Racism kills (eBook)
496 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3644-9 (ISBN)
Lese- und Medienproben
Das erste Buch über Rassismus im Gesundheitswesen auf dem deutschen Markt.
Layal Liverpool zeigt, wie tief Rassismus in das Leben von Menschen eingreift, deren Körper für die Medizin noch immer unsichtbar sind: Schwarzen Menschen und People of Colour wird unterstellt, sie könnten mehr Schmerzen ertragen als weiße Menschen. Schwarze Frauen sterben viermal häufiger bei der Geburt. Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden nicht erkannt, transgenerationale Traumata nicht ernst genommen. Die in Berlin lebende Medizinerin Layal Liverpool legt die Wurzeln dieser tödlichen Ungleichheiten frei und führt den Beweis, dass unsere Gesellschaft weit davon entfernt ist, ihre Mitglieder gleich zu behandeln. Doch es gibt Wege zu einem gerechteren Gesundheitssystem, das den Wert des Lebens wirklich schätzt.
»Ein bahnbrechendes, brillant argumentiertes Buch, das mit dem Mythos aufräumt, dass Krankheit der große Gleichmacher ist.« Siddharta Mukherjee.
»Klarsichtig und beeindruckend.« The Guardian.
»Ein Werk von überragender Bedeutung, das zweifellos die Wissenschaft verändern und Leben retten wird.« Chris van Tulleken.
Layal Liverpool ist Wissenschaftsjournalistin für die Themen Technologie, Physik, Umwelt und Gesundheit, wobei sie sich insbesondere mit Ungleichheiten in Wissenschaft, Gesundheit und Medizin befasst. Ihre Artikel sind unter anderem in Nature, New Scientist, WIRED und dem Guardian erschienen. Bevor sie in den Journalismus wechselte, arbeitete Layal als biomedizinische Forscherin am University College London und an der University of Oxford. Sie hat in Virologie und Immunologie an der Universität Oxford promoviert. Sie lebt in Berlin.
Einleitung
Damals, als junges Mädchen mitten im Teenageralter, entdeckte ich auf einmal immer mehr kleine helle Flecken auf meiner Haut, im Gesicht und an den Armen. Ich war ohnehin wenig selbstbewusst, und jetzt auch noch das. Die Flecken gingen mit heftigem Juckreiz einher, weshalb meine Mutter mit mir zum Arzt ging. Ein jahrelanges Ärzt:innen-Hopping begann, von einem Spezialisten zum nächsten, darunter etliche Dermatologen, die mir alles Mögliche verschrieben, von Antibiotika bis Antimykotika. Nichts davon half. Die hellen Flecken auf meiner Haut blieben, wurden noch größer, noch auffälliger. Dann, inzwischen war ich erwachsen, zog ich von den Niederlanden, wo ich aufgewachsen war, nach England, und begann dort als Assistentin in der biomedizinischen Forschung in London zu arbeiten. Zu dieser Zeit hatte ich irgendwann einen besonders schlimmen Ausbruch und stellte mich einem weiteren Dermatologen vor. Bis dahin war ich bei so vielen Ärzten gewesen, hatte so viele Behandlungen durchprobiert, dass ich mich wohl oder übel mit dem Gedanken abfinden musste, an irgendeiner extrem seltenen Hautkrankheit zu leiden, die unmöglich zu diagnostizieren und schon gar nicht zu behandeln war.
Nach einem kurzen Gespräch und einer Begutachtung meiner Haut attestierte mir der Arzt jedoch einen klassischen Fall von atopischer Dermatitis, auch bekannt als endogenes Ekzem oder Juckflechte – eine der häufigsten Hauterkrankungen. Der Arzt hatte ebenfalls eine dunklere Hautfarbe, ähnlich der meinen und er erklärte mir, dass diese Form der Dermatitis vereinzelt zu Pigmentverlust (Hypopigmentierung) führen könne, die auf dunklerer Haut anders aussieht als auf hellerer. Die hauptsächlich weißen[1] Ärzt:innen, die ich bis dato aufgesucht hatte, so seine Einschätzung, hätten mein Ekzem möglicherweise deshalb nicht erkannt, weil sie mit deren Erscheinungsbild auf Haut wie meiner nicht vertraut waren. Glücklicherweise gibt es gute Behandlungsmöglichkeiten. Und auch wenn ich immer mal wieder Schübe bekomme, sind meine Ekzeme heute weitgehend unter Kontrolle und meine Hautpigmente nahezu vollständig wieder da.
Die Erfahrung aber sitzt tief. Ich fragte mich, ob bei dunkelhäutigen Menschen nicht auch andere Erkrankungen unerkannt bleiben, möglicherweise auch ernstere, weil Ärzt:innen nicht darin geschult sind, die verschiedenen Arten zu erkennen, in denen sich ihre Symptome darstellen. Zum Glück war ich nicht die Einzige, die sich diese Frage stellte.
Malone Mukwende beispielsweise interessierte sich schon in jungen Jahren für die Wissenschaft, vor allem dafür, wie Krankheiten zu vielfältigen Veränderungen im menschlichen Körper führen können, was ihn letztlich bewog, Medizin zu studieren.1 Doch während seines Studiums am St. George’s Hospital der University of London bemerkte er eine beunruhigend einseitige Lehrausrichtung in der Diagnosestellung, erst recht, als er in den medizinischen Lehrbüchern nach Bildbeispielen von Krankheitssymptomen auf dunklerer Haut suchte und nirgendwo welche fand. »Ein großes Problem, denn ich wusste, dass bestimmte Symptome auf meiner Haut, einer Schwarzen Haut, einfach anders aussehen«, erklärte Mukwende 2002 in einem Interview gegenüber der Washington Post.2
Mukwende beschloss, etwas gegen diese beunruhigende Schieflage zu tun, wandte sich an Dozierende seiner Universität, und es entstand die gemeinsame Idee zu einem Handbuch, einem nützlichen Begleiter für die medizinische Praxis. Inzwischen steht das Buch mit dem Titel Mind the Gap: A Handbook of Clinical Signs in Black and Brown Skin kostenlos zum Download zur Verfügung3 und findet viel Beifall, vor allem unter Mediziner:innen und Wissenschaftler:innen wie Patricia Louie, Soziologin an der University of Washington. Ihre Forschungen ergaben 2018, dass fast 75 Prozent der Bildbeispiele, die sich in den gebräuchlichsten medizinischen Referenzwerken der USA finden, hellere Hauttypen zeigen, während dunklere mit weniger als 5 Prozent vertreten sind. Selbst in Südafrika, wo die Bevölkerung mehrheitlich Schwarz ist, lernen die meisten Medizinstudierenden aus ähnlich tendenziösen Lehrbüchern.4,5 Und dass Menschen durch diese einseitigen Perspektiven zu Schaden kommen, steht außer Frage. Die Wahrscheinlichkeit, dass verbreitete Hauterkrankungen wie Psoriasis undiagnostiziert bleiben, liegt in den USA für BIPoC (die Abkürzung bezieht sich auf Schwarze, Indigene und People of Colour) höher als für weiße Menschen.6,7
Das Problem der rassifizierten Verzerrungen (racial bias) in der Medizin beschränkt sich aber nicht allein auf die Dermatologie. Zahlreiche Studien belegen eine implizite oder unbewusste Voreingenommenheit unter medizinischem Fachpersonal auf breiter Basis.8 Und das ist nicht weiter verwunderlich – wir alle sind Menschen, und Menschen haben vorgefasste Meinungen. Unreflektiert jedoch können gesundheitsschädliche Stereotypen wie die feste Überzeugung, Schwarze seien weniger schmerzempfindlich als Weiße, dazu führen, dass Ärzt:innen die Schwere von Symptomen bei Schwarzen Patient:innen unterschätzen und eine adäquate medizinische Weiterbehandlung ausbleibt.9,10,11,12,13 Viele dieser Stereotype gründen auf der irrigen Überzeugung, es gebe biologische Unterschiede zwischen »Rassen«. Wie eine 2016 durchgeführte US‑Studie ergab, stimmte rund die Hälfte der 222 teilnehmenden weißen Medizinstudent:innen und Assistenzärzt:innen mindestens einer von mehreren falschen Aussagen über angebliche biologische Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen zu, darunter Aussagen wie »Die Nervenenden von Schwarzen Menschen sind weniger schmerzempfindlich als die von weißen Menschen«, oder »Die Haut von Schwarzen Menschen hat mehr Kollagen und ist damit dicker als die von weißen Menschen.«14 Im Ergebnis belegt die Studie anhand fiktiver Patient:innen, dass falsche Grundüberzeugungen unweigerlich in racial bias münden, was Schmerzbeurteilungen und anschließende Behandlungsempfehlungen anbelangt.
»Rasse« aber ist kein biologisches Merkmal[2] . Trotzdem kann ich es jedem verzeihen – auch den Medizinstudent:innen und Ärzt:innen der oben beschriebenen Studie –, der bei Betrachtung unserer Welt zu einem anderen Schluss kommt. Wohin man schaut, die Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit zwischen rassifizierten und ethnischen Gruppen sind immens; die Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe ist im Allgemeinen mit schlechteren Gesundheitsergebnissen (health outcome) verbunden. Deutlich bewusst wurde mir dies, als ich als Wissenschaftsjournalistin über in der Ethnie begründete Unterschiede im Zusammenhang mit Infektionen und Todesursachen berichtete, die während der Covid‑19‑Pandemie in einer Reihe von Ländern bereits sehr früh auftraten. Sogleich spekulierten einige Wissenschaftler:innen, dass gesundheitliche Disparitäten zwischen ethnisch diversen Gruppen, zumindest teilweise, genetisch bedingt sein könnten.15,16 Darin spiegelt sich ein langjähriger Trend innerhalb der Medizinwissenschaft, sich auf Biologie und Genetik zu stützen, um differente health outcomes zwischen Schwarzen und Weißen zu erklären, anstatt den eigentlichen Übeltäter namens Rassismus konkret zu benennen und umfassend zu erforschen. Racial bias in der Medizin zeigt beispielhaft die Vielfalt der negativen Auswirkungen von Rassismus auf die Gesundheit marginalisierter Gruppen. Es gibt immer mehr unabweisbare Indizien dafür, dass Rassismus in unseren Gesellschaften heute ein wesentlicher Treiber für eine wachsende ethnisch bedingte Kluft (health gap) im Gesundheitswesen ist.
Wissenschaftliche und medizinische Autoritäten sehen Rassismus zunehmend als eine ernste Bedrohung für das öffentliche Gesundheitswesen. In den Jahren vor Erscheinen dieses Buches bezeichnete das renommierte medizinische Fachblatt The Lancet Rassismus als einen »gesundheitlichen Notfall von globaler Tragweite« und veröffentlichte eine Sonderserie, um die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung samt der sie stützenden Strukturen aufzuzeigen.17,18 Zu...
Erscheint lt. Verlag | 15.10.2024 |
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Übersetzer | Regina M. Schneider |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Systemic. How Racism Is Making Us Ill |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Alltagsrassismus • caroline criado-perez • Colorism • Datenlücken • Eurozentrismus • Gesundheitsberufe • Gesundheitssystem • Gesundheitswesen • Kolonialmedizin • Körper • Medizin • medizinische Mythen • Medizinlehrbuch • Medizinstudium • Rassismus • Selbsthilfegruppen • Soziale Missstände • Statistiken • Stereotype • strukturelle Diskriminierung • struktureller Rassismus • systemischer Rassismus • Trauma • Ungleichheit • Unsichtbare Frauen • Vertrauensverlust • Vorurteile • weiße Standards |
ISBN-10 | 3-8412-3644-8 / 3841236448 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3644-9 / 9783841236449 |
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Größe: 542 KB
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