Neue Irre - Wir behandeln die Falschen (eBook)
Donald Trump in den USA, Kim Jong Un in Nordkorea, Jair Bolsonaro in Brasilien, weltweit scheint der Irrsinn zuzunehmen. Kann man etwas dagegen tun und sind die überhaupt wirklich verrückt? Was vor zehn Jahren noch eher Promis aus der zweiten Reihe betraf, hat es jetzt in die Chefsessel dieser Welt geschafft. Da war eine komplette Aktualisierung unvermeidlich. Der Irrsinn hat die Macht übernommen. Was sagt ein Psychiater dazu?
Aber auch Psychiatrie und Psychotherapie haben weitere Fortschritte gemacht. So bringt »Neue Irre!« den aktuellen Stand der Wissenschaft: Alle Psycho-Diagnosen, alle Psycho-Therapien und das in bewährt kurzweiliger und allgemeinverständlicher Form. Was ist Depression wirklich, was sind Angststörungen, was ist Schizophrenie, was tut man gegen Sucht, vor allem gegen die neuen Süchte und schließlich: Ist Burnout out? Der renommierte Psychiater und Bestseller-Autor Manfred Lütz bringt Licht ins Dunkel des allgemeinen Wahnsinns.
Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Psychiater, Psychotherapeut, Kabarettist und Theologe. Geboren 1954 in Bonn studierte er Medizin, Philosophie und katholische Theologie in Bonn und Rom. Von 1997 bis 2019 war er Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln. 2003 gründete er das Alexianer-Therapie-Forum mit renommieren internationalen Referenten, das er weiterhin organisiert. Bekannt wurde Lütz als Autor zahlreicher Bestseller. Er ist gern gesehener Gast in Talkshows und nimmt in Kolumnen und Artikeln immer wieder zu aktuellen Themen Stellung. Außerdem ist er ein gefragter Vortragsredner und tritt mitunter auch im Kabarett auf.
VORWORT
Wie oft ich gefragt worden bin, ob Donald Trump eigentlich verrückt ist, kann ich nicht mehr zählen. Und in Lateinamerika ist Brasiliens Präsident Bolsonaro offensichtlich stolz darauf, der »Trump Brasiliens« genannt zu werden. Dass schließlich das Verhalten des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un völlig abgedreht ist, darüber besteht bei uns weitgehende Einigkeit. Die These meines Buches »Irre! Wir behandeln die Falschen, unser Problem sind die Normalen«, die ich vor 10 Jahren aufgestellt hatte, bestätigt sich also inzwischen fast täglich. Damals spielte Donald Trump noch vor allem Golf und haute ab und zu einen menschenverachtenden Spruch raus, den aber niemand ernst nahm, Jair Bolsonaro startete gerade erst seine Karriere als Frauenheld und Supermacho und niemand ahnte, dass jemand, der kaum das Wort Politik schreiben konnte, irgendwann einmal der Präsident des bevölkerungsreichsten Landes Lateinamerikas werden würde. Und der kleine Kim Jong-un spielte noch mit seinen Förmchen, wobei er damals schon zu viel Pudding aß. Es ist ja ohnehin schwierig, sich vorstellen zu müssen, dass sogar Hitler und Stalin mal allerliebste kleine Babys waren. Aber wenn heute gewisse Leute einfach nie erwachsen werden und Weltpolitik wie im Sandkasten betreiben, dann kann es schon mal unheimlich werden. Donald Trump hat das psychologische Potenzial des frühpubertären Anführers einer Jugendgang in der New Yorker Westside zu den besten Zeiten dieses legendären Stadtviertels, Jair Bolsonaro ist stets selber erstaunt über seine überraschenden Testosteronschübe und Kim Jong-un sieht immer noch so aus wie ein Elefantenbaby, dem man eigentlich nicht böse sein könnte, wenn er nicht immer wieder garstig würde und dann müssen halt ein paar Leute, bevorzugt Familienangehörige, mal eben über die Klinge springen. Die Normalisierung des allgemeinen Wahnsinns kann Angst machen. Überall laufen immer mehr Irre herum, Massenmörder, Kriegshetzer, Lügner, Betrüger, rücksichtslose Egomanen, aber das Dilemma bleibt: All diese Typen kann man leider nicht behandeln, denn sie sind normal, jedenfalls nicht krank, und gerade deswegen brandgefährlich.
Während vor zehn Jahren bei den gefährlichen Irren vor allem historische Beispiele herangezogen werden mussten, Hitler, Stalin, Mao Tse Tung, tummeln sich heute so viele neue Irre in der Öffentlichkeit, dass schon allein deswegen eine Neuauflage des Buches unumgänglich war. In den vergangenen zehn Jahren hat aber auch die Wissenschaft weitere Fortschritte gemacht und auch ich habe natürlich meine Auffassungen, zum Beispiel zu Medikamenten, weiterentwickelt. Es war das Anliegen des damaligen Buches, endlich eine breitere Öffentlichkeit allgemein verständlich und unterhaltsam auf unter 200 Seiten über alle Psycho-Diagnosen und alle Psycho-Therapien aufzuklären. »Irre« wurde ein Bestseller, im Kabarett, im Fernsehen, bei vielen »Bündnissen gegen Depression«, in Firmen, deren leitende Mitarbeiter kompetenter mit psychischen Problemen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen wollten, und bei großen Kongressen habe ich das Buch vorgestellt und über psychische Krankheiten aufgeklärt.
Aber wenn man den Anspruch hat, den neuesten Stand der Forschung allgemein verständlich für eine breitere Öffentlichkeit darzustellen, muss man ein solches Buch natürlich nach zehn Jahren überarbeiten und in Teilen neu schreiben. Da »Irre!« auch von führenden deutschen Wissenschaftlern positiv aufgenommen wurde, ergab sich jetzt sogar die schöne Möglichkeit, in den verschiedenen Gebieten führende deutsche Forscher für »Neue Irre!« um Anregungen zu bitten. Deswegen danke ich u.a. den Professoren Frank Jessen (Demenz), Andreas Heinz (Schizophrenie), Ulrich Hegerl (Depression), Mathias Berger (bipolare Störungen), Katharina Domschke (Angststörungen), Ulrich Voderholzer (Essstörungen) und Martin Bohus (Persönlichkeitsstörungen) für wichtige Hinweise. Das Buch, das Sie jetzt in Händen halten, verspricht also nicht zu viel, wenn es behauptet, den neusten Forschungsstand zu präsentieren.
So sollten Sie, wenn Sie dieses Buch gelesen haben, für jede Quizshow gewappnet sein, wenn da irgendwelche Psycho-Fragen kommen. Vor allem aber wenn Sie selber mal psychisch erkranken sollten, können Sie hier Näheres erfahren. Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Deutschen irgendwann im Leben psychisch erkrankt und die zwei Drittel anderen Deutschen Angehörige haben, die psychisch krank sind, ist es nach wie vor eine Schande, dass bei vielen Menschen immer noch mittelalterliche Vorstellungen über psychische Krankheiten herrschen. Die meisten psychischen Erkrankungen sind heilbar. Aber wer weiß das schon! Und weil die meisten das nicht wissen, schleppen sich viele Menschen monate- und jahrelang mit Depressionen und anderen schwer belastenden Erkrankungen herum, obwohl man da wirklich etwas tun könnte. Auch deswegen ist Aufklärung so wichtig. Nach meinem Buch »Irre« bin ich von zahllosen Journalisten interviewt worden und habe jedem auf den Kopf zugesagt: »Auch Sie haben einen psychisch kranken Angehörigen!« Und so gut wie alle haben das bestätigt, denn in jeder Familie gibt es den Onkel, der Alkoholiker war, die merkwürdige Tante, von der man nicht wusste, was genau die eigentlich hatte, den demenzkranken Großvater, die magersüchtige Nichte. Doch jeder denkt, er sei der Einzige, bei dem so etwas vorkomme. Und so spielen sich psychische Krankheiten nach wie vor im Schatten unserer Gesellschaft ab. Das ist deswegen misslich, weil auf diese Weise Gerüchte, Vorurteile und Fake-News das Feld beherrschen und Menschen, die Hilfe brauchen und erhalten könnten, keinen Weg zur rettenden Behandlung finden. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, kann Ihnen das nicht mehr passieren. Es gibt inzwischen entsetzlich viel Wissensmüll, aber ich habe mich darum bemüht, dass das, was Sie hier lesen, Wissen ist, das wirklich hilft.
Doch auch ganz praktisch könnte Sie das Buch retten – vor der Psychiatrie nämlich. Als ich Paul Watzlawick, den berühmten und höchst unterhaltsamen österreichisch-amerikanischen Psychotherapeuten (»Anleitung zum Unglücklichsein«) zu einem Vortrag einlud, gab der dem Publikum einen wichtigen Hinweis: Wenn Sie einen Menschen auf einer geschlossenen psychiatrischen Station besuchen, sagen wir mal am späten Vormittag, und Sie wollen am frühen Nachmittag wieder raus, dann kann da ein kleines Problem auftreten. Zwischenzeitlich war »Übergabe«, der Frühdienst ist weg und Sie kennen keine Schwester mehr, das ist an sich noch nicht schlimm, aber vor allem kennt keine Schwester Sie. Wenn Sie dann die nächstbeste Schwester mit der lockeren Bemerkung beglücken: »Ich will jetzt hier raus!«, dann wird die im Zweifel cool antworten: »Das wollen hier viele!« Werden Sie dann laut und eskalieren: »Ich habe einen Termin, Sie müssen mich jetzt sofort rauslassen, das ist Freiheitsberaubung!«, hören Sie von der Schwester vielleicht nur noch seelenruhig: »Aggressiv wurden hier auch schon einige…« Sollten Sie jetzt im selben provozierenden Stil weitermachen, werden Sie wahrscheinlich nicht rauskommen, sondern im Gegenteil die Voraussetzungen dafür schaffen, zu Recht drinzubleiben. Was also tun? Der Rat von Watzlawick: Fügen Sie sich in Ihr Schicksal und entwickeln ein möglichst störendes Symptom, zum Beispiel schrille Schreie alle zwei Minuten. Wenden Sie sich an den jüngsten Assistenzarzt um therapeutische Hilfe und gehen mit der Symptomatik wieder schnell zurück. »Und dann wird dieser junge Assistenzarzt dafür kämpfen, dass sein therapeutischer Triumph durch Ihre Entlassung gefeiert wird.« Das, so beendete Watzlawick damals seine kabarettistische Einlage, sei die einzige Möglichkeit, da flott wieder rauszukommen! Ohnehin ist die wichtigste Frage in der Psychiatrie: Wie geht es hier raus? Und dafür arbeiten wir.
Damals hatte ich übrigens das Buch auch von Betroffenen- und Angehörigenvertretern lesen lassen, weil es natürlich immer eine Gratwanderung ist, ein unterhaltsames Buch über manchmal so bedrängende Erkrankungen zu schreiben, aber nur so erreicht man die Spaßgesellschaft und wenn die es nicht checkt, dann hilft alle Aufklärung nicht wirklich weiter. Dennoch soll der Witz niemandem im Halse stecken bleiben und deswegen war ich erleichtert, dass »Irre« und sein Stil auch von Betroffenen geschätzt wurde. Mein Freund Eckart von Hirschhausen hatte mit seinem launigen Vorwort ein Übriges getan, um für weitere Verbreitung zu sorgen und er war es auch, der mich ermutigte, das Thema im Kabarett und im Theater vor einem Publikum zu präsentieren, das sich eigentlich nur unterhalten wollte, aber dann gleichzeitig Wissen über ein wichtiges Thema von der Veranstaltung mit nach Hause nahm. Und das ist auch Ziel dieses Buches: dass etwa ein alerter Manager, der normalerweise nie ein »Psychobuch« in die Hand nehmen würde, das liest, weil er gehört hat, es sei ein unterhaltsamer Bestseller – und anschließend zum ersten Mal seinen schizophrenen Vetter anruft, weil er kapiert hat: Der ist gar nicht so verrückt, wie ich eigentlich dachte. Schließlich war es dann vor allem der Film im WDR-Fernsehen mit Jürgen Becker, der viele Zuschauer erreichte.
Diese erfreuliche Entwicklung soll »Neue Irre« jetzt fortsetzen. Auch dieses neue Buch soll beweisen, dass Psychiatrie und Psychotherapie keineswegs nur bierernste Geschichten zu erzählen haben, sondern dass Menschen mindestens genauso interessant sind wie Bäume und Bienen, über deren Befindlichkeit manche heute besser informiert sind als über den Gesundheitszustand ihres psychisch kranken Nachbarn. Menschen sind – abgesehen von einigen ziemlich irren Exemplaren – meiner Erfahrung nach sogar erheblich interessanter und liebenswürdiger als...
Erscheint lt. Verlag | 24.8.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Boris Johnson • Depression • Donald Trump • eBooks • Eckardt von Hirschhausen • Gesundheit • Hanau • Narzissmus • Offensive Psychische Gesundheit • Psychiatrie • Psychische Belastung • Psychische Erkrankung • Psychologie • Psychotherapie • Sigmund Freud • US-Wahlkampf • Verschwörungstheorien |
ISBN-10 | 3-641-26985-7 / 3641269857 |
ISBN-13 | 978-3-641-26985-2 / 9783641269852 |
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Größe: 3,1 MB
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