Die ersten Israelis (eBook)

Die Anfänge des jüdischen Staates

(Autor)

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2024
416 Seiten
Pantheon Verlag
978-3-641-32162-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die ersten Israelis - Tom Segev
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Geboren im Mai 1948: Das eindrucksvolle Porträt des jungen jüdischen Staates, mit all seinen Hoffnungen und Widersprüchen
Die Staatsgründung Israels im Mai 1948 war eines der wichtigsten und folgenreichsten Ereignisse der letzten hundert Jahre. Wie kein Zweiter versteht es Tom Segev, ein Zeitgemälde der ersten Generation der Israelis mit all ihren Widersprüchen zu entwerfen. Indem er gleichermaßen die großen politischen Zusammenhänge und die individuellen Perspektiven zusammen führt, beschreibt Segev das Bild einer jungen Gesellschaft, die einerseits eine Notgemeinschaft und zugleich tief gespalten war: Immigrierte Holocaust-Überlebende trafen auf Siedler der ersten Stunde, Juden trafen auf Palästinenser.

Dieses Buch ist unerlässlich für ein Verständnis der Konflikte, die die israelische Gesellschaft bis heute beschäftigen und spalten.

Tom Segev ist Historiker und einer der bekanntesten Journalisten Israels, dessen Bücher alle weltweit große Beachtung finden. Seine Eltern flohen 1935 aus Deutschland nach Palästina. Tom Segev wurde 1945 in Jerusalem geboren und gehört seit über 50 Jahren zu den klügsten Beobachtern der deutsch-israelischen Geschichte. In Deutschland wurde er durch sein Buch »Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung« (1995) bekannt. Für »Es war einmal ein Palästina« (2005) wurde er mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm bei Siedler seine viel gerühmte Geschichte des Sechstagekrieges »1967. Israels zweite Geburt« (2007), »Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates« (2008), die Biografie »David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis« (2018) sowie seine Lebenserinnerungen »Jerusalem Ecke Berlin« (2022). Segev lebt in Jerusalem.

Vorwort zur englischen Ausgabe


Einige Zeit nach dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches überraschte mich ein Freund mit einer arabischen Ausgabe, die in Beirut vom Institut für Palästinensische Studien herausgebracht worden war. Ich war vorher über die Übersetzung nicht informiert worden, und natürlich hatte dieses Institut, das der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) nahesteht, weder um Erlaubnis gefragt, noch zahlte es Tantiemen. Dennoch war ich sehr froh darüber, dass das Buch nun auch auf die andere Seite der Frontlinie gelangt war. Als ich später einem Mitarbeiter dieses Instituts begegnete, sagte ich zu ihm: »Ich kenne Sie – Sie haben mein Buch gestohlen.« »Das stimmt«, erwiderte der Mann, »aber Sie haben mein Land geraubt.« Dieser kleine Wortwechsel spiegelt sehr treffend das Diskussionsniveau wider, das in den 1980er Jahren zwischen Israelis und Palästinensern herrschte. Seitdem hat sich zweifellos viel verändert. Die ersten Israelis würden ihr Land heute wohl kaum wiedererkennen.

Die Geschichte dieser ersten Israelis ist für mich letztlich eine Erfolgsgeschichte; ich denke voller Mitgefühl an sie und beneide sie auch ein wenig darum, dass sie teilhaben durften an der historischen Aufgabe, einen neuen Staat aufzubauen. Doch als mein Buch vor zehn Jahren in Israel erschien, löste es eine heftige Kontroverse aus. Die Reaktionen reichten von Scham über Entsetzen bis zu heftiger Ablehnung, weil das Buch ein tief verwurzeltes Selbstverständnis erschütterte und viele allgemein akzeptierte Wahrheiten als Mythen entlarvte. Seine Wirkung war umso durchschlagender, weil sich seine Erkenntnisse fast ausschließlich auf amtliche Dokumente stützten.

Die Geschichte spielt im politischen und kulturellen Diskurs Israels eine immens wichtige Rolle. Die Existenz des Landes beruht auf einer bestimmten Auslegung der jüdischen Geschichte, nämlich der zionistischen. Der offiziellen Version zufolge – die lange Zeit die einzige Version darstellte – war die Geschichte Israels ein Musterbeispiel für die Verwirklichung von Gleichheit und Gerechtigkeit. Doch mein Buch zeigte, dass die historische Entwicklung weit weniger harmonisch und heldenhaft verlaufen war, als man es die Israelis glauben gemacht hatte. Denn es ist wahr: Israel trägt durchaus eine Mitschuld an der Tragödie der palästinensischen Flüchtlinge; es hat nicht alle Chancen genutzt, mit den arabischen Nachbarn Frieden zu schließen, und die Regierung hat bisweilen tatsächlich Neueinwanderer aus den arabischen Ländern diskriminiert. Daher kam es nicht überraschend, dass viele Kritiker wütend reagierten; einige bezeichneten mein Buch gar als Ausdruck post-zionistischen Selbsthasses.

Das Erscheinen des Buches fiel in eine Zeit großer gesellschaftlicher Verunsicherung in Israel, die durch den fortdauernden Libanonkrieg und dreistellige Inflationsraten gekennzeichnet war, um nur zwei Ursachen dieser Instabilität zu nennen. Kurz nachdem das Buch herausgekommen war, veröffentlichte die mittlerweile eingestellte Wochenzeitung Koteret Rashit eine landesweite Umfrage, die ergab, dass sich acht von zehn Israelis persönlich glücklich fühlten, aber sechs von zehn glaubten, dass dies für die meisten anderen Israelis nicht zuträfe. Dieser Widerspruch mag als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Menschen zwar mit ihrem eigenen Leben weitgehend zufrieden waren, im Hinblick auf das Wohl der gesamten Gesellschaft dagegen Unsicherheit vorherrschte. Wäre eine solche Erhebung 1949 durchgeführt worden, hätte sie wohl ein gegenteiliges Ergebnis gebracht: Die ersten Israelis waren persönlich überwiegend unzufrieden, glaubten aber an die Zukunft ihres Landes. Sie hatten einen Traum. Dies ist wahrscheinlich der größte Unterschied zwischen den Israelis von damals und heute.

Doch der Verlust dieses Traums ist nicht durchweg negativ zu werten, denn an seine Stelle trat Selbsterkenntnis. Das israelische Volk ist erwachsen geworden. Der Reifeprozess vollzog sich im Gefolge der Friedensverhandlungen mit Ägypten und Jordanien sowie der Verhandlungen mit den Palästinensern: Die Israelis fühlen sich heute sicherer, und auch ihre wirtschaftliche Lage hat sich deutlich verbessert. Anders als die ersten Israelis, die sich als Kollektiv verstanden, betrachten sich heute die meisten als Individuen. Das Gefühl der Stammeszugehörigkeit, das in den Anfangsjahren Israels eine Notwendigkeit gewesen sein mag, hat mittlerweile viel von seiner Bedeutung verloren, wie auch die politische Ideologie im Allgemeinen. Immer mehr Israelis orientieren sich nicht mehr an der Vergangenheit oder der Zukunft, sondern an der Gegenwart, am Leben selbst. Nachdem sie erwachsen geworden sind, haben sie auch ein gewisses Maß an Selbstkritik entwickelt. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass viele der so genannten »neuen Historiker« an amerikanischen Universitäten studiert haben; eine der wichtigsten Erkenntnisse, die sie mit nach Hause brachten, lautet, dass allgemein akzeptierte Wahrheiten immer wieder hinterfragt und kritisch überprüft werden müssen.

Soweit ich weiß, wurde der Begriff »neue Geschichtsschreibung« in Israel erstmals im Zusammenhang mit meinem Buch verwendet. Aber ich war in keinerlei Hinsicht ein »neuer« Historiker, sofern man darunter einen alternativen oder revisionistischen Historiker versteht. Ich hatte nur das Glück, dass viel Archivmaterial, das früher unzugänglich war, nun der Forschung zur Verfügung gestellt wurde. Und daher erhielt ich die Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen, die noch niemand vor mir erzählt hatte. Dadurch, dass ich dieses Material verwenden konnte, wurde ich, genauer gesagt, zu einem »ersten« Historiker, der sich mit diesem speziellen Zeitabschnitt befasste, und ein Großteil dessen, was man später als »neue Geschichtsschreibung« bezeichnete, ist im Grunde nur eine »erste Geschichtsschreibung«. Bevor die Archive freigegeben wurden, besaß Israel eine nationale Mythologie; erst nach der Öffnung der Archive konnte die wirkliche Geschichte geschrieben werden, und zwar zum ersten Mal. Die wahren neuen Historiker werden jene sein, die das, was wir getan und geleistet haben, neu darstellen und neu bewerten.

In den vergangenen Jahren hat die israelische Regierung die Protokolle der Kabinettssitzungen des Jahres 1949 freigegeben. Die meisten dieser Dokumente waren mir bei der Arbeit an diesem Buch noch nicht zugänglich, obwohl ich inoffiziell in Teile von ihnen Einblick nehmen konnte. Die Freigabe dieser Protokolle zeugt von einem erfreulichen Maß an Liberalität, wenn auch einige nach wie vor geheim bleiben – vor allem jene, die Beweise für die Gräueltaten enthalten, die während des Krieges von 1948 von israelischen Soldaten an Palästinensern verübt wurden, oder jene, in denen Diskussionen hochrangiger Kabinettsmitglieder über die Notwendigkeit der Vertreibung der arabischen Bevölkerung festgehalten sind. So wird es den Israelis auch heute noch verwehrt, die vollständige Wahrheit über ihre Vergangenheit zu erfahren.

Ich möchte die Leser darauf aufmerksam machen, dass neben den neuen Archivmaterialien im vergangenen Jahrzehnt auch zahlreiche weitere Bücher über die Anfangsjahre Israels veröffentlicht wurden. Nachfolgend nur ein paar interessante Titel: Itzhak Levis Erinnerungen an den Unabhängigkeitskrieg von 1948 enthalten einen bemerkenswerten Bericht über das Massaker von Deir Yassin. Benny Morris befasst sich mit den Ursprüngen des arabischen Flüchtlingsproblems in seinem Buch The Birth of the Palestinian Refugee Problem. Eine Reihe weiterer Historiker, darunter Baruch Kimmerling, Ilan Pape, Zaki Schalom, Itamar Rabinovitz, Ayre Shalev und Avi Shlaim, haben verschiedene Aspekte des israelisch-arabischen Konflikts neu untersucht und die offizielle israelische Geschichtsschreibung in Frage gestellt. Mehrere neue Bücher wurden auch über die arabischen Bürger Israels geschrieben, wobei jenes von Uzi Benziman und Attalah Mansour besonders hervorzuheben ist.

Die schmerzliche Geschichte von den jemenitischen Kindern, die erstmals in meinem Buch dargestellt wurde, hat in jüngster Zeit zu einer hitzigen politischen Debatte geführt, die durch ein hohes Maß an Demagogie geprägt war und sogar Gewaltausbrüche nach sich zog. Zwei offizielle Untersuchungskommissionen, neben jener, die ich in meinem Buch erwähne, wurden eingerichtet, um dieser Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Auch der Umgang mit Neueinwanderern wurde in einer Reihe von Arbeiten etwa von Dvora Hakohen, Zwi Tsameret und anderen aufgegriffen. Die Behandlung der Holocaustüberlebenden wurde von Hanna Yablonka untersucht, wie auch von mir in meinem Buch Die siebte Million.

Während Israel den fünfzigsten Jahrestag seiner Staatsgründung feiert, ist seine Gesellschaft weiter durch Grundkonflikte tief gespalten. Israel ist heute zerrissener denn je und gefangen in einem Kulturkampf, einem Krieg zwischen grundlegender Moral und politischen Werten. Ministerpräsident Yitzhak Rabin hat in diesem Krieg sein...

Erscheint lt. Verlag 3.4.2024
Übersetzer Helmut Dierlamm, Hans Freundl
Zusatzinfo mit Abbildungen
Sprache deutsch
Original-Titel 1949. The First Israelis
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Schlagworte 2024 • 20.Jahrhundert • Bodenoffensive • Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch • eBooks • Gaza • Geiseln • Geiselnahme • Geschichte • Gründung • HAMAS • Holocaust • Israel • Judentum • Naher Osten • Nakba • Netanyahu • Neuerscheinung • Palästinenser • Pioniere • Politik • Staat • Terror • Utopie • Westjordanland • Zionismus
ISBN-10 3-641-32162-X / 364132162X
ISBN-13 978-3-641-32162-8 / 9783641321628
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