Das »Wir« der AfD (eBook)

Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
279 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45259-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das »Wir« der AfD -  Johannes Hillje
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Die »Alternative für Deutschland« (AfD) erreicht durch zahllose Beiträge auf Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram mehr Menschen als jede andere Partei in Deutschland. Als erste digitale Massenkommunikationspartei gelingt ihr - durch das Zusammenspiel von Provokation in journalistischen Massenmedien und Emotionalisierung in ihren eigenen digitalen Medien - die Maximierung öffentlicher Aufmerksamkeit. Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje zeigt mit dieser empirischen Analyse erstmals, wie die AfD ihre Kommunikation in Mobilisierung und Wahlerfolge verwandelt. Im Zentrum seines Buchs steht die Frage nach der kollektiven Identität, nach dem einenden Band zwischen Partei und Anhängerschaft, das die AfD mangels gesellschaftlicher Verankerung durch ihre Social-Media-Kanäle knüpfen muss. Das »Wir« der AfD besteht demnach primär aus soziokulturellen Merkmalen und birgt gesellschaftlichen Sprengstoff: Es wendet sich gegen Andere und ist emotional sowohl negativ (»Wir, die kulturell Bedrohten«) als auch positiv (»Wir, die Retter unserer Kultur«) aufgeladen.

Johannes Hillje hat an der London School of Economics einen Master in Politics and Communication erlangt und an der Universität Kassel promoviert; er arbeitet als selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater für Ministerien, Parteien, Abgeordnete, Unternehmen und Verbände in Berlin. Regelmäßig tritt er als Experte in den Medien auf (u.a. Tagesthemen, Deutschlandfunk). Hillje hat mehrere Bücher zu Populismus und politischer Kommunikation veröffentlicht.

Johannes Hillje hat an der London School of Economics einen Master in Politics and Communication erlangt und an der Universität Kassel promoviert; er arbeitet als selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater für Ministerien, Parteien, Abgeordnete, Unternehmen und Verbände in Berlin. Hillje hat mehrere Bücher zu Populismus und politischer Kommunikation veröffentlicht und tritt regelmäßig als Experte in den Medien auf (u.a. Tagesthemen, Deutschlandfunk).

2.Populismus und politische Kommunikation


Politische Akteure standen schon immer in einem wechselseitigen Verhältnis mit verschiedenen und historisch sich stark wandelnden Kommunikationsmedien. Ob Flugblätter, »Volksempfänger« oder Facebook – häufig stand die Erreichung politischer Ziele mit der effektiven Nutzung von zeitgemäßen kommunikativen Instrumenten in Verbindung. Auch wenn Medien schon seit Jahrhunderten eine Rolle für Gesellschaft und Politik spielen, hat ihre Bedeutung im 21. Jahrhundert noch einmal schlagartig zugenommen (Schade/Künzler 2010: 89 f). Die heutzutage zunehmende Durchdringung gesellschaftlicher Sphären durch unterschiedliche Formen von Medien und deren spezielle Logiken wird im Allgemeinen als Medialisierung bezeichnet (Birkner 2019; Blumer/Kavanagh 1999; Haßler 2017; Kepplinger 2008; Krotz 2009). Krotz (2009: 25) versteht unter Medialisierung einen Metaprozess, der gemeinsam mit der Ökonomisierung, Globalisierung und Individualisierung die heutigen westlichen Gesellschaften prägt. Die insbesondere in der Kommunikationswissenschaft intensiv betriebene Medialisierungsforschung untersucht »den Einfluss von Massenmedien auf gesellschaftliche Teilsysteme wie Politik, Sport und Wissenschaft« (Birkner 2019: 13) sowie »die Anpassungen im Handeln von Akteuren gegenüber den Massenmedien« (ebd. 16). Allgemein wird in der Medialisierungsforschung davon ausgegangen, dass die Medialisierung der Gesellschaft sowohl in quantitativer (Anzahl der gesellschaftlichen Bereiche) wie auch qualitativer (Intensität des Einflusses von Medien) Hinsicht voranschreitet. Das politische System und Parteien als zentrale Akteure dieses Systems bilden dabei keine Ausnahme. Jun (2015: 19) konstatiert zwischen Politik und Medien eine Machtverschiebung, deren Ursachen er auch in den anderen gesellschaftlichen Meta- und Wandlungsprozessen verortet:

»Die Macht der Medien in der wechselseitigen Beziehung von Politik und Medien im Prozess der politischen Kommunikation ist aufgrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen wie dem Zerfall der traditionellen sozial-moralischen Milieus, der Individualisierung oder der Pluralisierung von Lebensstilen und Wertegemeinschaften der Politik bedeutungsvoller geworden.«

Aufgrund der gestiegenen Bedeutung »alter« wie »neuer« Medien zur Erreichung von Bürgerinnen und Bürgern für Parteien (Chadwick 2017), ist die Medialisierungsliteratur ein geeigneter wie notwendiger theoretischer Ausgangspunkt einer Arbeit, die sich mit der politischen Kommunikation der AfD auseinandersetzt. In diesem Kapitel werden deshalb das Konzept der Medialisierung der Politik näher beleuchtet, die Digitalisierung zugleich als zusätzlicher und einschneidender Wandlungsprozess der politischen Kommunikation ergänzt (Vowe 2020) sowie die Reaktionsmuster von Parteien auf beide Prozesse (Medialisierung und Digitalisierung) erörtert. Dabei wird herausgearbeitet, dass zwischen den zentralen Mechanismen der Medialisierung (Massenmedienlogik) und Digitalisierung (Digitalmedienlogik) eine doppelte Kompatibilität mit den Merkmalen populistischer Kommunikation vorliegt, von der populistische Akteure im Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit profitieren.

2.1Medialisierung der Politik


Unter der »Medialisierung der Politik« wird seit knapp zwei Jahrzehnten in der Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Soziologie die zunehmende Bedeutung der Medien im Beziehungsdreieck von Politik, Medien und Öffentlichkeit untersucht und diskutiert (Birkner 2019; Donges 2020; Haßler 2017; Jun 2009, 2015; Kepplinger 2007; Marcinkowski/Steiner 2014; Schulz 2004). Allgemein wird dabei von einer wechselseitigen Beziehung zwischen Politik und Medien ausgegangen. Vereinfacht ausgedrückt, sind journalistische Medien für ihre politische Berichterstattung auf Informationen und Präsenz von politischen Akteuren angewiesen, während politische Akteure zur Erreichung ihrer Ziele die öffentliche Reichweite von Medien brauchen. Wenig umstritten ist, dass diese wechselseitige Beziehung zunehmend von einem Machtzuwachs der Medien geprägt ist. Über das Ausmaß des Bedeutungsgewinns der Medien und die Folgen für das Verhalten politischer Akteure herrscht jedoch keine Einigkeit. Das Spektrum der Einschätzungen erstreckt sich zwischen einem geringen Bedeutungszuwachs der Medien, etwa in Form eines zusätzlichen Aspekts der Orientierung für politische Akteure (Marcinkowski 2005: 349), bis hin zu einer herrschaftsartigen Machtfülle der Medien, die nicht selten mit starken Begriffen wie »Mediokratie« (Meyer 2002) oder »Kolonialisierung der Politik« (Street 2005) vorgetragen wird. Dementsprechend fallen auch die Diagnosen über die Anpassungsleistungen von PolitikerInnen und Parteien gegenüber den Erfordernissen medialer Erfolgsbedingungen unterschiedlich aus. Während Kepplinger (2005: 351) von einer »Unterwerfung der Politik unter die Erfolgsbedingungen des Fernsehens« spricht, identifiziert Haßler (2017: 259) eine eher instrumentell geartete »selektive Anpassung« und Sicherung der eigenen Autonomie auf Seiten der Politik. Aufgrund der Heterogenität der Akteure im politischen System wird diese Frage für Parteien (Donges 2008; Donges/Jarren 2014; Jun 2015; Pontzen 2006), Institutionen (Borucki 2014; Fawzi 2014; Kepplinger 1998), individuelle MandatsträgerInnen (Dohle u.a. 2013; Fawzi 2014; Haßler 2017; Kepplinger 2005) sowie Verbände und Nichtregierungsorganisationen (Hoffjann/Gusko 2014; Koch-Baumgarten 2010) differenziert und vergleichend betrachtet.

Die Tatsache, dass der Grad der Medialisierung der Politik unterschiedlich einschätzt wird, hängt auch damit zusammen, dass uneinheitliche und mitunter für die Operationalisierung uneindeutige Kriterien für deren Bemessung in der Medialisierungsforschung angewendet werden (Birkner 2019: 77). Mehrere Autoren haben Versuche vorgelegt, die auf eine Vereinheitlichung von Indikatoren zur Messung der Medialisierung abzielen (Esser/Strömbäck 2014; Jun 2015; Strömbäck/van Aelst 2013). Der Vorschlag von Jun (2015: 22), der den anderen Ansätzen stark ähnelt, enthält insgesamt fünf interdependente Dimensionen:

  1. das Ausmaß, in dem Massenmedien als zentraler Informationsvermittler von politischen Prozessen anerkannt sind,

  2. das Verhältnis zwischen medialer und politischer Logik in der Berichterstattung über Politik,

  3. das Ausmaß der Übernahme der Medienlogik durch politische Akteure,

  4. der Einfluss der Medien auf politische Entscheidungsprozesse,

  5. die Effekte von Medien auf Einstellungen und Verhalten in der Bevölkerung.

Wie die zweite und dritte Dimension anzeigen, ist die Medienlogik ein zentrales Kriterium für die Medialisierung der Politik. Birkner (2019: 26) konstatiert dazu: »Medienlogik ist der zentrale Begriff der Medialisierungsforschung.« Strömbäck und van Aelst (2013: 343) räumen dem Begriff ebenfalls einen konstitutiven Stellenwert für das übergeordnete Phänomen ein, da sie Medialisierung als einen »process of increasing influence of the media and their logic« definieren. Gemäß den Dimensionen von Jun ist von Interesse, inwiefern politische Akteure ihr Handeln an einer solchen Medienlogik ausrichten. Um das beurteilen zu können, muss zunächst geklärt werden, was unter Medienlogik konkret zu verstehen ist.

2.1.1Massenmedienlogik


Der Begriff der Medienlogik geht auf die beiden Soziologen David Altheide und Robert Snow (1979) zurück. In ihrem wegweisenden Buch mit dem eingängigen Titel »Media Logic« bieten sie folgende Definition an (ebd. 10):

»In general terms, media logic consists of a form of communication; the process through which media present and transmit information. Elements of this form include the various media and the formats used by the media. Formats...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Systeme
Schlagworte AfD • Alternative für Deutschland • Bundesrepublik • Bundestag • Community • Digitalisierung • Facebook • Framing • Identifikation • Ingroup • Instagram • Kampagne • Kommunikation • Massenmedien • Medialisierung • Modernisierung • Netzwerke • Neue Medien • Neue Rechte • Öffentlichkeit • Outgroup • paid media • Partei • Parteien • Politik • Politikwisschenschaft • Populismus • Querdenker • Rechte • Rechtsextremismus • Rechtspopulismus • Social Media • Soziale Identität • Telegram • Twitter • youtube
ISBN-10 3-593-45259-6 / 3593452596
ISBN-13 978-3-593-45259-3 / 9783593452593
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