Die Zeit gehört uns

Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung
Buch | Softcover
240 Seiten
2022
Westend (Verlag)
978-3-86489-904-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Zeit gehört uns - Friedhelm Hengsbach
12,00 inkl. MwSt
"Die Schnellsten werden siegen, nicht die Besten." Friedhelm Hengsbach zeigt, wie eine rasante Beschleunigung alle Lebensbereiche erobert hat. "Zu wenig Zeit für Kinder, zum Entspannen und Feiern", darüber klagen nicht nur Hausfrauen und Manager, sondern auch SchülerInnen und Studierende. Wie kommt es, dass ein zusätzlicher Temposchub die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts aufgemischt hat? Wo sind die Ursachen dafür zu suchen? Und – ganz besonders wichtig – auf wen werden die Folgen abgeladen?
Quartalsberichte der Großbanken, verkürzte Lieferfristen, steigende Arbeitsintensität und ein atemloser Termindruck, der bereits Kinder und Jugendliche belastet, beschleunigen allgemein das Lebenstempo, lähmen jedoch auch schöpferische Initiativen. Der Autor spürt den Ursachen des imperialen Temporegimes nach. Er erkennt eine Ursachenkette, die von den entfesselten Finanzmärkten ausgeht, betriebliche Umbauten auslöst und in die alltägliche Lebenswelt eindringt. Doch wie lassen sich die Risiken einer rasenden Beschleunigung eingrenzen? Wie können die gesellschaftlichen Teilsysteme Politik, Bildung, Familie die Übergriffe des Finanz- und Wirtschaftssystems abwehren? Friedhelm Hengsbach plädiert für ein humanes und gesellschaftliches Zeitmaß, das als Wohlstandsindikator das wirtschaftliche Wachstum ablösen sollte.

Friedhelm Hengsbach SJ ist Mitglied des Jesuitenordens. Er studierte Philosophie, Theologie sowie Wirtschaftswissenschaften und promovierte 1976. Hengsbach war bis 2006 Professor für Christliche Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main und Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Er lebt und arbeitet in der Katholischen Akademie Rhein-Neckar in Ludwigshafen (Rhein). Bei Westend erschien von ihm zuletzt „Die Zeit gehört uns“ und „Teilen, nicht Töten“.

Vorwort 7
1 Atemlos beschleunigt 12
Beschleunigungsgesellschaft 12
Leidensgeschichten 14
Entwarnung 16
Resümee 30

2 Deutungen und Gründe 32
Informationsgestützte Dynamik der Finanzmärkte 32
Unternehmenskontrolle 53
Finanzdemokratie 62
Entregelte Arbeit 76
Getriebene Haushalte 97
Resümee 105

3 »Rätsel« der Zeit 111
Sprachfalle 112
Spurensuche 113
Spurensicherung 119
Gesellschaftliche Abstimmung 121
Resümee 150

4 Gleiche Gerechtigkeit und Solidarität 153
Rückkehr der Gerechtigkeitsfrage 154
Erweiterte Solidarität 169
Resümee 187

5 Eigene Zeiten 190
Politisch in der ersten Person 191
Globale Finanzarchitektur 201
Mitbestimmung im Unternehmen 214
Soziale Demokratie 229
Tarifautonomie 243
Zivile Rebellion 252
Nachwort 272
Literatur 275

"Wenn die Finazmärkte die Ursache für den Druck (...) bis ins Private hinein sind, müssen die politisch verantwortlichen handeln. Zeit muss zum Indikator für gesellschaftlichen Wohlstand werden, nicht die Menge produzierter Güter."
Süddeutsche Zeitung

"Wie können gesellschaftliche Teilsysteme Politik, Bildung, Familie, Arbeitswelt und Kultur die Übergriffe des Finanz- und Wirtschaftssystem abwehren? Hengsbach plädiert für ein humanes gesellschaftliches Zeitmaß, das als Wohlstandsindikator die alleinige Fixierung auf wirtchaftliches Wachstum ablösen sollte.
Aachener Zeitung

"Friedhelm Hengsbach, Professor für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik, bedeutender Repräsentant der christlichen Soziallehre, beschreibt und kritisiert in seiner aktuellen Veröffentlichung, wie eine rasante Beschleunigung alle Lebensbereiche, von den Arbeitsverhältnissen bis ins Familienleben, erobert hat."
Frankfurter Neue Presse
"Die Beschleunigung durchdringt alle Lebensbereiche. Was sind die Ursachen? Wie können wir das Tempo verlangsamen oder es bewältigen? Wie hängen Wirtschaftswachstum undder Lebensrhytmus einer GEsellschaft zusammen? Wem gehört die Zeit?"
NDR Info

Vorwort Wer ist so frech, die Zeiger der Uhr zu verkleben und die Zeit anzuhalten? Sich der linearen Taktfolge zu entziehen, aus dem Kreislauf des Ewiggleichen herauszutreten? Innehalten und durchatmen, bevor es »zwölf geschlagen hat«? Mutige Leute, die sich nicht treiben lassen – souveräne Herren und Frauen ihrer Zeit! Die Zeit gehört uns – gehört sie uns? Wir leben und bewegen uns in ihr wie in einem Raum, wie in einer vertrauen Wohnung. Aber wir sind nicht ihr Eigentümer, sie bleibt uns fremd. Was ist die Zeit? Sie rennt uns davon, wir verlieren sie, wir jagen ihr nach. Wir sagen: »Ich habe Zeit«, aber wir sagen nicht: »Ich habe Lauf« oder: »Ich habe Gesang«, sondern: »Ich laufe« oder: »Ich singe«. Warum sagen wir nicht: »Ich zeite«? Liegt es daran, dass wir zwar über Sinnesorgane für das Hören, Sehen und Fühlen verfügen, aber über kein Organ für die Zeit? Oder ist es die Sprache, die uns das Nachdenken über die Zeit verhext? Die Physiker haben nicht die Absicht, das Wesen der Zeit zu erforschen, sondern sie begnügen sich damit, exakt zu messen, seit wann und wie lange sich etwas bewegt. Seit unvorstellbaren Zeiten haben Menschen die zyklischen Bewegungen der Himmelskörper beobachtet, um zu lernen, ab wann sie mit der Aussaat beginnen oder bis wann sie mit dem Ernten fertig sein sollten. Das subjektive Empfi nden von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft mag schon sehr früh den Anlass dazu geliefert haben, Sonnen-, Wasser- und Sanduhren zu konstruieren. Und aus dem Interesse der Mächtigen, das Leben der Untertanen zu beherrschen, entstanden vermutlich die Kalender, welche die lineare Abfolge von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren verbindlich für alle anordneten. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein empfi ehlt, nicht ergründen zu wollen, was die Zeit sei. Zeitliche Ausdrücke hätten ihren Sinn nur in einem typischen Handlungskontext und zusammen mit anderen sprachlichen Ausdrücken. Wir könnten sogar Sprachspiele entwerfen, in denen zeitliche Ausdrücke gar nicht vorkommen. Beispielsweise formen wir Bilder des alltäglichen Lebens und setzen sie in Beziehung zu Bildern eines bestimmten Sonnenstandes oder zu Bildern einer bestimmten Zeigerstellung auf der Uhr, ohne uns über das Wesen der Zeit tiefe Gedanken zu machen. Diese Empfehlung hat mich sehr beeindruckt. Sie entspricht dem Anliegen, das mich veranlasst hat, dieses Buch zu schreiben. Es wird in den überklebten Uhrzeigern auf dem Umschlag anschaulich dargestellt: Ich kann mich wehren gegen das Lebenstempo der modernen Gesellschaft und insbesondere gegen das Regime der Beschleunigung, das mich in der Arbeitswelt, beim Einkaufen und in meinem Privatleben verfolgt! Nicht alle fi nden die Geschwindigkeit, mit der sie am frühen Morgen zur U-Bahn-Haltestelle rennen, lästig. Aber sehr viele Zeitgenossen leiden darunter, dass sie täglich im Betrieb, auf dem Weg nach Hause, in der eigenen Familie oder beim Treffen mit Angehörigen oder Freundinnen getrieben werden, bis sie spätabends erschöpft ins Bett fallen. Von wem werde ich getrieben, warum lasse ich mich treiben? Die gewagt klingende Hypothese dieses Buches formuliere ich so: Die informationsgestützten Finanzmärkte haben etwa mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts einen Megaschub an gesellschaftlicher Beschleunigung angestoßen, den sie über die börsennotierten Unternehmen in die Realwirtschaft weiterleiten. Von den Konzernmanagern wird er auf die Belegschaften überwälzt. Die staatlichen Organe lassen sich von dieser Welle der Beschleunigung mitreißen, indem sie auf die Stimme der Finanzmärkte horchen und deren Interessen bedienen. Die politischen Entscheidungen werden immer kurzatmiger und hektischer. Unter dem dreifachen Druck sind die Arbeitsverhältnisse der abhängig Beschäftigten entsichert, entregelt und verdichtet worden. Die Kaskade der Beschleunigung trifft am Ende die privaten Haushalte und insbesondere die Frauen, nachdem die Grenze zwischen Arbeitswelt und Familienleben durchlöchert worden ist. Das erste Kapitel beginnt mit einer kurzen Schilderung, wie verschiedene Menschen unter einer atemlosen Beschleunigung leiden. Zugleich werden einige Belege der Entwarnung angeführt – aus der Geschichte, aus einer Landkarte des Lebenstempos, das nach Ländern variiert, und aus den abweichenden Lebensrhythmen der Individuen. Im zweiten Kapitel versuche ich, die oben skizzierte Hypothese argumentativ zu erläutern und zu begründen. Die einzelnen Abschnitte schildern den Aufstieg der Finanzmärkte zum hegemonialen Sektor einer globalen Wirtschaft, der in vier Stufen erfolgt. Die Fondsmanager der Finanzkonzerne kontrollieren die Industrieunternehmen durch Finanzkennziffern. Die Bankenrettung der Staaten und das Krisenmanagement der EU-Staaten decken auf, wie sehr die Regierungen von den Banken dominiert werden. Sie werfen auch ein neues Licht auf die Erosion der Normalarbeitsverhältnisse, die Deformation der solidarischen Sicherungs systeme und die Appelle an die private kapitalgedeckte Vorsorge, die zu einem Megageschäft der Finanzinstitute wurde. Je mehr die Erwerbsarbeit der Männer intensiviert und verlängert worden ist, umso mehr Zeitaufwand wird den Frauen für die Kinderbetreuung zugemutet. Das dritte Kapitel erklärt die Zeit als gesellschaftliches Konstrukt: Defi nierte Handlungssequenzen werden auf andere Handlungs- und Ereignissequenzen abgestimmt, die als Bezugsgrößen der Orientierung gelten. Als prominente Bezugsgrößen einer solchen gesellschaftlichen Abstimmung stellen sich im geschichtlichen Verlauf die natürliche Umwelt (Himmelskörper und Jahreszeiten), das individuelle Subjekt (seine inneren Rhythmen) sowie Vorentscheidungen der Gesellschaft selbst heraus. Ich bin davon überzeugt, dass sich soziale und kulturelle Spannungen vermeiden lassen, wenn die gesellschaftlichen Abstimmungs verhältnisse sich sowohl an den organischen Regelkreisen der natürlichen Umwelt orientieren als auch die inneren Rhythmen der individuellen Subjekte respektieren. Die normativen Grundsätze der gleichen Gerechtigkeit und einer erweiterten Solidarität erläutere ich im vierten Kapitel als Antwort auf die vertikale Ungleichheit in den europäischen Gesellschaften. In der verhältnismäßigen Gleichheit und der moralischen Gleichheit sowie im Recht der Rechtfertigung gesellschaftlicher Verhältnisse, das die am wenigsten Begünstigten beanspruchen dürfen, sehe ich die Grundlage anerkannter Menschenrechte, unter denen das Recht auf Beteiligung den ersten Rang einnimmt. Solidarität betrachte ich nicht in erster Linie als Tugend, sondern als Steuerungsform, die sich von der Marktsteuerung durch die asymmetrische Gegenseitigkeit unterscheidet: Die Beitragsverpfl ichtung hängt von der Leistungsfähigkeit ab, der Anspruch auf Hilfe jedoch von der Notlage. Im fünften Kapitel beurteile ich gesellschaftliche Abstimmungsregeln und praktische Konsequenzen. Politische Anregungen in der ersten Person gelten dem Zeitmanagement, der Entschleunigung, der Muße und der Weigerung, jederzeit erreichbar zu sein. Entsprechend den im zweiten Kapitel genannten »Brandherden« werden jene Handlungsfelder und kollektiven Akteure genannt, die den Übergriffen der Finanzmärkte widerstehen können. Ein großes Gewicht kommt dem demokratisch legitimierten Staat zu, die Abstimmungsmacht gegenüber den privaten Kapitaleignern zurückzugewinnen. Eine faire Verteilung der Einkommen und Vermögen setzt voraus, dass die kapitalistische Verteilungsregel in den Unternehmen durch eine paritätische Beteiligung der abhängig Beschäftigten und eine gefestigte Tarifautonomie umgestimmt wird. Die real existierende Demokratie stimmt dann mit dem Profi l eines Sozialstaats überein, sobald ein sozialpolitischer Wiederaufbau mit Mindestsicherung, komfortablen Gesundheitsleistungen, einer solidarischen umlagefi nanzierten Alterssicherung sowie attraktiven personennahen Diensten für alle vereinbart wird. Wie schätze ich die Erfolgsaussichten des Widerstands gegen das Regime der Beschleunigung ein? Zwar dauert es oft unendlich lange, bis sich in einer demokratischen Gesellschaft irgendetwas bewegt. Aber ich beobachte, wie selbst in fl ügellahmen Gewerkschaften und Parteien, die aus sozialen Bewegungen erwachsen sind, in bürgerlichen Initiativen und rebellischen Protesten überraschend andere Abstimmungsverhältnisse erkämpft werden. Sie belegen die Kernaussage dieses Buches: Was uns fehlt, ist eigene Zeit, nicht beschleunigtes Wachstum. Während der Arbeit an diesem Buch, die in den vergangenen Monaten meine Widerstandskraft gegen das Regime der Beschleunigung fast zermürbt hat, bin ich wohlwollend und geduldig vom Westend Verlag und insbesondere von Beate Koglin begleitet worden. Dafür bedanke ich mich. Ein besonderer Dank gilt dem Physiker und Philosophen Dr. Wolfang Schupp, der mir bei der Korrektur des dritten Kapitels wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben hat.

Erscheinungsdatum
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 120 x 187 mm
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Abschied vom Turbokapitalimus Buch • Entschleunigung im Alltag der Gesellschaft Wirtschaft Buch • Friedhelm Hengsbach Jesuitenorden Christliche Gesellschaftsethik Hochschule St.Georgen Frankfurt Autor • Sein und Zeit Buch • soziale Gerechtigkeit soziale Frage Buch • Sozialphilosophie soziale Philosophie Buch • Stress im Alltag Job Beruf Studium Buch • wirtschaftlicher Materialismus • Wirtschaftstheorie Gesellschaftstheorie Theorie der Gesellschaft Wirtschaft • Zeit ist Geld
ISBN-10 3-86489-904-4 / 3864899044
ISBN-13 978-3-86489-904-1 / 9783864899041
Zustand Neuware
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