Wirtschaftsstile (eBook)

Teil 1: Studien zum Verhältnis von Ökonomie und Kultur
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2015 | 1. Auflage
260 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560507-3 (ISBN)

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Wirtschaftsstile -  Bertram Schefold
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Der Begriff des »Wirtschaftsstils« fügt den traditionellen, geläufigen Begriffen »Wirtschaftsordnung«, »Wirtschaftsweise«, »Wirtschaftssystem« eine Bedeutungsnuance hinzu, die die ökonomische Analyse für historische und kulturelle Fragestellungen schärft. Wie fruchtbar die Osmose zwischen Nationalökonomie und Geisteswissenschaften sein kann, belegt die Forschungsarbeit von Bertram Schefold. Die versammelten Studien sind markante Beispiele einer folgenreichen Öffnung des ökonomischen Denkens für Interpretationsverfahren und Gegenstände der Kulturwissenschaft. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Bertram Schefold, geboren 1943 in Basel, ist, nach mehrjährigen Forschungsaufenthalten in Cambridge (GB) und Harvard, Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftstheorie an der Universität Frankfurt am Main. Zahlreiche Veröffentlichungen.

Bertram Schefold, geboren 1943 in Basel, ist, nach mehrjährigen Forschungsaufenthalten in Cambridge (GB) und Harvard, Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftstheorie an der Universität Frankfurt am Main. Zahlreiche Veröffentlichungen.

Normative Integration der Einzeldisziplinen in gesellschaftswissenschaftlichen Fragestellungen


I. Der Zustand der Zersplitterung


Auf einer schwarzfigurigen Lekythos in Yale sieht man eine merkwürdige Gruppe abgebildet: Hermes und zwei geleitende Göttinnen ermuntern einen jungen Helden, den Streitwagen zu besteigen, vor den ein Löwe, ein Panther, ein Eber und ein Wolf gespannt sind. Offenbar kann nur ein Halbgott so kräftige, ungleiche, mit wilden Blicken drohende Zugtiere zusammenhalten. Für die Griechen war es ein wiederkehrendes Sinnbild von der durch menschliches Vermögen allein kaum zu bewältigenden Aufgabe der Vereinigung ursprünglicher Gegensätze.

Beinahe so naturgemäß gegensätzlich erscheinen uns heute unsere Einzelwissenschaften, die über verschiedene Gegenstandsbereiche wie über ebensolche Territorien je unabhängig zu herrschen scheinen, die jedoch oft genug um den Geltungsanspruch ihrer Methoden heftig streiten, wenn sie sich in der Behandlung desselben Objektes begegnen. Und obgleich uns eine ursprüngliche Einheit der Wissenschaften in der philosophischen Tradition ganz geläufig ist, bewundern wir wie Heroen jene geistigen Vorfahren, die – ein Leonardo, ein Goethe oder ein Adam Smith – mehrere Fächer verfolgten, als ihre Ausdifferenzierung sich bereits abzeichnete, und die doch nicht nur, wie ein Virtuose, der diverse Instrumente beherrscht, zwischen ihnen wechselten, sondern auf der Grundlage einer ihnen eigentümlichen, nun als unwiederholbar angesehenen Weltsicht eine Verbindung unter ihnen herstellten.[66]

Ich will es mir versagen, nach zoologischen Metaphern zu suchen, um das Auseinandertreiben der gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen, das wir hier beklagen, durch nähere Vergleiche zu illustrieren. Friedrich Tenbruck hat glänzend dargelegt, wie ein und dieselben Wirtschaften und Gesellschaften, nach Fragestellungen in »Problemfelder« zerlegt, meist nebeneinander als verschiedene Gegenstände untersucht werden, ohne daß man nach einer gemeinsamen Wahrheit über sie forschte. Es gibt Versuche, Wolf und Eber zusammenzuspannen, indem man ihnen das gleiche Zaumzeug anlegt. Mathematik allein genügt dazu nicht, einheitliche Analyseverfahren sind mehr. Gestützt auf vereinfachende und verallgemeinernde Hypothesen können sie ein Stück Integration leisten. So werden im Rahmen der sogenannten Neuen Politischen Ökonomie Aspekte, die bisher bevorzugt von Politologen, Soziologen oder Rechtstheoretikern je für sich behandelt wurden, nun mit Mitteln analysiert, die einer Verallgemeinerung der Vorgehensweise der neoklassischen ökonomischen Theorie entspringen.[67] Hier ist mittlerweile eine reichhaltige und interessante Literatur entstanden. Aber auch sie darf kaum behaupten, das ganze Gebiet der Gesellschaftswissenschaften abzudecken, sowenig wie die Neoklassik, deren Geltungsanspruch auf ihren ursprünglichen Territorien auch schon umstritten ist, den Gesamtbereich ökonomischer Theoriebildung abdeckt. Als Evidenz für die Grenzen des Ansatzes mag es genügen, auf den historischen Gehalt jeder dieser Wissenschaften hinzuweisen.

II. Das Beispiel Schmollers


Gegenüber dem konfliktträchtigen Nebeneinander der mit Gesellschaft befaßten Wissenschaften an der modernen Universität nimmt sich der von den Vertretern der Historischen Schule der Nationalökonomie und inbesondere von Schmoller in seinem Grundriß praktizierte Zugriff auf die Gesamtheit dieser Fächer wie eine Synthese aus, von der freilich zunächst nicht klar ist, wie tief er sie zu verankern vermochte. Er schrieb:

»Ob das künftige Urteil dahingehen werde, daß ich als Historiker gescheitert, weil ich zugleich Nationalökonom war, als Nationalökonom, weil ich nicht aufhören konnte, Historiker zu sein, muß ich dahingestellt sein lassen. Ich kann nur beides zugleich sein, und bilde mir ein, das beste, was ich zu leisten vermag, dieser Verbindung zu danken.«[68]

Er sah sich selbst also in einer Doppelrolle. Bekannt ist aber, daß Schmoller auch Sozialpolitiker und Wirtschaftspolitiker war, daß für ihn Soziologie und Ethik noch in den Kanon der von ihm behandelten Wissenschaftsgruppe gehörten, und die Durchsicht des Grundrisses fördert sogleich noch mehr zutage: Wir finden in der Behandlung der natürlichen und technischen Grundlagen des Wirtschaftens nicht nur Bevölkerung und Technik erwähnt (unter Nutzung der Statistik, um den Überblick zu erleichtern), sondern ich meine, hier auch in der Beschreibung der Völker mit ihrer Entwicklung und der Technik mit ihrem Fortschritt ein spezifisches phänomenologisches Vorgehen zu erkennen. Maschinen z.B. werden nicht nach der Art der Ingenieure beschrieben, auch nicht gemäß einer persönlich-sinnlichen Erfahrung, sondern Schmoller findet eine Ausdrucksweise, die den Gegenstand erfaßt, indem sie ihn unmittelbar in einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang einrückt.

Über die Einheit der von ihm vertretenen Wissenschaft hat sich Schmoller ebenso ambivalent geäußert wie seine Kritiker und Nachfolger. Es wirkt paradox, daß er einerseits eine Ganzheit seiner Volkswirtschaftslehre behauptet, während er andererseits selbständige Einzeldisziplinen aufzählt. Als Historiker, meinen manche, habe er vorwiegend historische Tatsachen gesammelt. Bekannt ist Yorcks Vorwurf des Historismus: Er habe kein historisches System errichtet und sei nur eine »epimetheische« Natur. Rüdiger vom Bruch konzediert Schmoller, es »eignete ihm eine eher tastende Vorstellung für historische Wesenhaftigkeit«[69]. Doch sein Lob gilt Schmollers Einzelstudien. Soweit solche Urteile zutreffen, bedeuten sie, daß nicht nur Schmollers umfassender Ansatz einer interdisziplinären Erklärung des Wissenschafts- und Gesellschaftslebens sich in die Domänen der Einzelwissenschaften auflöst, sondern auch, daß innerhalb derselben keine systematische Einheit erreicht wird.

Aber Schmoller selbst hat im Grundriß geschlossenen Theorien und Systemen höchste Bedeutung für die gesellschaftliche Evolution beigemessen:

»Aus den Bruchstücken wirklicher Erkenntnis läßt sich zunächst nur durch Hypothesen und teleologische Konstruktionen ein Ganzes machen. Aber ein solches ist nötig, weil der Einheitsdrang unseres Selbstbewußtseins nur so zur Ruhe kommt, und weil nur durch geschlossene, einheitliche Systeme der menschliche Wille praktisch geleitet werden kann. Der nie ruhende Kampf dieser Systeme und Theorien hat eine kaum zu überschätzende praktische und theoretische Bedeutung; die jeweilig zur Herrschaft kommenden Theorien übernehmen die Führung in der Politik und die Umgestaltung der Gesellschaft … Die späteren Systeme und Theorien enthalten einen steigenden Anteil gesicherten Wissens neben ihren vergänglichen Bestandteilen.«[70]

Schmoller hat sich mit mancherlei vergangenen Systemen auseinandergesetzt, die, was heute verschiedene wissenschaftliche Disziplinen sind, jeweils verschieden integrierten; er selbst geht auf die antiken Philosophen ebenso ein wie auf den englischen Empirismus und den deutschen Idealismus. Adam Smith spielt dabei möglicherweise keine so herausragende Rolle – nicht einmal als Herausforderung für den Antiklassiker Schmoller – wie wir heute vielleicht meinen könnten.

Unter den einheitsstiftenden Momenten möchte ich hier drei benennen:

  • die Psychologie der Gesellschaftssubjekte, die einen Zusammenhang zwischen dem Sozialverhalten der Subjekte und ihren wirtschaftlichen Interessen herstellt,

  • die Anschauung, die eine Gestalteinheit innerhalb einer Gesellschaft wahrnimmt und eine stilistische Verwandtschaft wirtschaftlicher und sozialer Institutionen und ihrer Ausdrucksformen behauptet, und schließlich

  • die Ethik, die empirisch von der notwendigen Kompatibilität, jedenfalls vom Spannungsfeld zwischen individuellen und gesellschaftlichen Normen ausgeht, um deren bindende Wirkung zu beschreiben.

Ich meine, daß Schmoller alle drei Gesichtspunkte zur Herstellung eines einheitlichen und doch durch eine gewisse fachliche Differenzierung geförderten Zugangs zu seinem Gegenstand nutzte. Er scheint mir aus Gründen, die auch heute Interesse verdienen, das ethische Element privilegiert zu haben. Ihm will ich mich in der folgenden Diskussion vor allem zuwenden. Einen Weg zum Verständnis des Zusammenhangs finden wir von frühen Schriften her.

Das Erbe, an dem Schmoller sich hier maß, war die deutsche Klassik, die von Dilthey 1867 als eine breite Bewegung geschildert wurde, ausgehend von Lessing und Winckelmann, gipfelnd in Goethe und Schiller, einmündend in die Philosophie, aber nicht eingeschränkt auf Kunst und Wissenschaft, sondern als kulturelle Prägung der Gesellschaft und der Individuen, weshalb Goethes Person, der zugleich den Dichter, Staatsmann, Forscher, vor allem aber einen sehr lebendigen Menschen verkörperte, ein so außerordentliches und bis heute nachwirkendes Interesse erregte:

»So erhob sich … damals … der Drang, ein neues Lebensideal zu gestalten – eine Frage nach der Bestimmung des Menschen – nach dem Gehalt eines wahrhaft wertvollen Lebens, nach echter Bildung.«[71]

In einer frühen Schrift mit dem Titel Friedrich von Schillers ethischer und kulturgeschichtlicher Standpunkt[72] hat sich Schmoller 1863 mit dieser mächtigen Tradition auseinandergesetzt. Schiller und Goethe waren

»nicht bloß die Dichter, sondern die Lehrer und...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Aristoteles • Athen • chrematistik • Edgar Salin • England • Erwerbskunst • Griechenland • Karl Marx • Kulturwissenschaft • Max Weber • Nationalökonomie • Nationalsozialismus • Neoklassik • Ökonomie • Sachbuch • Werner Sombart • Wirtschaftsordnung • Wirtschaftsstil • Wirtschaftssystem • Wirtschaftsweise • Zins
ISBN-10 3-10-560507-X / 310560507X
ISBN-13 978-3-10-560507-3 / 9783105605073
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