Sorgen sind wie Nudeln, man macht sich immer zu viele (eBook)

Spiegel-Bestseller
Noch mehr Lesekonfetti für problemgebeutelte Postjugendliche -

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
192 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-29519-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sorgen sind wie Nudeln, man macht sich immer zu viele - Sabine Bode
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Egal, wie alt wir werden, unsere Sorgen werden nicht weniger. Wir weinen wegen unserer zusätzlichen Pfunde, weil wir verdrängt haben, dass wir als Teenies mit Möchtegern-Kim-Wilde-Frisur, blauem Lidschatten und Knoten-T-Shirt auch nicht viel besser aussahen. Wir glauben, TikTok sei das mit den zwei Kalorien. Unsere Punk-Helden von damals machen jetzt Werbung für die Deutsche Bahn oder Rollkoffersets. Wir kriegen regelmäßig cholerische Anfälle, weil wir es nicht schaffen, ein Stück Frischhaltefolie unfallfrei aus der Packung zu friemeln. Die Kinder werden flügge, und die eigene Hüfte war auch schon mal weniger porös. Im Job fühlen wir uns nicht mehr wertgeschätzt, obwohl wir eine 3,5-Zoll-Diskette perfekt formatieren können. Und zu allem Übel werden wir noch ständig genötigt, unser Liebesleben aufzupimpen. Bestsellerautorin Sabine Bode ist sich zu schade für noch mehr Alterssorgen und verweist diese mit neuen, aber gewohnt unverblümt-charmanten Storys in ihre Schranken. Denn Humor lässt uns gelassener älter werden und bietet für alles eine Lösung - außer für das mit der Frischhaltefolie.

Sabine Bode arbeitete nach dem Studium der Anglistik, Germanistik und Publizistik als Journalistin und Übersetzerin sowie als Gagschreiberin für das Who's who der deutschen Comedyszene. Inzwischen ist sie selbst als Komikerin und Autorin erfolgreich. Sie hat mit ihrem Buch »Älterwerden ist voll sexy, man stöhnt mehr« einen Megabestseller geschrieben. Sie zählt sich zur Randgruppe »verheiratet, zwei Kinder, kein Weber-Grill« und lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Karma-Check in der Halbzeit:
Auf das, was nicht mehr kommt

Kennen Sie noch Herrn Schober? Jenen bemitleidenswerten Spießer im kotzbraunen Anzug von der Stange aus einem legendären Sparkassenwerbespot der Neunziger, der von einem breit grinsenden »Schröööder« mit fiesem Robert-Geiss-Habitus nach einer offensichtlich längeren Zeit des Nicht-Aufeinandertreffens in einem Restaurant großspurig mit hingeknallten Fotos begrüßt wird: »Mein Haus, mein Auto, mein Boot!« Das war 1995 die Messlatte dafür, »es im Leben zu etwas gebracht zu haben«, abgesehen natürlich vom Reitpferd und den damals von mittelalten weißen Männern heißbegehrten blonden Pferdepflegerinnen.

Ja, auch damals war das natürlich alles Satire, trotzdem ist das immer noch so ein Ding, dieser habituelle Leistungsabgleich in der Lebensmitte. Auch wenn für viele das Lastenfahrrad der neue Porsche ist und die erfolgreiche Reise zum inneren Kind die Kreuzfahrt abgelöst hat, irgendwann stellt man sich die großen Fragen des Lebens: Habe ich ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt oder wenigstens ein auf dem Rücken liegendes Schaf wieder umgedreht? Ab wann genau kann man sich zurücklehnen und beim Resümieren auf seine Lebensleistung stolz sein? Wenn man genug Anschaffungen im Produkt-Leporello hat, die man ungefragt seinen zufällig den Weg kreuzenden Schulfreunden unter die Nase reiben kann?

Wenn die Kinder zweimal im Monat sonntags zum Kaffee kommen? Wenn der Sparkassenleiter einen persönlich begrüßt? Oder wenn man es endlich schafft, seine eigenen Fehler zu machen und nicht die der anderen?

Fragen über Fragen, die natürlich reflexartig in Gedanken den altbekannten Apothekenkalenderspruch aufploppen lassen: Es sind die kleinen Dinge des Lebens, die das Leben als gelungen ausweisen. Das haben ja, wenn man Facebook glaubt, auch schon Konfuzius, Rosamunde Pilcher und Wiltrud Fiepenkötter aus Quakenbrück für gut und richtig befunden. Und das stimmt natürlich, das Gute im Leben ist immer klein, ich sage nur: Toffifee, Katzenpfötchen, Aspirin. Ich gehe aber noch weiter. Mit fortschreitendem Alter gelange ich langsam zu der Ansicht: Am Ende zählen nicht die Dinge, die man gemacht hat, sondern die, die man nicht gemacht hat.

Schauen wir uns doch mal um, überall heißt es, Minimalismus sei der heiße Scheiß: Man soll seine Bude am besten so steril leerräumen, als ob jeden Moment der Gerichtsvollzieher klingeln würde, und in seinem Kleiderschrank maximal fünf »Essentials« aufbewahren, von denen drei Socken sind.

Warum nicht noch weitergehen? Sollten wir nicht vielleicht besser stolz sein auf das, was wir nicht gekauft, gemacht, erreicht haben? Schließlich sorgt das am Ende für die besten Erinnerungen.

Nie werde ich zum Beispiel den Berlinbesuch vor ein paar Jahren vergessen, als ein paar Freundinnen und ich dem Touri-Trick aufgesessen waren, dass ein Städtetrip ohne Musicalkarten wie ein Ikea-Besuch ohne Köttbullar ist, und wir dachten: »Okay, dann Tanz der Vampire, ist ja immerhin ein bisschen gothic und so, lass mal angucken.« In aller Seelenruhe schön gestylt erreichten wir um kurz vor acht das Musical-Theater, posierten gechillt am Eingang für Selfies, um uns kurz zu wundern, warum hier nix los ist – bis ein Blick auf die Karten Gewissheit brachte: Beginn war bereits um 19.30 Uhr. Mit hochrotem Kopf hechteten wir zur Kasse, wo wir von einer dezent ihre Schadenfreude überspielenden Mitarbeiterin in einen Raum mit circa zwanzig anderen verpeilten Zuspätkommern geschickt wurden, die auf einem Bildschirm das Geschehen auf der Bühne gerade so gut verfolgten, wie es mit vor Scham herunterhängendem Kopf ebenso ging. Noch mal zwanzig Minuten später wurden wir zwischen zwei Akten wortlos in einen Seitengang reingeschleust und auf unbequemen Holz-Ausklappsitzen geparkt, auf denen wir uns die nächsten zwei Stunden vor Lachen angesichts dieser hochnotpeinlichen Situation in die Hand bissen und kaum noch Luft bekamen.

Wenn mich heute, einige Jahre später, jemand nach meiner Meinung zu diesem Musical befragt, fallen mir keine tollen Gesangspassagen, spektakulären Bühnenumbauten oder Special Effects ein, obwohl da wirklich der ganze Beißzahn-Bombast aufgefahren wurde. Das Einzige, woran ich mich erinnere, sind diese unwürdigen Holzklappstühle und die schamesroten Gesichter der Schicksalsgemeinschaft der Late Arrivals in der Loser-Lounge. 

Fazit: Das, was wir nicht gesehen haben, nämlich den Großteil der ersten Hälfte, ist der Grund, dass wir uns heute noch darüber totlachen. Eine noch stärkere Erinnerung wäre wohl nur entstanden, wenn wir es komplett verbaselt hätten und einen Tag später gekommen wären, aber damals waren wir ja noch absolute Anfängerinnen im Bereich Erlebnisverweigerung. Kurz: Die Dinge, die man nicht macht, sind oft im Nachhinein wichtiger als die, die man gemacht hat. Und das ist doch irgendwie befreiend. Denn spätestens in der Mitte des Lebens fällt einem ja oft ein, dass man noch niemals in New York oder auf Hawaii war und inseltechnisch noch nicht mal über Borkum hinausgekommen ist. Muss man in Paris Souvenirverkäufer mit klimpernden Mini-Eiffeltürmen abgewimmelt haben, in Dubrovnik die Game-of-Thrones-Drehorte abgelaufen haben, im Disneyland Florida feststellen, dass die Fahrgeschäfte im Phantasialand in Brühl wesentlich besser organisiert sind? Kann man nicht einfach mal auf der Couch liegen, ohne durch dreckige Fenster, herumliegende T-Shirts und unerfüllte Lebensträume ein schlechtes Gewissen zu haben, was man in dieser Zeit alles hätte erledigen können – und die Erlebnisse feiern, die man NICHT gehabt hat? Wahrscheinlich hätte Karl May niemals ein so eindrückliches Bild des Wilden Westens zeichnen können, wenn er jemals dort gewesen wäre.

Ich war noch nie auf einer Mittelmeer-Cruise, bin noch nie Ski gefahren, habe noch nie einen Escape Room betreten und bereue nichts! Und mal unter uns: Was ist das überhaupt für ein doofes Konzept? Wenn ich in einer Rumpelkammer mit komischem Mobiliar eingeschlossen sein möchte, werfe ich einfach den Schlüssel aus dem Schlafzimmerfenster!

Ich bin im Leben noch nicht so besoffen gewesen, dass ich nicht mehr wusste, wie ich nach Hause gekommen bin, vielmehr finde ich schon nüchtern nach Einbruch der Dunkelheit kaum nach Hause. Keine Ahnung, was daran erstrebenswert sein soll, um vier Uhr in der Früh in einer Karaokebar »You could have had it aaaaaall!« zu schmettern und dann mit dem Gesicht flach in seinem Erbrochenen zu landen … Wenn man das zur Ausgestaltung eines interessanten Individuums mal gemacht haben muss, kann ich nur sagen: Sorry, dann isses jetzt wohl zu spät.

Ich habe auch kein einziges Tattoo … Okay, das könnte auch daran liegen, dass ich mit dem hippen Stecher in dem Studio in Essen-Kray eine Diskussion geführt habe, deren letzter Satz lautete: »Das ist Michael Landon, du Voll-Gonzo, nicht Che Guevara!« Dann bin ich unsanft vor die Tür gesetzt worden.

Aber ich bleibe dabei, weniger machen und weniger wollen ist ein sehr befriedigendes Prinzip, auch wenn es ziemlich spaßbremsig daherkommt.

Man hat zum Beispiel immer eine gute Entschuldigung für seine eigene Faulheit. Zum Beispiel im Garten: »Wie, Kraut und Rüben? Das ist eine naturbelassene Wiese für die Bienen, und der fünf Meter hohe Laubhaufen ist ein Biotop für Kleintiere!« Und ich kann auch immer wieder meine gute Seele raushängen lassen, wenn ich Besuchern meine muntere Meerschweinchensippe präsentiere. Die sagen dann meistens: »Was willst du denn damit? Mit denen kann man gar nix machen! Halt dir doch ein paar Hühner, dann hast du wenigstens Eier!« Wenn diese Leute wüssten, wie viel einem »nutzlose« Tiere geben. Ja, es ist wahr, die Viecher wollen einfach nix: Nicht gestreichelt werden, keine Tricks lernen, einfach nur ein paar Möhrchen mümmeln und aus einem gut geschützten Versteck die Welt beobachten, was sie zu 1A-Seelenverwandten qualifiziert. Allein das Beobachten dieser kleinen Wusel, die aussehen wie Riesenerdnüsse mit Fellummantelung, lässt einen herrlich runterkommen. Wenn ich eine hippe Selfcare-Jüngerin wäre, würde ich sagen: Ich praktiziere die Kunst des Keyif. So nennt man auf Türkisch die Kunst des stillen, zufriedenen In-sich-Ruhens, für das es auf Deutsch leider keine Übersetzung gibt (warum nur?). Ich finde, wenn man von Tieren ständig was zurückerwartet, sollte man sich besser keine anschaffen. Das Gleiche gilt für Kinder.

Auf den Nachwuchs ist das Weniger-ist-mehr-Prinzip übrigens auch gut anwendbar: Wahrscheinlich haben Kinder im Nachhinein entwicklungstechnisch mehr von den Tagen profitiert, an denen sie NICHT von der Schule abgeholt wurden. Kein Mama-Taxi kann lehren, was ein gnadenlos überfüllter Mittagsbus kann, denn nur hier haben Heranwachsende die Möglichkeit, die im Anti-Gewalt-Training gelernten Sätze anzubringen: »Halt! Stopp! Ich fühle mich bedroht! Bitte respektiere meine Grenzen!« (Was seine Wirkung allerdings erst so richtig entfalten kann, wenn man ein lautstarkes »Lass mich los, du Pisser!« hinterhergeschoben hat.)

Und seien wir mal ehrlich: Der Beziehung hilft jede NICHT gestellte Frage vielleicht mehr als alles andere, vor allem, wenn sie gelautet hätte: »Und? Woran denkst du gerade?« Das soll natürlich keine Aufforderung sein, sein ganzes Leben in Lethargie zu versinken. Es gibt da draußen echt viel, für das man auf die Straße gehen muss. Aber Erlebnisse sammeln wie Trophäen ist einfach anstrengend.

Und man kann ja auch im Kleinen sehr viel bewirken. Wenn mich etwa ein Cold Caller anruft...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Zusatzinfo mit ca.10 bis 12 s/w Illustrationen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
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ISBN-10 3-641-29519-X / 364129519X
ISBN-13 978-3-641-29519-6 / 9783641295196
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