Ware Kurkind (eBook)

Was in Bremer Akten steht
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
356 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-8450-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ware Kurkind -  Birgit Lübben
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Gesund durch eine Kur? Konträr war die Wirklichkeit für mehrere Millionen von Kur-Kindern in ganz Deutschland. Eine Zeit von Heimweh, Einsamkeit und Gewalt wurde in den 1950 bis 1980er Jahren zum Alltag der Kur-Kinder. In Bremen eröffnete ein erstes Erholungsheim für Kinder bereits 1846 im Stadtteil Oberneuland. 1936 mitten im Nationalsozialismus, erbaute die Stadt Bremen im "Borntal" im Harz ein weiteres Erholungsheim für Kinder. Das Attentat auf Adolf Hitler im Juli 1944 führte zu einer Belegung (Sippenhaft) mit mehr als 40 Kindern der Attentäter, welche dort gefangen gehalten wurden. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurden die sogenannten "Bunkerkinder" in die Erholungsheime verschickt um an Gewicht zuzunehmen. Schnell entwickelte sich daraus eine "Verschickungswelle" von angeblich zu dicken, zu dünnen, zu blassen oder zu schwächlichen Kindern aus, um die über 1000 Erholungsheime in West-Deutschland wirtschaftlich auszulasten. Betreiber der Heime waren hauptsächlich die Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen und Privatpersonen.

Birgit Lübben lebt und arbeitet in Bremen. Dort wurde sie 1968 geboren, zog aus nach Hannover und Hamburg um dort an den Universitäten zu arbeiten. Nach der Geburt ihres Sohnes 1997, führte es sie zurück in ihre Geburtsstadt Bremen. Hier arbeitet sie in der Meeresforschung an der Universität. Als Betroffene 1971 verschickt, für acht Wochen in eine Kinderkur, ist sie im Ehrenamt für die "Initiative Verschickungskinder" als Landeskoordinatorin für Bremen tätig.

Was ist eine Kur


Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebten Tage sollst du ruhen; (auch) in der Zeit des Pflügens und in der Ernte sollst du ruhen. (Bibel 2.Mose 20.8)

Kur-Erholung-Muße-Urlaub-Wellness.
Am Anfang war der Begriff Kur beim Menschen im Bereich Erholung in Form von Entspannung und Ablenkung -Vergnügung– angesiedelt. Es ging darum den Körper und die Seele nach getaner Arbeit – Anstrengung – zu entspannen und neue Kraft zu schöpfen. Dies fanden die Menschen hauptsächlich in Form von Schlaf, Ruhen und in der Natur, beim Essen oder Baden, in Quellen sowie in Wäldern oder in den Bergen. Beim Baden, gerne auch in warmen Quellen war auch der soziale Aspekt durch den Austausch durch Gespräche in angenehmer Atmosphäre zu finden. Diese Aspekte brachten im Volksglauben hervor Quellen hätten eine heilende Wirkung auf den Körper und Geist und nicht selten sind Weihgaben aus keltischer, römischer Zeit und später auch in Heilquellen Europas zu finden.41 Der Weg über die heilende Wirkung der Natur zur medizinischen Nutzung als Heilmaßnahme brachte seit dem Mittelalter den Begriff Kur (von lateinisch Curare-Sorge tragen) als die Tätigkeit der Ärzte zur Heilung hervor. Die Kur- und Bademedizin, die sogenannte Balneologie wurde als eigenständiger Teil der anerkannten Medizin mit unterschiedlichster Forschung entwickelt.42 Waren im Mittelalter die Orte zum Kuren also das Baden an öffentlichen Bereichen nicht auf eine Schicht der Bevölkerung begrenzt, entwickelte sich in der Neuzeit besonders im Barock der ausgedehnte Kuraufenthalt zu einem Privileg von Adel und der Oberschicht. Die in mondänen Bade- Kurorten ausgedehnten Bäderkuren die damals beliebte „Sommerfrische“, heute würden wir von Urlaub gar Wellnessurlaub sprechen, diente dem Adel nicht selten als Heiratsanbahnungsort, hatte also in erster Linie wenig mit der Heilung oder Genesung von Erkrankungen zu tun.43 Um dieser Schicht den gewohnten Luxus zu ermöglichen, reichten die Badebecken neben einem Quellaustritt als Heilquelle nicht aus und es entstanden mondäne Bade- und Kurorte. Bis heute ist der Prunk in Kurorten wie Bad Kissingen oder Bad Pyrmont noch zu sehen. Wiederkehrende Bestandteile in Kurorten sind Hotels, Logierhäuser, Pensionen für Passanten, Restaurants sowie anzumietende Häuser zur Unterbringung und Versorgung der Gäste, Badehäuser, Trinkhallen und Wandelbahnen für die Kurmaßnahmen. Hinzu kommt eine Vielzahl von Versammlungs- und Vergnügungsstätten zur Zerstreuung der Gäste. Kurhaus, Lesesaal, Theater, Konzertsaal und Musikmuschel nicht selten ein Casino. Ferner sind die umfangreichen Grünanlagen und Parks mit Alleen, Kaffees und Verkaufsboutiquen zu nennen, Spazier- und Wanderwege in die offene Landschaft hinein, angereichert durch Ausflugsziele wie Naturschönheiten, Aussichtspunkte und Geschichtsdenkmale, aber auch Gasthäuser.44 Welche wirtschaftliche Bedeutung die Kuren also für die Städte ausmachen kann man hier nur erahnen.

»Welches Massenphänomen die Kur bis vor wenigen Jahrzehnten war, können ein paar Zahlen verdeutlichen: Im Jahr 1905 wurden allein in den 216 staatlich anerkannten Quellen-Kurorten des Deutschen Reiches insgesamt 670.000 Kurgäste gezählt. Zusammen mit den eben angesprochenen sogenannten Passanten dürfte die Zahl der Bädergäste aber über eine Million betragen haben, sodass zu dieser Zeit jährlich zwischen zwei und fünf Prozent der gesamten Bevölkerung jährlich einen Kurort aufsuchten. Zählt man die im gleichen Jahr registrierten rund 412.000 Gäste in den deutschen Seebädern (sowie die dort ebenfalls eintreffenden Passanten) hinzu, erreichen die Zahlen möglicherweise sogar gegen acht Prozent. Dies ist allerdings kein zeitlich begrenztes Phänomen gewesen. Vielmehr blieb über Jahrhunderte die möglichst jährlich durchgeführte Reise in einen Kurort (als Badefahrt oder Brunnenzeit bezeichnet) wesentliches Reiseziel, das daher in der Bedeutung für den kulturellen Austausch die Grand Tour bei weitem übertraf. Dass Kur im engeren Sinn vor allem oder sogar ausschließlich als Heilmassnahme für ernsthaft kranke Menschen verstanden wird, ist hingegen erst eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts, ausgelöst insbesondere durch die Ausgestaltung der medizinischen Lehre und in Deutschland letztlich auch durch die Sozialgesetzgebung«. 45

Die Stellung der Kuren hin zu einer größeren Bedeutung von Naturwissenschaft und Medizin der Balneologie haben sich durch die Erkenntnisse über die Wirkungsweise der Bader- und Klimabehandlung geändert auch wenn die Forschung auf diesem Gebiet mit Skepsis betrachtet wurde. Die für die Bader- und Klimaheilkunde zuständige deutsche wissenschaftliche Gesellschaft wurde 1878 in Berlin gegründet und auch regionale Gesellschaften und Arbeitskreise haben zeitweilig wissenschaftliche Bedeutung erlangt, wie zum Beispiel die Mittelrheinische Studiengesellschaft für Klimatologie und Balneologie (gegründet 1924).46 Die Balneologie hat sich mit Teilbereichen wie, Heilwässern mit Bädern und Trinkkuren, Bioklimatischen Aspekten mit Luftkuren an der See oder im Gebirge, Herz-, Gefäß- und Kreislauferkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, Erkrankungen der Verdauungsorgane, Hautkrankheiten und Allergien, Erkrankungen der Nieren und ableitenden Harnwege, Neurologische Erkrankungen, Gynäkologische Erkrankungen, Erkrankungen der Augen und Erkrankungen des Kindesalters beschäftigt.47 Als Heilmittel dienten in der Balneologie vor allem die Schonung in Form der Erholungsförderung, die den Organismus oder bestimmte Funktionen durch Ruhigstellung entlasten sollte, sowie durch die Kräftigung in Form von Training, also die Steigerung von Funktionskapazitäten der Muskeln, therapeutische Reize wie Licht oder Kälte aber auch Wärme, die Ernährung häufig im diätischen Sinn bis hin zu medikamentösen Mittel wie z.B. Salben.48

Die Krankheit Tuberkulose hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Heilstätten in der Umgegend der Städte oder fernab einer möglichen Ansteckung auf Inseln an der See oder im Gebirge in Deutschland. Was heute Covid 19 ist war im 18. Jahrhundert die Krankheit Tuberkulose / TBC oder im Volksmund auch „Schwindsucht“49 genannt. Die Tuberkulosekrankheit hat ein Bakterium als Auslöser, welches meist die Lunge aber auch die inneren Organe befallen kann und eine extrem hohe Sterberate aufgewiesen hat. In der Altersgruppe der 15-bis 40-Jährigen war um 1880 jeder zweite Todesfall in Deutschland auf diese Krankheit direkt oder indirekt zurückzuführen.50 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Tuberkulose als vererbbare und unheilbare Krankheit. Diese Auffassung wurde in den Jahren nach 1850 durch zwei medizinische Entwicklungen von enormer Tragweite gründlich verändert.51 Die Einrichtung „Heilstätte“ entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und der Schweiz. Im Hinblick auf die Tuberkulose erwies sich die Bezeichnung „Krankenhaus“ insofern als ungeeignet, als nicht beabsichtigt war, eine „klinische“ Behandlung durchzuführen, sondern eine Besserung des Gesundheitszustands durch einen Ortswechsel, eine Unterbrechung der Berufstätigkeit, eine Ernährungsumstellung, eine sog. hygienische Belehrung und eine im weitesten Sinne psychisch wirksam werdende Einflussnahme zu erreichen.52 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die „Luftkur“ bei der die Patienten mehrere Stunden täglich an der freien Luft liegen mussten, zur bevorzugten Therapie bei Tuberkulose. Diese fand in eigenen Tuberkulose-Sanatorien, Lungenheilstätten statt; die Erste weltweit errichtete Hermann Brehmer 1855 im niederschlesischen Göbersdorf heute Sokołowsko, Polen.53

Foto: Kranke bei der Luftkur, auf einer Veranda in einem Sanatorium in Davos. Aufnahme aus dem Fotoatelier Gysi, um 1897 (Stadtmuseum Aarau, Album Gysi/Hergert, Inv. 61'728).

Nachdem man auch im Norden erkannt hatte, dass die Krankheit ansteckend ist, wurde die Tuberkulose in den 1880er Jahren meldepflichtig. Es gab damals Kampagnen zum Vermeiden des Ausspuckens auf öffentlichen Plätzen.54 Die angesteckten Armen wurden angeregt, in Sanatorien zu gehen, die eher Gefängnissen ähnelten.55 Trotz des behaupteten Nutzens der Frischluft und der Arbeit im Sanatorium verstarben 75 Prozent der Insassen innerhalb von fünf Jahren (1908).56 Vor allem in der Arbeiterschicht war ein erheblicher Teil der Bevölkerung von der „Schwindsucht“ betroffen.57 Deshalb sahen sich in den 1890er Jahren, seit der Verabschiedung der ersten Sozialgesetzgebung, die entstehenden Landesversicherungsanstalten (LVA) in der Pflicht, in größerer Zahl Heilstätten zu errichten. Sie bauten in erster Linie Anstalten für ihre eigenen Versicherten. Vor allem diese Einrichtungen lagen nicht mehr ausschließlich im Gebirge, sondern auch im Flachland, und sogar in der Nähe größerer Städte....

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bremen • Gewalt gegen Kinder • Kinderkur • Schwarze Pädagogik • Verschickungskinder
ISBN-10 3-7583-8450-8 / 3758384508
ISBN-13 978-3-7583-8450-9 / 9783758384509
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