Mein wunderschönes Leben (eBook)
152 Seiten
Verlag an der Ruhr
978-3-8346-3952-3 (ISBN)
3
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Immer mehr Häuser kaputt +++
Zahl der Obdachlosen steigt Monat für Monat +++
Regierung bietet Notunterkünfte an –
dort gibt es aber kaum noch Platz.
Es kommt immer häufiger zu Verbrechen!
„Es ist wirklich so eine schöne Gegend hier“, sagte Luca, als sie um die nächste Straßenecke bogen. „Seht euch mal die Blumenkästen auf den Fensterbänken an. Sind die nicht toll bepflanzt?“
Jona nickte. „Blumen in Blau, Grün, Gelb, Orange. Es sieht hier richtig gemütlich aus.“ Er deutete mit dem Arm auf die umgebenden Häuser. „Und die Gebäude erst. Alles neu, alles so schön.“
Doch Leonie sah nicht hin, sondern blieb stehen.
„Findest du nicht auch, ‚G‘?“, fragte Luca etwas lauter.
Leonie reagierte noch immer nicht. Ratlos zuckte Luca mit den Schultern und wollte gerade weitergehen. In diesem Moment setzte sich Leonie genau in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung. Ohne ein Wort zu verlieren, stapfte Leonie los und bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die ihr entgegenkamen. „Äh, Leonie, alles klar?“, rief Jona ihr hinterher. „Wir müssen in die andere Richtung.“
Doch sie antwortete nicht und lief unbeirrt weiter. Ratlos sahen sich Jona und Luca an. Luca schüttelte den Kopf, dann trotteten sie ihr hinterher.
„Was hat sie denn jetzt schon wieder?“, seufzte Jona.
„Vielleicht war sie ein wenig zu lange im See baden und hat sich den Kopf etwas verkühlt“, antwortete Luca. Jona prustete vor Lachen. „Pscht.“ Leonies Antwort war unmissverständlich, obwohl sie sich noch nicht einmal zu ihnen umgedreht hatte.
Sofort verstummten die beiden. Und hörten kurz darauf ein leises Wimmern aus einem Torbogen, der zu den dahinterliegenden Häusern führte. „Leonie“, flüsterte Luca, „warte mal, wir wollten doch ganz woanders hin.“ Luca und Jona beschleunigten ihre Schritte und liefen hinterher. „Und außerdem hörte sich das nicht gut an.“
Doch Leonie beschleunigte ihren Gang noch und eilte hastig um die Ecke.
Als Luca und Jona ebenfalls den Torbogen erreicht hatten, blieben sie überrascht stehen. Vor ihnen lag eine Frau in einem Haufen Müll. Leonie kniete neben ihr. Die Frau lag auf einer alten Matratze. Um sie herum waren Kleidungsstücke verteilt. Ebenso ein Paar Schuhe. Alte Zeitungen. Ein paar Flaschen. Pappkisten. Dosen.
Über ihnen surrte leise die Drohne und übertrug alles direkt ins Netz.
Luca rümpfte die Nase. „Hier stinkt’s.“ Leonie riss ihren Kopf herum und starrte ihn anklagend an. Dann wandte sie sich wieder der Frau zu, die noch immer wimmerte. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
Surrend näherte sich die Drohne, um einen besseren Kamerawinkel zu bekommen. Anscheinend hatte die Frau erst jetzt bemerkt, dass direkt vor ihr jemand kniete. Sie stützte sich auf ihren Unterarm und erhob sich ein wenig, sodass sie Leonie besser sehen konnte. Sofort änderte auch die Drohne ihre Position, um Leonie und die Frau gleichermaßen im Bild zu haben.
Die Frau sah krank aus. Tiefe Falten durchzogen ihr Gesicht. An einigen Stellen hatte sie Hautausschläge. Ihre Haare lagen fettig, aber gleichmäßig an ihrem Kopf an. Als hätte sich die Frau kurz zuvor noch gekämmt. Doch von einem Kamm oder anderen Dingen, die zur Körperpflege genutzt werden könnten, war nichts zu sehen.
Die Frau unterbrach ihr Schluchzen, wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab und sagte mit krächzender Stimme: „Wie willst du mir schon helfen, Mädchen?“
„Ich bin kein Mädchen!“, erwiderte Leonie entrüstet. Doch die alte Frau lächelte nur müde. „Wenn du so alt bist wie ich, dann darf man Mädchen zu dir sagen.“
Leonie setzte zu einer Antwort an, doch beließ es dabei. „Warum haben Sie geweint?“, fragte sie mit sanfter Stimme.
Die alte Frau zog ein Stück ihres dreckigen Rockes zur Seite, drehte sich um und zeigte auf den Müll um sie herum. „Na ja, Kleine. Als ich so alt war wie du, war das nicht unbedingt das, was ich mir vom Leben vorgestellt habe.“ Die Drohne schwebte ein wenig nach oben und filmte die zahlreichen alten Dosen, Essensreste und Pappkartons, die verstreut um die Frau lagen. Es klapperte und raschelte, als sich die Frau im Müll bewegte, darin herumfingerte und schließlich eine Zigarettenschachtel hochhielt, die unter einem vergammelten Stück Brot gelegen hatte. Sie schob das Brot beiseite, öffnete die Schachtel und zog verärgert die Stirn in Falten. „Schon wieder alle“, murmelte sie und schmiss die Packung vor sich auf den Boden. Dann wandte sie sich wieder Leonie zu. „Ich hatte zwar nie den Traum, reich zu werden. In einer tollen Villa zu leben. Oder groß Karriere zu machen“, sagte sie mit einem matten Lächeln, „aber ein bisschen mehr als ein Königreich aus Müll hätte es schon sein dürfen.“ Sie legte nachdenklich den Kopf in ihre Handfläche. „Vielleicht eine kleine Wohnung. Einen Mann. Eine Familie. Geregelte Arbeit.“ Sie hielt kurz inne. „Nichts Großes, meine ich. Eine Arbeit, mit der ich genug verdienen könnte, um mir Essen zu kaufen. Und Miete zu bezahlen.“
Wie zufällig schaute sie nun zur Drohne. „Ja, das wäre etwas gewesen. Aber nun sitze ich hier.“ Sie wandte ihren Blick von der Drohne ab, ohne ein Wort über das fliegende Etwas zu verlieren, das über ihr schwebte.
„Außerdem habe ich Hunger, weil ich seit gestern nichts mehr gegessen habe.“
Leonie blickte zu Luca und Jona, die stumm danebengestanden hatten. Die beiden verstanden sofort. Sie holten Wasser, einige schön verpackte Brote und grün glänzende Äpfel aus ihren Rucksäcken und reichten sie eilig der Frau.
„Oh, danke!“, rief die Frau ebenso erstaunt wie freudig. „Die Welt kann ja doch noch ein wenig freundlich sein.“ Genüsslich biss sie in den saftigen Apfel. „Übrigens“, nuschelte sie mit vollem Mund, „wie heißt ihr eigentlich?“
Luca sah sie unsicher an. Eine Mischung aus Neugier und Mitleid spiegelte sich auf seinem Gesicht. „Also, das“, stammelte er, „also, das ist Jona.“ Er zeigte auf Jona und wusste nicht recht, was er sonst noch sagen sollte.
„Nun mal nicht so schüchtern“, sagte die Frau schmatzend, „ich beiße nicht.“ Dabei fiel ihr ein Stück Apfel aus dem Mund.
Die Drohne richtete ihre Kameras wieder auf Luca. Er wirkte noch immer ein wenig eingeschüchtert. „Und das ist Leonie“, sagte er mit leiser Stimme.
Die Frau sah zu Leonie. „Das ist aber ein schöner Name.“
„Aber die meisten nennen sie nur ‚G-Lee‘ oder ‚G‘!“, rief Jona aufgeregt dazwischen.
„,G‘?“
„Ja“, sagte er hastig, „und sie ist eine der erfolgreichsten Spieler in Playerunknown’s Battlegrounds!“ Seine Stimme überschlug sich beinahe. „Und die erfolgreichste Life-Streamerin überhaupt.“
Verwundert hob die alte Frau die Augenbrauen. „Welche Sprache sprichst du da gerade eigentlich? Playerunknown’s Battlegrounds? Life-Streamerin?“ Sie rieb sich die Schläfe. „Ist dasso eine Art Wellness?“
Leonie lächelte verlegen. Dann sagte die Frau: „Also, ich finde Leonie schöner als ‚G‘.“
Jona war unschlüssig, was er darauf antworten sollte. Etwas unbeholfen sagte er dann: „Und das ist Luca.“ Die alte Frau nickte Luca zu. Leonie sah kurz zur Drohne und richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf die alte Frau: „Warum ist es denn nichts geworden mit der Wohnung? Dem Mann? Der Familie?“
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„Tja“, seufzte die alte Frau, „warum das mit einer Familie nichts geworden ist, das ist eine längere Geschichte.“
Jona schaute erst nervös auf seine Uhr, dann zu Leonie.
„Keine Sorge, Jona.“ Sie lächelte in die Kameras der Drohne.
Die alte Frau bekam das gar nicht mit. Sie kramte in einer Tüte, schmiss ein paar alte Kleidungsstücke heraus, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Ein kleines Büchlein.
„Das hier ist alles, was mir geblieben ist.“ Als die Drohne näherkam, hielt die alte Frau das zerfledderte Buch etwas unbeholfen in die Kameras.
„Was ist das denn?“, fragte Luca neugierig. „Mein Tagebuch.“
„Wollen Sie uns vielleicht erzählen, wie Sie hier gelandet sind?“, fragte Leonie.
Jona schaute auf seine Smartwatch und rollte mit den Augen.
Müde lächelte die alte Frau. „Keine Sorge,
Jona, ich mache es kurz. Ich denke, es reicht, wenn ich euch ein wenig aus meinem Buch vorlese.“ Sie ließ die Seiten durch ihre Finger gleiten, bis sie die richtige Seite gefunden hatte. Sie räusperte sich. „Gestern war wieder einer dieser Tage. Wie ich schon so viele hatte. Ich liege hier seit Stunden auf meinem Bett. Kann erst langsam wieder klar denken. Neben dem Bett stehen leere Flaschen. Schnaps. Aus einem Eimer stinkt es nach Erbrochenem.
Den muss mir mein Mann dahingestellt haben. Alleine hätte ich das wohl nicht mehr geschafft. Wahrscheinlich hat er auch wieder bei der Arbeit für mich angerufen und gelogen. Fragen kann ich ihn nicht. Es ist Montag. Er ist selbst noch bei der Arbeit. Ich fühle mich elend. Mein Kopf. Mein ganzer Körper. Aber viel schlimmer ist mein schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Wie lange macht er das wohl noch mit?“
Leonie, Jona und Luca lauschten gespannt. Die alte Frau sah von ihrem Buch auf. Versuchte, zu lächeln. Doch es gelang ihr nicht. Ihre Lippen begannen, zu zittern. Eine Träne kullerte ihre...
Erscheint lt. Verlag | 5.11.2018 |
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Verlagsort | Mülheim/Ruhr |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Schulbuch / Allgemeinbildende Schulen |
Schulbuch / Wörterbuch ► Unterrichtsvorbereitung ► Vorschule / Kita | |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik | |
Schlagworte | 1984 • Beeinflussung • Brace New World • Deutsch • Drohne • Dystopie • Dystopie Jugendbuch • Fake News • Gesamtschule • Hauptschule • influencer • influencerin • Internet • Jugendbuch • Jugendbuch für Leseschwache Schüler • Jugendliche • Klassenlektüre • Lehrer • live stream • Manipulation durch den Staat • Manipulation durch die Medien • Medienerziehung • Realschule • Roman • Schüler • Schullektüre • Science Fiction • Social Media • Stramerin • Überwachung durch neue Techniken • Unterricht • zu Hause • Zukunft |
ISBN-10 | 3-8346-3952-4 / 3834639524 |
ISBN-13 | 978-3-8346-3952-3 / 9783834639523 |
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Größe: 979 KB
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