Schluss mit der Co-Abhängigkeit (eBook)
400 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3140-9 (ISBN)
Melody Beattie (1948) ist eine bahnbrechende Stimme in der Selbsthilfeliteratur und weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, co-abhängig zu sein. Sie ist die Autorin vieler Bestseller und lebt in Südkalifornien.
Melody Beattie, eigentlich Melody Lynn Vaillancourt ist eine US-amerikanische Schriftstellerin, die vor allem durch das Buch Die Sucht gebraucht zu werden und ihren Einfluss innerhalb der Zwölf-Schritte-Bewegung bekannt geworden ist. Die Autorin, die vor acht Jahren ihren Sohn verlor, lebt in Malibu, Kalifornien.
Einleitung
Meine erste Begegnung mit Co-Abhängigen hatte ich Anfang der Sechzigerjahre. In jener Zeit bezeichnete man Menschen, die unter dem Verhalten anderer zu leiden hatten, noch nicht als Co-Abhängige und Menschen, die alkoholsüchtig oder von anderen Drogen abhängig waren, noch nicht als substanzabhängig. Obwohl ich nicht wusste, was Co-Abhängige kennzeichnete, wusste ich in der Regel doch, wer sie waren. Als jemand, der mit Alkoholsucht und Abhängigkeit zu kämpfen hatte, trug ich, während ich durchs Leben stürmte, dazu bei, dass weitere Menschen co-abhängig wurden.
Co-Abhängige waren ein notwendiges Übel. Sie waren feindselig, kontrollsüchtig, manipulativ und unaufrichtig. Sie sorgten dafür, dass ich Schuldgefühle hatte, waren schwierige Gesprächspartner, im Allgemeinen unangenehm, ja, manchmal ausgesprochen gemein, und vor allem stellten sie sich meinem Zwang in den Weg, high zu werden. Sie schrien mich an, versteckten meine Pillen, schauten mich böse an, kippten meinen Alkohol in den Ausguss, versuchten, mich davon abzuhalten, mir mehr Drogen zu besorgen, wollten wissen, warum ich ihnen das antat, und fragten, was mit mir los sei. Aber sie waren immer da, bereit, mich vor selbst verschuldeten Katastrophen zu bewahren. Die Co-Abhängigen in meinem Leben verstanden mich nicht, und dieses Nichtverstehen beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich verstand sie nicht, aber ich verstand auch mich nicht.
Den ersten beruflichen Kontakt mit Co-Abhängigen hatte ich Jahre später, 1976. Damals waren Süchtige und Alkoholiker in Minnesota im allgemeinen Sprachgebrauch zu Suchtkranken, ihre Familien und Freunde zu Bezugspersonen und ich zu einer genesenden Süchtigen und trockenen Alkoholikerin geworden. Inzwischen arbeitete ich auch als Beraterin in der Suchtkrankenhilfe, dem riesigen Netzwerk von Institutionen, Programmen und Vermittlungsstellen, die Suchtkranken helfen, gesund zu werden. Da ich eine Frau bin, die meisten Bezugspersonen damals Frauen waren, ich das geringste Dienstalter hatte und keine meiner Kolleginnen die Aufgabe übernehmen wollte, trug mein Arbeitgeber im Behandlungszentrum in Minneapolis mir auf, im Rahmen des Programms Selbsthilfegruppen für die Ehefrauen von Suchtkranken zu organisieren.
Ich war auf diese Aufgabe nicht vorbereitet, empfand Co-Abhängige nach wie vor als feindselig, kontrollsüchtig, manipulativ und vieles mehr.
In meiner Gruppe waren Menschen, die sich für alles und jeden verantwortlich fühlten, aber sich weigerten, die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.
Ich sah Menschen, die permanent anderen etwas gaben, aber unfähig waren, Dinge anzunehmen; Menschen, die gaben, bis sie wütend, erschöpft und völlig leer waren. Ich sah manche geben, bis sie aufgaben. Eine Frau gab sogar so viel und litt so stark, dass sie im Alter von 33 Jahren eines natürlichen Todes starb, nämlich an »Altersschwäche«. Sie war die Mutter von fünf Kindern und die Ehefrau eines Alkoholikers gewesen, der zum dritten Mal im Gefängnis gelandet war.
Ich arbeitete mit Frauen, die Expertinnen darin waren, für alle um sie herum zu sorgen, doch ihre Fähigkeit, für sich selbst sorgen zu können, anzweifelten.
Ich sah Menschen, die nur noch ein Schatten ihrer selbst waren und sich gedankenlos von einer Aktivität in die nächste stürzten. Ich hatte es mit Jasagerinnen, Märtyrerinnen, Stoikerinnen, Tyranninnen, ausgelaugten Frauen, klammernden Frauen und – um H. Sacklers Die große weiße Hoffnung zu zitieren – mit »verhärmten Gesichtern, die das Elend verrieten« zu tun.
Die meisten Co-Abhängigen waren besessen von anderen Menschen. Sie konnten präzise und detailliert eine lange Liste der Taten und Missetaten anderer herunterbeten: was diese dachten, fühlten, taten und sagten und was sie nicht dachten, fühlten, taten und sagten. Die Co-Abhängigen wussten, was die anderen tun und nicht tun sollten. Und sie machten sich eingehende Gedanken darüber, warum sie es taten oder nicht taten.
Doch diese Co-Abhängigen, die so umfassende Erkenntnisse in Bezug auf andere hatten, waren nicht in der Lage, sich selbst zu sehen. Sie wussten nicht, was sie fühlten. Sie waren nicht sicher, was sie dachten. Und sie wussten nicht, was sie, wenn überhaupt, tun konnten, um ihre Probleme zu lösen – falls sie tatsächlich irgendwelche anderen Probleme hatten als andere Personen.
Sie waren eine schwierige Gruppe, diese Co-Abhängigen. Sie litten, klagten und versuchten, alles und jeden, außer sich selbst, zu kontrollieren. Und mit Ausnahme einiger weniger Pioniere der Familientherapie wussten viele Berater (einschließlich meiner selbst) nicht, wie man ihnen helfen könnte. Die Suchtkrankenhilfe wurde ausgebaut, konzentrierte sich jedoch auf die Süchtigen. Es gab kaum Literatur zur Familientherapie und so gut wie keine Ausbildungsmöglichkeiten. Was brauchten Co-Abhängige? Was wollten sie? Waren sie nicht einfach nur Anhängsel von Alkoholikern, Besucher des Behandlungszentrums? Warum konnten sie nicht kooperieren, statt ständig Probleme zu machen? Alkoholiker hatten eine Entschuldigung dafür, so verrückt zu sein – sie waren betrunken. Die Bezugspersonen hatten keine Entschuldigung. Sie waren, was Alkohol anging, nüchtern.
Schon bald machte ich mir zwei verbreitete Meinungen zu eigen: Diese verrückten Co-Abhängigen (Bezugspersonen) sind kränker als die Alkoholiker. Und kein Wunder, dass der Alkoholiker trinkt. Wer würde das nicht tun mit einer derart verrückten Ehepartnerin?
Damals war ich schon eine Weile lang trocken. Ich begann, mich selbst zu verstehen, verstand jedoch nicht die Co-Abhängigkeit. Ich versuchte es, aber vergeblich – bis ich mich Jahre später so stark im Chaos meines Alkoholikers verstrickte, dass ich aufhörte, mein eigenes Leben zu leben. Ich hörte auf zu denken. Ich hatte keine positiven Gefühle mehr, sondern wurde beherrscht von Wut, Bitterkeit, Hass, Angst, Depressionen, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Schuldgefühlen. Manchmal wollte ich einfach nicht mehr leben. Ich hatte keine Energie. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, mir Sorgen um andere Menschen zu machen und herauszufinden, wie es möglich wäre, sie zu kontrollieren. Ich konnte nicht Nein sagen (zu nichts, außer Freizeitaktivitäten), nicht einmal, wenn mein Leben davon abhing, was der Fall war. Meine Beziehungen zu Freunden und Familienmitgliedern waren in einem desolaten Zustand. Ich fühlte mich völlig ungerecht behandelt. Ich verlor mich selbst und wusste nicht, wie es passiert war. Ich wusste nicht, was passiert war. Ich glaubte, verrückt zu werden. Und ich dachte, während ich meinem Alkoholiker mit dem Finger drohte: Es ist seine Schuld.
Traurigerweise wusste abgesehen von mir selbst niemand, wie schlecht ich mich fühlte. Meine Probleme waren mein Geheimnis. Im Unterschied zu dem Alkoholiker sorgte ich nicht dauernd für Chaos und erwartete auch nicht, dass jemand hinter mir aufräumte. Tatsächlich gab ich im Vergleich zu meinem Alkoholiker ein gutes Bild ab. Ich war so verantwortungsbewusst, so verlässlich. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich ein Problem hatte. Ich wusste, dass ich mich elend fühlte, begriff aber nicht, warum mein Leben nicht funktionierte.
Eine Zeit lang war ich völlig verzweifelt, begann dann jedoch zu verstehen. Wie viele Menschen, die hart über andere urteilen, erkannte ich, dass ich gerade einen sehr weiten und schmerzhaften Weg in den Schuhen der von mir Verurteilten zurückgelegt hatte. Ich verstand jetzt diese verrückten Co-Abhängigen. Denn ich war selbst eine von ihnen geworden.
Nach und nach gelang es mir, aus diesem dunklen Loch herauszukommen. Dabei entwickelte ich ein leidenschaftliches Interesse am Thema Co-Abhängigkeit. Als Suchtberaterin und Autorin war meine Neugier geweckt. Und ich hatte auch ein persönliches Interesse an diesem Thema. Was geschah mit Menschen wie mir? Wie geschah es? Warum? Und vor allem: Was mussten Co-Abhängige tun, um sich auf Dauer besser zu fühlen?
Ich sprach mit Beratern, Therapeuten und Co-Abhängigen. Ich las die wenigen zu diesem Thema und zu verwandten Themen verfügbaren Bücher. Ich las auf der Suche nach nützlichen Ideen noch einmal die grundlegende Literatur – die Therapiebücher, die die Zeit überdauert hatten. Ich ging zu Meetings von Al-Anon, einer 1951 gegründeten Selbsthilfegemeinschaft für Angehörige und Freunde von Alkoholikern, die nach dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker arbeitet, dieses jedoch so abgewandelt hat, dass es auf diejenigen ausgerichtet ist, die durch den Alkoholkonsum einer anderen Person in Mitleidenschaft gezogen werden.
Schließlich fand ich, wonach ich suchte. Ich begann zu sehen, zu verstehen und mich zu verändern. Mein Leben funktionierte nach und nach wieder. Schon bald leitete ich eine weitere Gruppe für Co-Abhängige in einem anderen Behandlungszentrum in Minnesota. Und dieses Mal hatte ich eine vage Vorstellung von dem, was ich tat.
Ich empfand Co-Abhängige nach wie vor als feindselig, kontrollsüchtig, manipulativ und unaufrichtig. Ich sah noch immer all die eigenartigen Persönlichkeitsveränderungen, die ich zuvor beobachtet hatte. Aber ich blickte...
Erscheint lt. Verlag | 30.5.2024 |
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Übersetzer | Ursula Pesch |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Abgrenzung • Abhängigkeit • Grenzen • Mental Health • Self-Empowerment • Selfhelp • Setzen • Sucht |
ISBN-10 | 3-8437-3140-3 / 3843731403 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3140-9 / 9783843731409 |
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