Geschichte Israels (eBook)
144 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75756-3 (ISBN)
Der kleine Staat Israel, der 1948 als sicherer Hafen für Juden aus aller Welt gegründet wurde, ist heute wirtschaftlich und militärisch stark - und hat doch nicht zur erhofften Normalität und Sicherheit gefunden. Noam Zadoff erzählt die Geschichte des Landes von der zionistischen Einwanderung über die Konflikte mit den arabischen Nachbarn und der palästinensischen Bevölkerung bis zur Gegenwart und zeigt, welche Auswirkungen die zentralen Ereignisse auf Kultur und Gesellschaft hatten. Eine erfreulich sachliche Einführung für alle, die dem kleinen Land voller Widersprüche nicht gleichgültig gegenüberstehen.
Noam Zadoff ist Assistenzprofessor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Zuvor war er Professor für jüdische Studien in Bloomington (USA).
II. Aus dem Meer geboren:
Die Entstehung eines nationalen Ethos
Am 14. Mai 1948, einem Freitag, versammelte sich die Führung des Jischuws, der «Volksrat», im Museum von Tel-Aviv und verkündete die Unabhängigkeit Israels als selbständiger Staat. Die Unabhängigkeitserklärung verlas David Ben-Gurion, der als erster der 37 Mitglieder des «Moetzet Haam» (darunter nur zwei Frauen, eine davon Golda Meir, die spätere Premierministerin) die Gründungsurkunde unterschrieb. Der bisherige «Volksrat» wurde zur «Provisorischen Regierung» umgewandelt und Ben-Gurion zum ersten Premier- und Verteidigungsminister des neuen Staates ernannt.
Die Erklärung selbst ist ein emotionales Dokument: Auf der einen Seite wird darin das jüdische Recht auf das Land Israel und einen unabhängigen Staat in der Geschichte von den biblischen Zeiten bis zu den Schrecken des Holocaust bekräftigt, auf der anderen Seite der jüdische Beitrag zur internationalen Gemeinschaft der Nationen von der Bibel bis zu den jüdischen Brigaden in der britischen Armee im Kampf gegen Nazi-Deutschland hervorgehoben. Die Erfüllung der zionistischen Utopie folgte dem Weg Theodor Herzls in seinem Hang zur Diplomatie und in der Suche nach Anerkennung in der internationalen Politik. Am Ende der Erklärung steht ein Appell an die Araber Palästinas und die arabischen Nachbarländer, sich für Frieden einzusetzen und sich an einer gemeinsamen Entwicklung der Region zu beteiligen, schließlich aber auch ein Aufruf an die Juden in der Diaspora, nach Israel zu kommen, um beim Aufbau des Staates zu helfen. Weniger als vierzig Minuten dauerte die Veranstaltung, danach gingen alle Teilnehmer nach Hause. Am nächsten Morgen begann die Invasion der fünf arabischen Armeen.
David Ben-Gurion verliest am 14. Mai 1948 im Museum Tel Aviv die Unabhängigkeitserklärung Israels.
Mit dem Ausbruch des Krieges sah sich Ben-Gurion gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Nach außen war es der Krieg mit der arabischen Bevölkerung Palästinas und den Armeen der arabischen Nachbarländer. Im Inneren musste er die verschiedenen Milizen zu einer verteidigungsstarken Armee vereinen und die rechte revisionistische Bewegung unter die Führung der MAPAI drängen. Den 600.000 Bürgern des neuen Staates drohten gleichzeitig die Vernichtung von außen und die soziale und politische Desintegration von innen. Am Abend des 14. Mai hatte Ben-Gurion in sein Tagebuch geschrieben: «Im Land herrscht Jubel und tiefe Freude – wieder bin ich der eine Trauernde unter den Glücklichen, wie am 29. November.»
1. Unabhängigkeit und Nakba: Der Krieg von 1948
Durch den Krieg von 1948 erhielten die beiden Narrative – das palästinensische und das israelische – ihre endgültige Fassung. Schon die jeweiligen Bezeichnungen derselben Ereignisse reflektieren diese unterschiedlichen Erzählungen. Während er in Israel als Wunder betrachtet und als Unabhängigkeitskrieg («Milchemet Ha-Azma’ut») bezeichnet wird, manchmal auch als Krieg der Befreiung (Schichrur) oder des Widerstands (Komemiut), heißen diese Geschehnisse bei den Palästinensern Nakba – die «Katastrophe», weil dadurch nicht nur die Chancen, einen palästinensischen Staat zu gründen, zerstört wurden, sondern auch etwa 700.000 der 1.200.000 Araber, die 1947 im Land lebten, im Exil endeten.
Man kann den Verlauf dieses Krieges in zwei Phasen teilen: Während der ersten – von der Erklärung der UNO am 29. November 1947 bis zur Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel am 14. Mai 1948 – kam es zu einer Art Bürgerkrieg zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen des Landes noch unter britischem Mandat. In der zweiten Phase – vom 15. Mai 1948 bis zum Sommer 1949 – handelte es sich um einen konventionellen Krieg zwischen dem Staat Israel und den Armeen von Syrien, Transjordanien, Ägypten, Libanon und dem Irak.
Die erste Phase des Krieges (November 1947 bis Mai 1948)
Während auf jüdischer Seite die 40.000 Kämpfer der Hagana, des Palmach, von Etzel und Lechi trotz ideologischer Unterschiede bereits einheitlich organisiert waren und einigermaßen gemeinsam vorgingen, fanden sich auf arabischer Seite kleine Fraktionen und Gruppierungen, die oft isoliert und untereinander zerstritten waren. Zu diesen gehörten zum Beispiel die Truppe von Abd al Kadir al-Husseini, dem Sohn des Bürgermeisters von Jerusalem und Neffen von Amin al-Husseini, der mit 500 Kämpfern in den Jerusalemer Bergen agierte, oder die Arabische Befreiungsarmee von Fausi al-Kawukdschi mit 6000 Kämpfern im Norden des Landes. Zu Anfang lag die Initiative in den Händen der Araber, während der Jischuw sich hauptsächlich verteidigte. Neben Anschlägen in den Städten selbst gehörte es zur Strategie der arabischen Kämpfer, die Zufahrtswege zu den Zentren des Jischuws zu besetzen, mit der Folge, dass es gerade im jüdischen Teil Jerusalems – einem der wichtigsten Schauplätze dieses Krieges – im März zu akutem Mangel an Wasser und Lebensmitteln kam. Konvois mit Vorräten, die die Stadt zu erreichen versuchten, wurden von den arabischen Milizen angegriffen. Diese Aktionen führten zu einer Veränderung der Taktik auf jüdischer Seite. Die Hagana und der Palmach begannen, die Wege zu sichern, indem sie bestimmte Gebiete eroberten. Am 2. April 1948 startete die Operation «Nachschon», die der Blockade Jerusalems ein Ende setzen sollte. In der Schlacht, die in der Nähe von Jerusalem wütete, wurde der arabische Oberbefehlshaber Abd al-Kadir al-Husseini getötet, was für seine Truppe einen schweren moralischen Schlag bedeutete und letztlich zu deren sukzessiver Auflösung führte.
Im Zuge dieser Auseinandersetzungen erlangte der Ort Deir Jassin im Nordwesten Jerusalems leider traurige Berühmtheit. Das arabische Dorf, dessen Bewohner in weitgehend guter Nachbarschaft mit den jüdischen Einwohnern Givat Schaul lebten – im März hatten sie die Milizen von Al-Husseini sogar noch davon überzeugt, diese nicht anzugreifen –, wurde am 9. April von ca. 130 Kämpfern der separatistischen Gruppen Etzel und Lechi überfallen. Die Attacke, die mit Wissen der Hagana, aber unter deren Aufforderung zur Zurückhaltung geplant war, wuchs sich zu einem grausamen Massaker vor allem unter der Zivilbevölkerung aus. Es gibt Berichte über Vergewaltigung, Raub und Folter der Gefangenen. Sofort folgte Kritik von der Jewish Agency, den Oberrabbinern Palästinas und der Hagana. Ein Offizier des Nachrichtendienstes der Hagana, der Deir Jassin noch am gleichen Nachmittag aufsuchte, berichtete: «Mit meinen eigenen Augen habe ich einige ermordete Familien mit ihren Kindern, Frauen und Greisen gesehen, und ihre Leichen lagen aufeinander. Die ‹Separatisten› gingen durch das Dorf, während sie raubten und alles Mögliche stahlen: Hühner, Radiogeräte, Zucker, Geld, Gold etc. etc.» Das Massaker von Deir Jassin, in dem wohl über 100 Menschen ermordet wurden, hatte einen direkten, aber auch einen langjährigen Einfluss auf den Konflikt. Kurzfristig schadete der barbarische Akt der relativ guten Beziehung des Jischuws zum transjordanischen König Abdallah. Vor allem aber lösten die Berichte aus Deir Yassin eine hektische Massenflucht aus den arabischen Dörfern aus, was die Demographie des Landes entscheidend veränderte. Langfristig wurden und werden die Geschehnisse in Deir Jassin bis heute in der Argumentation gegen Israel benutzt, als Symbol für die Nakba, die «Katastrophe», und als Beweis für Israels Brutalität während des Krieges. Innerhalb des Jischuws beschleunigten die Ereignisse die Auflösung von Etzel und Lechi und die Integration der Separatisten in die israelische Armee. Politisch diente der beschämende Verweis auf Deir Jassin dazu, die Revisionisten als Opposition zu MAPAI am Rand der israelischen Politik zu halten.
Eine direkte arabische Reaktion erfolgte am 13. April, als ein Konvoi von Fahrzeugen, besetzt mit unbewaffneten Professoren, Ärzten und Krankenschwestern, auf dem Weg zur Hebräischen Universität und dem Hadassah Krankenhaus am Skopus Berg in Ostjerusalem angegriffen wurde und 70 Menschen auf jüdischer Seite dabei den Tod fanden. Ein anderes traumatisches Ereignis für den Jischuw trug sich am 12. und 13. Mai zu, als der Kibbuz Kfar Etzion in Gush Etzion – einer Region südlich von Jerusalem – nach einer wüsten Schlacht in die Hände der transjordanischen «Arabischen Legion» fiel, einer von Briten trainierten Einheit. Der Großteil der jüdischen Kämpfer wurde von...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1948 • 20. Jahrhundert • Ben Gorion • Einführung • Einwanderung • Geschichte • Gesellschaft • HAMAS • Hisbollah • Jerusalem • Judentum • Konflikt • Krieg • Kultur • Levante • Mittlerer Osten • Nachkriegszeit • Naher Osten • Sachbuch • Staatsgründung • Zionismus |
ISBN-10 | 3-406-75756-1 / 3406757561 |
ISBN-13 | 978-3-406-75756-3 / 9783406757563 |
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