Arbeit, Volkstum, Weltanschauung (eBook)

Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert
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2015 | 1. Auflage
272 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560043-6 (ISBN)

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Arbeit, Volkstum, Weltanschauung -  Ulrich Herbert
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Die historischen Studien untersuchen die Zusammenhänge zwischen ideologischer Grundlage, wirtschaftlichem Nützlichkeitsdenken und politischer Praxis im Umgang mit den »Fremden« in Deutschland im Verlaufe des 20. Jahrhunderts. Folgende Themenkomplexe werden diskutiert: - die politischen und geistesgeschichtlichen Traditionen des Rassismus; - die Widersprüche zwischen wirtschaftlichen und ideologischen Zielsetzungen bei der Beschäftigung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern; - das Verhalten der deutschen Arbeiterschaft während der Diktatur; - die Ausgrenzung der ausländischen Opfer des NS-Regimes bei der westdeutschen »Wiedergutmachung« nach 1945/49; - die Versuche der »Vergangenheitsbewältigung« in beiden deutschen Staaten; - die Entwicklung der deutschen Ausländerpolitik. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Ulrich Herbert, geboren 1951, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg i.Br. - 1999 erhielt er den renommierten Leibniz-Preis.

Ulrich Herbert, geboren 1951, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg i.Br. – 1999 erhielt er den renommierten Leibniz-Preis.

»Generation der Sachlichkeit«


Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre

Die Verwendung des Begriffs der »Generation« als historische Kategorie ist problematisch, weil weder exakt definiert werden kann, was eine Generation jeweils ausmacht, noch die Auswirkungen einer kollektiven Generationserfahrung einigermaßen präzise herausgestellt und als solche von anderen Einflüssen getrennt betrachtet werden können. Diese Schwierigkeiten tauchen aber offenbar immer dann auf, wenn versucht wird, »Generation« als generell gültige, für den gesamten historischen Prozeß konstitutive Kategorie zu nehmen. Als fruchtbarer erweist sich der Ansatz, wenn seine Verwendung auf solche Fälle begrenzt wird, in denen »Generation« auf evidente Weise als historisch wirkungsmächtiger Faktor hervortritt, wenn nämlich besonders bedeutsame und langfristig folgenreiche Ereignisse und Entwicklungen die Erfahrungen einer zu dieser Zeit heranwachsenden Altersgruppe geprägt und dadurch relativ scharf von den Erfahrungen anderer Altersgruppen unterschieden haben.[39] Daß dies auf den alle bisherigen Erfahrungsdimensionen sprengenden Ersten Weltkrieg und die zu dieser Zeit Heranwachsenden in besonderer Weise zutraf, ist einleuchtend und wurde auch bereits zeitgenössisch so formuliert, so daß der jeweils individuelle Lebensweg und die dabei gemachten Erfahrungen vor allem der männlichen bürgerlichen Jugend auf ein kontingentes Angebot der Sinndeutung stießen, welches die Erlebnisse der einzelnen einband in die Kategorien und Wertemuster seiner »politischen Generation«.[40]

In bezug auf den Ersten Weltkrieg wurde dabei in der Regel zwischen drei Gruppen unterschieden: der »jungen Frontgeneration«, der »Kriegsjugendgeneration« und der »Nachkriegsgeneration« – in Begriffen des für die politische Generationslehre der 30er Jahre besonders einflußreichen Günther Gründel, eines Mitgliedes des »Tat«-Kreises, der in seiner 1932 erschienenen »Sendung der Jungen Generation« den »Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise« unternommen hatte. Als »junge Frontgeneration« wurden dabei die zwischen 1890 und 1900 Geborenen beschrieben, »die bei Kriegsausbruch kaum zwanzig waren oder gar als Achtzehnjährige freiwillig oder später dem allgemeinen Muß folgend hinausgingen, (…) blutjung, noch tiefempfänglich für alles und am tiefsten für das Große und Furchtbare. Sie waren noch keine fertigen Männer, Weltanschauung und Mensch waren noch im Werden. Sie sind als begeisterte, aber durch das Übermaß des allzu starken und furchtbaren Erlebnisses vielleicht sehr bald entwurzelte Jünglinge hinausgetaumelt«, die »eigentlichen Träger des so viel diskutierten Fronterlebnisses«.[41]

Die Generation der nach 1910 Geborenen, die »Nachkriegsgeneration«, sei hingegen dadurch geprägt worden, daß sie »vom Krieg selbst keine tieferen Eindrücke mehr erfahren« habe; ihr fehle auch der Vergleich zur Vorkriegszeit – »ihre ersten Eindrücke waren der Umsturz, die beginnenden Inflationsjahre und eine verbreitete und vielfach in bloßem Wandertrieb verflachte Jugendbewegung«.[42]

Als wichtigste, von der Geburtenzahl auch quantitativ größte Gruppe aber hob Gründel die mittlere, die »Kriegsjugendgeneration« der zwischen 1900 und 1910 Geborenen heraus, denen zwar »das Fronterlebnis, durch das viele ihrer älteren Brüder tiefer, härter und radikaler geworden« seien, fehle – »was jene selbst erleben, können diese sich nur erlesen« –, denen der Krieg aber dennoch »zu einem ganz ungewöhnlich starken und einzigartigen Jugenderlebnis« geworden sei. Statt von sorglosen Freuden, sei ihre Kindheit ganz von den Auswirkungen des Krieges geprägt worden: »Kriegsbegeisterung 1914; Siegesschulfeiern und Heeresberichte; organisierte Arbeiterjugend für Staat und Volk; (…) Hunger, Not und Entbehrungen, Jugendausbildung; Kohlenferien und immer wieder: Hunger und Entbehrungen. (…) Schließlich: Zusammenbruch der Welt der Väter und alles dessen, was bisher gegolten hatte; ›Umsturz und Umwertung aller Werte‹« – dadurch aber auch »die ungewöhnlich frühe Erschließung der Kindesseele für das große Ganze, für völkische, gesellschaftliche und schließlich auch internationale Belange und für das kollektive Erleben überhaupt. (…) Das Volk, die Nation und die bösen Feinde waren bereits aktivste Faktoren in unserer harmlosen Kinderwelt« – insbesondere für die Jugend in Ostpreußen und im Rheinland, die während des Krieges bzw. danach unmittelbaren Kontakt mit dem »Feind« bekommen habe, wodurch das »Heimaterlebnis des Krieges bis zu besonderen Tiefen« vorgedrungen sei. Darin, hob Gründel hervor, liege auch der Grund dafür, daß »noch nie eine Jugend dies Deutschland, dies deutsche Land so liebte und lieben mußte, wie wir«. Entsprechend radikal habe das »Nachkriegsleben« gewirkt: »Nun war auch das Letzte noch problematisch geworden, das bisher wenigstens immer noch stillschweigend gegolten hatte: die Freiheit, das Vaterland und fast alle die soviel im Munde geführten Ideale und Werte der Alten.«

Damit sei aber der »endgültige Bankrott jener ganzen Welt der alten Generation« vollzogen worden, ohne daß dies jedem aber bereits bewußt gewesen sei. Durch die Verarmung und den Verlust der privilegierten Berufsaussichten seien jedoch für die bürgerliche Jugend die Kontakte zur Arbeiterjugend eröffnet und damit die sozialen Barrieren der Generation überwunden worden – »eine Erweiterung und Bereicherung (…), wie sie keine andere Zeit einer aufgeweckten Jugend jemals hatte geben können. Wir sind als ganze große Schicht enterbt und ausgesetzt worden (…), ein hartes, nüchternes Geschlecht mit tief im Herzen verkapselten Idealen, mit einem zähen Willen und mit bester Beherrschung der Kampfmethoden und Waffen im Ringen um Dasein, Geltung und Erfolg.« Entsprechend kennzeichnete er die hervorstechenden Eigenschaften dieser Generation: »Wahrheitsliebe und Schlichtheit«; »Ernst, wortkarge Verschlossenheit und Zurückhaltung, ja manchmal schroffe Kälte«; vor allem aber »Sachlichkeit«: die Sache über das Persönliche zu stellen, die Ablehnung des »Zurschautragens von Gefühlen« und des »Verbalaltruismus, Verbalmoralismus, Verbalpatriotismus«, denn »wo wir ehrliches Mitleid empfinden, scheuen wir uns, es nach altem Stil kitschig zu äußern und wollen lieber in den Verdacht der ›Gefühllosigkeit‹ kommen«; zudem »ein ausgesprochener Sinn für rationelle Methoden und für das Ökonomieprinzip überhaupt«.[43]

Eine solche Charakterisierung der »Kriegsjugendgeneration«, wie sie sich, mit geringen Abweichungen, in zahlreichen Beiträgen zur »Generationenfrage« seit Mitte der 20er Jahre fand[44], beruhte trotz aller Stilisierungen gewiß in vielen Punkten auf richtigen Beobachtungen des Empfindens und Verhaltens dieser Gruppe der bürgerlichen Jugend in Deutschland. Vor allem aber handelte es sich hierbei um die Beschreibung und Herleitung eines generationellen Lebensstils, dessen vorherrschende Kennzeichnung Kühle, Härte und »Sachlichkeit« als Abgrenzungsmerkmale zu der als gefühlig und zu sehr auf Personen statt auf »die Sache« konzentriert denunzierten Gruppe der Älteren waren. Den Vorsprung, den die Älteren durch ihre Kriegsteilnahme und »Fronterfahrung« hatten, versuchten die Jüngeren durch die Übernahme des Frontkämpferideals für den Kampf im Innern, die Stilisierung des kalten, entschlossenen Kämpfers und das Trachten nach »reinem«, von Kompromissen freiem und radikalem, dabei aber organisiertem, unspontanem, langfristig angelegtem Handeln zu kompensieren. Durch diese Interpretation der Generationserfahrung und die Propagierung des daraus entwickelten Lebensstils wurde es zudem möglich, die ja sehr diffusen, widersprüchlichen und gar nicht in allgemeinerer Form formulierbaren Erfahrungen der einzelnen in eine einzige Perspektive einzubinden, die auch Leid, Verlust und Zukunftsangst als positive und geradezu avantgardistische Prädispositionen interpretierte, die den – tatsächlichen oder befürchteten – sozialen Abstieg der bürgerlichen Jugendlichen als Ausdruck der Überwindung der Klassengegensätze heroisierte und zudem nicht so sehr über politische Analyse, sondern über die Akzentuierung eines Lebensgefühls wirksam wurde, das zuverlässiger die Konturen der eigenen Generation markierte und zudem einfacher adaptierbar und damit wirksamer war als ein weltanschauliches Gebäude oder ein politisches Programm.

Wie sich dieses Konglomerat aus historischer Legitimation und generationellem Stil in der Attitüde dieser Generation in den 20er Jahren niederschlug, wurde oft beschrieben. Ernst Niekisch kennzeichnete die Haltung der Nachkriegsjugend als »Voraussetzungslosigkeit und Bindungslosigkeit«; »insgeheim verachtet sie bereits die Sache der Zivilisation, des Fortschritts, der Humanität; sie zweifelt an der Vertrauenswürdigkeit der Vernunft und erschaudert nicht vor einer Barbarisierung des Lebens.«[45]

Die schaudernde Bewunderung, die in solchen Worten zum Ausdruck kam, finden wir auch in Peter Suhrkamps Essay »Söhne ohne Väter und Lehrer« von 1932, in dem er die zu dieser Zeit knapp Dreißigjährigen als die »Unruhigsten, die Unklarsten und die Abenteuerlichsten« in der bürgerlichen Welt dieser Jahre kennzeichnete: »Das Bezeichnendste an ihnen ist ihr Mangel an Humanität,...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Arbeiterschaft • Ausländerpolitik • DAF • DDR • Deutschland • Entschädigung • Gestapo • Konzentrationslager • KPD • Militär • Nationalsozialismus • Rassismus • Sachbuch • SD • SED • Vergangenheitsbewältigung • Volkstum • Westdeutschland • Wiedergutmachung • Zwangsarbeiter
ISBN-10 3-10-560043-4 / 3105600434
ISBN-13 978-3-10-560043-6 / 9783105600436
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