Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur (eBook)

1930-1955

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
234 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560186-0 (ISBN)

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Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur -  Eva Douma
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Eva Doumas Untersuchung über die Rechtsanwaltschaft von der Weimarer Republik bis in die Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland mit Schwerpunkt auf dem Dritten Reich befördert Kontinuitäten und andere Sachverhalte ans Licht, die von der Berufsgruppe und ihren Repräsentanten nach 1945 ignoriert worden sind. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Eva Douma, geboren 1963, studierte Geschichte, Rechts- und Sozialwissenschaften und promovierte in Geschichte an der Universität Bielefeld.

Eva Douma, geboren 1963, studierte Geschichte, Rechts- und Sozialwissenschaften und promovierte in Geschichte an der Universität Bielefeld.

Anwaltskammer und Anwaltsverein, die etablierten Berufsorganisationen


Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Anwaltskammern und Anwaltsvereine. Während die Vereine vor allem als Ausdruck bürgerlicher Selbstorganisation gegründet worden waren und mit dem Scheitern der 1848er Revolution stark an Bedeutung verloren, wurden in der Folge v.a. Anwaltskammern gegründet. Die Rechtsanwaltsordnung von 1878 schrieb die Kammer als anwaltliche Institution fest. Jeder, der eine Anwaltszulassung erhielt, wurde automatisch Mitglied der Anwaltskammer des entsprechenden Oberlandesgerichtsbezirks[74]. So legten die einzelnen Rechtsanwaltsordnungen seit 1878 fest, daß alle Anwälte eines Oberlandesgerichtsbezirks am Sitz des Oberlandesgerichtes eine Anwaltskammer bilden[75] und einen Kammervorstand wählen[76] – mit Ausnahme des »Dritten Reiches«, wo die Vorstände durch den Reichsminister der Justiz benannt wurden[77]. Aufgabe des Kammervorstandes war es u.a., die Anwälte in ihrer Berufsausübung zu überwachen, sie bei Fehlverhalten zu disziplinieren und auf Antrag der Landesjustizverwaltung zu begutachten[78].

Sowohl an der inhaltlichen Gestaltung der Ehrenrechtsprechung als auch am Zulassungsverfahren zur Anwaltschaft waren die Anwaltskammern beteiligt. Mitglieder der Vorstände der Anwaltskammern saßen in den Ehrengerichten. Die Anwaltskammern gaben Empfehlungen zur Beurteilung der Zulassungsgesuche von Anwaltsanwärtern. Sie nahmen mehr oder minder direkten Einfluß auf die soziale Zusammensetzung der Anwaltschaft und die Gestaltung des beruflichen Handlungsspektrums. Zudem waren und sind die Kammern die offiziellen Organe der Selbstverwaltung der Berufsgruppe und gestalten und beeinflussen die anwaltliche Politik[79].

Neben den Kammern erhoben und erheben die Anwaltsvereine den Anspruch, anwaltliche Interessen zu vertreten. Sie bilden in gewisser Weise das organisatorische Gegenmodell zu den Kammern. Während die Mitgliedschaft in der Kammer für jeden Anwalt Pflicht ist, ist die Vereinsmitgliedschaft freiwillig. Die Organisationsstruktur der Vereine basiert zudem auf dem ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder. Im Gegensatz zu den Kammern verfügen sie in der Regel über keine Geschäftsstelle mit hauptamtlich Beschäftigten.

Zwischen den Rechtsanwaltskammern und den Anwaltsvereinen bestanden gewisse Rivalitäten, deren Ursache nicht nur in der unterschiedlichen Organisationsform gelegen haben dürfte. Auch wenn die Kammern in Deutschland selbstverwaltete Körperschaften waren, so haftete ihnen immer etwas Statisches und Staatliches an. Staatlicher Einfluß konnte hier einfacher als bei einem Verein oder Verband geltend gemacht werden. So war die Staatsanwaltschaft in die Disziplinaruntersuchungen einbezogen, und die anwaltlichen Ehrengerichte setzten sich aus Anwälten und Richtern zusammen[80]. Der Verein war hingegen die typische kulturelle und politische Organisationsform des Bürgertums, eine Assoziationsform, die grundsätzlich sowohl innerorganisatorisch als auch nach außen hin Öffentlichkeit anstrebte und durch den freien Zugang Gleichgesinnter geprägt war[81].

Faktisch standen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik beide Anwaltsorganisationen durchaus gleichberechtigt nebeneinander und gingen bei der Vertretung anwaltlicher Interessen arbeitsteilig vor. Die Kammern setzten sich mit eher grundsätzlichen Fragen des Anwaltsberufes auseinander. Die örtlichen Anwaltsvereine kümmerten sich vorwiegend um konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und beruflichen Lage der Berufsgruppe[82]. Maßgeblich wirkten sich ihre unterschiedliche Zwecksetzung und Staatsnähe im »Dritten Reich« aus. Während die Anwaltsvereine noch 1933 aufgelöst wurden, blieben die Kammern zumindest institutionell während der ganzen Zeit der NS-Herrschaft bestehen[83].

Am 26. März 1933 hatte es der Vorstand des Deutschen Anwaltsvereins in Berlin zunächst einstimmig abgelehnt, sich dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) anzuschließen, da sich dieser zum Ziel gesetzt hatte, die jüdischen Berufskollegen aus der Anwaltschaft auszuschließen[84]. Aber schon am 7. April 1933, dem Tag der Ausfertigung des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft[85], forderte der Vorsitzende des Deutschen Anwaltsvereins, Dix, die jüdischen Vorstandsmitglieder auf, unverzüglich ihre Ämter niederzulegen, um den DAV selbst zu erhalten. Seine »arischen« Kollegen rief er auf, sich den hinter der Regierung stehenden Bünden und Parteien anzuschließen[86]. Am 18. Mai 1933 beschloß die Abgeordnetenversammlung des DAV den korporativen Beitritt des DAV zum BNSDJ. Der DAV sollte jedoch als eigene Rechtspersönlichkeit bestehenbleiben, um seine vermögensrechtliche Selbständigkeit zu sichern. Durch den korporativen Beitritt wurden zudem die DAV-Angehörigen Mitglied im BNSDJ, ohne selbst NSDAP-Mitglied sein zu müssen. Für den Einzeleintritt war die persönliche NSDAP-Mitgliedschaft Voraussetzung[87]. Den jüdischen Mitgliedern wurde auf dieser Abgeordnetenversammlung im Mai 1933 durch den neuen Präsidenten Voß »empfohlen«, aus dem DAV und den angeschlossenen regionalen Vereinen auszutreten. Ab dem 30. September 1933 wurde die Vereinsmitgliedschaft auf »arische« Anwälte beschränkt. Die verbliebenen jüdischen Anwälte durften sich nur noch lokal organisieren[88].

Als sich die Repräsentanten des Deutschen Anwaltsvereins im Sommer 1933 noch bemühten, durch Unterwerfungsgesten die Organisation zu retten, wurden sie durch die Justizverwaltungen in der Praxis schon ausgeschaltet. Im Mai 1933 wies der Preußische Justizminister die Oberlandesgerichtspräsidenten an, nur noch mit den Kammervorständen und nicht mehr mit den Anwaltsvereinen zu verkehren. Sie galten als politisch unzuverlässig[89] und wurden ein halbes Jahr später aufgelöst. Die Aufgaben des am 27. Dezember liquidierten DAV sollte die Reichsfachgruppe der Rechtsanwälte im BNSDJ übernehmen. Das bis dahin vom Verein herausgegebene Anwaltsblatt wurde Ende 1933 in »Mitteilungsblatt der Reichsgruppe Rechtsanwälte des BNSDJ« umbenannt. Selbst der Versuch, das Vermögen des DAV zu sichern, scheiterte. Es wurde durch den BNSDJ vereinnahmt. Nach 62 Jahren hörte der Deutsche Anwaltsverein sang- und klanglos auf zu bestehen[90].

Statt dessen wurde der im Jahr 1928 gegründete BNSDJ zur offiziellen Anwaltsvereinigung des »Dritten Reiches« erhoben. Bis zum Ende des Jahres 1930 waren hier lediglich 233 Anwälte organisiert gewesen[91]. Da der BNSDJ nicht nur Anwälte aufnahm, dürften bis zum Beginn des »Dritten Reiches« circa vier Prozent der zugelassenen Rechtsanwälte hier organisiert gewesen sein[92]. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wuchs die Organisation rasch. Im Januar 1935 zählte der Bund 14000 Rechtsanwälte zu seinen Mitgliedern, wovon ungefähr ein Drittel als Einzelpersonen und zwei Drittel durch den korporativen Beitritt des DAV die Mitgliedschaft erworben hatten[93]. Während des »Dritten Reiches« verlor die Vereinigung jedoch rasch an Bedeutung. Berufspolitisch und gesetzgeberisch hatte sie spätestens ab 1942 keinen Einfluß mehr. Hauptaufgabe war die »Menschenführung«, das heißt die politische Schulung[94].

Die Rechtsanwaltskammern blieben zwar im »Dritten Reich« als Institutionen bestehen. Allerdings fanden mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten weitgehende Veränderungen statt. Die Vorstandsmitglieder wurden zum Teil ausgewechselt und ihre Kompetenzen zunehmend beschnitten. So wies am 31. März 1933 der Reichskommissar für die preußische Justizverwaltung, Kerrl, die Oberlandesgerichtspräsidenten an, den Rücktritt der noch amtierenden Kammervorstände herbeizuführen. Gleichzeitig sollte ein Kommissar nationalsozialistischen Vertrauens mit der vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte betraut werden[95]. Die Vorstände wurden durch die Justizverwaltung abgesetzt, sofern sie nicht in vorauseilendem Gehorsam schon zuvor freiwillig zurückgetreten waren. So hatten beispielsweise die Düsseldorfer Vorstandsmitglieder am 25. März 1933 ihre Ämter niedergelegt, um in einer außerordentlichen Kammerversammlung Neuwahlen vornehmen zu lassen[96].

Nicht überall vollzog sich der Rücktritt der alten Vorstände reibungslos. Der Vorstand der Hammer Anwaltskammer weigerte sich beispielsweise, auf Anordnung des Oberlandesgerichtspräsidenten zurückzutreten. Er verwies darauf, daß er durch die Kammerversammlung ordnungsgemäß gewählt worden sei und nur diese ihn abwählen könne. Der Kammervorstand erklärte sich zunächst lediglich dazu bereit, seine Ämter in einer sofort einzuberufenden...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Reihe/Serie Die Zeit des Nationalsozialismus – »Schwarze Reihe«
Die Zeit des Nationalsozialismus – »Schwarze Reihe«
Die Zeit des Nationalsozialismus. "Schwarze Reihe".
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Anwaltskammer • Deutschland • Entnazifizierung • Flüchtling • Gestapo • Justizdienst • Mandantenvertretung • Nationalsozialismus • NSDAP • OLG • Rechtsanwaltsordnung • Rechtspflege • Sachbuch • Wiederzulassung • Zulassung • Zulassungsbeschränkung • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-560186-4 / 3105601864
ISBN-13 978-3-10-560186-0 / 9783105601860
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