Neuland (eBook)

Wie wir die Welt ernähren können, ohne den Planeten zu zerstören

(Autor)

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2022
480 Seiten
Karl Blessing Verlag
978-3-641-27006-3 (ISBN)

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Neuland - George Monbiot
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Die Landwirtschaft ist die weltweit größte Ursache für Umweltzerstörung - und die, über die wir am wenigsten sprechen. Wir haben große Teile des Planeten gepflügt, eingezäunt und beweidet, vergiftet, um uns zu ernähren. Unser Ernährungssystem gerät dadurch ins Wanken.

Aber George Monbiot entwirft die atemberaubende Vision einer neuen Landwirtschaft. Er trifft Obst- und Gemüsebauern, die unser Verständnis von Fruchtbarkeit revolutionieren, Züchter mehrjähriger Körner, die das Land von Pflügen und Giften befreien, Wissenschaftler, die neue Wege für den Protein- und Fettanbau beschreiten. Auf der Grundlage erstaunlicher Fortschritte in der Bodenökologie zeigt Monbiot, wie wir die Welt ernähren können, ohne den Planeten zu verschlingen.

GEORGE MONBIOT, Jahrgang 1963, studierte Zoologie in Oxford und ist einer der bekanntesten Journalisten und Autoren Großbritanniens. Seine wöchentlichen Kolumnen im britischen 'Guardian' werden überall auf der Welt nachgedruckt. Seine Bücher 'Captive State' und 'The Age of Consent' (dt. Ausgabe 'United People') waren Bestseller. 1995 verlieh ihm Nelson Mandela den Global 500 Award der Vereinten Nationen für außergewöhnlichen Leistungen im Umweltschutz. George Monbiot hat - im Rahmen von Gastprofessuren - u.a. an der University of Oxford (Umweltpolitik), an der University of Brixon (Philosophie) und der University of East London (Umweltwissenschaft) gelehrt. Er sitzt außerdem im beratenden Ausschuss des BBC Wildlife Magazine.

1  WAS UNTER UNS LIEGT

Ein wunderschöner Ort für einen Obstgarten, aber ein furchtbarer, um Obst anzubauen. Hier in Zentralengland, weit weg vom schützenden Puffer des Meeres, werden die Bäume vom späten Frost hart getroffen. Für gewöhnlich fließt kalte Luft wie Wasser ab, doch auf dieser flachen Parzelle, umgeben von einem Damm aus Häuserreihen, staut und sammelt sie sich und ertränkt den Obstgarten in einer Kältewelle.

Jedes Jahr, wenn die Bäume zu blühen anfangen, erwacht mit den aufbrechenden Knospen auch meine Hoffnung. Doch in zwei von drei Jahren verkümmern sie mitsamt den Blüten. Wie ein Giftgas kriecht der Frost in die Zweige, färbt die Staubgefäße schwarz und lässt sie welken.

Im Herbst ist der Obstgarten schließlich ein lebendes Abbild der Frühjahrstemperaturen. Die verschiedenen Apfelsorten erblühen zwar zu unterschiedlichen Zeitpunkten, doch jede hat Jahr für Jahr den gleichen Rhythmus. Der Frost vernichtet nur die bereits geöffneten Blüten, es sei denn, er ist ungewöhnlich hart. Anhand der Bäume mit und ohne Blüten kann man beinahe bis auf die Nacht genau bestimmen, wann der Frost zugeschlagen hat.

Jede Sorte gehört zur selben Art: Malus domestica, was wörtlich übersetzt das gezähmte Böse heißt. Die Ursachen für die jahrhundertealte begriffliche Herabsetzung dieses hübschen Baumes sind komplex. Am wahrscheinlichsten handelt es sich um eine etymologische Verwirrung: Anscheinend ist eine dialektale Bezeichnung für Frucht – μᾶλνο oder ›malon‹ – vom Griechischen ins Lateinische gerutscht, wo es sozusagen korrumpiert wurde: zu malum, das Böse.

Aus dieser einzelnen Art, zu gut, um wahr zu sein, wurden die unterschiedlichsten Sorten gezüchtet: Speiseäpfel, Backäpfel, Saftäpfel und Trockenäpfel in einer erstaunlichen Variation von Größen, Formen, Farben, Düften und Geschmacksrichtungen. Bei uns wächst Miller’s Seedling, der im August reif ist und direkt vom Baum verzehrt werden sollte, weil die kleinste Erschütterung Stellen in seiner durchscheinenden Schale hinterlässt. Er ist süß und mild und enthält mehr Saft als Fruchtfleisch. Dagegen ist der Wyken Pippin beim Pflücken hart wie Holz und bis in den Januar kaum essbar. Dann aber bleibt er knackig bis zum folgenden Mai. Wir ernten den St. Edmund’s Pippin, dessen Schale an Sandpapier erinnert, im September, wenn er für zwei Wochen trocken, nussig und aromatisch ist, und danach zerfällt. Außerdem den Golden Russet, dessen Geschmack und Textur beinahe identisch ist, sich bei ihm jedoch erst im Februar ausprägen. Mein Lieblingsapfel, der Ashmead’s Kernel, ist knackig mit einer Note Kümmel und schmeckt am besten mitten im Winter. Der Reverend W. Wilks bauscht beim Backen auf wie Wolle und schmeckt wie weicher Weißwein. Wenn man den Catshead an Weihnachten röstet, ist er kaum von Mangopüree zu unterscheiden. Ribston Pippin, Mannington’s Pearmain, Kingston Black, Cottenham Seedling, D’Arcy Spice, Belle de Boskoop und Ellis Bitter: All diese Äpfel sind Kapseln von Zeit und Ort, Kultur und Natur.

Da jeder Baum unterschiedliche Bedingungen braucht, um zu gedeihen, wachsen einige von ihnen hier besser als andere. Einige Sorten sind so stark an Boden und Klima ihres Ursprungsortes angepasst, dass sie sich bereits auf der anderen Seite desselben Hügels enttäuschend entwickeln. Indem wir Sorten angepflanzt haben, die zu unterschiedlichen Zeiten blühen, versuchen wir das Risiko einer Missernte zu minimieren. Dennoch verlieren wir in schlechten Jahren, wenn es wiederholt friert, fast die gesamte Ernte.

Aber ja, trotz all der geplatzten Träume ist es ein wundervoller Ort für einen Obstgarten. Als ich ihn heute Morgen betrat, verschlug seine Schönheit mir den Atem. Die ersten Apfelbäume haben zu blühen begonnen: Die rosa Knospen haben sich geöffnet und zeigen ihre blassen Herzen. Die Birnen- und Kirschbäume stehen in voller Blüte und tragen so viele weiße Blütenblätter, dass ihre Zweige sich mit jeder Brise heben.

Ich laufe die Baumreihen ab und sauge ihren Duft ein. Jede Sorte hat einen schwachen, ganz eigenen Duft: Einige Blüten duften wie Hyazinthen, andere nach Flieder, wiederum andere nach Seidelbast oder Schneeball. Ich bilde mir ein, eine bestäubte Blüte am Geruch zu erkennen: Kaum dass ihr Parfüm nicht mehr gebraucht wird, um Bienen und Schwebfliegen anzulocken, verliert es sich. Die schneeweiße Birnenblüte mit ihren zwanzig schwarzen Staubgefäßen, die wie kleine Pferdehufe aussehen, sondert einen widerlichen Gestank nach Sardellen ab. Die Blütenblätter der Kirschbäume fallen bereits herunter und schweben wie Federn im leichten Wind. Das frische Gras ist von Schatten durchzogen, und Ringeltauben gurren in den Pflaumenbäumen. All dies nur ein paar hundert Meter von unserem Haus entfernt zu haben, erscheint mir als ein großer Luxus. Ein Luxus, für den wir unter den fünf Familien, die daran beteiligt sind, nur 75 Pfund im Jahr zahlen, was etwa 88 Euro entspräche.

Der Obstgarten befindet sich auf drei aneinander grenzenden Parzellen einer gemeinschaftlichen Gartensiedlung. Seit 1878 haben die Lokalregierungen in England den Bürgern Land zugeteilt, auf dem sie Gemüse und Früchte anbauen können. Im Prinzip haben wir seit 1908 per Gesetz das Recht, anzubauen.

In der Praxis beträgt die Wartezeit in manchen Städten allerdings zwanzig Jahre oder sogar mehr. Ohne es zu wollen, verbreitete dieses Gesetz im wahrsten Sinne des Wortes Anarchie. Es schuf Tausende selbst organisierter, selbst regierter Gemeinschaften, commons genannt. Auch wenn das Land der jeweiligen Gemeinde gehört, wird es von den Menschen, die darauf arbeiten, verwaltet und gepflegt.

Unsere Siedlung in Oxford teilt sich in 220 Parzellen, die von Menschen bewirtschaftet werden, die aus aller Welt in die Stadt gekommen sind. Wir bestäuben unser Wissen gegenseitig mit fremden Körnchen aus den seltsamsten Erfahrungsschätzen.

Vor siebzehn Jahren schienen die Gemeinschaftsgärten auszusterben. Lediglich ein Zehntel der Parzellen war besetzt. Die verbleibende Gemeinschaft suchte verzweifelt nach Menschen, die eine Parzelle übernahmen: Ansonsten würde die Stadt das Grundstück zur Bebauung freigeben. Sie verpachteten mir zweieinhalb aneinandergrenzende Parzellen, von der eine von bis zu drei Meter hohen Brombeersträuchern überwuchert war. Ich verbrachte einen Monat damit, sie mit einem Buschmesser zurückzuschneiden und ihre Wurzeln mit einer Hacke auszugraben. Unter ihnen lag eine schlafende Schönheit. Wiesengräser, Schlüsselblumen, Margeriten, Wildes Vergissmeinnicht, Wicke, Flockenblume, Gemeines Benediktenkraut, Skabiosen, Schafgarbe, Spitzwegerich, Gewöhnliches Ferkelkraut und Löwenzahn sprossen aus der Erde. Ihre Samen mussten jahrzehntelang darin geschlummert haben. Ich überredete ein paar Freunde, sich mir anzuschließen, und wir pflanzten alte Kulturobstsorten: Vor allem Apfelbäume, ein paar Pflaumenbäume, Kirschen, Birnen, einen Mispel- und einen Quittenbaum.

Gerade als die Bäume anfingen, Früchte zu tragen, verließ ich Oxford und zog nach Wales. Den Obstgarten hinter mir zu lassen, war eines der wenigen Dinge, die mir den Abschied erschwerten. Meine Freunde gaben ihn an andere Leute weiter, die ihn wiederum an andere weitergaben. Ein paar Jahre später kehrte ich aus familiären Gründen unerwartet zurück. Kurz nachdem ich angekommen war, erzählte mir einer meiner besten Freunde aus der Stadt, dass ein paar Leute, die kürzlich weggezogen waren, ihm einen wunderschönen Obstgarten überlassen hatten, der ein paar Jahre zuvor in den Gemeinschaftsgärten gepflanzt worden war … Allein war er der Aufgabe nicht gewachsen, und da fiel mir ein, dass ich ein bisschen was von Obstbäumen verstand.

Ich hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Obwohl der Obstgarten weniger als ein Zehntel Hektar umfasst, kommt er mir inzwischen manchmal vor wie meine halbe Welt. Ein lebender Kalender, der mein Jahr strukturiert. Wir haben drei weitere Familien aufgenommen und eine kleine Gemeinschaft innerhalb der commons gegründet. Alle paar Monate organisieren wir einen Arbeitstag mit einer Mittagspause zwischen den Bäumen. Im späten Winter und im Frühling schneiden wir die Apfel- und Birnenbäume zurück. Im Mai und September mähen wir Gras. Im Juni dünnen wir die Früchte aus. Im Oktober ernten wir die Äpfel, lagern die unversehrten ein und verbringen, falls die Ernte es erlaubt, einen ganzen Tag damit, wie verrückt den Rest zu schneiden, zu zerdrücken, zu pressen, abzukochen und in Flaschen zu füllen. Einige werden zu Saft, andere zu Apfelcider. Echter Cider enthält keine Zusatzstoffe. Die Äpfel liefern den nötigen Zucker, den Geschmack und in ihrer Schale die Hefe. Bereits an Weihnachten ist der Cider genießbar, wenn auch noch süß und voller Kohlensäure. Binnen Februar hat er sich zu einem weichen, ausgewogenen Gebräu gesetzt, meiner leidenschaftslosen Meinung nach das beste alkoholische Getränk, das je Menschenleben ruiniert hat. Ende Mai ist der Cider bereits ein wenig zu trocken und im Juli macht er seinem lateinischen Namen für Äpfel alle Ehre: Er taugt, um Graffitis zu entfernen.

Mitten im Winter veranstalten wir ein »Wassail« im Obstgarten. »Wassailing« ist ein wissenschaftliches Prozedere, das sicherstellen soll, dass die Bäume im kommenden Jahr eine reiche Ernte tragen. Die Methodologie besteht darin, zu singen und Cider zu trinken. Einer sorgfältig geprüften Hypothese zufolge gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Reichtum der Ernte und dem Aufwand, den man betrieben hat: »For more or...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Übersetzer Rita Gravert
Sprache deutsch
Original-Titel Regenesis: Feeding the World Without Devouring the Planet
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Bodenerosion • Bodenökologie • Dünger • eBooks • Flussverschmutzung • Globale Standardernährung • Mikroben, Pflanzen, Tiere • Neuerscheinung • Ressourcenknappheit • Wildnis
ISBN-10 3-641-27006-5 / 3641270065
ISBN-13 978-3-641-27006-3 / 9783641270063
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