Der glückliche Horizont (eBook)

Was uns Landschaft bedeutet
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-550-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der glückliche Horizont -  Susanne Wiborg
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Ein Streifzug durch acht Landschaften: Wald und Wiese, Moor und Heide, Felder und Flüsse, Berge und Küsten - literarisch, naturkundlich, historisch -, die uns prägen, so wie wir sie seit Jahrtausenden geprägt haben. Wir leben in ihnen, wir leben von ihnen, und das seit Jahrtausenden. Jeder glaubt sie zu kennen - aber wer sind unsere Landschaften wirklich? Was macht ihren Charakter aus, ihre Wechselbeziehung zu uns Menschen? Wer verkörpert sie perfekt? Sind sie Ödnis oder Idylle, eher Geborgenheit oder abweisende Macht? Was an unserem Landschaftsbild ist Erfahrung, was Projektion? Der unheimliche Wald, das gefährliche Moor, die helle und fröhliche Blumenwiese, die fruchtbaren Felder, die karge Heide, die übermütigen Flüsse, das unbezwingbare Meer mit seinen Küsten oder die herausfordernden Berge? Wo findet man noch unberührte Natur, was ist Menschenwerk, welche Ökosysteme sind sogar von menschlicher Bewirtschaftung abhängig? Wie haben Bewohner, Besucher und Eroberer eine Landschaft geformt und geprägt? Und vor allem: Wie ist dieser vielfältige Lebensraum über Jahrtausende hinweg von Menschen erlebt und beschrieben worden? Ein literarischer, biologischer und historischer Streifzug durch acht Landschaften, von der Küste bis zum Gebirge - eine Einladung zum Nachlesen, Miterleben und Augenaufmachen.

Susanne Wiborg, ist Journalistin und lebt in der Nähe von Hamburg. Sie arbeitete u.a. für Die Zeit und schreibt aktuell für Tagesspiegel und kraut & rüben. Zuletzt erschienen von ihr »Gäste in meinem Garten. Bienen, Amseln, Huhn und Star« (Kunstmann 2019) und »Glaube, Führer, Hoffnung. Der Untergang der Clara S.« (zusammen mit Jan Peter Wiborg, Kunstmann 2015) .

Susanne Wiborg, ist Journalistin und lebt in der Nähe von Hamburg. Sie schreibt u.a. für Die Zeit und kraut und rüben. Zuletzt erschien von ihr »Gäste in meinem Garten« (2019).

VORWORT: DER RHYTHMUS DER LANDSCHAFT


»Es besteht kein Grund, vor jedem Fleck Deutschlands in die Knie zu sinken und zu lügen: wie schön! Aber es ist da etwas allen Gegenden Gemeinsames – und für jeden von uns ist es anders. Wenn da einer seine Heimat hat, dann hört er ihr Herz klopfen. Das ist in schlechten Büchern, in noch dümmeren Versen und in Filmen schon so verfälscht, daß man sich beinahe schämt, zu sagen: man liebe seine Heimat. Wer (aber) den Rhythmus einer Landschaft spürt, nein, wer gar nichts anderes spürt, als dass er zu Hause ist: daß das da sein Land ist, sein Berg, sein See – auch wenn er nicht einen Fuß des Bodens besitzt … es gibt ein Gefühl jenseits aller Politik, und aus diesem Gefühl heraus lieben wir dieses Land.«

Landschaft spiegelt sich in jedem, der sie wahrnimmt. In seiner Satire »Deutschland, Deutschland über alles« wurde Kurt Tucholsky da ganz deutlich: Die deutsche Politik bedeutete ihm nichts. Die deutschen Landschaften alles. Er liebte sie. Da war er nicht allein, im Gegenteil: Die Verbundenheit zu unserer engsten Umgebung stand lange jenseits jeder Diskussion, über jeder Ideologie. Sie war einfach ein selbstverständlicher Teil aller Lebensqualität. Das macht es so reizvoll, auch lange zurückliegende literarische Streifzüge durch verschiedene Landschaftstypen zu verfolgen: Sie spiegeln immer auch menschliche Gefühle, menschliche Geschichte und menschliche Schicksale, im Kleinen wie im Großen.

Über Jahrhunderte blieb diese Verbindung eng und gut dokumentiert, erst mit dem Kulturbruch des Ersten Weltkrieges riss die Kontinuität ab. Plötzlich kamen Landschaft und Natur zugunsten des Urbanen aus der Mode. Sie gerieten ins Abseits, und bald geschah ihnen auch, wovor Tucholsky so eindringlich gewarnt hatte: Sie wurden politisch missbraucht, Stichwort »Blut und Boden«. Was, als perfide Langzeitwirkung, die gesellschaftliche und literarische Abwendung nach 1945 noch einmal beschleunigte. Bis sich die Landschaft mit Umweltproblemen ins öffentliche Bewusstsein zurückmeldete – und dabei sehr schnell klarmachte, wie viel mehr sie nach wie vor zu bieten hat. Mit diesem Comeback der Nähe sind auch die Texte wieder aktuell, die sie so über so lange Zeit für uns konserviert und gespiegelt haben. Jede Landschaft ist ein lebendes Archiv, und diese vielfältigen Beschreibungen ergeben eine Chronik, so alt wie das geschriebene Wort. Mit dem Anbruch der Moderne halten sie dramatischen Wandel fest: aus der verrufen kargen Heide wird ein Tourismus-Hotspot, das unheimliche Moor avanciert zur trendigen Künstleroase. Meer und Berge, einst ängstlich gemiedener Inbegriff bedrohlicher Naturgewalt, machen Karriere als Urlaubsziele. Das gerade noch Abgelegene, Weltentrückte wandelt sich zum Freizeitpark – und das bedeutet dann wieder ein neues Kapitel in der jahrtausendelangen Geschichte der Kulturlandschaft.

Landschaft und Mensch sind in unseren Breiten immer untrennbar gewesen. Eine aus und für sich selbst existierende, ursprüngliche Wildnis gibt es hier schon sehr lange nicht mehr. Stattdessen leben wir in einer uralten, sich ständig entwickelnden Symbiose von Natur und Kultur, die oft lebende Gesamtkunstwerke ergibt. Allen Klagen, sogar allen menschlichen Zerstörungs-Anstrengungen zum Trotz hat die Landschaft um uns herum ihre Seele noch nicht verloren. Manchmal braucht es ein bisschen Zeit, sie zu entdecken, manchmal nur einen kurzen, ruhigen Spaziergang, manchmal reicht sogar ein besonders einfühlsamer Text. Ob in der Literatur oder im wirklichen Leben, das Grundthema bleibt immer gleich: Es geht ums Hinsehen, ums Kennenlernen, um persönliche Beziehungen. Und wie alle Beziehungen kann auch diese durchaus ihre Tücken haben:

Still ruht die Stadt. Es wogt die Flur.

Die Menschheit geht auf Reisen

oder wandert sehr oder wandelt nur.

Und die Bauern vermieten die Natur

zu sehenswerten Preisen.

Sie vermieten den Himmel, den Sand am Meer,

die Platzmusik der Ortsfeuerwehr

und den Blick auf die Kuh auf der Wiese.

Limousinen rasen hin und her

und finden und finden den Weg nicht mehr

zum Verlorenen Paradiese.

Im Feld wächst Brot. Und es wachsen dort

auch die zukünftigen Brötchen und Brezeln.

Eidechsen zucken von Ort zu Ort.

Und die Wolken führen Regen an Bord

und den spitzen Blitz und das Donnerwort.

Der Mensch treibt Berg- und Wassersport

und hält nicht viel von Rätseln.

Er hält die Welt für ein Bilderbuch

mit Ansichtskartenserien.

Die Landschaft belächelt den lauten Besuch.

Sie weiß Bescheid.

Sie weiß, die Zeit

überdauert sogar die Ferien.

Sie weiß auch: Einen Steinwurf schon

von hier beginnt das Märchen.

Verborgen im Korn, auf zerdrücktem Mohn,

ruht ein zerzaustes Pärchen.

Hier steigt kein Preis, hier sinkt kein Lohn.

Hier steigen und sinken die Lerchen …

Seit Erich Kästner dieses Gedicht 1955 schrieb, hat sich wenig verändert: Das verlorene Paradies suchen wir immer noch, und immer noch rasen wir oft daran vorbei. Dabei ist das Geheimnis einer Landschaft selten das Sensationelle, Auffällige, Atemberaubende. Es ist ihre Atmosphäre, ihre Wirkung auf uns. Frei nach Tucholsky, mit einem ganz großen Wort: Es ist ihr Herz, oder vielmehr: ihre Seele – und die hat auch ein Mais-Stoppelfeld im Herbstnebel.

Aber wer lässt sich auf so etwas noch ein, wenn so viel Spektakuläres so leicht verfügbar ist? Anscheinend nicht einmal mehr die Klimaschützer, immerhin an der Umwelt zumindest theoretisch überdurchschnittlich interessierte Mitbürger. Sonst wäre ein Satz wie »Deine Möhren sind nicht wichtiger als unser Klima. Sorry«, nicht denkbar. So reagierte der Berliner Grünenabgeordnete Georg Kössler 2019 auf die Fassungslosigkeit von Landwirten, durch deren Getreide- und Gemüsefelder Aktivisten auf einer Demo breite Schneisen getrampelt hatten.

Im Kleinen zeigt sich hier der Verlust jeden Bewusstseins für die Umgebung, von der wir alle abhängen. Kein Gespür mehr für Tucholskys »Rhythmus der Landschaft«, und erst recht keinen Funken Ahnung von der Ironie, die hier den Flurschaden zum Symptom macht: Das Klima ist genau da, wo es ist, weil wir die Möhren nicht mehr achten. Wer die eigene Umgebung buchstäblich mit Füßen tritt, für den ist auch das große Ganze höchstens virtuell. Wie glaubhaft ist der Einsatz für ein Universum weit weg, während man das nahe Feld achtlos zertritt? Besonders beklemmend, weil da weniger böse Absicht mitspielt als achselzuckende Gleichgültigkeit, weil man das, was man da plattmacht, nicht einmal mehr kennt. Kein Respekt mehr, weil die persönliche Bindung zur Umwelt abgerissen ist? Tatsächlich: Ende Gelände?

Das wäre neu in der gesamten Menschheitsgeschichte. Früher – und dieses »früher« erstreckte sich über Jahrtausende – war zwar mitnichten alles grüne Harmonie. Die gab es nie und nirgends, solche Romantik ist Illusion. Aber es gab ein kollektives Bewusstsein, nämlich das von existenzieller Abhängigkeit. Die erzeugte Achtung, nicht nur vor der mächtigen See, sondern auch vor der zierlichen Gerste und sogar vor den unscheinbaren Möhren. Sie alle standen das Große, das Globale, oft sogar das Göttliche, nämlich für die Landschaft, für den Lebensraum rundum, der ernährte, schützte, wärmte, aber auch jederzeit mit Katastrophen vernichten konnte. Für die Macht, die die unmittelbare Nähe hatte, galt ihr ein Respekt, der in einer global vernetzten, selbstverständlich satten Konsumgesellschaft schnell abhandenkommt. Doch das ist ein Grundirrtum: Es geht immer um die Landschaft vor dem Horizont und ihren Bezug zu der dahinter, kurz: Es geht ums Klima und um die Möhren. Beide gehören zusammen, und wir gehören dazu. Nicht nur aus existenziellen Gründen, sondern auch, weil diese Beziehung so viel Freude macht: Es bleibt immer ein großes Vergnügen, sie wieder aufzunehmen, sei es real oder literarisch, und dabei staunend festzustellen, wie weit und tief die eigenen Wurzeln reichen können. Alles Ansichtssache, alles individuell, alles ein persönlicher Gewinn. Und, klar: Goethe hat das immer schon gewusst:

Und es ist das ewig Eine,

Das sich vielfach offenbart;

Klein das Große, groß das...

Erscheint lt. Verlag 16.2.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturführer
Schlagworte Berge • Felder • Fluss • Heide • Küste • Landschaft • Meer • Moor • Naturkunde • Umwelt • Wald • Wiese
ISBN-10 3-95614-550-X / 395614550X
ISBN-13 978-3-95614-550-6 / 9783956145506
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