Eine Frage des Willens. Mein Weg nach oben (eBook)
224 Seiten
Edel Sports - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-98588-061-4 (ISBN)
Angelique Kerber, geboren 1988 in Bremen und aufgewachsen in Kiel, ist seit 2003 im Profitennis aktiv. Die ehemalige Nummer eins der Tennisweltrangliste ist dreifache Grand-Slam-Siegerin und gewann 2016 neben den Australian Open u. a. die US Open sowie die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Rio. Den größten Erfolg ihrer Karriere feierte sie 2018 auf dem 'heiligen Rasen' in Wimbledon, nachdem sie 2017 mit sportlichen Rückschlägen zu kämpfen hatte. Sie ist UNICEF-Botschafterin und wurde u. a. zweimal als Sportlerin des Jahres und mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. Nach einer Auszeit aufgrund der Geburt ihres ersten Kindes kehrt sie 2024 auf den Tenniscourt zurück.
Angelique Kerber, geboren 1988 in Bremen und aufgewachsen in Kiel, ist seit 2003 im Profitennis aktiv. Die ehemalige Nummer eins der Tennisweltrangliste ist dreifache Grand-Slam-Siegerin und gewann 2016 neben den Australian Open u. a. die US Open sowie die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Rio. Den größten Erfolg ihrer Karriere feierte sie 2018 auf dem "heiligen Rasen" in Wimbledon, nachdem sie 2017 mit sportlichen Rückschlägen zu kämpfen hatte. Sie ist UNICEF-Botschafterin und wurde u. a. zweimal als Sportlerin des Jahres und mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. Nach einer Auszeit aufgrund der Geburt ihres ersten Kindes kehrt sie 2024 auf den Tenniscourt zurück.
WIMBLEDON 2018, IN DEN KATAKOMBEN – EIN PROLOG
Ich blicke wie hypnotisiert auf meine Knöchel. Sie sind akkurat getapt, das beruhigt. Aber eigentlich blicke ich durch sie hindurch. Wie durch fast alles in diesen Minuten. Oder sind es Stunden? Nirgends verschwimmt die Realität so sehr wie in Wimbledon. Es ist wohl ein elementarer Teil dieses faszinierenden Mythos, der mich beim Warten im holzgetäfelten Locker Room wieder komplett erfasst hat. Längst hätte ich schon auf dem Platz stehen sollen, aber das Herrenhalbfinale zwischen Rafael Nadal und Novak Djoković muss noch zu Ende gespielt werden, es ist am Vorabend abgebrochen worden. Alles wird sich wohl um zwei Stunden verspäten, so ist es mir zumindest gesagt worden. Ein Zeitgefühl existiert längst nicht mehr in meiner kleinen Ewigkeit.
Vielleicht liegt es daran, dass die Ruhe vor dem Sturm an diesem magischen Ort so besonders wirkt. Es ist die himmlischste und zugleich intensivste Stille, die ich kenne. Durchsetzt von Etikette, Geschichte – und von der Hoffnung, hier, bei diesem Grand-Slam-Turnier, zu gewinnen. Und ich will gewinnen, nichts anderes habe ich mir vorgenommen, dafür habe ich die letzten Wochen und Monate hart trainiert, eigentlich die letzten Jahre, mein ganzes Leben lang. Auf diesem „heiligen Rasen“ zu siegen, das ist für viele der absolute Gipfel im Tennis. Ich zähle mich zu diesen Menschen. Es ist mein persönlicher Traum, hier einmal im Finale zu stehen, auf dieser Tennisbühne, und das schon seit Kindheitstagen – und nun ist es so weit, sogar schon zum zweiten Mal. Um hier stehen zu können, habe ich in den Anfangsjahren jede Entbehrung in Kauf genommen, die Kraft gefunden, mich immer wieder zurückzukämpfen, und nie den Glauben verloren.
Allerdings ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, weiter darüber nachzudenken. Der Centre Court ist mit fünfzehntausend Zuschauern voll besetzt, ich sehe ihn noch nicht, aber ich kann die Euphorie dort schon spüren. Meine Gegnerin ist wie im Juli 2016 die US-Amerikanerin Serena Williams; damals habe ich es verpasst, erstmals nach zwanzig Jahren, nach Steffi Graf, wieder einen deutschen Sieg bei den Frauen zu holen. Ich verlor das Endspiel, weil Serena, die Weltranglistenerste, einfach zu stark war. Ihre Dominanz war unüberwindbar, geradezu einschüchternd. Dabei hatte ich im Januar noch die Australian Open gewonnen. Serena hat jedoch besonders beim Aufschlagspiel ihre Stärken ausgespielt, sie punktete mit großer Wucht. Gnadenlos konterte sie, darin ist sie eine Meisterin.
Doch diesmal fühle ich mich bereit. Etwas hat sich geändert, ich bin eine andere Spielerin. Erfahrener und besser gerüstet als 2016 für das ersehnte erfolgreiche Ende meiner Mission. Aber auch Serena wird sich auf dieses Match wie immer bestens vorbereitet haben. Selbst mit sechsunddreißig ist sie weiterhin eine der besten Spielerinnen auf der Tour. Serena ist für mich die ultimative Herausforderung. Serena und der heilige Rasen, das kommt einer Symbiose gleich. Das eine ist ohne das andere kaum vorstellbar.
Bekannt ist Serena als Problemlöserin, als eine, die sich auf jede Situation im Match einstellen kann. Eine spielende Legende, jetzt schon als GOAT („Greatest of all Time“) gefeiert. Aber mein Coach, der Belgier Wim Fissette, hat mich in dieser Hinsicht trainiert – und auf Fitness. Ich fühle mich gerade unglaublich fit. Wir haben uns auf meine Beinarbeit konzentriert, sie zählt zu meinen Stärken. Lange Ballwechsel werden mir wahrscheinlich weniger ausmachen als Serena. Konsequent die Chancen an der Grundlinie nutzen, das hat mir Wim immer wieder zu verstehen gegeben. Und ich weiß, dass sich in den vergangenen zwei Jahren mein Aufschlag verbessert hat, technisch bin ich versierter geworden, habe mehr Kraft und kann Bällen eine andere Richtung geben, sie variieren.
Das alles sage ich mir am 14. Juli 2018, als ich im Ladies Dressing Room stehe, dem Inner Sanctum der Anlage gewissermaßen. Korbstühle, weit ausladende Sessel und Chaiselongues zum Entspannen stehen herum, bezogen mit blumengemusterten Stoffen. Dazu geblümte Vorhänge zu Sprossenfenstern. Very british! Herrlich! Nur die Profis selbst und ihre Coaches haben Zutritt zu diesem Bereich, andere Team- oder Familienmitglieder sollten besser draußen bleiben, um die Konzentration nicht zu stören.
Serena sehe ich hier nicht. Bislang hat sie in Wimbledon schon sieben Titel gewonnen, zweimal ein Finale verloren. Wie wird es heute sein, an diesem Samstag, wo die Sonne warm in den „Frauentrakt“ scheint? Die Herzoginnen von Cambridge und Sussex, Kate und Meghan, sitzen, soweit ich weiß, unter den Zuschauern, der Golfer Tiger Woods und Formel-1-Star Lewis Hamilton, nicht zu vergessen das elitäre Londoner Publikum – und die Fans aus aller Welt. Serena, die junge Mutter, hat angekündigt, dass sie für alle Mütter dieser Welt spielen werde. Alle Zeitungen haben vom „Comeback der Mama“ beziehungsweise vom „Momback“ gesprochen und damit die Erwartungen hochgeschraubt. Achtunddreißig Jahre lang hat keine Mutter mehr in Wimbledon gewonnen, nun wünscht man sich natürlich, dass es dieses Mal klappt. Und die letzte verbliebene Spielverderberin auf dem Weg zum triumphalen Comeback bin ich. Aber das soll mich nicht einschüchtern, und es schüchtert mich auch nicht ein. Das sind perfekte Drehbücher, die die Zeitungen schreiben, das hat nichts mit dem zu tun, was in einem Finale wirklich passiert. Da kommt es auf ganz andere Dinge an, Serenas Party hin oder her. Liegt der Fokus auf ihr, so habe ich freies Spiel, werde nicht von irgendwelchen Erwartungen erdrückt. Alle sehen mich als die, die schon einmal gegen Serena verloren hat, nicht als die, die an ihren Stärken gearbeitet hat. Und die gelernt hat, die Fehler ihrer Gegnerin zum eigenen Vorteil zu nutzen. Ebenso den eigenen Mut einzusetzen. Herausforderung, du kannst kommen, ich bin bereit.
Klar, eine Blamage ist auch möglich, eine zweite Niederlage gegen Serena. Das ignoriere ich auch nicht. Aber wenn ich nur Angst habe, tue ich mir keinen Gefallen. Mental würde mich das nur in die Knie zwingen, aber das lasse ich nicht zu. Trotz aller Anspannung will ich mein Bestes geben, Leistung erbringen, vielleicht sogar Historisches erreichen. Wer weiß.
In diesem Moment betritt Serena den Raum. Wir begrüßen uns, ein freundliches Kopfnicken, ein „Hello, how are you?“. Aber das war’s auch schon, kein weiterer Small Talk.
Sie wärmt sich gut fünf Meter entfernt von mir auf, dehnt ihren Schlagarm, tippelt auf der Stelle, redet mit ihrem französischen Trainer Patrick Mouratoglou. Ihr Selbstvertrauen durchdringt den Raum, das kenne ich schon. Sie tauschen kurze Sätze aus, sprechen leise. Sicher auch über mich, mein Spiel, meine Stärken, meine Schwächen – ihre ausgeklügelte Taktik, vor der ich Respekt, aber keine Furcht habe. Serena und ich, wir schätzen uns gegenseitig ungemein.
Heimlich schaue ich sie mir an, wie sie auch mich aus den Augenwinkeln betrachtet. Sie wirkt ein wenig müde, weniger beweglich als noch vor zwei Jahren. Die Geburt ihres Kindes hat sie merkbar verändert. Was sie wohl über mich denkt? Dass es dieses Mal schwieriger werden könnte, mich zu schlagen? Ich bin nicht mehr die krasse Außenseiterin, als die man mich noch 2016 gesehen hat.
Plötzlich spüre ich, dass ich Serena heute schlagen kann. Die Quelle der Überzeugung sitzt ganz tief in mir. Müsste ich sie anatomisch orten, würde ich sagen: irgendwo zwischen Herz, Bauch und Verstand. Diese unsichtbare Kraft hat eine enorme Ausstrahlung, sie fühlt sich wohlig warm an und reicht bis in die Gliedmaßen. In dieser Form habe ich das vor einem so wichtigen Endspiel noch nie erlebt, das steht fest.
Das gute Gefühl könnte mir wie ein GPS den immer noch langen Weg zur Venus Rosewater Dish, der Siegertrophäe, weisen. Nichts würde mir mehr bedeuten, als hier zu gewinnen. Pokale fand ich immer toll, schon als junges Mädchen. Alles, was ich gewinnen konnte, nahm ich dankend mit. Es gab mir Selbstvertrauen. Trophäen schienen mich in dem zu bestätigen, was ich tat – nämlich Tennis zu spielen seit meinem dritten Lebensjahr. Die Silberschale war noch nicht in meiner kostbaren Sammlung, sie wäre ein Beweisstück der besonderen Art.
Auf einmal bin ich zuversichtlich, dass ich sie mit nach Hause bringen werde. Sie flößt mir eine Menge Ehrfurcht ein, ein wenig fühle ich mich, als würde ich gleich meinen Gang zum Schafott antreten müssen, aber in dem Bewusstsein, dass ich in der Lage sein werde, mein Schicksal lenken zu können. Ja, da ist sie, meine Angriffslust. Muss ich Serenas Aufschlag auch fürchten, sie wird sich vor meinen schnellen Beinen in Acht nehmen müssen.
Noch einmal schaue ich in ihre Richtung. Nichts, was mich aus der Fassung bringen könnte. Wie gesagt, Respekt und Ehrfurcht sind in Ordnung, aber ich weiß, was ich kann. Sollte ich verlieren, dann wäre es nicht mehr der Untergang wie früher. Aber ich werde nicht verlieren, heute werde ich es schaffen. Mit Präzision und Wendigkeit, ich werde rennen und keiner wird mich aufhalten können.
„Ladys!“, ruft plötzlich ein smarter Gentleman im adretten Clubanzug und bittet uns mit einer freundlichen, aber bestimmenden Geste zum Aufbruch. Das untrügliche Zeichen, der Countdown läuft, ab jetzt gibt es nur noch ein Vorwärts, kein Zurück. Man muss sich zeigen, steht im Fokus der Öffentlichkeit, der Kameras auf dem Court, die jede unserer Regungen eins zu eins einfangen und in alle Erdteile schicken. Ohne Filter werden unsere Gefühle verfolgt, immer auf der Jagd nach dem, was entlarvend sein könnte, unsere Freude, unsere Wut, die in uns nagende Verbissenheit, die Hoffnungen, die Erleichterung, wenn...
Erscheint lt. Verlag | 5.11.2022 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport ► Ballsport |
Schlagworte | alexander zverev • Andrea Petkovic • Angie • Angie Kerber • Australian Open • Autobiografie • Auto-Biografie • Boris Becker • Buch • Damen-tennis • Damen Tennis • Grand slam • Grand Slam Champion • Jule Niemeier • Julia Görges • Kiel • Linkshänder-in • Linkshänderin Tennis • Novak Djokovic • Petkovic • Profi-sportlerin • Rafael Nadal • Roger Federer • Serena • Serena Williams • Sportbuch • Sport-Buch • Steffi Graf • Tennis • Tennis Biografie • Tennisbuch • Tennis-Buch • tennis frauen • Tennisprofi • Tennisstar • Tennis-Star • US Open • Weltranglistenerste • Wimbledon • Wimbledon 2018 |
ISBN-10 | 3-98588-061-1 / 3985880611 |
ISBN-13 | 978-3-98588-061-4 / 9783985880614 |
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