Mehr Ich. Mehr Du. Mehr Wir. (eBook)
253 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86741-4 (ISBN)
Janina Larissa Bühler ist Juniorprofessorin für Persönlichkeitspsychologie und psychologische Diagnostik am Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie erforscht die Entwicklung von Persönlichkeit und Partnerschaft, ist Autorin zahlreicher internationaler Fachpublikationen, schreibt einen Blog für Psychology Today und wird regelmäßig als Expertin von Medien wie Spiegel Online und Psychologie Heute befragt. Sie ist ausgebildete Paartherapeutin.
Die Persönlichkeit
Kapitel 1 hat uns gezeigt: Menschen können sich darin unterscheiden, wie sie eine glückliche Beziehung definieren. Sie können sich in ihren Bedürfnissen unterscheiden und darin, mit welchem Grad an Nähe sie sich wohlfühlen. Da Personen verschieden sind, gibt es auch kein Allgemeinrezept für eine glückliche Beziehung. Für die einen ist Beziehungsglück eine enge Symbiose zwischen beiden Partner:innen. Für die anderen ist Beziehungsglück das Gewähren gegenseitigen Freiraums. Gründe für diese Unterschiede liegen zum einen in den Beziehungserfahrungen, die eine Person gemacht hat, und zum anderen in der Persönlichkeit einer Person. In diesem Kapitel wenden wir uns daher dem Konzept der Persönlichkeit zu. Was ist Persönlichkeit genau? Wie verändert sich die Persönlichkeit im Laufe des Lebens? Und welche Persönlichkeitseigenschaften sind besonders relevant für das Gelingen einer Partnerschaft?
Emmas Persönlichkeit unterscheidet sich von Jakobs Persönlichkeit. Emma ist eher chaotisch, aber originell und für jedes Unterfangen zu haben. Sie ist gesellig und kommunikativ, mischt sich gerne unter Leute. Jakob ist eher schüchtern und zurückhaltend und zweifelt manchmal an sich. Im Kontakt mit anderen ist er rücksichtsvoll und freundlich, spielt sich aber nie in den Vordergrund. Emma und Jakob unterscheiden sich. Aber worin unterscheiden sie sich genau?
Diese Frage ist Gegenstand der Persönlichkeitspsychologie. Als Teildisziplin der Psychologie beschäftigt sich die Persönlichkeitspsychologie mit den individuellen Unterschieden zwischen Personen und mit dem, was eine Person genau ausmacht.35 Wenn ich beispielsweise Sie kennenlernen würde, wie würde ich herausfinden, wer Sie sind? Welche Fragen müsste ich Ihnen stellen, welche Antworten bekäme ich? Was bliebe mir verborgen?
Es gibt die vielfältigsten Aspekte, anhand derer Sie sich mir beschreiben könnten. Sie könnten mir etwa erzählen, welchen Beruf Sie ausüben, ob Sie Kinder haben oder was Ihre Hoffnungen für die Zukunft sind. Sie könnten mir Ihre fünf wichtigsten Lebensziele nennen oder mir sagen, ob Sie sich als selbstbewusste und kommunikative Person sehen. Sie könnten mir anvertrauen, ob Sie an sich glauben oder immer wieder an sich zweifeln.
Um die verschiedenen Eigenschaften einer Person besser verstehen und miteinander in Verbindung setzen zu können, wird in der Persönlichkeitspsychologie mit Modellen gearbeitet. Ein in dieser Hinsicht relevantes Modell ist das integrative Persönlichkeitsmodell des Psychologen Dan P. McAdams.36 Gemäß dieses Modells können Emma und Jakob – so wie Sie und ich – von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet werden: vom Blickwinkel eines sozialen Akteurs, eines motivierten Agens und eines autobiografischen Autors. Diese drei Blickwinkel werden als die drei Ebenen einer Person bezeichnet.
Die drei Ebenen einer Person
Abbildung 1. Die drei Ebenen einer Person
Wie Abbildung 1 veranschaulicht, schichten sich die drei Ebenen einer Person im Laufe des Lebens aufeinander.37 Die Persönlichkeit formt sich sukzessive. Lassen Sie uns ansehen, wodurch sich diese drei Ebenen kennzeichnen.
Der soziale Akteur
Der soziale Akteur umfasst all jene Aspekte, die eine Person auf der »sozialen Bühne« des Lebens zeigt. Der Begriff der Bühne geht literarisch auf William Shakespeare und wissenschaftlich auf die Soziologen George Herbert Mead und Erving Goffman zurück und deutet an, dass alles im Leben als Bühne verstanden werden kann. Personen bewegen sich in ihrem täglichen Leben – beim Einkaufen, Fahrradfahren und im Gespräch mit den neuen Arbeitskolleg:innen – als Schauspieler und Schauspielerin. Für ihre Schauspielleistung sind drei Aspekte entscheidend.
Erstens ist wichtig, wie Personen ihre soziale Rolle, beispielsweise jene der Arbeitnehmerin, ausüben. Die vorgegebene Rolle beinhaltet gewisse Regeln und Normen (etwa pünktlich mit der Arbeit zu beginnen), aber Personen unterscheiden sich darin, wie sie die Regeln und Normen tatsächlich umsetzen. Manche fangen etwas unpünktlicher an, während andere schon vor Arbeitsbeginn am Schreibtisch sitzen.
Zweitens ist entscheidend, wie vertraut Personen mit den vorgegebenen Skripten und Routinen ihrer sozialen Rolle sind. Wie gut kennen Personen die expliziten und impliziten Regeln ihrer Rolle, etwa ob Überstunden üblich sind oder nicht? Auch hier unterscheiden sich Personen voneinander: Manche lassen zu Beginn des Feierabends alles stehen und liegen, während andere bis spät in die Nacht arbeiten.
Drittens ist maßgeblich, wie Personen mit den Erwartungen und Rückmeldungen der anderen Personen umgehen. Im übertragenen Sinne könnte man sagen, dass es hier darum geht, wie Schauspieler:innen mit der Kritik der Zuschauer:innen umgehen. Auch hier reagieren Personen unterschiedlich – während manche unter dem Erwartungsdruck leiden, blühen andere regelrecht auf, wenn sie äußeren Druck spüren.
Als soziale Akteure betreten Menschen jeden Tag eine Bühne, auf der ihre sozialen Rollen ihr Tun beeinflussen. Es ist so, als sei der tägliche Gang zur Arbeit oder zum Supermarkt ein Gang ins Theater: Wir spielen uns. Ist das etwas Schlechtes? Nein, denn wir alle tun es. Wir treffen uns im Alltag auf den Bühnen unseres Lebens. Manchmal wechseln wir Bühnen, manchmal kreuzen wir sie, manchmal wissen wir nicht, auf welcher Bühne wir stehen und was von uns erwartet wird. Manchmal genießen wir den Applaus, und manchmal schämen wir uns, weil wir den Text vergessen haben. All das gehört zu unserem Alltag als Schauspieler:innen dazu.
Entscheidend dafür, wie wir als soziale Akteure konkret agieren, sind unter anderem unsere Persönlichkeitseigenschaften. Persönlichkeitseigenschaften umfassen, wie eine Person im Moment des »auf der Bühne Stehens« fühlt, denkt und handelt. Ein häufig verwendetes Modell zur Beschreibung der Persönlichkeitseigenschaften ist das Fünf-Faktoren-Modell von Paul T. Costa und Robert R. McCrae.38 Das Modell geht davon aus, dass die Persönlichkeit eines Menschen grundsätzlich anhand von fünf Hauptfaktoren beschrieben werden kann. Diese Faktoren spiegeln Tendenzen wider, in einer bestimmten Art und Weise zu fühlen, zu denken und zu handeln. Der Begriff der Tendenz verdeutlicht, dass Personen je nach Situation auch anders fühlen, denken und handeln können, aber in der Gesamtheit aller Situationen tendenziell nach einem für sie bestimmten Muster agieren. Die fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit sind – wie wir später noch sehen werden – relativ stabil über die Lebensspanne und werden daher auch als Dispositionen oder dispositionale Eigenschaften beschrieben; Eigenschaften, die im Kern einer Person innewohnen. Sie bilden sich in den frühen Kindheitsjahren heraus (ungefähr im Alter von zwei bis drei Jahren) und festigen sich im Laufe der Entwicklung.39
Die fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit umfassen Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Sie beinhalten ihrerseits verschiedene Facetten und werden gemeinsam unter dem englischen Akronym OCEAN zusammengefasst. Zur Erfassung der fünf Faktoren gibt es verschiedene Fragebögen, die sich unter anderem in der Anzahl an zu bewertenden Aussagen unterscheiden. Ein langer Fragebogen, wie das NEO-Persönlichkeitsinventar (NEO-PI-R), umfasst 240 Aussagen, während ein kurzer Fragebogen, wie das Big Five Inventory -10, zehn Aussagen beinhaltet.40
Der nachfolgende Kasten fasst die fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit zusammen; in der Klammer sind jeweils die englischen Originalbezeichnungen, die Big Five Traits, ...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
ISBN-10 | 3-407-86741-7 / 3407867417 |
ISBN-13 | 978-3-407-86741-4 / 9783407867414 |
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