Working Dad (eBook)
230 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45248-7 (ISBN)
Roman Gaida ist Vater von Zwillingen und Topmanager in einem Fortune-500-Unternehmen. Er ist regelmäßiger Gast in Podcasts und Wirtschaftsmedien zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Karriere sowie im Bereich Leadership.
Roman Gaida ist Vater von Zwillingen und Topmanager in einem Fortune-500-Unternehmen. Er ist regelmäßiger Gast in Podcasts und Wirtschaftsmedien zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Karriere sowie im Bereich Leadership.
Kapitel 3
Wie sieht deine Karriere bis zur Rente aus?
»Nicht die Geschwindigkeit ist wichtig, sondern die Richtung.«
Unbekannt
Ein Zug fuhr langsam und gemächlich in den kleinen Bahnhof in der württembergischen Provinz, ganz in der Nähe meines Heimatortes. Es gab nur zwei Gleise, auf denen alle 30 Minuten mal ein Zug hielt und mal einer durchfuhr. Während meines fünftägigen Schülerpraktikums lernte ich die Aufgaben im Stellwerk kennen: wie die Weichen gestellt werden, wie Signale gesetzt werden, wie all die Hebel, Leuchten und Anzeigetafeln funktionieren. Es muss kurz nach meinem 16. Geburtstag gewesen sein, denn ich kann mich noch gut daran erinnern kann, wie ich mich in diesem Sommer erleichtert auf meine PK 50 geschwungen habe, um an den See zu fahren. An diesem Tag wollte ich kein Fahrdienstleiter, kein Weichenwärter und auch kein Zugmelder werden. Die Begeisterung, die von Zügen ausgeht, kann ich zwar nachvollziehen, aber für mich war es nicht das Richtige.
Es war nur noch ein Jahr, bis ich aus der Obhut und der Fremdsteuerung des Schulsystems in die freie Wirtschaft entlassen werden würde. Also höchste Zeit, sich Gedanken zu machen, wohin die Reise gehen soll. Arzt? Ingenieur? Anwalt? Der Realschulabschluss und meine Noten schlossen damals diese Optionen definitiv aus. Eine Berufsausbildung sollte es sein. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob dies mein Wunsch war oder der meiner Eltern. Was ich jedoch noch weiß, ist, dass die Schule und ich keine Freunde waren. Im Zeugnis der ersten Klasse heißt es: »Roman ist ein sehr lebhafter und eigenwilliger Schüler, dem es überaus schwerfällt, sich einer Anweisung zu fügen.« Ins System zu passen, hatte nicht perfekt funktioniert. Ritalin blieb mir zum Glück erspart, auch wenn einige Grundschullehrer:innen diese Empfehlung mehr als nur einmal aussprachen.
Meine berufliche Laufbahn war mir keineswegs egal, aber ich hatte einfach keine Vorbilder, an denen ich mich hätte orientieren können. Fleißig und ehrlich zu sein, hatte ich gelernt, aber nicht, wie man Karriere macht oder herausfindet, was man wirklich beruflich tun möchte. Was ist der perfekte Job, den ich für immer machen möchte? Ja, damals vor der Jahrtausendwende gab es noch die romantische Vorstellung, seinen Beruf bis zur Rente auszuüben. Im Jahr 1999 war das also eine durchaus wichtige und lebensentscheidende Frage.
Heute mit 40 weiß ich, dass ich mit 17 gar nicht in der Lage gewesen bin, solch eine Entscheidung zu treffen. Weitreichende Entscheidungen, die so jung getroffen werden sollen, bieten auf jeden Fall genug Potenzial für spätere Sinnkrisen. Jetzt als Vater nehme ich mir fest vor, niemals Druck auf meine Kinder auszuüben und zu versuchen, sie in irgendeine Richtung zu schieben. Sie sollen die Möglichkeit haben, die ich erst viel später hatte – sie sollen sich selbst und ihre Fähigkeiten erst einmal besser kennen lernen. Ich möchte sie auf dem Weg des Erlebens und Ausprobierens unterstützen und da sein, wenn sie Orientierung brauchen oder einfach nur jemanden, der/die ihnen zuhört.
Wenn alles gut geht, haben wir ein Berufsleben von durchschnittlich 40,7 Jahren vor uns3. Je nachdem, ob man mit einer Ausbildung oder einem Studium in die angestrebte Karriere startet, ist das eine sehr lange Zeit bis zum durchschnittlichen Renteneintrittsalter von 64 Jahren4.
Nichtdestotrotz macht es natürlich Spaß, erfolgreich zu sein in dem, was man tut. Einmal auf dem Weg, kann es sich sogar schwierig gestalten, auch mal einen Gang zurückzuschalten. Eltern zu werden, ist da eine nicht zu unterschätzende Zusatzaufgabe. Ich selbst bin relativ naiv an diese Herausforderung herangegangen. Überglücklich machte ich mich fünf Minuten nachdem ich die schönste Nachricht des Lebens erhalten hatte, daran, nach Kinderwagen und Autositzen zu recherchieren, anstatt mir Gedanken über die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern zu machen.
Die meisten Frauen und Männer empfinden die Zeit zwischen 25 und 40 als Rushhour des Lebens mit der höchsten gefühlten Belastung5. In diesem Lebensabschnitt kommt bei jungen Vätern und Müttern einfach alles zusammen. Ich möchte hier, um nicht zu weit auszuholen, explizit auf die Rushhour der Männer eingehen. Mit 30 Jahren haben wir die größte empfundene Stressbelastung, mit 33 den höchsten gefühlten Zeitaufwand für die Familie und mit 34 die gefühlt höchste berufliche Verantwortung6. Es kommt also alles zusammen in einem relativ kurzen Zeitraum, den Abbildung 2 deutlich zeigt. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in dieser Zeit auch noch für unsere Kinder da sein wollen und deren prägendste Zeit nicht verpassen möchten, ist die Überforderung perfekt. In seinem Buch Babyjahre schreibt Remo H. Lago7, dass die ersten vier Lebensjahre zwar zeitlich nur ein Viertel der Kindheit ausmachen, unsere Kinder in dieser Zeit jedoch die Hälfte ihrer gesamten Entwicklung durchlaufen. Wenn wir also nicht bereits mit 20 oder erst mit 45 Jahren Eltern werden, fallen die Hälfte der für die Entwicklung wichtigsten Jahre in die Zeit, in der uns der meiste externe, berufliche Leistungsdruck belastet. In diesem Fall kann sicher auch bei Vätern von »Mental Load« gesprochen werden, zumindest, wenn wir wirklich beides wollen, aktiv Vater sein und beruflich erfolgreich.
Abbildung 2: Die Rushhour des Lebens
Es ist also ratsam, nicht erst nach dem Kinderwagen zu googeln, sondern darüber nachzudenken, wie du die nächsten Jahre hinbekommst, um in kleineren und familienverträglicheren Schritten trotzdem ans Ziel zu kommen. Das Ziel ist es, die Karriere mit Familie also als geplante Intervallphase zu betrachten und wirklich sensibel dafür zu sein, wenn es darum geht, die Zeit mit der Familie gegen beruflichen Aufstieg in genau dieser Phase einzutauschen. Vielmehr als in den Jahren ohne Kinder geht es darum, den Fokus auf Effizienz und Effektivität zu richten, um gerade in dieser so wichtigen Zeit die Entwicklung der Kinder nicht zu verpassen und um nicht einfach nur viel von allem zu tun, sondern das Richtige.
Im weiteren Verlauf entspannt und entzerrt sich unser Leben weitestgehend wieder8. Nach der Rushhour, in der gefühlt kein Stein auf dem anderen bleibt, kommen ruhigere Jahre. Dann haben sich Beruf und Familie eingespielt. Lediglich das durchschnittliche Scheidungsalter von 45 und der Ruhestand sind dann noch größere Einschnitte. Sicherlich können wir nicht alles steuern und beeinflussen, aber wäre es nicht eine gute Idee, unser Leben etwas mehr zu entzerren und uns mehr Zeit zu lassen? Wir könnten die immens wichtigen Jahre unserer Kinder als aktiver Vater mitbegleiten und einfach später oder in gewissen Abständen beruflich durchstarten. Weiterbildungsangebote und eine sich ständig ändernde Arbeitswelt bieten heute die Möglichkeiten dazu.
Vielleicht wendest du jetzt ein: »Aber je schneller wir Karriere machen und an der Spitze sind, umso besser.« Nehmen wir an, du willst trotzdem alles und sagst dir: »Nur noch ein paar Jahre, dann habe ich es geschafft und bin vor meinem 40. Geburtstag CEO.« Oder du bist Start-up-Gründer, schaffst vor 35 den Exit und hast ausgesorgt im Leben. Das wäre es doch: viel Zeit für sich selbst und die Familie haben. Im t3n-Interview mit Andreas Weck spricht Silicon-Valley-Millionär Leo Widrich darüber, wie es ist, keine Geldsorgen mehr zu haben9, sich so gut wie alles kaufen zu können und alle Zeit der Welt zu haben. Man sollte meinen, dann könnte man sich zurücklehnen und alles etwas ruhiger angehen lassen. Doch nur für den Job zu leben, hatte Spuren hinterlassen. Widrich vergleicht es im Interview metaphorisch mit einem Auto, das bei 250 Kilometer pro Stunde voll auf die Bremse geht. Was er in den Jahren alles auf Kosten der Karriere vernachlässigt hatte, wurde ihm erst viel später schlagartig klar. Er brauchte erst einmal zwei Jahre im Kloster, bis es ihm wieder besser ging, und das, obwohl er von seinem verdienten Geld und der...
Erscheint lt. Verlag | 15.9.2022 |
---|---|
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Bewerbung / Karriere |
Schlagworte | Arbeitgeber • Belastung • Elternzeit • Familie • Interessenkonflikt • Karriere als Vater • Kinder • Kinderwunsch • Rolemodel • Vater • Vaterrolle • Vereinbarkeit |
ISBN-10 | 3-593-45248-0 / 3593452480 |
ISBN-13 | 978-3-593-45248-7 / 9783593452487 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 4,1 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich