten nicht mehr so lukrativ gewesen, erzählte er. Und außerdem seien dann ja wir Kinder gekommen. Da habe er etwas Solides gesucht und deshalb auf Zahnarzt umgeschult. Auch das war für mich nachvollziehbar. Ich war mir aber sicher: Wenn es irgendwann mal richtig Ärger geben würde, könnte mein Vater mühelos an seine Piraten-Kenntnisse anknüpfen und wer immer in seinem Weg stünde, den würde er einfach zu Hackfleisch verarbeiten. Ein beruhigendes Gefühl.

Mein Vater hat die Seeräuber-Geschichte nie aufgelöst. Wenn ich ihn heute noch danach frage, behauptet er weiterhin, dass er einst die Südsee unsicher gemacht hat. Wahrscheinlich stimmt es.

 

Mittlerweile habe ich vier Töchter, sie sind neun, fünfzehn, sechzehn und zweiundzwanzig. Vatersein ist meine Hauptbeschäftigung. Wenn ich meinen fünfzigsten Geburtstag feiere, werde ich länger Vater sein als irgendetwas anderes im Leben.

Aber Vaterschaft scheint heute eine komplizierte Angelegenheit zu sein. Man möchte es richtig machen, aber man weiß nicht recht, woran man sich halten soll. Was eine gute Mutter ist, davon haben viele Menschen klare Vorstellungen: Die gute Mutter ist fürsorglich, empathisch und opferbereit. Aber der gute Vater? Der wird ständig neu ausgerufen, in Papa-Blogs, Papa-Podcasts und Papa-Magazinen. Mal ist er der perfekte Assistent der Mutter, mal das beschützende Vorbild, mal der beste Kamerad der Kinder – und dabei natürlich auch noch ein super Mann, der seiner Frau etwas zu bieten hat. Diese Superpapas geben Tipps wie: «So wirst du ein guter Vater!» («keine Raketenwissenschaft»). Manchmal erscheint es sogar, als sei Vatersein eine Funsportart: Väter mit Sechstagebart toben in Werbespots mit ihren Kids in der Natur, wie in Zeitlupe. Wenn ich so etwas sehe, frage ich mich, wann ich das letzte Mal mit meinen Kindern in einem solch entspannten Tempo über eine Wiese gerannt bin und dabei übers ganze Gesicht gelacht habe. Und dann versuche ich mich weiter durch das Vatersein zu manövrieren.

Immerhin kann ich sagen: Es gibt im Leben nichts, was mehr Spaß macht als das. Vatersein ist weder ein Job, noch ist es eine leidige Pflicht, der man nachkommen muss. Vatersein ist das größte Abenteuer, das ein Mann erleben kann. Nichts wird einen mehr herausfordern, nichts wird einen mehr befriedigen als die Fürsorge für ein Kind. Und dies ist vermutlich die beste Zeit in der Geschichte der Menschheit, um Vater zu werden. Denn zum ersten Mal ist es der Fall, dass man als Mann ein Kind großziehen kann, ohne dabei von der Umwelt gegängelt zu werden. Festgelegt zu werden von allerlei Menschen, die es angeblich besser wissen als man selbst. Die einem vorschreiben, was die «väterlichen Pflichten» sind, die wissen, was ein «echter Mann» tun muss. Es gibt keine höhere Autorität mehr, die wir für so unfehlbar halten, dass wir uns von ihr vorschreiben lassen wollen, wie wir mit unseren Kindern zu verfahren haben und wie wir uns dabei fühlen sollen. Nicht die Tradition, nicht die Kirche, nicht unser Arbeitgeber.

Unsere Großväter hatten diese Möglichkeit nicht, unsere Väter hatten sie oft nicht. Nicht einmal ich hatte sie, als ich vor etwas mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal Vater wurde. Endlich können wir im großen Drehbuch des Lebens die Rolle des Vaters selbst schreiben!

Es gibt keine strikten Erwartungen mehr, die uns auferlegt werden. Es gibt keine Checkliste, die wir abhaken, um zu wissen, dass wir als Vater «alles getan» haben. Es gibt nicht mehr die festgefügten Formate, in die wir uns irgendwie einpassen, um uns danach sagen zu können, wir hätten es richtig gemacht, obwohl es sich falsch anfühlt. Das macht uns unsicher, und es fühlt sich gefährlich an. Und immer, wenn wir glauben, jetzt haben wir es raus, dann stehen wir nach der nächsten Wegbiegung garantiert wieder...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte DIE ZEIT • Erziehung • Familienratgeber • Geschenk Baby Papa • geschenk papa geburt • geschenk werdender papa • guter Vater • Kolumne • Männerbild • moderne Familie • moderner Mann • Pädagogik • Rolle des Manns • Väterbild • vater kind beziehung • Vater Kind Bindung • Vaterschaft • Zeitmagazin
ISBN-10 3-644-01418-3 / 3644014183
ISBN-13 978-3-644-01418-3 / 9783644014183
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