Im Namen des Islam (eBook)
400 Seiten
Pantheon Verlag
978-3-641-28195-3 (ISBN)
Das Buch ist zuerst 2019 unter dem Titel »Politischer Islam: Stresstest für Deutschland« beim Gütersloher Verlagshaus erschienen.
Viele Deutsche glauben, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Sie verbinden die zweitgrößte Weltreligion vor allem mit dem Terror im Namen Gottes, der Unterdrückung von Frauen und Minderheiten sowie einer Ablehnung westlicher Werte. Die Gründe für diese Assoziationen resultieren aus dem Erstarken radikalislamischer Milieus, die sich zunehmend auch in Deutschland ausbreiten. Die Islamforscherin Susanne Schröter klärt über die Ursprünge, Erscheinungsformen und Akteure dieser Gruppierungen auf - einer radikalen Minderheit der Muslime in Deutschland, deren Ziel die Umgestaltung und Unterwerfung von Gesellschaft, Politik, Kultur und Recht unter islamistische Normen ist, und die so unsere pluralistische Demokratie bedrohen. Ein ebenso fundierter wie hochaktueller Überblick für alle, die sich über Islamismus in Deutschland informieren wollen.
Susanne Schröter, geboren 1957 in Nienburg/Weser, studierte Ethnologie, Soziologie, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie lehrte und forschte u.a. an der University of Chicago und der Yale University, wurde 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Südostasienkunde an der Universität Passau und 2008 auf die Professur für 'Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen' und an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort war sie 11 Jahre lang Principal Investigator im Exzellenzcluster 'Herausbildung normativer Ordnungen' und leitet seit 2014 das 'Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam'. Sie ist neben anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten Vorstandsmitglied des 'Deutschen Orient-Instituts', Senatsmitglied der 'Deutschen Nationalstiftung' und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der 'Bundeszentrale für politische Bildung'.
II DER GLOBALE SIEGESZUG
DES POLITISCHEN ISLAM
Muslimbrüder und andere Organisationen, die Pläne schmiedeten, um muslimisch geprägte Länder in islamische Staaten zu verwandeln, scheiterten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrheitlich. Wie in Ägypten standen ihnen nämlich auch andernorts säkulare Autokraten gegenüber, die die islamistische Opposition an einer Machtübernahme hinderten. Dies geschah oft um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, die nicht nur Islamisten, sondern auch Demokraten gegen die Regime aufbrachten. Die Unterdrückung führte außerdem dazu, dass die Unterdrückten moralisch aufgewertet wurden, selbst wenn sie Vertreter einer totalitären Ideologie waren. Wenn autoritäre Regime scheiterten, profitierten Islamisten daher vom Status der moralisch »sauberen« politischen Akteure und konnten ihr Ziel der umfassenden Islamisierung ganzer Gesellschaften ohne größeren Widerstand umsetzen. Wer jetzt allerdings glaubt, dass Demokratie vor Islamismus schützt, der irrt, denn der Siegeszug des politischen Islam findet auch in Ländern statt, die demokratisch regiert werden.
1. Die islamische Revolution im Iran
Der erste moderne Staat, der durch den Sturz eines autoritären Regimes in eine islamistische Diktatur verwandelt wurde, war der Iran. Im Jahr 1979 hatte eine breite Bewegung aus Sozialisten, Kommunisten, Demokraten und orthodoxen Geistlichen den in der Bevölkerung verhassten Schah Reza Pahlavi zum Rücktritt gezwungen, und die schiitische Elite unter Führung Ajatollah Khomeinis übernahm handstreichartig die Macht. Innerhalb weniger Monate verwandelten die Kleriker und ihre Handlanger das Land in eine islamische Republik, in einen politischen Albtraum, der eindrücklich illustrierte, was es bedeutet, wenn Islamisten ihre Visionen in die Tat umsetzen. Wenn wir uns fragen, wie es so weit kommen konnte, müssen wir zurück in die Geschichte gehen und bei der Wende zum 20. Jahrhundert beginnen. Der Iran war damals eine korrupte Monarchie, deren höfische Elite das Volk ausplünderte und ihren verschwenderischen Lebensstil durch den Ausverkauf nationaler Ressourcen an ausländische Regierungen finanzierte. Viele Menschen protestierten gegen die Gewährung ständig neuer Konzessionen an britische und russische Geschäftsleute, und es kam zu Aufständen. Eine Koalition aus Handwerkern und weitsichtigen Mitgliedern der Oberschicht forderte schließlich die Zulassung eines parlamentarischen Systems sowie eine moderne Rechtsordnung. Die Kämpfe um diese Reform sind als »konstitutionelle Revolution« (1905–1911) in die Geschichte eingegangen. Sie führte zur Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie und nach einigen politischen Wirren zur Übertragung der Regierungsgeschäfte an den ehemaligen Kosakenoffizier Reza Khan Pahlavi (1878–1944). Reza Khan war ein Mann aus dem Volk, der im Militär Karriere gemacht hatte und den Iran in eine Moderne führen wollte, die in vielerlei Hinsicht an europäische Modelle angelehnt sein sollte. Nach seiner Krönung zum Schah entmachtete er den Klerus, reformierte das Rechtssystem und beschränkte die Zuständigkeit der Scharia-Gerichte. Eine allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, neue Schulen eröffnet, die Universität von Teheran gegründet und ein Stipendienprogramm für Auslandsstudien aufgelegt. Der Schah modernisierte das Gesundheitswesen, sorgte für die Einrichtung landesweiter Gesundheitszentren und begann mit dem Bau eines überregionalen Eisenbahnnetzes. Das spektakulärste Projekt seines Modernisierungsprogramms war jedoch die Förderung der Emanzipation der Frauen. Während seiner Herrschaft entstanden Mädchenschulen, der Arbeitsmarkt und die Universitäten wurden für Frauen geöffnet, und sukzessive wurde das auf islamischem Recht basierende patriarchalische Familienrecht verändert. Eine besonders heftige Kontroverse entzündete sich an den Bekleidungsvorschriften für Frauen. Intellektuelle hatten die Verhüllung weiblicher Körper seit Jahren als stoffgewordene Symbole der Unterdrückung und der Rückständigkeit des Landes kritisiert. Die ersehnte Moderne sollte ihrer Ansicht nach eine unverschleierte sein. Um diese Ideen zu unterstreichen, zeigten sich Feministinnen bereits in den 1920er-Jahren ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit. Das war nicht ungefährlich, da es immer wieder vorkam, dass religiöse Hardliner die Frauen körperlich attackierten. Der Schah unterstützte die Rebellinnen und ließ sie von der Polizei schützen. Im Jahr 1936 entschloss sich Reza Schah zu einem radikalen Schritt und verbot das Tragen des Schleiers (hidschab) in der Öffentlichkeit. Hochrangige Beamte, deren Frauen den hidschab weiterhin trugen, wurden entlassen, und verschleierten Frauen wurde der Zutritt zu Kinos und öffentlichen Bädern verwehrt.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Iran von britischen und sowjetischen Truppen besetzt und Reza Schah Pahlavi zur Abdankung zugunsten seines Sohnes Mohammad Reza Pahlavi (1919–1980) gezwungen. Dieser versuchte, den Zwist mit den Geistlichen zu beheben, weil er Verbündete gegen eine erstarkende kommunistische Opposition im Lande benötigte, die von der Sowjetunion unterstützt wurde. Als Zeichen seines guten Willens lud er im Jahr 1942 den damaligen im irakischen Nadschaf lebenden Großajatollah Kasem Schariatmadari nach Teheran ein. Hunderttausend seiner Anhänger bereiteten dem Ajatollah einen triumphalen Empfang und signalisierten, dass der Einfluss des Klerus trotz aller Repression ungebrochen war. Weitere Konflikte waren daher vorprogrammiert. Einige davon entzündeten sich am wirtschaftlichen Reformprogramm des Herrschers, das die Privatisierung der Industrie, eine Gewinnbeteiligung von Arbeitern und Angestellten und die Abschaffung feudaler Eigentumsverhältnisse auf dem Land beinhalten sollte, von denen vor allem der Klerus profitiert hatte. Die geistlichen Großgrundbesitzer machten gegen ihre Enteignung mobil. Eine Volksbefragung, mit der der Schah die Zustimmung der Bauern demonstrieren wollte, wurde von Ajatollah Ruhollah Khomeini, der damals in Ghom lehrte, als unislamisch gebrandmarkt. Auch der unveränderte Reformkurs des zweiten Schahs in Bezug auf Frauenrechte stand einer Konfliktbeilegung im Wege. Frauen erhielten unter Mohammad Reza Pahlavi das aktive und passive Wahlrecht, das Familienrecht wurde modernisiert und das Heiratsalter auf 18 Jahre angehoben. Frauen der gebildeten Schichten honorierten diese Entwicklung und nutzten die gewährten Freiheiten, um neue Lebensentwürfe in die Tat umzusetzen. Angehörige der unteren Mittelschichten, der städtischen Armen und der landlosen Bauern, die in Scharen in die urbanen Zentren drängten, ließen sich jedoch von der Argumentation der Geistlichen überzeugen, dass die Politik des Schahs gegen die Religion gerichtet sei. Sie warfen ihm vor, die islamisch-iranische Kultur vernichten zu wollen. Khomeini rief offen zum Widerstand auf und musste deshalb 1964 ins Exil gehen. Erbitterte Ablehnung erwuchs Reza Pahlavi aber auch aus den Reihen der vielen kommunistischen Gruppen sowie all derjenigen, die von der ökonomischen Modernisierung nicht profitierten. Je stärker die Opposition wurde, desto repressiver reagierte der Schah. Willkürliche Festnahmen, Folterungen und der Terror des Geheimdienstes »Savak« diskreditierten das Regime im In- und Ausland und führten Ende 1978 zu seinem Sturz.
Khomeini, der am 1. Februar 1979 aus seinem Exil in Paris nach Teheran zurückeilte, gelang es, die Revolution zu »übernehmen«, wobei ihm die gute Organisation schiitischer Verbände, aber auch sein Geschick zugute kam, ein reaktionäres religiöses Programm mit Versatzstücken linker Ideologien zu kombinieren.45 Am 1. April 1979 verkündete der Ajatollah die Gründung der »Islamischen Republik Iran« und ließ diese Entscheidung durch ein Referendum legitimieren. Was das bedeutete, wurde schnell klar. Frauen wurden aus Richterämtern und aus dem Militär vertrieben und angehalten, in der Öffentlichkeit »islamische Kleidung« zu tragen. Körper und Haar mussten mit dicken dunklen Stoffen bedeckt sein, von denen der tschador, ein zeltartiges schwarzes Gewand, die oberste Schicht bildete. Bewaffnete schiitische Milizen patrouillierten durch Straßen und öffentliche Gebäude, um Frauen zu ermahnen, die »schlecht« verschleiert waren. Diejenigen, die sich nicht verhüllten, wurden körperlich attackiert, einige sogar niedergestochen. Geschäfte waren angehalten, ihnen nichts mehr zu verkaufen, Unternehmen entließen sie. Im Mai 1979 wurde die Koedukation in der Schule abgeschafft und ab Juni durften verheiratete Frauen nicht mehr die Oberschule besuchen. Der Zugang von Frauen zu den meisten naturwissenschaftlichen und technischen Universitäten wurde untersagt, und Khomeini kritisierte sogar die Kindertagesstätten als Höhlen der Korruption.46 Innerhalb von fünf Monaten nach seiner Rückkehr in den Iran schlossen alle staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, und Massenentlassungen von Frauen folgten. Es wurde Frauen nicht offiziell verboten, außerhalb des Hauses zu arbeiten, doch man schuf ein Klima, das es ihnen kaum mehr möglich machte. Im Juli wurde die sexuelle Segregation in Strandbädern eingeführt und die Prügelstrafe für unmoralische Kleidung verhängt. Mehrere Frauen wurden öffentlich ausgepeitscht, weil sie zusammen mit Männern im Kaspischen Meer gebadet hatten. Im September wurden religiöse Autoritäten über staatliche gestellt und im Oktober ein neues Familienrecht verabschiedet, das Frauen im Erbrecht, Scheidungsrecht und Sorgerecht massiv benachteiligte. Vor Gericht galt fortan die Aussage eines Mannes so viel wie die von zwei Frauen. Das Heiratsalter für Mädchen wurde zunächst...
Erscheint lt. Verlag | 17.5.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Dschihad • eBooks • Extremismus • Islam • Islamismus • Muslimbrüder • Muslime • Radikalisierung • Ruud Koopmans • Salafismus |
ISBN-10 | 3-641-28195-4 / 3641281954 |
ISBN-13 | 978-3-641-28195-3 / 9783641281953 |
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Größe: 1,3 MB
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