Nachspielzeiten (eBook)

Denn der Fußball schreibt die besten Geschichten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12233-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nachspielzeiten -  Lucas Vogelsang
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König Otto auf dem Thron. Der Kaiser in New York. Ein Torhüter als Wrestler. Fußball war immer schon mehr als nur Fußball. Deshalb macht sich Lucas Vogelsang auf den Weg, an die Ränder des Spiels, zu den Helden von einst, trifft Paul Gascoigne und Vinnie Jones in England, Mehmet Scholl in München und Rehhagels rechte Hand in Thessaloniki. Er tanzt mit Beckenbauer und Pelé im Studio 54, wirft sich mit Tim Wiese in den Ring und geht mit Häßler, Legat und Hartwig in den Dschungel. So sind seine NACHSPIELZEITEN eine Reise durch die Bilder und Biografien. Aber vor allem eine große Liebeserklärung an den Fußball und die Menschen, die ihn prägen. Wie konnte Otto Rehhagel 2004 Europameister werden, Paul Gascoigne in einer einzigen Nacht ein ganzes Land verändern und Franz Beckenbauer Ende der Siebzigerjahre New York erobern? Lucas Vogelsang schaut noch einmal genau hin und erzählt in seinem neuen Buch von den langen Augenblicken nach dem Abpfiff, dem schnellen Leben nach der Karriere, den kleinen und großen Dramen des Spiels. So nimmt er uns mit, auf eine Ehrenrunde durch die Momente und Zitate, hinein in die Erinnerungen und den Jubel. Und liefert damit, ganz nebenbei, auch die nächste Ladung Legenden. Seine NACHSPIELZEITEN sind eine literarische Verbeugung. Vor dem Fußball. Und den Menschen, die ihn prägen.

Lucas Vogelsang, geboren 1985, ist ein Kind der Bundesliga. Da es zum Fußballer aber nicht reichte, wurde er Autor. Seitdem hat er für den Tagesspiegel, den Playboy, Welt am Sonntag und den Stern geschrieben. Er konnte einen Henri-Nannen-Preis, einen Deutschen Reporterpreis und, am Ende doch auf dem Platz, einen inoffiziellen Europameister-Titel in Rom gewinnen. 2021 erschienen seine ZEITLUPEN. Denn der Fußball schreibt die besten Geschichten. Lucas Vogelsang ist Teil des Podcasts FUSSBALL MML und spielt für die deutsche Autorennationalmannschaft. Er lebt in Berlin.

Lucas Vogelsang, geboren 1985, ist ein Kind der Bundesliga. Da es zum Fußballer aber nicht reichte, wurde er Autor. Seitdem hat er für den Tagesspiegel, den Playboy, Welt am Sonntag und den Stern geschrieben. Er konnte einen Henri-Nannen-Preis, einen Deutschen Reporterpreis und, am Ende doch auf dem Platz, einen inoffiziellen Europameister-Titel in Rom gewinnen. 2021 erschienen seine ZEITLUPEN. Denn der Fußball schreibt die besten Geschichten. Lucas Vogelsang ist Teil des Podcasts FUSSBALL MML und spielt für die deutsche Autorennationalmannschaft. Er lebt in Berlin.

»Vogelsangs Buch […] ist eine interessante Reise durch Fußballmythen und Biografien.«
Die Presse, 08. Juni 2024

»In seinen clever gebauten Reportagen tummeln sich Schmerzensmänner wie Eike Immel und Jimmy Hartwig, ewig Verkannte wie Mehmet Scholl oder Getriebene wie Tim Wiese. Männer, die (zu) viel wollen, gefeiert werden und tief fallen, das ganze griechische Drama auf und neben dem Platz.«
Stefanie Jaksch, Buchkultur, Ausgabe 02/2024, 12. April 2024

»Jede Geschichte der ›Nachspielzeiten‹ ist sprachlich eine Ode an den Fußball, an die Freude, die er schenkt.«
Thomas Badtke, ntv, 08. September 2024

»Seine ›Nachspielzeiten‹ sind eine große Liebeserklärung an den Fußball und die Menschen, die ihn prägen. Ein literarischer Appetitmacher zeitnah zur Fußball-EM.«
Markus Ehrenberg, Tagesspiegel Ticket, 23.-29. Mai 2024

»Lucas Vogelsang schätze ich unheimlich, da er ein toller Autor ist und viel zu erzählen hat, gerade rund um Fußball und weil er es immer schafft, das noch einmal auf eine andere Ebene zu bringen.«
Markus Lanz, Lanz & Precht, 28. Juni 2024

Vorwort


Erzählen ist das einzige Spiel,
das zu spielen sich lohnt.

Federico Fellini

Sie sprechen mit den Füßen, die beiden Jungen im Hof. Zwischen den Pinien. Ich sitze auf meinem Balkon, während die Hitze des Tages das Tal verlässt, und höre ihnen zu. Höre ganz genau hin. Unten das Geräusch des Balles, der getreten wird. Der Ball auf Stein, immer hin und her, bald Melodie.

Die beiden Jungen spielen, gemeinsam. Der eine, zehn Jahre alt vielleicht, stammt aus Frankreich. Seine Mutter liegt hinten am Pool. Der andere, etwas älter wahrscheinlich, kommt aus Polen. Sie sind sich gerade erst begegnet. Ein Urlaubsmoment, hier in Kroatien. Sie kennen die Wörter des anderen nicht. Aber dort unten, zwischen den Büschen, lag dieser Ball. Und mehr brauchten sie nicht.

Jetzt spielen sie, wortlos fast, seit bald einer Stunde. Immer hin und her. Der Ball auf Stein, er hat kaum noch Luft, schabt über den Boden, klatscht gegen umliegende Stämme.

Es gibt keine Tore und auch kein Feld. Die Jungen zählen nicht mit, ihr Spiel hat kein Ziel, aber das kümmert sie nicht. Es geht nur um den Ball, so unterhalten sie sich.

Jeder Pass eine Frage, jeder Schuss eine Antwort. Es ist ihre Sprache. Die Bewegungen, sie sind fließend darin.

Fußball, an diesem Abend mehr als genug.

Und ich sitze oben auf dem Balkon und muss an die zurückliegenden Tage denken, die lange Fahrt von Split nach Dubrovnik. Rechts immer das Meer, links immer die Hügel, die Hänge. Aber vor allem die Mauern, Häuserwände, Steilklippen aus Beton. Darauf die Farben des Fußballs, nicht zu übersehen. Gigantische Graffiti, oft meterlang und meterhoch. Überall am Wege. Das rot-weiße Schachbrett der kroatischen Flagge, ein blauer Ring drum herum.

Die Farben von Hajduk, dem Verein hier am Meer.

Der gefährliche Stolz der Region, als würde er jeden Moment durch den Stein brechen.

Der Fußball, als wäre er Amtssprache hier.

Er hatte mich über Stunden begleitet.

Und in den Hütten, den kleinen Läden an den Hauptstraßen der Küstenorte, hingen gleich auch die passenden Trikots, natürlich schlechte Kopien. Modrić wie selbst gemalt, Perišić aus Polyester, Srna als Souvenir.

20 Euro, guter Preis. Helden für die Kinder am Strand.

Kroatien, Vizeweltmeister von 2018 und seit jeher bekannt für feine Füße und faschistische Freunde, hatte in diesem Sommer mal wieder ein Finale erreicht.

Nations League gegen Spanien, und die Flaggen hingen aus den Fenstern, schlaff, aber doch stolz in der Mittagsglut.

Der Fußball war in den Bars und in den Cafés, in den Schlagzeilen und in den engen Gassen am Rand.

Der Fußball, man entkommt ihm halt nicht.

Er lehnt an der Leitplanke.

Ein Anhalter, lächelnd im Rückspiegel.

Er steht als Rentner am Kiosk.

Oder im Blaumann zwischen den Zapfsäulen.

Er liegt an der Kasse, zwischen Kippen und Bier.

Er kennt keine Grenzen und ist meist vor dir schon da. Und, ehrlich gesagt, hatte ich ihn ja selbst mit dabei. Sauber verstaut. Der Kofferraum immer übervoll mit Momenten, seit Jahren unsichtbares Gepäck. Schließlich wusste ich, dass er mir nützlich sein würde.

Ein Kamerad, ein Freund in der Fremde.

Am Nachmittag dann, ein Tal im Hinterland von Dubrovnik, die Unterkunft noch weitestgehend verlassen, saß ein junger Schotte am Pool, die Waden im Wasser, ein Buch auf den Schenkeln. Das Cover war grün, weiße Linien dazu.

Ein Fußballfeld, Pfeile und Kringel. Taktische Striche.

The Mixer, das war der Titel.

The Story of Premier League Tactics.

Von hoch und lang zur falschen Neun.

Damit, eh klar, hatte er mich schon.

Als er schließlich aufstand und mir ein Getränk anbot, Gin Tonic aus der Dose, kamen wir gleich ins Gespräch. Er war Lehrer. Oberstufe, Psychologie und Sport, vor allem aber ein leidenschaftlicher Anhänger des Heart of Midlothian, Mittelmaß aus Edinburgh. Zuletzt abgeschlagen Vierter, sagenhafte 45 Punkte hinter Celtic, dem Dauermeister aus Glasgow. Ein hoffnungslos Verliebter also auch.

Die Hearts, darauf einigten wir uns schnell, waren im Grunde die schottische Hertha. Von windigen Präsidenten verraten, mit Punktabzügen bestraft. Die letzte Meisterschaft Jahrzehnte her. Womit wir das Schicksal der Sehnsüchtigen teilten, das dumpfe Dümpeln zwischen Tradition und Tristesse, und darauf natürlich noch einen trinken mussten.

Der Schotte holte noch zwei Gin Tonic.

Stimmungsdoping. Wacholder gegen den Wahnsinn.

Die Sonne brannte in den Nachmittag, nur die Zikaden waren zu hören. Und dort am Pool, wie zur Abkühlung, sprangen wir bald mit dem Kopf voran in die Geschichte des englischen Fußballs.

Cantonas Kragen und Fergusons Föhn.

Alan Shearer und die ersten Buden in Blackburn.

Beckham und die Klasse von 92.

Tony Adams und der Alkohol.

Und natürlich, es dauerte vielleicht fünf Minuten, standen wir schließlich auch auf dem Rasen von Wembley, Sommer 1996, 79. Minute. Zwischen uns, und gleich wieder zum Greifen nahe, Paul Gascoigne. Das Gesicht leuchtreklamerot, die Haare wasserstoffblond. Für immer 29 Jahre alt. Gazza aus der Konserve, unverbraucht in der Erinnerung.

Und er hebt den Ball über Colin Hendry, tritt dann den Ball in die Maschen. Das Tor des Turniers, der Jubel danach. Das ist hängen geblieben. Gänsehaut, auch bei 30 Grad im Schatten.

Gascoigne, sagte der Schotte schließlich.

Und schüttelte den Kopf dabei.

Dann musste er lachen. Weil wir hier am Beckenrand, schon leicht einen sitzen, natürlich die große Demütigung seiner Heimat beklatschten, die so schmerzhafte Niederlage gegen den immer schon übermächtigen Nachbarn, diesen Auld Enemy. Und weil er dennoch nur schwärmen, das Tor, den Kommentar des Reporters, den Jubel danach, immer noch auswendig konnte.

Gazza, bloody hell! Ein Genie, über Grenzen hinweg.

Die Neunziger, sie waren auch sein Jahrzehnt. Und natürlich kannte der Schotte alle Geschichten. Und jede Schlagzeile noch obendrein. Den Griff in die Eier, den Absturz mit der Sporttasche, die Talkshow-Auftritte und Entziehungskuren.

The Dentist Chair Incident.

Weshalb wir nun also, nach zwei weiteren Drinks, mittlerweile Staropramen aus der Flasche, leichtfüßig mit Anekdoten jonglierten, uns die Momente zuschoben. Und damit in diesen angenehmen Strudel gerieten, diesen gemeinsamen Rausch, wenn aus Orten Wegmarken werden.

Und aus Namen Vokabeln.

Doppelpässe, bis in den Abend hinein.

Das also, dachte ich dann, geht noch immer.

Das hat sich, Fußballgott sei Dank, nicht verändert.

Denn schon früher, unterwegs in der Welt, habe ich auf die irgendwann gestellte Frage, wie viele Sprachen ich eigentlich spreche, immer wahrheitsgemäß und ohne Zögern geantwortet.

Drei.

Deutsch, na klar.

English, for sure.

Und Fußball.

Ging gar nicht anders, stimmte ja auch. Fußball war mein persönliches Esperanto, immer schon. Er konnte Türen und Menschen öffnen, Verbündete schaffen. Im Abteil eines Zuges, an der Theke einer schummrigen Spelunke, auf der Sonnenliege eines Sternehotels. Ganz egal. Weil oft schon wenige Silben reichten, Beckenbauer, Pelé, um sich selbst im Unbekannten wiederzuerkennen, im Gegenüber Gemeinsamkeiten zu finden. Eine Grundlage, für die dann sowieso folgenden Gespräche. Diese von großen Gesten begleiteten Geschichten, fast pathologische Pantomimen.

Die Hand Gottes.

Der Kopfstoß Zidanes.

Zlatans Scherenschlag.

Fußball, erklärte der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006, ist, eher noch als das Christentum, längst Weltsprache.

Ein Satz, der zwar als Provokation gedacht war, der Wirklichkeit aber sehr nahekam, weil es da draußen, in Südafrika, Brasilien oder Vietnam, ja durchaus Menschen geben soll, die heute, statt eines beliebigen Bibel-Psalms, viel eher die Aufstellung des FC Barcelona auswendig aufsagen können, beten sie doch, das Stadion als Hochamt, längst zu anderen Göttern.

Fußball, das Evangelium nach Matthäus.

Die Gespräche, das habe ich oft genug erlebt, in Kapstadt oder in Rio, in Sydney, in Liverpool oder Berlin, ähneln sich dann. Weil das Vertraute am Ende Vertrauen schafft. Gerade, wenn Fußball die einzige Möglichkeit ist, sich überhaupt zu verständigen.

Dann hilft Schweinsteiger gegen das Schweigen.

Und Lewandowski über die ersten Lücken hinweg.

In Thailand, Jahre her, wohnte ich einmal in einer staubigen und tagsüber eher unaufgeregten Seitenstraße, abends aber wurde es schlagartig dunkel, dann begann das Blinken der Bordelle, und mittelalte Männer in Hawaii-Hemden, Glatzen und Golduhren, warfen gierige Blicke, Ausschnitte wie Auslagen. Es roch nach billigem Sex.

An diesen Abenden, die Luft klebrig fast, saßen immer vier sehr lustige Typen auf der schmalen Holzveranda der kleinen Pension. Junge Thailänder, die Ketten trugen und Kette rauchten, die Zähne vom Tabak längst gelb. Sie verdienten ihr Geld, indem sie ihre Roller an schwere Touristen und leichte Mädchen vermieteten. Dann sahen sie den ungleichen Paaren hinterher, spuckten in den Sand, und lachten in den Rauch hinein.

Einer von ihnen hieß On.

Und On wollte sich gern unterhalten. Was jedoch gar nicht so leicht war, weil sein Englisch vor allem aus bunten Bruchstücken und ein paar wenigen, dafür aber umso ausgelatschteren Floskeln bestand. Ladyboy. Germany! Boom, boom! Damit, das merkten wir schnell, würden wir nicht weit kommen.

Weil On aber ein wirklich lustiger Typ war, mit einem Lächeln, so...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2024
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport Ballsport
Schlagworte Buch für Männer • Christian Fährmann • DJ Ferry • EM • EM 2004 • EM 2024 • Europameisterschaft • Franz Beckenbauer • Fußball • Fussball Buch • Fußballfans • Fußballgeschichte • Fußballliebhaber • Fußball MML • Gazza • Geschenk Mann • Griechenland • Ioannis Topalidis • Maik Nöcker • Mario Basler • Mehmet Scholl • Micky Beisenherz • MML • Neues Sachbuch 2024 • Otto Rehhagel • Paul Gascoigne • Pelé • Sportgeschichte • USA • Vinnie Jones
ISBN-10 3-608-12233-8 / 3608122338
ISBN-13 978-3-608-12233-6 / 9783608122336
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