Wähle die Freude (eBook)
272 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86749-0 (ISBN)
Sisse Find ist Psychologin. Ihre Ausbildung zur metakognitiven Psychotherapeutin absolvierte sie in Manchester und Oxford, u.a. beim MCT-Begründer Adrian Wells. Die Dänin ist auf die Behandlung von Stress und Angst durch Meditation spezialisiert und gibt Coachings sowie mentales Training. Sie lebt mit ihren vier Kindern in Kopenhagen. www.sissefindnielsen.dk
Meine Begegnung mit der Angst
Wie ich eine massive Angststörung entwickelte und sie auch wieder loswurde
Bevor wir uns den Theorien und der Methode im Detail zuwenden, erzähle ich dir meine Geschichte. Wie ich mich von der Wirklichkeit abgewendet und der Angst die Zügel überlassen habe. Es ist auch die Geschichte von meiner Erkenntnis, dass ich meine Sorgen kontrollieren und dadurch selbst bestimmen kann, wie viel Angst ich haben will.
Meine persönliche Leidensgeschichte werde ich deshalb hier einbinden, weil sie dir zeigt, dass alle eine Angststörung entwickeln können. Sogar Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutinnen. Und sie zeigt eben auch, dass es allen möglich ist, sie wieder loszuwerden.
Vor acht Jahren nahm mein Leben eine unerwartete Wendung. Tatsächlich war mein Leben zu diesem Zeitpunkt denkbar entspannt. Ich hatte viel weniger Stress als in den Jahren davor. Mein Mann und ich hatten eine eigene Firma gehabt und uns beinahe zu Tode geschuftet. Nachdem wir sie verkauft hatten, fanden wir beide Jobs mit regelmäßigem Einkommen und hofften, nun im Alltag zur Ruhe zu kommen.
Endlich mussten wir nur noch 37 Stunden die Woche arbeiten und hatten Rentenansprüche, Krankentage und ergonomische Arbeitsplätze. Trotzdem stimmte etwas nicht. Und zwar so ganz und gar nicht. Wir waren beide frustriert und in unserer Ehe knirschte es gewaltig. Ich machte mir Sorgen um unsere vier Kinder, weil ihre Eltern massive Probleme hatten.
Erst Sorgen, dann Sodbrennen
Als wäre das nicht schon genug, bekam ich Beschwerden. Ich bekam schlecht Luft, alles brannte, als würde ich Säure einatmen.
Ich war davon überzeugt, dass ich irgendetwas mit dem Magen hatte, und ging zu meiner Hausärztin, die mich einmal gründlich durchcheckte. Aber alle Ergebnisse waren negativ, und statt darüber erleichtert zu sein, fing ich erst richtig an, mir Sorgen zu machen.
Denn meine Symptome waren ja real. Hatte ich möglicherweise eine seltene Krankheit, die bisher einfach noch niemand diagnostizieren konnte? Ich war besessen von meinen Symptomen und recherchierte Magen-Darm-Funktionen und alternative Behandlungsmöglichkeiten. Das sorgte nur dafür, dass sich meine Symptome verstärkten.
Als ich meiner Ärztin beim nächsten Arzttermin meine Bedenken aufzählte, gab sie mir einen Fragebogen und wollte wissen, wie es um meine Psyche bestellt war. Ich kann mich weder an die Fragen noch an meine Antworten erinnern, aber ich weiß, dass das Ergebnis niederschmetternd gewesen sein muss. Denn sie empfahl mir, mich umgehend krankzumelden. Ich hätte deutlich zu viel Stress. Dann verschrieb sie mir ein paar »Glückspillen« und gab mir eine Überweisung zum Psychotherapeuten.
Meine Welt brach zusammen. Ich hatte nicht nur eine massive Ehekrise, sondern obendrein auch noch eine diffuse Erkrankung, die mir wahnsinnig Angst machte. Beide Probleme erforderten ein großes Maß an emotionalem Überschuss, den ich nicht hatte. Im Gegenteil. Ich hatte so wenig Überschuss, dass ich mich krankmelden und Tabletten schlucken sollte.
Für mich kam es einer Bankrotterklärung gleich, dass mit meiner Psyche etwas nicht in Ordnung sein sollte. Ich hatte lediglich meine körperlichen Beschwerden ernst genommen und mich darum gekümmert, mir darum Sorgen gemacht.
Außerdem hatte ich keine Lust auf Psychotherapie. Meiner Ansicht nach gab es kaum jemanden, der die problematischen Seiten meiner Persönlichkeit besser kannte als ich selbst. Es ergab keinen Sinn, dass ich davon krank wurde.
Ich komme aus schwierigen Verhältnissen und bin das, was man als »Musterbrecherin« bezeichnet. Trotz traumatischer Erlebnisse in meiner Kindheit gab es nie Anzeichen einer psychischen Erkrankung. Ich habe mich zwar oft im Stich gelassen und einsam gefühlt, aber in mir hatte doch immer alles gestimmt. Es fiel mir unendlich schwer hinzunehmen, dass sich das geändert hatte.
Tabletten zu nehmen, war für mich der ultimative Kontrollverlust. Als Psychotherapeutin hatte ich zwar einen differenzierten Blick auf den – notwendigen – Umgang mit Psychopharmaka im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung. Aber als Privatperson wollte ich keine Medikamente nehmen, die mein Gehirn lahmlegten.
Werde ich verrückt?
Die Krankmeldung erlaubte es mir, von der Arbeit fernzubleiben, die mich ohnehin nicht erfüllt hatte. Aber ansonsten sorgte sie nur für weitere und noch größere Sorgen: Was hält mein Chef von mir? Würde er mich feuern? Wie ging es meiner gestressten Kollegin, die jetzt auch noch meine Aufgaben übernehmen musste?
Da es mir zunehmend schlechter ging, machte ich mir große Sorgen um meinen Verstand.
Was wäre, wenn die Ärztin recht hatte? Hatte ich eine psychische Erkrankung? Gab es »unbearbeitete« Fragen aus meiner Kindheit, die mich jetzt einholten? Hatte ich doch Teile meiner Vergangenheit verdrängt? Warum ging es mir so schlecht? Wurde ich verrückt?
Ein paar Tage später hatte ich meine erste Panikattacke. Beim Einkaufen. Danach kamen sie regelmäßig. Ich hatte praktisch andauernd Herzrasen, mir war übel und ich hatte immer ein knallrotes Gesicht.
Auch wenn ich ganz still zu Hause auf dem Sofa saß, befand sich mein gesamtes System in Alarmbereitschaft. Ich konnte weder essen noch mich auf meine Umwelt konzentrieren. Ich drehte mich nur um mich selbst. Und dieses Ich war im Begriff, sich aufzulösen.
Psychotherapie, die erste
Nachdem ich tagelang Panikattacken hatte, gab ich auf und vereinbarte einen Termin bei einer Psychotherapeutin, die auf Stress, Angst und Depression spezialisiert war. Bis dahin hatte ich es mit angstdämpfenden Kaugummis und Ratgebern versucht, die mir Serien und Fußbäder mit Magnesiumsalzen empfahlen. Weil das alles nichts half, hatte ich das Gefühl, ein hoffnungsloser Fall zu sein.
Es war unverkennbar, wie schlecht es mir ging. Die Therapeutin war zauberhaft und fürsorglich. Ich bekam Tee und eine Decke und sie hörte mir geduldig zu, während ich ihr meine tausend Sorgen und Gedanken vortrug. Dann fragte ich sie, ob es mir jemals wieder besser gehen wird und ich wieder die Alte sein werde. Sie bejahte meine Frage, woraufhin ich vor Erleichterung laut in Tränen ausbrach.
Für einen kurzen Moment fühlte ich mich besser. Ich erzählte ihr von meinem Leben und seit wann es mir so schlecht ging. Gemeinsam stellten wir meine aktuellen Lebensumstände auf den Kopf, um den einen Faktor ausfindig zu machen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Als wir nichts ausmachen konnten und die Sitzung zu Ende war, schlug sie vor, ich solle meine Leidenschaft für die Musik wieder aufgreifen, von der ich ihr ausführlich erzählt hatte.
In diesem Moment wurde mir klar, dass sie nicht die entfernteste Ahnung hatte, warum ich aus heiterem Himmel Panikattacken bekam. Ihr Ratschlag, mich der Musik zu widmen, war an den Haaren herbeigezogen und sie blieb mir die Erklärung schuldig, wie das mir bei der Bewältigung meiner Angst helfen sollte.
Die Psychotherapeutin wusste nicht, was mit mir los war. Und wenn sogar eine Expertin ratlos war, konnte das nur bedeuten, dass etwas mit mir nicht stimmte. Enttäuscht und desillusioniert ging ich nach Hause – und bekam prompt eine Panikattacke. Dieses Mal zu den Klängen von Billie Holiday.
Tagelang recherchierte ich am Computer und las nun nicht mehr nur über Krankheiten des Magen-Darm-Bereichs, sondern auch über psychische Leiden und Störungen. Und so machte ich mir noch mehr Sorgen.
Durch einen Zufall hörte ich von einer Psychotherapeutin, die eine Fortbildung in einer neuen Methode machte, mit der man vielversprechende Erfolge in der Behandlung von Angststörungen gemacht hatte. Die Methode hieß Metakognitive Therapie und ich vereinbarte einen Termin mit ihr.
...Erscheint lt. Verlag | 8.3.2023 |
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Übersetzer | Kerstin Schöps |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
ISBN-10 | 3-407-86749-2 / 3407867492 |
ISBN-13 | 978-3-407-86749-0 / 9783407867490 |
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