'Herr Lemke, übernehmen Sie!' (eBook)

Willi Lemke - zwischen Politik und Fußball
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
264 Seiten
Verlag Die Werkstatt
978-3-89684-720-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

'Herr Lemke, übernehmen Sie!' -  Helmut Hafner,  Ralf Lorenzen
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Willi Lemke galt fast zwanzig Jahre als Inbegriff des Fußballmanagers. Mit seinen späteren Missionen als Bildungssenator und UN-Sonderberater verbindet sein Lebenswerk zwei der wichtigsten Bereiche der Gesellschaft - den Sport und die Politik. Dieses Buch bietet Innenansichten aus den Schaltzentralen beider Bereiche. Und zeichnet die Entwicklungslinien, Erfolge und Niederlagen eines Menschen nach, der als Flüchtlingskind an der Ostsee geboren wurde und zu einem bedeutenden Zeitzeugen von sechzig Jahren deutscher Politik und internationaler Sportgeschichte geworden ist.

Helmut Hafner hat 35 Jahre als Berater und Redenschreiber in der Bremer Senatskanzlei gearbeitet und war zuständig für Erinnerungskultur, Religionen und zivilgesellschaftliche Projekte. Ralf Lorenzen arbeitet seit 25 Jahren als freier Autor und schreibt Sporttexte hauptsächlich für ZDFsport.de und die taz. Seine Schwerpunkte sind Jugendfußball, Profifußball und Sportpolitik.

Helmut Hafner hat 35 Jahre als Berater und Redenschreiber in der Bremer Senatskanzlei gearbeitet und war zuständig für Erinnerungskultur, Religionen und zivilgesellschaftliche Projekte. Ralf Lorenzen arbeitet seit 25 Jahren als freier Autor und schreibt Sporttexte hauptsächlich für ZDFsport.de und die taz. Seine Schwerpunkte sind Jugendfußball, Profifußball und Sportpolitik.

Warm-up 7
Der Weg zu Werder 11
Schulzeit: Vorbilder und erste Dämpfer 21
Universität (1): Notstandsolympiade und innerdeutscher
Sportverkehr 33
Universität (2): Linke Kneipenforschung und Krach mit der DKP 41
KGB: Agenten-Abenteuer mit Beigeschmack 46
SPD: Als Sekretär bei jedem Ortsverein zu Hause 55
Skatrunde: Von der Idee zum Konzept 62
Ein Leben in Grün-Weiß 71
Der Vorreiter: Neue Chancen im Fernsehen 86
Der Lobbyist: VIP-Logen im Weserstadion 97
Der Diener (1): Alles für den Trainer 100
Der Diener (2): Rollenspiele in der Werder-Familie 106
Der Sparkommissar (1): Rudi Völler und die Vize-Jahre 116
Der Sparkommissar (2): Rune Bratseth und die Meisterjahre 126
Der Sparkommissar (3): Klaus Allofs und der Europapokal 134
Abteilung Attacke: Lieblingsfeind Uli Hoeneß 137
Der Verlassene: Ohne Otto nix los 142
Im Aufsichtsrat: Vom Double zur Enttäuschung 152
Wieder in der Politik 177
Bei der UNO: Mr. Willi und das große Rad der Sportpolitik 204
Finale 237
Dank 245
Die Autoren 246

Kindheit: Der Lauf beginnt


Willi Lemke vergaß nie einen Ausspruch seines Bruders Dietrich, den er als Kind immer wieder mal gehört hat. „Engenänder, Engenänder, Rumm Bumm, Bumm, Angt.“ Damit hat Dietrich offensichtlich die Bombennächte in Stettin und ein besonders dramatisches Erlebnis verarbeitet. Es geschah am 3. Mai 1945. Ella Lemke und ihre beiden Söhne Eckhard und Dietrich, sieben und neun Jahre alt, saßen am Strand in der Lübecker Bucht. Drei Kilometer von ihnen entfernt lagen das Passagierschiff Cap Arcona und der Frachter Thielbek. „Plötzlich kamen britische Tiefflieger und griffen die Schiffe an“, erinnert sich Dietrich Lemke. „Die Menschen sprangen in Panik über Bord und wurden im Wasser unter MG-Feuer genommen. Das war so nah am Ufer, dass man als guter Schwimmer hätte hinüberschwimmen können. Meine Mutter hat uns dann weggeholt. ‚Das ist nichts für eure Augen‘, hat sie gesagt.“ Von den Passagieren der Schiffe wussten die Engländer nichts: Es waren keine Soldaten und SS-Größen, die sich nach Norwegen absetzen wollten, wie sie meinten, sondern etwa 7.500 evakuierte KZ-Häftlinge, vor allem aus dem Konzentrationslager Neuengamme. Mehr als 7000 von ihnen überlebten die Bombardierung nicht. „Die Erinnerungen haben sich so tief eingebrannt“, sagte Dietrich Lemke achtzig Jahre später in seinem Reihenhaus in Hamburg-Wandsbek, „dass ich bis heute nicht davon erzählen kann, ohne dass sie mich übermannen“.

Als die Flüchtlingsfamilie Lemke gut fünfzehn Monate nach dem einschneidenden Erlebnis noch einen Zuwachs bekam, nannten die Eltern ihn ganz bewusst Wilfried: Der den Frieden will. Er sei „sicher nicht geplant“, gewesen, meinte Willi Lemke, „denn wer wollte in dieser Zeit schon ein Kind in die Welt setzen?“. In seinen ersten Erinnerungen wurde nicht mehr gebombt und geschossen, sondern gegackert und geflattert. Beherzt packte seine Mutter allabendlich zu, wenn sie die Hühner reinholte, um sie vor Kälte und Füchsen zu schützen. Sie warf die Hühner auf ein Gestell über den Köpfen von Eltern und Kindern. Das laute Flügelschlagen und das Gegacker der Hühner saß Willi Lemke sein Leben lang im Körper. „Meine Mutter war eine ‚taffe‘ Frau“, sagt Bruder Dietrich. „Wie alle Frauen, die ihre Familie ohne den Ernährer, der an der Front war, durch den Krieg bringen mussten.“ So zupackend, wie sie die Hühner versorgt hat, so resolut hat sie auch immer für die Kinder gekämpft.

Die Familie Lemke stammt aus dem Bauerndorf Damerow im Landkreis Schlawe. Damerow gehörte bis 1945 zur preußischen Provinz Pommern. Heute ist der Ort polnisch und heißt Dąbrowa. Er liegt nördlich der Europastraße 28, die von Stettin nach Danzig führt. Der älteste Vorfahr, der aus Berichten der Familie Lemke bekannt ist, war ein Friedrich Lemke, der um 1800 in Damerow geboren wurde. Dietrich Lemke vermutet, dass er ein sogenannter Freibauer war, also nicht in Leibeigenschaft lebte. Bereits 1732 soll es in Damerow allerdings schon einen Freischulzen mit dem gleichen Namen gegeben haben. Der Freischulze hatte in Pommern keine Abgaben zu zahlen und war der Vorsitzende des Dorfgerichts. Dieses urteilte nach deutschem Recht über kleinere Vergehen und Streitigkeiten. Der älteste Urahn in der mütterlichen Linie war Carl Gutzmann, der um 1810 in Birkenfeld im Kreis Schlawe – also ebenfalls in Pommern – geboren wurde und dort als Hofmeister arbeitete. Die Großeltern von Willi Lemke zogen aus Damerow und Landeshut nach Stettin an der Ostsee, dem heutigen Szczecin. Dort lernten sich Hans Lemke und Ella Kohls kennen und heirateten. Und dort wurden auch die Kinder Dietrich und Eckhard geboren.

Hans und Ella Lemke waren sich am gemeinsamen Arbeitsplatz begegnet, bei der National-Versicherung. Sie war Versicherungskauffrau, er Versicherungskaufmann. Gleich zu Beginn des Krieges hatte das junge Paar eine Trennung zu bewältigen. Hans Lemke wurde als Soldat eingezogen, kam als Zahlmeister auf einen Lazarettzug und war an vielen Fronten unterwegs. Seine Einheit musste sich nicht nur um die Verwundeten kümmern, sondern während der Fahrten auch für Nahrung sorgen. Das hieß: Kühe, Schweine und Geflügel wurden dort geholt, wo man sie fand. „Ich habe nie verstanden, wie unser Vater das so viele Jahre lang ausgehalten hat“, erzählt Dietrich Lemke. „Immer mit schwer Verwundeten zusammen sein, von denen viele das Krankenhaus in der Heimat nicht erreichten, sondern auf dem Weg verstarben.“ Geholfen habe da offensichtlich Vaters Geige. „Wenn der Zug fuhr, hat er an den Betten der Verwundeten Geige gespielt. Dafür brauchte er keine Noten.“

Als 1943 die Bombenangriffe auf Stettin zunahmen, dabei auch die Wohnung der Lemkes ausgebombt wurde und die russische Armee immer näher rückte, wurde die Familie nach Heinrichshof bei Gartz an der Oder evakuiert. Vater Hans kam nur selten auf kurzen Urlauben in das kleine Dorf. Einmal kehrte die Familie nach Stettin zurück, um in dem zurückgelassenen Garten Obst und Gemüse zu ernten. Dort erlebten die Kinder den Bombenhagel und dann auch, wie eine Bombe auf das eigene Haus fiel. „Das ist alles eingebrannt in die grauen Zellen“, erzählt Dietrich. „Die Schreie, das Jammern, das Beten – ich habe das noch immer im Ohr.“

Auch die ruhigen Tage in Heinrichshof waren nicht immer einfach. Die evakuierten Kinder wurden von den Dorfkindern geschnitten, die Schule war wegen der Fliegerangriffe geschlossen. „Wir haben mit einem russischen Gefangenen und einer polnischen Magd zusammengehockt“, erzählt Dietrich. Wie für die meisten anderen Flüchtlinge sollte sich die Erfahrung der Ausgrenzung und Ablehnung für die Lemke-Brüder nach Kriegsende über Jahre hinaus wiederholen.

Im Februar 1945 wurde auch Heinrichshof geräumt. Auf einem Pferdewagen ging es auf die Flucht in Richtung Westen. In einer Turnhalle, in der sie ein paar Tage untergebracht waren, hörten Ella und ihre beiden Söhne Donnergrollen. „Das sind die Russen, das sind die Russen“, wurde um sie herum getuschelt, aber Mutter Lemke beruhigte Eckhard und Dietrich: „Das ist nur ein Gewitter.“ Zu Fuß ging es weiter Richtung Westen, da tauchte wie aus dem Nichts Vater Lemke auf. Er hatte in seiner Einheit erfahren, dass seine Familie in der Turnhalle gewesen war, war aufs Rad gesprungen und die Strecke abgefahren. Nachdem er sie gefunden hatte, kehrte er zu seinem Lazarettzug zurück und entschied mit der restlichen Besatzung, sich zu den Engländern durchzuschlagen, um so der russischen Gefangenschaft zu entgehen.

Als die Familie Haffkrug erreichte, war Hans Lemke wieder unter den Seinen. Kurz darauf wurde er abgeführt und kam nach Eutin in englische Gefangenschaft. Mit seiner Frau verabredete er, sich an einer bestimmten Stelle zu treffen, wenn der Kontakt wieder möglich sei. Zwei Tage später bekam Ella die Nachricht, dass ihr Mann die Familie unterbringen konnte. Hans Lemke hatte die britische Militärverwaltung davon überzeugt, dass sie beim Aufbau der Verwaltung von seinen Kompetenzen profitieren würde. Dabei verkaufte er sein Organisationstalent so überzeugend, dass er sogar die Bedingung stellen konnte, für seine Familie sorgen zu dürfen.

Ella Lemke wurde mit den beiden Söhnen Eckhard und Dietrich und anderen Kindern auf einem Gutshof in Obersteenrade untergebracht. „Der Gutsherr hatte eine große Villa, aber wir mussten uns mit 17 Personen ein Zimmer von 20 Quadratmetern teilen“, sagt Dietrich Lemke. Dennoch waren die Flüchtlinge froh, ein Dach über dem Kopf und die Gelegenheit zum Kochen zu haben. Für die bescheidenen Lebensmittel sorgte die Landwirtschaft. Vater Hans machte sich bei den Engländern nützlich und bekam öfter Freigang, sodass er sich um die Familie kümmern konnte. Von einem verstorbenen Kameraden hatte er ein Pferd geerbt, das er nun auf den Bauernhof brachte. Damit verbesserte sich die Situation der Familie erheblich. Bald konnten die Lemkes dort in ein kleines Häuschen ziehen, mit zwei Zimmern, Küche und angrenzendem Schweinestall.

Als Vater Hans endgültig aus der Gefangenschaft entlassen worden war, arbeitete er als Knecht in der Landwirtschaft. Für diese Tätigkeit war er nicht sonderlich begabt. Schon am ersten Arbeitstag wurde er von einem Pferd mit dem Namen Else getreten und brach sich drei Rippen. Kaum genesen, fiel ihm ein Traktorrad auf den Fuß. Dabei brach er sich zwei Zehen und war wieder arbeitsunfähig. Nachdem er gesundheitlich wiederhergestellt worden war, rackerte er noch weitere anderthalb Jahre. Und die Familie war froh, denn das Landleben sorgte für ausreichend Nahrung. „Viele wissen heute nicht mehr, wie oft es in der Nachkriegszeit Hungersnöte gab“, sagt Dietrich Lemke. Zur Familie gehörten inzwischen eigene Hühner, Kaninchen und zwei Schweine: Heinrich I. und Heinrich II. Vom Bauern gab es Milch und bisweilen ein gutes Wort. Und für die Liebe war auch Platz. Am 19. August 1946 erblickte Wilfried Lemke bei einer Hebamme in Pönitz in Ostholstein das Licht der Welt.

Noch im selben Jahr fand der Vater bei seinem alten Arbeitgeber, der National-Versicherung, wieder Arbeit. Damit Hans Lemke seinen neuen Arbeitsplatz in Lübeck, dem Sitz der „National“, mit dem Fahrrad besser erreichen konnte, zog die Familie nach Dänischburg, ganz nahe bei Lübeck. Hier lebten die Lemkes in einer sogenannten Deputatarbeiter-Wohnung: So hießen damals die Unterkünfte für jene Landarbeiter, die hauptsächlich in Naturalien ausbezahlt wurden. Es gab ein Plumpsklo vor den Ställen, das sich die Familie mit einer anderen Flüchtlingsfamilie teilen musste. Die oft bedrückende Armut wurde durch sogenannte Care-Pakete erheblich aufgelockert, die Tante Helen aus den USA den Lemkes...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2024
Verlagsort Rastede
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport Ballsport
ISBN-10 3-89684-720-1 / 3896847201
ISBN-13 978-3-89684-720-1 / 9783896847201
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