Unsere Überlebensformel (eBook)
416 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60081-1 (ISBN)
Ulrich Eberl, Jahrgang 1962, ist einer der renommiertesten Wissenschafts- und Technikjournalisten deutscher Sprache. Er promovierte an der TU München in Biophysik, arbeitete bei Daimler und leitete 20 Jahre lang bei Siemens die Kommunikation über Forschung, Innovationen und Zukunftstrends. Heute ist er als selbstständiger Zukunftsforscher, internationaler Vortragsredner und Buchautor tätig.
Ulrich Eberl ist Wissenschafts- und Technikjournalist. Nach langjähriger Tätigkeit als Leiter der Innovationskommunikation bei Siemens ist der promovierte Biophysiker heute als selbstständiger Zukunftsforscher, internationaler Vortragsredner und Buchautor tätig.
Der Wind des Wandels
Neun Krisen unserer Zeit
Binnen Minuten ist der strahlend blaue Himmel verschwunden. Die Wipfel der Bäume schwingen mit dem plötzlich aufkommenden Wind; dunkle Wolkenberge türmen sich, wo gerade noch die Sonne brannte. Die Luft kühlt spürbar ab. Gewitter, Sturm und Hagel drohen. Der heiße Sommer am See endet mit einem Donnerschlag – und im Radio spielen sie »Wind of Change« von den Scorpions. Wie lange habe ich diese Rockballade nicht mehr gehört! Vor 30 Jahren war sie unsere Hymne der Wende gewesen – im Taumel der Freude, nachdem die Mauer gefallen war, als die beiden Deutschlands eins wurden und der Kalte Krieg für immer zu Ende schien.
Wind of Change. Das passt auch heute wieder. Die Luft knistert von den Unwettern, die uns bevorstehen. Der Ost-West-Konflikt ist wieder da, nur dass diesmal China im Fokus steht, das mit Wirtschaftskraft und Machtpolitik dem 21. Jahrhundert seinen Stempel aufdrücken will. Politische Brandherde überall, Nationalisten und Populisten kommen und gehen, Fakten werden verzerrt und ins Gegenteil verkehrt – doch noch heftigere Stürme ballen sich in der Natur zusammen. In Kalifornien, Südeuropa, Brasilien, Indonesien, Australien und sogar in Sibirien brennen die Wälder. Hitzewellen erreichen Temperaturen, wie sie noch nie gemessen wurden. Gletscher schmelzen in unfassbarem Tempo, Wirbelstürme und Überschwemmungen sind heftiger als je zuvor, ganze Orte versinken im Schlamm. Dürren vernichten Ernten, Korallenriffe sterben noch rascher als Regenwälder – und ein Virus verursacht eine Pandemie, die rund um den Globus nicht nur die Gesundheit von Millionen Menschen attackiert, sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft extremen Stresstests aussetzt.
Kein Wunder, dass viele raunen: Die Natur schlägt zurück. Sie hätte auch allen Grund dazu. An Warnungen hat es nicht gefehlt. Vor genau 50 Jahren, im März 1972, veröffentlichten Donella Meadows, Dennis Meadows und Jørgen Randers im Auftrag des Club of Rome – einer Vereinigung von Wirtschaftlern, Wissenschaftlern und Politikern – eine Studie mit dem Titel The Limits to Growth (Die Grenzen des Wachstums).[1] Bis heute ist dieses Werk mit Dutzenden von Millionen Exemplaren eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten – und eines der umstrittensten. Denn die Autoren prophezeien der Menschheit den Kollaps. Nach ihren Simulationen würden Weltbevölkerung und Industrieproduktion noch einige Zeit wachsen, aber dann käme ein abrupter Absturz: verursacht durch knapper werdende Rohstoffe und Nahrungsmittel sowie durch die Umweltverschmutzung. Dieser Zusammenbruch, so ihre Prognose, würde vermutlich zwischen 2030 und 2050 liegen, aber ziemlich sicher fände er vor dem Jahr 2100 statt.
Die Computerleistung, die den Autoren der Studie zur Verfügung stand, war zwar sehr begrenzt, aber auch Berechnungen, die die Forscher in den 1990er- und 2000er-Jahren durchführten, zeigten ähnliche Ergebnisse. Nur massive Maßnahmen zum Umweltschutz, zum Umbau der Wirtschaft sowie die Wiederverwendung von Rohstoffen, hohe landwirtschaftliche Erträge und niedrige Geburtenraten ergaben Szenarien, unter denen die Weltbevölkerung und der Wohlstand langfristig konstant bleiben können. In einem Interview, das wir für das von mir gegründete Zukunftsmagazin Pictures of the Future bereits vor zwölf Jahren mit Dennis Meadows führten,[2] zeigte er sich jedoch wenig zuversichtlich, dass die Menschheit den Wandel schafft: »Ich rechne mit schweren Verwerfungen«, prophezeite er. »Meine Modelle zeigen Spannungen wie in einer Erdbebenzone: Man weiß nicht genau, wann etwas passiert. Aber es ist klar, dass es ein Beben mit schlimmen Folgen geben wird.« Natürlich kann man über Details seiner Modelle streiten. Dennoch scheinen gerade jetzt seine Kassandrarufe aktueller denn je. Haben wir überhaupt eine Chance, dieses Erdbeben noch zu verhindern?
In meiner Jugend hätte ich die Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Als kleiner Bub saß ich gebannt vor dem Fernseher, während die Helden der Apollo-Missionen den Mond betraten. »Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit« – als Neil Armstrong in der Nacht zum 21. Juli 1969 etwas ungelenk aus der Mondlandefähre Eagle kletterte, schien alles möglich. Wenn Menschen zum Mond fliegen können, was sollte uns aufhalten? Diese Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik brachte mich später dazu, Physik zu studieren und selbst im Labor zu forschen. Doch schon 1969 hätte man auch alles ganz anders sehen können. Selbst Neil Armstrong sagte, als er gefragt wurde, ob er nicht ein Gefühl der Größe gespürt habe, als er auf dem Mond mit seinem Daumennagel die ferne Erde verdecken konnte: »Nein, im Gegenteil – ich fühlte mich in dem Moment verloren und klein.« Und der Astrophysiker Carl Sagan schrieb, als er das Foto unseres Planeten mit der dünnen Hülle der Atmosphäre sah, das die Apollo-Astronauten geschossen hatten: »Dieses Foto zeigt uns, dass von außen keine Hilfe kommen wird, um uns vor uns selbst zu retten.« Auf dieser kleinen, wunderbaren, blauen Murmel existiert alles Leben, das wir kennen – und die Menschheit ist gerade dabei, vieles davon radikal zu zerstören.
Das wichtigere Datum als die Mondlandung
Denn während wir die technischen Großleistungen bewunderten, übersahen wir ein aus heutiger Sicht wichtigeres Datum: Genau zur Zeit der Mondlandungen übertraf nach Berechnungen des Global Footprint Network der ökologische Fußabdruck des Menschen erstmals die Biokapazität der Erde.[3] Seitdem leben wir auf Pump. Heute nutzen wir die Ressourcen des Planeten 1,7-mal schneller, als sie sich regenerieren können. Wir bräuchten bereits 1,7 Erden – und wenn wir so weitermachen wie bisher, müssten wir 2050 drei Erden zur Verfügung haben. Die Gründe für den Raubbau sind offensichtlich: Seit 1970 hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. 2050 könnten sogar dreimal so viele Menschen auf der Erde leben wie 1962, zur Zeit meiner Geburt.
Noch schneller als die Weltbevölkerung sind die Wirtschaftsdaten gestiegen. Laut einem 2021 erschienenen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP)[4] hat sich die Weltwirtschaft von 1970 bis 2020 fast verfünffacht und der Welthandel verzehnfacht. Unser Rohstoffverbrauch hat sich in dieser Zeit – wie der Energieverbrauch – nahezu verdreifacht, die Herstellung von Kunststoffen sogar verzwanzigfacht. Heute stößt die Menschheit jedes Jahr doppelt so viele Treibhausgase in die Luft wie vor 50 Jahren. Übertroffen werden diese Hiobsbotschaften nur vom Artensterben: Seit 1970 sind laut dem World Wide Fund for Nature mehr als zwei Drittel aller Wirbeltiere – Säugetiere, Vögel, Fische, Reptilien und Amphibien – von der Erde verschwunden.
Viele Wissenschaftler nennen unsere Zeit das Anthropozän, weil der Mensch zur bestimmenden Kraft des Planeten geworden ist. Laut dem UNEP-Bericht verursachen wir massive Veränderungen bei zwei Dritteln der Ozeane und drei Vierteln des eisfreien Landes – bei den Meeren vor allem durch Überfischung und Vermüllung, beim Land, indem wir große Teile in Ackerland, Weideflächen, Nutzwälder, Siedlungen, Straßen und andere Infrastrukturen umwandeln. Doch schon in den 1980er-Jahren waren negative Seiten des technisch Machbaren deutlich sichtbar: 1984 kam es im Pestizidwerk im indischen Bhopal zum schwersten Chemieunfall der Geschichte mit Tausenden von Toten und Hunderttausenden Verletzten. In Deutschland diskutierten wir zur gleichen Zeit vor allem über Waldsterben und sauren Regen. 1985 wurde das Ozonloch über der Antarktis entdeckt, 1986 explodierte der Kernreaktor von Tschernobyl – und das sind nur ein paar drastische Beispiele.
Dennoch schien vieles noch beherrschbar: Grüne Parteien entstanden, Umweltministerien wurden gegründet. Kraftwerke mussten Anlagen zur Rauchgasentschwefelung installieren, für Autos wurden Abgasnormen verschärft und Katalysatoren vorgeschrieben. 1989 trat ein Übereinkommen in Kraft, das die Emission von ozonschädlichen Chemikalien verhinderte, darunter vor allem die als Kühlmittel verwendeten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) – es wurde von allen Staaten der Vereinten Nationen ratifiziert und gilt bis heute als einer der größten Erfolge des Umweltvölkerrechts. Und nach Tschernobyl und vor allem nach der...
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | amerikanische Politik • Artenvielfalt • bewusster Konsum • Cradle to Cradle • Energiewende • Forschung • Gas • Industrie • klimaneutral • Klimaneutralität • Klimawandel • Kohle • Mikroplastik • Mobilität • Nachhaltigkeit • Ökologie • ökologisch Bauen • Ökologischer Fußabdruck • Ökologische Wende • Plastikmüll • Recycling • Umweltschutz • Wasserstoff • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-492-60081-6 / 3492600816 |
ISBN-13 | 978-3-492-60081-1 / 9783492600811 |
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