Der Migräne-Kompass (eBook)

Migräne endlich verstehen und besser mit ihr leben - Unter Mitarbeit des Neurologen Dr. Charly Gaul

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
352 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-26524-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Migräne-Kompass - Bettina Rubow
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Dieses umfassende Lesebuch widmet jedem Aspekt der so facettenreichen Erkrankung Migräne Aufmerksamkeit. Hintergründe, Zusammenhänge, wissenschaftliche Erkenntnisse, Tipps und Anekdoten zu diesem so oft unterschätzten Leiden sind hier erstmals unvoreingenommen zusammengetragen und werden leicht verständlich sowie unterhaltsam präsentiert. Die Autorin, selbst Migränikerin, kann sich auf eigene Erfahrungen berufen, lässt aber auch andere Betroffene und Experten zu Wort kommen, um Migräne mit all ihren Gesichtern begreifbar zu machen. Der Leser findet sich als Teil einer Leidensgemeinschaft wieder und lernt alles Wissenswerte, um letztlich ein besseres Leben mit Migräne zu führen.

Bettina Rubow ist Autorin und Medizinjournalistin. Sie schreibt freiberuflich für die Süddeutsche Zeitung, Brigitte Woman, die FAS sowie für verschiedene Internetmedien. Seit ihrem 12. Lebensjahr leidet sie an Migräne, die mit zunehmendem Alter immer stärker wurde. Sie hat drei erwachsene Kinder und lebt in München.

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Was ist Migräne?

Was macht man sich aus der Liebe der ganzen Menschheit, wenn man Zahnweh oder Migräne hat?

(Theodor Fontane)

Migräne ist eine primäre Kopfschmerzerkrankung. Das heißt, die Kopfschmerzen und die Begleitsymptome sind die eigentliche Erkrankung, außer einer genetischen Vorbelastung gibt es keine weiteren erkennbaren Ursachen. Keine Infektion, keine Verletzung und auch kein Trauma führen zu den meist einseitigen Kopfschmerzen, die ganze Tage ihrer Opfer überschatten. Obwohl sie in allen Zeitaltern vorkam und bereits im Altertum beschrieben wurde, herrschte bis ins 20. Jahrhundert hinein Unklarheit über die neurologische Natur der Migräne. Heute ist sie als eigenständige Erkrankung klar definiert und hat ihren festen Platz im ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), dem weltweit anerkannten Klassifizierungssystem medizinischer Diagnosen. Die Migräne und ihre Unterformen sind auch im ICHD (International Classification of Headache Disorders) der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) zu finden.

ICD-10, ICHD-3 … als Migräniker möchte man sich lieber nicht auf allzu komplizierte Definitionen der eigenen Störung einlassen. Denn man empfindet die Kopfschmerzen und alle Beschwerden um sie herum ja sowieso als starke, zuweilen überwältigende Einheit. Nur ein Charakteristikum kann wohl jeder nachvollziehen, der Migräne aus eigener Erfahrung kennt, und das ist ihr anfallsartiges Auftreten, das Körper und Seele in Mitleidenschaft zieht. Migräne ist mehr als Kopfschmerz. Sie tritt immer im Rahmen einer Attacke auf. Zu den Attacken zählen diverse Vorboten und Begleitsymptome, physische und psychische Beschwerden, aber am lästigsten sind natürlich die starken Kopfschmerzen, die in der Regel den Höhepunkt einer Migräneattacke darstellen.

Fast das ganze Jahr ohne Migräne überstanden und jetzt kommt sie plötzlich mit einer Arschbombe angesprungen. Hat auch Koffer dabei. Es bohrt und hämmert. Scheint ein längerer Aufenthalt zu werden.

(Nutzer auf der Kopfschmerz- und Migräne-App M-Sense)

In den meisten Fällen tritt die Migräne episodisch auf, also etwa einmal im Monat oder in noch größeren Abständen. Manchmal setzt sie auch Jahre aus und kommt irgendwann im späteren Leben wieder. Oder sie bleibt ganz weg (was im Alter ab fünfzig tatsächlich öfter passiert). Die Migräneepisoden sind den meisten Betroffenen recht vertraut; Vorspann, Höhepunkt, Abspann verlaufen zwar individuell unterschiedlich, aber nach dem gleichen quälenden Muster. Bei manchen Migränikern dauern sie nur einen halben Tag, bei anderen drei Tage. Manchmal verfangen sich die Migränen aber auch in einer Art Dauerschleife. Dann ist die Erkrankung chronisch. Bei einem chronischen Verlauf können manche Migräneleidende gar nicht mehr genau unterscheiden, wann es sich um eine Attacke gehandelt hat und wann es »nur« Kopfweh war.

Ist Migräne eine chronische Erkrankung?

Manchmal liest man im Zusammenhang mit Migräne von einer chronischen Erkrankung. Sie ist tatsächlich insofern chronisch, als ihre Anlage im Körper dauerhaft vorhanden ist, und episodisch, insofern sie in Anfällen auftritt, die wiederum von anfallsfreien Intervallen unterbrochen werden (Gott sei Dank). Der Begriff »chronisch« ist in Bezug auf Migräne etwas verwirrend, da er auch eine besondere Form der Migräne kennzeichnet, bei der sich die Attacken die Klinke in die Hand geben. In diesem Fall kommt es an 15 und mehr Tagen im Monat zu Kopfschmerzen, wovon mindestens acht Tage Migränekopfschmerzen sein sollten. Für die Diagnose einer chronischen Migräne muss das Beschwerdebild seit mindestens drei Monaten bestehen. In drei Vierteln aller Fälle steckt wohl ein MOH dahinter (s. Kap. 4), ein Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch, über die anderen Gründe zerbrechen sich die Forscher noch den Kopf. Auf alle Fälle berechtigt die chronische Migräne zu einer medikamentösen Migräneprophylaxe.

Migräne ist die häufigste neurologische Erkrankung. Zwölf bis 14 Prozent aller Frauen und sechs bis acht Prozent aller Männer in Deutschland leiden an Migräne. Die Zahlen schwanken je nach Lebensalter und Geschlecht, außerdem geht nicht jeder mit Kopfschmerzen zum Arzt und viele wissen gar nicht, dass sie Migräne haben. Auf jeden Fall setzt Migräne Millionen Menschen regelmäßig (episodisch) schachmatt. Viele davon überstehen ihre Attacken leise jammernd in ihren abgedunkelten Zimmern; dabei gibt es inzwischen gute spezifische Schmerzmedikamente, und auch in der Migräneprophylaxe hat sich einiges getan (s. Schmerzmittel, Kap. 4, s. Prophylaxe, Kap. 5). Heilbar ist Migräne aber nach wie vor nicht, daher ist der Umgang mit ihr – auch Coping genannt – ebenso wichtig wie die richtigen Tabletten zur richtigen Zeit.

Kopfschmerzen, Diagnose und Formen

Durchs Hirn schritt mir ein Leichenzug.

(Emily Dickinson, 1861)

Kopfschmerzen gehören zu den scheußlichsten Schmerzen, die es gibt. Die WHO rechnet Migräneattacken sogar zu den zehn am stärksten behindernden Erkrankungen weltweit. Tatsächlich ist während einer Migräneattacke an Arbeit nicht zu denken, aber auch jegliches Vergnügen und sogar ein gemütliches Herumflacken im Bett fallen aus. Die Tage mit Migräne kannst du komplett aus deinem Leben streichen – das war immer mein Standardsatz in Sachen Migräne.

Obwohl nicht jede Migräneattacke mit Kopfschmerzen verbunden ist, ist der Kopfschmerz das Leitsymptom der Migräne – und ihre schlimmste Beschwerde. Das kann ich jetzt, wo ich kaum noch Kopfschmerzen habe, noch bestimmter sagen als früher.

Weißt Du, was Hemicrania ist? Ein halbes Kopfweh […]. Eine Hälfte meines Kopfes pocht und hämmert, knistert, klopft und flucht, während die andere Hälfte – getrennt in einer exakten Geraden vom Schädeldach bis zum Unterkiefer – ruhig und gesammelt die nachbarschaftlichen Kämpfe verfolgt.

(Rudyard Kipling, 1865-1936)

Migränekopfschmerzen beschränken sich bei der Mehrzahl der Betroffenen auf eine Schädelhälfte, auch das ist charakteristisch für sie. Es gibt jedoch auch beidseitige Migräneattacken – sie sind typisch für Kinder und vor allem für ältere Menschen – oder Attacken, bei denen der Schmerz von einer zur anderen Seite wandert. Allerdings macht das Kuriosum der Einseitigkeit keinen großen Unterschied für den, der unter Migräne leidet, auch wenn der Autor Rudyard Kipling (»Das Dschungelbuch«) freilich recht hatte mit seiner Bemerkung, dass die gesunde Hälfte ruhig beobachten kann, was sich auf der kranken Hälfte an Irrsinn abspielt. Schläfe, Stirn und Auge sind vom Schmerz besonders betroffen. Auch dass die Kopfschmerzen Entzündungsschmerzen sind, kann ich selbst spüren, wenn ich mir an Stirn und Nacken lange. Dort pocht heiß das Blut. Meine Schmerzerfahrung bestätigt also die medizinische Erkenntnis (s. neurogene Entzündung, Kap. 3).

Das Mysterium der Einseitigkeit

Dass wir zweigeteilte Geschöpfe sind, mit zwei Lungenflügeln, rechter und linker Herzhälfte, zwei Nieren, mit Armen und Beinen und schließlich auch mit zwei sich spiegelnden Gehirnhälften, ist eine Besonderheit, die wir mit vielen höheren Tierarten teilen, was auf einen evolutionären Vorteil dieser Symmetrie hinweist. Dabei bearbeitet eine Hirnhälfte jeweils die Signale der gegenüberliegenden Körperhälfte. Es gibt gewisse Spezialisierungen der beiden Hemisphären, wie unsere Hirnhälften wissenschaftlich heißen, das Sprachzentrum etwa befindet sich auf der linken Seite. Die Spezialisierungen gehen aber nicht so weit, dass kein Kontakt zwischen den Hälften bestünde, im Gegenteil: Das Gehirn ist extrem vernetzt und kann sich bei Bedarf unterschiedlichen Erfordernissen anpassen.

Die Schmerzen spielen sich im Kopf ab … manchmal treten sie aber auch an weniger vertrauten Stellen auf. Vergleichbar dem Herzinfarkt, der sich am Arm bemerkbar macht, befällt der Kopfschmerz den Nacken, das Gesicht, die Augen und manchmal auch die Zähne. Glücklicherweise ohne Lebensgefahr. Wie Eingeweideschmerzen scheinen sich Kopfschmerzen auch außerhalb ihres Stammorgans zu manifestieren, dazu passen auch die vegetativen Symptome von Blässe, Kreislaufstörung, Muskelanspannung, Übelkeit und Erbrechen. Mir erschien Migräne manchmal als ein im Wortsinn verrückter Schmerz.

Mit meinen Migränekopfschmerzen bin ich nicht allein, viele Leute haben sie, ja, gemeinsam mit den Spannungskopfschmerzen, die freilich noch häufiger vorkommen als sie, stellt die Migräne mit ihren unterschiedlichen Formen 90 Prozent aller Kopfschmerzen. Diese primären Kopfschmerzen verlaufen nicht tödlich, im Unterschied zu mancher Hirnblutung oder einem Tumor im Kopf, die beide für sekundäre oder auch symptomatische Kopfschmerzen sorgen.

Was unterscheidet primäre von sekundären Kopfschmerzen?

Migräne und Spannungskopfweh zählen zu den primären Kopfschmerzen. Sie werden deshalb primär genannt, weil sie nicht von einer anderen Erkrankung hervorgerufen werden, sondern selbst die Erkrankung sind. Zu ihnen gehören auch so skurrile Kopfschmerzformen wie der primäre Anstrengungskopfschmerz oder die Aura ohne Kopfschmerz. Als sekundär bezeichnet man Kopfschmerzen, die aufgrund eines Unfalls, eines Tumors oder einer Infektion wie der Grippe auftreten, auch eine Hirnblutung gehört zu den...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2021
Zusatzinfo mit Illus. im Text
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Krankheiten / Heilverfahren
Schlagworte Antikörpertherapie • Aura • Auslöser • CGRP • Chronischer Schmerz • eBooks • einseitige kopfschmerzen • Gesundheit • Hilfe gegen Migräne • Hochsensibel • Impfung gegen Migräne • Kopfschmerz • Kopfweh • Migräne-Attacke • Migräne bei Kindern • Migräne-Prophylaxe • Migräne und Ernährung • Ratgeber • Spannungskopfschmerzen • Wetterfühligkeit
ISBN-10 3-641-26524-X / 364126524X
ISBN-13 978-3-641-26524-3 / 9783641265243
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