Trick Mirror (eBook)
368 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491328-5 (ISBN)
Jia Tolentino, geboren 1988 in Toronto, wuchs in einem strengreligiösen Elternhaus in Texas auf und studierte Literatur sowie Kreatives Schreiben an den Universitäten von Virginia und Michigan. Eigenen Aussagen zufolge ist sie seit ihrem 10. Lebensjahr internetsüchtig - heute beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen unserer Web-Besessenheit auf die Realität und den Zeitgeist. Sie schreibt als Kulturkritikerin für den »New Yorker« und lebt in Brooklyn. »Trick Mirror« ist ihr erstes, hymnisch besprochenes Buch.
Jia Tolentino, geboren 1988 in Toronto, wuchs in einem strengreligiösen Elternhaus in Texas auf und studierte Literatur sowie Kreatives Schreiben an den Universitäten von Virginia und Michigan. Eigenen Aussagen zufolge ist sie seit ihrem 10. Lebensjahr internetsüchtig – heute beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen unserer Web-Besessenheit auf die Realität und den Zeitgeist. Sie schreibt als Kulturkritikerin für den »New Yorker« und lebt in Brooklyn. »Trick Mirror« ist ihr erstes, hymnisch besprochenes Buch. Margarita Ruppel, geboren 1988, lebt und arbeitet in Düsseldorf. Sie hat Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität studiert und übersetzt seitdem literarische Werke aus dem Englischen und Spanischen ins Deutsche.
Die "Selbsttäuschungen", die das produziert, will Tolentino offen legen. Und das macht sie brillant.
Jia Tolentinos Essays sind scharfsinnig, pointiert, minunter amüsant, und manchmal schwirrt einem so sehr der Kopf, als hätte man eine Pille eingeworfen.
So pointiert, so klug und dabei poetisch, dass man in den wirren der Gegenwart wieder klarer sieht.
Das aus den Texten sprechende Ich ist charmant, lustig, herzlich, bisweilen verbissen, zudem selbstkritisch und sehr offen
"Trick Mirror" ist eine erschreckende, vielleicht gar wachrüttelnde Lektüre, ein Must-Have, besser ein Must-Read für alle mit Social-Media-Konto und damit aktivem Part des Wahnsinns.
Tolentino schaut ganz genau in den Spiegel und damit auf unsere Gegenwart.
Sie gibt keine Lösungen, verweigert sich simplen Antworten, sondern liefert uns vielmehr einen Denkkatalog. Ihre Essays sind sehr aktuell, aber auch zeitlos.
Fesselndes Buch über Freundschaft und Lebensträume. Locker zu lesen.
eine scharfzüngige Analystin unserer postmodernen Lebenswelt
Solche Erkenntnisse schmerzen. Und sind bitter nötig.
Wie Blitzlichter erhellen die klugen Essays von Jia Tolentino das inszenierte Dasein im Hier und Jetzt
Tolentino ist eine originelle, lebenskluge Beobachterin unserer Gegenwart.
erfrischend unaufgeregt. Und das könnte genau das sein, was dieses Girl next door zur ersten großen Normcore-Intellektuellen machen könnte.
Kluge Essay über die Selbsttäuschung von einer Intellektuellen mit perfekt gepflegtem Instagram-Account.
In neun pointierten, glänzend geschriebenen Essays geht es vor allem um die beiden großen Themen dieser Zeit: Internet und Feminismus.
Ein kluges Buch einer Autorin, deren dialektisches Denken aus jedem Satz spricht, die sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden gibt, die schreibt, um zu verstehen.
Wer Jia Tolentino liest, hat das Gefühl, für einen Moment klarer zu sehen durch den Nebel der Gegenwart
so brillant, dass sie inzwischen als die klügste Essayistin ihrer Generation gilt
klug und kurzweilig
scharfsinnig und kritisch
Jia Tolentinos Essays haben eine eigenwillige Mischung zwischen höchster Konzentration und Dissoziation. Sie sind bohrend, zupackend, selbstkritisch und offen. (...) in vielerlei Hinsicht Augen öffnend.
Permanent wechselt sich ein zutiefst nachdenklicher Ton mit urkomischen Reminiszenzen ab, mal wirkt das Schreiben literarisch stark überformt, mal dokumentarisch und analytisch.
vielschichtig und unterhaltsam
Jia Tolentino ist eine phantastisch kluge Autorin, ein präziser Seismograf für die Widrigkeiten, denen das Ich in der digitalen Gegenwart ausgesetzt ist.
Die Essays des Jahres, darüber, was die irre Inszenierung, die wir Gegenwart nennen, mit uns selbst zu tun hat.
Mein Reality-TV-Ich
Dass ich im Alter von sechzehn Jahren einmal für eine Reality-TV-Show in Puerto Rico drei Wochen vor der Kamera gestanden habe, war bis vor kurzem eines der bestgehütetsten Geheimnisse meines Lebens – auch vor mir selbst. Die Show hieß Girls v. Boys: Puerto Rico und der Name war Programm. Die Besetzung bestand aus acht Teilnehmer*innen – vier Jungs, vier Mädchen. Gedreht wurde auf Vieques, einer sieben Kilometer breiten Insel, rau, grün und hügelig, mit wilden Pferden, die am Ufer des weißen Strandes entlanggaloppierten. Im Mittelpunkt der Show standen regelmäßige Challenges, bei denen jedes Team Punkte auf dem Weg zum 50000-Dollar-Jackpot sammelte. Zwischen den Wettkämpfen zogen wir uns in ein hellblaues Haus voller funkelnder Lichter zurück und sorgten für so viel Drama wie wir nur konnten.
Meine Schule befreite mich dafür drei Wochen lang vom Unterricht, was mich immer noch erstaunt. Es war eine strenge Einrichtung – ärmellose Oberteile und Homosexualität waren laut Hausordnung verboten –, und ich war zwar eine gute Schülerin, aber mein Führungszeugnis nicht mehr ganz sauber, weshalb mich viele Erwachsene, und ich kann es ihnen nicht verübeln, nicht gerade mochten. Andererseits hatte die Leitung mich weiter zur Schule gehen lassen, auch als meine Eltern die Gebühren nicht zahlen konnten. Und ich war bereits im Abschlussjahr, weil ich eine Klasse übersprungen hatte, nachdem meine Familie von Toronto nach Houston gezogen war. Außerdem hatte die kleine christliche Bildungseinrichtung Gerüchten zufolge bereits einen Alumnus in den Wettbewerb um die Bachelorette entsandt. Vielleicht hatte diese religiöse Teenie-Umgebung etwas an sich, das ständige Flirten, Posieren und Lügen von allen, was uns erstaunlich gut auf die Reality-TV-Welt vorbereitete.
Wie dem auch sei, jedenfalls erzählte ich der Schulleitung, ich hoffte, »ein Licht für Jesus zu sein, bloß im Fernsehen«, und erhielt ihre Erlaubnis. Im Dezember 2004 packte ich eine Tasche mit Printshirts und taschentuchgroßen Jeansminiröcken und reiste nach Puerto Rico. Im Januar kam ich dann vor Selbstverliebtheit strotzend zurück – Salz im Haar und braun gebrannt wie ein gebeiztes Stück Holz. Die Ausstrahlung der zehn Episoden von Girls v. Boys startete im Sommer nach meinem Highschool-Abschluss auf einem Sender namens Noggin, der am ehesten für Wiederholungen von Daria und die kanadische Teen-Dramaserie Degrassi bekannt war. Ich lud ein paar Freund*innen ein, um die erste Episode anzuschauen, und verspürte beim Anblick meines Gesichts auf einem großen Bildschirm zugleich Genugtuung und eine brennende Scham. Als ich aufs College ging, kaufte ich mir keinen Fernseher für mein Zimmer, und die Gelegenheit schien günstig, mein Fernseh-Ich wie eine Schlangenhaut abzuwerfen. In meinen Zwanzigern kramte ich in Bars oder auf Roadtrips hin und wieder meinen IMDb-Eintrag als bizarren Funfact heraus, aber ich interessierte mich nicht weiter für Girls v. Boys. Es brauchte dreizehn Jahre und eine Essay-Idee, bis ich die Show endlich zu Ende schaute.
Casting-Videos: ACE, ein schwarzer Skatertyp in New Jersey, macht Kick-Flips auf einem öffentlichen Platz; JIA, ein asiatisch aussehendes Mädchen aus Texas, sagt, dass sie keine Cheerleaderin mehr sein will; CORY, ein weißer Junge aus Kentucky, gibt zu, noch nie geküsst worden zu sein; KELLEY, eine Blondine aus Phoenix, macht Crunches auf einer Yogamatte und sieht dabei aus wie Britney Spears; DEMIAN, ein Junge aus Vegas mit einem leichten mexikanischen Akzent, rauft sich mit seinem kleinen Bruder; KRYSTAL, ein schwarzes Mädchen mit einem katzenartigen Gesicht, sagt, sie wisse, dass sie eingebildet rüberkomme; RYDER, ein kalifornischer Junge mit rötlichem Haar und Tunneln in den Ohrläppchen, sagt, er wisse, dass er aussehe wie Johnny Depp; PARIS, eine kleine Blondine aus Oregon, sagt, sie sei schon immer ein Freak gewesen und finde das gut so.
Sechs Teens treffen sich auf einem gleißend hellen Rollfeld unter blauem Himmel. Die erste Challenge ist ein Wettrennen zum Haus, das die Jungs gewinnen. JIA und CORY kommen später an – nervös und kichernd. Alle spielen Wahrheit oder Pflicht (es kommt jedes Mal Pflicht, und die besteht darin, mit jemandem rumzumachen). Am Morgen versammeln sich die Kandidat*innen zu einem Wettessen an einem langen Tisch: zuerst Mayonnaise, dann Kakerlaken, dann scharfe Peperoni, dann Kuchen. Mädchen gewinnen. An diesem Abend gibt KELLEY CORY seinen allerersten Kuss. Jeder nimmt sich vor PARIS in Acht, die ein Engelsgesicht hat und ununterbrochen plappert. Den dritten Wettbewerb, Schwimmreifenbasketball, verlieren die Mädchen.
Mein Reality-TV-Abenteuer begann an einem Sonntagnachmittag im September 2004. Ich hing gerade mit meinen Eltern im Einkaufszentrum herum, eine große Portion Fettuccine Alfredo von California Pizza Kitchen im Bauch, und wartete darauf, dass mein Bruder vom Hockeytraining aus der Eishalle kam. Fünfzehn Meter von uns entfernt sprach ein Typ, der neben einem Werbestand für ein Casting lehnte, Jugendliche an, damit sie ein Bewerbungsvideo für eine Show machten. »Da gab es ein Surfboard aus Pappe«, erinnerte sich neulich meine Mutter. »Und du hattest ein weißes Tanktop und einen Rock mit hawaiianischen Motiven an, also warst du quasi passend zum Thema angezogen.« Aus einer Laune heraus schlug sie vor, ich solle rübergehen. »Du meintest: ›Nein! Bäh! Mom! Auf keinen Fall!‹ Du hast dich so aufgeregt, dass wir dich zum Spaß weiter angestachelt haben. Dann zog Dad zwanzig Mäuse aus seiner Brieftasche und sagte: ›Die gehören dir, wenn du das machst‹, und du hast sie ihm sofort aus der Hand geschnappt, bist rübergegangen, hast das Tape aufgenommen und bist dann shoppen gegangen oder was auch immer du machen wolltest.«
Ein paar Wochen später erhielt ich einen Anruf von einer Produzentin, die mir das Konzept der Show erklärte (»Mädchen gegen Jungs, in Puerto Rico«) und mich bat, ein zweites Castingvideo aufzunehmen. Ich präsentierte meine Persönlichkeit in einem schwindelerregenden Mix aus maximal bescheuerten Tanzchoreographien und dem Versprechen, dass »die Mädels nicht gewinnen werden – ich meine, gewinnen werden –, wenn ich im Team bin«. Als ich genommen wurde, zögerte meine Mutter plötzlich; sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich aus einem der Tapes tatsächlich etwas ergeben würde. Doch in dem Jahr waren sie und mein Vater oft abwesend und abgelenkt. Anstatt mich um das höhere Ziel zu bemühen, ihre zerstreute Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, zog ich es vor, die Situation auszunutzen, um abends länger wegzubleiben und meinen Eltern hier und da zwanzig Dollar für ein neues Ausgehtop von Forever 21 abzuschwatzen. Ich sagte zu meiner Mutter, dass sie mich gehen lassen müsse, da meine Castingteilnahme schließlich ihre Idee gewesen sei.
Am Ende gab sie nach. Dann war plötzlich der Dezember gekommen, und ich saß am Flughafen in Houston, aß ein paar Carnitas-Tacos, hörte mit Kopfhörern Brand New auf meinem tragbaren CD-Player und schäumte vor erwartungsvoller Spannung wie ein überlaufender Plastikbecher. Ich verharrte so lange in diesem köstlichen vorabenteuerlichen Schwebezustand, dass ich meinen Flug verpasste, was unseren engen Drehplan schlagartig ruinierte. Ich würde es nicht rechtzeitig zur Ankunft und der ersten Challenge schaffen, und um das auszugleichen, sollte einer der Jungs zurückgehalten werden.
Die nächsten 24 Stunden war ich vor Scham wie weggetreten. Als ich dann in Vieques ankam, versuchte ich verzweifelt, meine Dummheit wiedergutzumachen, also meldete ich mich freiwillig, um mit unserer ersten richtigen Challenge loszulegen. »Ich esse alles! Scheißegal was!«, rief ich.
Wir stellten uns vor vier zugedeckten Tellern auf. Das Signal ertönte, ich deckte meinen Teller auf und fand – einen Berg scharfer Mayonnaise.
Mein Leben lang habe ich mich geweigert, mayonnaisehaltige Speisen zu mir zu nehmen. Ich esse keinen Fleisch-, Eier- oder Kartoffelsalat. Ich kratze selbst die kleinsten Spuren Aioli von einem Sandwich. Mayonnaise war also so ziemlich das Schlimmste, was mir passieren konnte. Aber natürlich vergrub ich sofort das Gesicht in diesem wabbeligen, gelblichen Berg, schluckte hektisch, saute mich von oben bis unten ein – es ist ziemlich schwer, Mayo im Akkord hinunterzuschlingen – und sah am Ende aus, als hätte mir das Michelin-Männchen übers ganze Gesicht ejakuliert. Da wir Mädchen den Wettkampf gewannen, bereute ich zunächst nichts von alldem, doch als uns die Produzent*innen kurz darauf zum Schnorcheln mitnahmen, konnte ich mich kaum auf das atemberaubende Regenbogenriff unter uns konzentrieren, weil ich das Innere meines Schnorchels ständig mit Mayonnaiserülpsern abfackelte.
Na ja … so habe ich es zumindest immer erzählt. Der Mayovorfall war das Einzige aus der Show, woran ich mich deutlich erinnern konnte, weil es das Einzige war, wovon ich jemals erzählte – die Geschichte, wie mein Teenie-Ich für Geld scharfe Mayonnaise...
Erscheint lt. Verlag | 24.2.2021 |
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Übersetzer | Margarita Ruppel |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | barre • Debüt • Ecstasy • Essay • Essayistik • Facebook • Feminismus • fyre festival • Gegenwartsanalyse • Gesellschaftskritik • Hipster • Instagram • Inszenierung • Internet • Joan Didion • Kulturkritik • Mainstream-Feminismus • Millennial • New Yorker • Popkultur • Reality TV • Religion • Selbstoptimierung • Selbstvermarktung • Selbstwahrnehmung • Sexueller Missbrauch • Social Media • Susan Sontag • Trolling • Twitter |
ISBN-10 | 3-10-491328-5 / 3104913285 |
ISBN-13 | 978-3-10-491328-5 / 9783104913285 |
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