Rechtspopulismus und Dschihad (eBook)

Berichte von einer unheimlichen Allianz
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2021 | 1. Auflage
184 Seiten
Edition Nautilus (Verlag)
978-3-96054-271-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rechtspopulismus und Dschihad -  Marc Thörner
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'Neokolonialisten!' - 'Islamische Terroristen!', so lauten die Vorwürfe, die westliche Rechte und Islamisten sich gegenseitig an den Kopf werfen. Rechtspopulisten und Dschihadisten, so scheint es, sind geschworene Feinde. Betrachtet man jedoch die Schriften und Autoren, auf die sich beide Bewegungen berufen, so stößt man auf dieselben Denker: Ernst Jünger, Martin Heidegger, Alexis Carrel. Alle drei sind Idole sowohl der Neuen Rechten als auch der Vordenker des radikalen Islam. Auf sie und ihre Adaptionen berufen sich heute islamische Fundamentalistinnen, Salafisten und Dschihadisten. Marc Thörner zeigt die gemeinsamen Ursprünge dieses Denkens und die unterschiedlichen, aber doch verwandten Manifestationen heute: Beide Bewegungen kritisieren Säkularismus, Liberalismus und Homosexualität, bekennen sich zu traditionellen Gesellschaftsstrukturen und Werten wie Religion, Befehl und Gehorsam, Selbstopfer und Martyrium, bekämpfen Individualismus und Rationalismus. In Syrien gehen Islamisch-Radikale und Rechte längst als Kampfgenossen vor. Werden sie in Europa weiterhin als Gegner auftreten - oder wird bald auch hier 'zusammenkommen, was zusammengehört'? Für seine Recherchen sprach Thörner mit Alexander Gauland und begab sich an die Front im syrischen Bürgerkrieg; er interviewte führende Repräsentanten des Assad-Regimes, sprach mit iranischen Literaten, traf libanesische Faschisten und Hisbollah-Anhänger sowie Historiker und Arabisten in Europa.

Marc Thörner, geboren 1964. Lebt in Hamburg und Marokko. Seit 1994 freier Journalist, überwiegend für ARD-Rundfunkanstalten. Berichtet aus dem Maghreb, den Golfstaaten, Irak, Pakistan und Afghanistan. Bei Edition Nautilus erschienen u.a. 'Ein sanfter Putsch' (2014) und 'Afghanistan-Code' (2010). 2009 erhielt Marc Thörner den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus.

Marc Thörner, geboren 1964. Lebt in Hamburg und Marokko. Seit 1994 freier Journalist, überwiegend für ARD-Rundfunkanstalten. Berichtet aus dem Maghreb, den Golfstaaten, Irak, Pakistan und Afghanistan. Bei Edition Nautilus erschienen u.a. "Ein sanfter Putsch" (2014) und "Afghanistan-Code" (2010). 2009 erhielt Marc Thörner den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus.

ERSTER TEIL:


WO IST DIE FRONT?


Orientalissimus


»Die Araber wollen keine Freiheit wie die Europäer und könnten auch nichts damit anfangen. Was sie brauchen und sich wünschen, das ist Stärke. Schon in der Frühzeit der islamischen Geschichte erwiesen sich diejenigen Gouverneure als die erfolgreichsten, die – wie etwa im Irak – Aufrührer und Gegner konsequent abgeschlachtet haben. So war der Irak ein ruhiges Land und so funktionierte es bis zu Saddam Hussein.«

Seit einer halben Stunde sitze ich am Bistrotisch in Marrakesch, umbrummt von Motorrädern, umknallt von den Peitschen der Taxi-Kutscher, umdröhnt von arabischer Popmusik und umsessen von französischen Mittsechzigern in Hawaii-Hemden, und lausche einer Wiedergabe dessen, was der palästinensisch-US-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said als »Orientalismus« charakterisierte: den Homo Arabicus, von westlichen Kolonialisten als Karikatur entworfen, als der ganz Andere: irrational, despotisch veranlagt, durch Gewalt allein zu bändigen.

Nur spricht hier eben nicht ein Kolonialist des 19. oder 20. Jahrhunderts, sondern M.M., jemand aus der Region.

Der Deutschsyrer ist bestens vernetzt, in seiner alten wie in seiner neuen Heimat. Wenn er in Damaskus ankommt, betont er, wird er dort wie ein VIP behandelt. Dort wie hier gehört er zum Establishment, lobt ebenso Deutschland für seinen Rechtsstaat als auch Assad als ein Bollwerk gegen den islamistischen Terror, und bietet sich gern als ein Mittelsmann an (daher hier das Pseudonym M.M.).

Während er seine Thesen entfaltet, ohne Lücken zu lassen, denke ich darüber nach, mit welchem Begriff man das zusammenfassen könnte, diesen Orientalismus spiegelverkehrt vom Orient in Richtung Westen reflektiert: Orientalissimus? Re-Orientalismus? Rorientalismus … Desorientalismus?

Dass wir uns im Frühjahr 2018 hier, im Café Elite befinden, am äußersten Rand der französisch geprägten Ville Nouvelle und am Beginn der langen Straße, die geradewegs zum Platz der Gaukler und Gehenkten, Dschamma el Fna, führt, hat einen Grund. Marrakesch ist M.M.s Lieblingsstadt. Gelegen in dem Reich, das von »dieser verfluchten Arabellion« verschont blieb, weil hier die starke Hand des Mächtigen, des Königs von Marokko, herrscht. Auch ich bin oft hier, und so hat M.M. kurzerhand ein Treffen vorgeschlagen. Es geht darum, ein Pressevisum für Syrien und meine Reise dorthin einzufädeln.

Nachdem er seinen »Freund den Kellner« mit Handschlag und Schulterklopfen begrüßt und einen Minztee geordert hat, erklärt er mir die Araber. An seinem Exkurs führt im Augenblick kein Weg vorbei.

Seit Deutschland zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs seine diplomatischen Beziehungen zum Assad-Staat auf Eis gelegt hat, fungiert M.M. als dessen inoffizieller Ansprechpartner und kann auch Journalisten Visa für Syrien beschaffen. Ein Anruf im Büro von Präsident Assad, sagt er, und der Weg ist für mich offen. Was umso interessanter wird, seit das Regime dank russischem und iranischem Eingreifen die Landesgrenzen wieder kontrolliert und Schleichwege so gut wie ausgeschlossen sind.

Und Syrien ist die Front, an die ich will, an der die große Auseinandersetzung stattfindet: Zwischen dem religiösen Fanatismus und der Vernunft. Der entfesselten radikalislamischen Gewalt und dem ordnenden Prinzip der Zivilisation. Hier versucht ein säkular orientierter Machthaber, sich dem bisher unaufhaltsam scheinenden Ansturm entgegenzustemmen. So jedenfalls stellen es er und seine Verbündeten dar.

Doch stehen sich hier wirklich zwei einander entgegengesetzte Prinzipien gegenüber?

Islam gegen Säkularismus, Diktatur gegen Religion? Wer kämpft hier wogegen und wer verbündet sich mit wem?

Um dem in Syrien nachzuspüren, brauche ich den Anschub von M.M., dem Mittelsmann, dem Wanderer zwischen den Ländern.

In seinem Abriss der arabischen Geschichte ist er jetzt bei der Herrschaft der Osmanen angekommen. Die hätten ihre arabischen Provinzen mithilfe einer besonderen Strategie erworben: Frauen. »Oft bildhübsche Tscherkessinnen, viele blond. Und die Araber, nicht wahr – sie lieben blonde Frauen! Und weil die Frauen bei uns zu Hause alles bestimmen, haben sie die Männer gezwungen, ihre Brüder und Cousins in hohe Ämter einzusetzen. So konnten die Türken die arabische Welt langsam durchdringen. Aber sie haben uns dann in einen vielhundertjährigen Schlaf versetzt.«

Endlich erreicht er die Gegenwart mit dem, den man verstehen müsse, statt ihn zu dämonisieren: Staatschef Baschar al Assad.

»Er hat ja blaue Augen und ich glaube, er ist selber ein Nachfahre der Kreuzritter. Aber der Westen wollte ihn nie. Weil er kritisch gegenüber Israel eingestellt ist. Deshalb blieb ihm am Ende keine andere Wahl, als die Verbindung mit Russland zu suchen.« Eigentlich sei Assad der geborene Verbündete, während die Favoriten der Bundesregierung, die syrischen Rebellen, Deutschland mit Flüchtlingsströmen vollpumpen und destabilisieren würden. Nur eine Kraft gebe es, die das in Deutschland offen ausspreche: die AfD. Aber … Er neigt sich zu mir über den Bistrotisch. »Aber gerade die wird derart zum Schreckgespenst gemacht, dass keiner sie zu wählen wagt. Dabei nimmt die Mehrheit in der CDU die gleichen Standpunkte wie die AfD ein! Ich weiß das. Ich lese ja viel, spreche viel mit Leuten, beschäftige mich viel mit den Dingen.«

Als wir 2018 zusammensitzen, gibt es in Damaskus nur eine einzige durch das Assad-Regime durchgängig akkreditierte deutsche Journalistin, Karin Leukefeld, die u. a. Russia Today Deutsch und die deutsche Tageszeitung junge welt bedient. M.M. lässt durchschimmern, dass sich dies vielleicht ändern, dass unser Treffen unter Umständen der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein könnte. Wenn ich nur anfinge, ebenfalls so »objektiv zu berichten«. Die »objektiven« Informationen von RT Deutsch und junge welt erreichen zu seinem Bedauern bisher die große Masse nicht, anders als die öffentlich-rechtlichen Sender. Nun konnte er neulich in der ARD einige meiner Saudi-Arabien-kritischen Berichte hören … kurz: M.M. scheint entschlossen, in Vorleistung zu gehen.

Andere von Deutschlands Öffentlich-rechtlichen hat er für kurze Zeit nach Syrien geschickt. Zurückgekommen sind sie mit sorgfältig gefilterten Marktszenen von der beginnenden Normalisierung Syriens unter Assad. Diesmal, verspricht er, wird er sich dafür starkmachen, dass sein Schützling hochrangige Interviewpartner aus der Assad-Regierung bekommt.

»Buchen Sie schon mal Ihr Ticket nach Beirut.« Die geschäftsführende Berliner Botschaft habe er auf meinen Besuch schon vorbereitet, dort werde man mir umgehend ein Pressevisum ausstellen. Von Beirut fahren Taxis für 100 Dollar direkt nach Damaskus. »Zahlen Sie nicht mehr als 100!« Alle angefragten Gesprächspartner ständen bereit.

Beirut, einige Zeit später. Ein schweigsamer Chauffeur fährt mich morgens um drei durchs Zentrum, vorbei am Mausoleum Rafik Hariris, durch schummrige Straßenschluchten, dem Stadtrand entgegen bis zu einem weiteren Taxistand. Die Fahrer dort verhandeln untereinander, offensichtlich über den Preis für den Mann, der mich über die Grenze bringen soll, und über die Provision für den, der diesen Fahrgast anbringt. Ein weiterer kommt, fordert per Kopfbewegung auf, in seinen klapprigen Mercedes einzusteigen. Was, wann, wie, welche Route, und wie lange? Fragen ist zwecklos, er gibt keine Antwort. Nicht 100, sondern 120 Dollar. Das Gepäck hat schon den Kofferraum gewechselt. Also los. Straßenlampen werfen trübes Gelb. Sonst bleibt alles schwarz. Das erste Sonnenlicht zeigt Feldsteine in hellem Grau. Grüne Täler. Berghäuser, die sich an Felsen klammern. Serpentinen, kleine Orte. Hier eine Kirche, dort eine Moschee. Manchmal Schilder: Damascus – Damas.

Während der Fahrt bleibt Zeit, das bisher gesammelte Material aufzurufen. Angefangen mit dem Alexander-Gauland-Interview, damals, am Wendepunkt des Syrienkriegs, als mit dem Eingreifen Russlands und des Irans die Konstellation entstand, die mich jetzt hierhergeführt hat.

»Der Islam ist mit unserem Wertesystem nicht vereinbar«


Potsdam, September 2016.

Ein Gespräch für eine WDR-Sendung. Alexander Gauland sitzt alleine an der Stirnseite eines langen Tisches. Den Kopf in die Hände gestützt, die Fäuste an den Schläfen, die Augen zusammengekniffen.

An seiner Stirn pellt sich die Haut, sein Gesicht trägt noch die Spuren eines Urlaubssonnenbrands.

Bei unserem Treffen hinter friderizianischer Fassade, im entkernten Potsdamer Stadtschloss, in dem der Landtag von Brandenburg untergebracht ist, fungiert Gauland zu der Zeit noch als Fraktionsvorsitzender der AfD. Weit über...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2021
Reihe/Serie Nautilus Flugschrift
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Afghanistan • Alexander Gauland • Alexis Carrel • Assad • Aufklärung • Baath-Partei • Baschar al-Assad • Der Westen • Deutschland • Ernst Jünger • Europa • Fanatismus • Fundamentalismus • Heiliger Krieg • Identitäre Bewegung • Ideologie • Intellektuelle • Iran • IS • Islamischer Staat • Islamismus • Islamisten • Konservative Revolution • Libanon • Liberalismus • Martin Heidegger • Märtyrer • Moderne • Neue Rechte • Reaktionär • rechte Vordenker • Rechtsextreme • Rechtsintellektuelle • Religion • Syrien • Tradition • USA • Westliche Werte
ISBN-10 3-96054-271-2 / 3960542712
ISBN-13 978-3-96054-271-1 / 9783960542711
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