Im Reigen der Macht -  Renate Scharrer

Im Reigen der Macht (eBook)

Wie ich mein Hakuna Matata fand
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2023 | 1. Auflage
128 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-8728-9 (ISBN)
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Eine Kindheit voller Gewalt. Eine Afrika-Reise, die Urkräfte entfesselt. Eine junge Frau, die sie zu nutzen versteht. 'Was war mit mir geschehen?" All die besonderen Eindrücke auf dieser einmaligen Reise gaben mir einen Schub neue Lebenskraft, die zu einer Energiequelle für mich wurde und bis heute sprudelt. Die Antworten, die ich in Afrika bekam, beeinflussten mein ganzes Sein. Auf der Ebene von Akzeptanz, Wertschätzung und Empathie erkannte ich mein Recht, in Freiheit leben zu dürfen. Ich fragte nicht mehr nach dem Sinn des Lebens. Ich wollte jetzt etwas anfangen, das Sinn ergab, und tun, was nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen nützte.

Renate Scharrer war über dreißig Jahre lang als Trainerin für Kommunikation, Stressprävention, Körpersprache und freien Tanz tätig. Geprägt durch ihre Kindheitserlebnisse mit einem gewalttätigen Vater schloss sie sich 1976 einer Studienreise nach Afrika an. Die Begegnungen mit den Einheimischen in Gespräch und Tanz sowie mit der afrikanischen Flora und Fauna eröffneten ihr einen neuen Zugang zu sich selbst. Sie lernte, wie man innere Kraftquellen aktiviert, Selbstvertrauen gewinnt und ein empathisches Miteinander erreicht. Nach ihrer Rückkehr nahm sie die Vertiefung dieser Erfahrungen durch berufliche Weiterbildungen in den Fokus, um sie an andere weiterzuvermitteln. Seit 2011 betreibt Renate Scharrer mit ihrem Sohn Peer Bökelmann zusammen einen Salon für Gesprächskultur, um durch Kunst und Kommunikation zur Stressreduktion und Empathie in Gesellschaft und Wirtschaft beizutragen sowie Innovationen zu fördern.

Kindheit: Erste Schritte
auf dunklen Pfaden


Mein Leben gestaltet sich wie eine Wanderung durch unebenes Gelände, die ich nicht vergessen kann und will. Ich werde mit diesem Buch erneut den Weg erwandern, um an Stationen anzukommen, die mich damals zum Weitergehen animierten. Es ist immer sinnvoll, neue Situationen zuzulassen und sie mit vollem Herzen zu erkunden. Ein Blick zurück zeigt mir, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, um mich zu besinnen, woher ich komme, wohin ich gehe und was ich will.

Erinnerungen an die Kindheit sind nicht immer angenehm. Viele Erfahrungen, kleine und große, prägen das Leben. Im Rückblick bleiben einige davon als lebendige Erinnerungen für uns Menschen präsent. Sie sind unsere Wegbegleiter. Es sind einzelne Begebenheiten und sensible Phasen, die meist unbewusst einen recht großen Lebensteppich knüpfen. Einwirkungen auf die Kinderseele wirken oftmals intensiver, als Eltern bemerken. Erst nach langer Zeit wurde für mich deutlich, wie einschneidend meine eigenen Gefühle in den jungen Jahren doch waren. Auch die Hintergründe erkannte ich erst später, da ich sie als Kind noch nicht ermessen konnte. Ich empfinde es aus heutiger Sicht als beruhigend, mich mit dem früher Geschehenen zu versöhnen. Vergeben ist nicht leicht, aber loslassen macht frei für den eigenen, inneren Frieden. Anklagen aus der Vergangenheit wirken wie Bremsen. Ich gewähre in diesem Buch sehr persönliche Einblicke in das damalige Leben meiner Mutter und meines Vaters, um zu verdeutlichen, was mich im Kern prägte. An späterer Stelle wird verständlich werden, warum ich überhaupt davon erzähle.

Den Pfad der Macht ging ich in vielen Situationen meines Lebens. Er führte mich immer wieder durch den dunklen Wald der Gewalt und Missachtung meiner Gefühle. Heute weiß ich, dass ein Leben ohne Einflüsse der Macht eine Illusion ist. Im gesellschaftlichen Leben kann Macht Gewinn bieten, wenn sie auf eine sinnvolle und konstruktive Weise eingesetzt wird. Wird Macht jedoch missbraucht, also dauerhaft instrumentalisiert, wirkt sie zerstörerisch, egal ob willkürlich oder bewusst. Macht, die immer aktiv sein will, kann sich schnell in Gewalt und Kontrolle verwandeln oder sich unbewusst als subtiles, verletzendes Element in Beziehungen einschleichen; sie schadet dem Menschen in sämtlichen Lebensbereichen. Mit diesem Buch will ich etwas erzählen, das nachdenklich stimmt.

Ankommen, um weiterzugehen


Es waren die Fünfzigerjahre. Mein Zuhause hatte ich damals in Mülheim an der Ruhr. Unsere enge Wohnung, die wir Kinder mit den Eltern teilten, war kein angenehmer Ort. Mir fehlte ein kleiner Garten, in dem ich gerne ein winziges Beet mit Blumen angelegt hätte. Aber Rollschuhfahren, das ging, denn die Straße vor dem Haus war eben und glatt.

Geprägt wurde unser Leben von Angst und Sorgen. In den frühen Lebensjahren suchte ich nach vertrauenswürdigen Menschen, die mich halten und tragen wie ein Segelmast, der ein Schiff über das Meer bringt. Gerne würde ich mich mit großer Dankbarkeit und Glücksgefühlen an die Kindheit erinnern. Wie jeder heranwachsende Mensch trug ich den Wunsch in mir, für meine Eltern bedeutend zu sein. Darunter ist nicht zu verstehen, dass ich vieles besitzen oder ständig im Mittelpunkt stehen wollte. Ich wollte Zuwendung, Liebe, Wärme und etwas Aufmerksamkeit erhalten, um meinen Wert zu erkennen. Wie in einem Labyrinth suchte ich nach Vorbildern, fand jedoch keine. Die Konfrontationen mit negativen Einflüssen wurden Teil meiner Prägung. Kennen Sie das Gefühl ständiger Sorgen? Vielleicht mussten Sie ähnliche Wegstrecken in Ihrer Kindheit zurücklegen. Widerfuhren Ihnen Ereignisse, die Sie beruhigen oder beängstigen? Einschneidende, sensible Phasen, die zu großen Ängsten und Sorgen um meine Mutter führten, erlebte ich immer wieder. Wie jedes Kind emotional und versorgungsbedingt auf die Eltern angewiesen, fand ich vor den cholerischen Gewalteinflüssen meines Vaters keinen Schutz und nirgends eine Quelle der Geborgenheit. Furcht, Bedrohung sowie Schuldgefühle waren meine ständigen Begleiter. Nicht selten fühlte ich in mir eine Enge und Verschlossenheit, eine Schwere in allen Empfindungen. Ich stand meinen Gefühlen stets hilflos gegenüber, als wären sie ein Ungeheuer, welches ich verzweifelt versuchte, loszuwerden. Vertraute Menschen fand ich, einmal abgesehen von der Oma, nur unter Schulfreunden.

Mein Vater war kein schlechter Mensch, jedoch veränderten seine Alkohol- und Nikotin-Probleme im Laufe der Jahre seine ganze Persönlichkeit. Unter diesen starken Einwirkungen wurden seine cholerischen Gewalteinflüsse immer heftiger und er schlug alles zusammen, das ihm gerade in die Quere kam. Meist war meine Mutter sein Angriffspunkt. Mein Vater konnte fantastisch Gitarre und Klavier spielen, und das sogar auf eine recht anspruchsvolle Art und Weise. Aber das gelang nur, wenn er sich ohne Alkohol dazu aktivieren konnte. Ich habe es immer sehr bedauert, dass er seine musischen Talente nicht stärker ausgelebt hat. Er wollte beruflich immer im Mittelpunkt stehen, erfolgreich sein bis zum Umfallen. Er missachtete dabei seinen Energiehaushalt und die Schmerz-Expressbriefe, die ihm sein Körper ständig zusandte. Er stand unter enormem Dauer-Druck, Stress und permanenten Überforderungen, was er aber rigoros ignorierte. Hier nun einige wesentliche Einzelheiten, die ich offen erzählen will, um zu zeigen, was sich aus solch einem Verhalten alles entwickeln kann.

19. Januar 1956. Papa polterte wieder einmal spät am Abend ins Haus. Seine Alkoholfahne verbreitete sich schnell und seine Stimme wurde laut. Er wirkte enthemmt und sprach in aggressivem Tonfall. Mama sagte nur: »Schade, dass du so spät kommst. Das Essen ist kalt.« Sie war damals Anfang des siebten Monats schwanger, fühlte sich sehr unwohl und bat meinen Vater, sich doch das Essen einmal selbst aufzuwärmen. Sofort ging er in das Wohnzimmer, nahm eine Blumenvase in die Hand und warf sie brutal an die Wand. Wie immer in solchen Situationen rannte ich mit meinem Bruder ins Kinderzimmer. Unsere Angst war kaum auszuhalten. Wir hörten dumpfe Schläge. Plötzlich geschah das Unbegreifliche. Mama schrie: »Hör auf, du bringst mich ja um!« Ich rannte zu meiner Mutter, die neben einer Blutlache gekrümmt und voller Schmerzen auf dem Boden lag, und vernahm die ersten Schreie eines Babys. Mein kleiner Bruder war so brutal und viel zu früh auf die Welt geprügelt worden. Er war nicht größer als eine Hand und seine winzigen Fingerchen waren so durchsichtig, dass man seine Adern sehen konnte. Ich rannte auf die Straße und rief um Hilfe. Fremde Leute eilten ins Haus und verständigten sofort den Notarzt und die Polizei. Mama und das Neugeborene wurden schnellstens in ein Krankenhaus gefahren. Von meinem Vater gab es tagelang keine Spur, er war verschwunden. Das Baby kam einige Tage später in eine Kinderklinik und musste dort drei Monate um sein Leben kämpfen. Mama bekam viel Beistand von den Ärzten sowie psychologische Betreuung. Mein anderer Bruder und ich wurden bei Verwandten untergebracht. Wir konnten das Geschehene nicht begreifen. Nach diesem prägenden Ereignis hat sich mein Vater trotz Versprechungen und Beteuerungen auf Besserung nie geändert und immer wieder gegenüber meiner Mutter die Faust erhoben. Oft waren ihm seine Handlungen am nächsten Tag nicht mehr bewusst. Wir Kinder lebten weiter in großen Ängsten und wussten nicht, wie wir diesem Teufelskreis entrinnen konnten.

In Gedenken an meinen Bruder habe ich diese Situation geschildert. Erinnerungen können äußerst schmerzlich sein, aber nur dann bilden sie eine Ebene für positive Veränderungen. Die Entscheidung, eines meiner dunkelsten Erlebnisse mitzuteilen, wird getragen von dem Wunsch, aufzuzeigen, welches Unheil körperliche und seelische Gewalt anrichten. Ich nehme an, dass es dabei so manchem mulmig zumute wird. Doch nur die Wahrnehmung solcher Begebenheiten kann etwas verändern. Jedes Kind, das als hilfloses, kleines Wesen den Mutterleib verlässt, will von seinen Mitmenschen angenommen und geliebt werden. Fehlt diese Zuwendung und soziale Akzeptanz, kann das existenzielle Defizite im Leben eines Kindes bewirken. So auch bei meinem Bruder, der unentwegt mit dem Gefühl kämpfte, nicht akzeptiert zu sein. Die daraus resultierenden Lebensprobleme beendeten sein Dasein auf tragische Weise. Er verstarb 2013 an der Lungenkrankheit COPD und hat nicht nur das Suchtgebaren nach Nikotin von unserem Vater übernommen, sondern ebenso Teile des Charakters, wenn auch keine Gewaltambitionen. Man könnte jetzt berechtigterweise fragen, warum er diese übernommen hat. Es würde ein weiteres Buch füllen. Sagen will ich aber hier: Er war nie gewalttätig, hat jedoch gewisse andere destruktive Züge aufgewiesen, vor allem den Zynismus. Nach Aussage eines bereits lange vor seinem Tod aufgesuchten Psychotherapeuten erfuhr ich, dass es im Grunde kein Wunder war, dass mein Bruder diese Verhaltensweisen aufwies. Er bekam ja schon im Mutterleib Schläge zu spüren und entwickelte daraus das Gefühl, auf der Welt nicht willkommen zu sein. Somit wuchs in ihm ein Misstrauen gegen seine Mitmenschen und gegen die...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
ISBN-10 3-7583-8728-0 / 3758387280
ISBN-13 978-3-7583-8728-9 / 9783758387289
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