Von empfindsam bis hochsensibel (eBook)
Sensibilität ist eine Gabe und bietet ungenutztes Potenzial zur Persönlichkeitsentwicklung. Allerdings kann der Zugang dazu durch Traumatisierungen und andere Einwirkungen blockiert sein. Deshalb zeigt die psychologische Beraterin Brigitte Küster ganz praktisch Wege auf, um ein gelingendes Leben im Einklang mit dem eigenen Potenzial und der eigenen Sensibilität zu leben. Sie zeigt in ihrem praktischen und ermutigenden Buch, das seinen Lesern Schritte in Richtung Potenzialentfaltung zeigt, wie Menschen in ihre Kraft kommen können. Sie begibt sich auf historische Spurensuche nach den Ursprüngen der Hochsensibilität, erklärt, welche Aspekte der Sensibilität stärken, welche schwächen und wie man sich über die Sensibilität dem eigenen Potenzial annähern und es entfalten kann.
Brigitte Küster, geb. 1965, ist Dipl. psych. Beraterin, Erwachsenenbildnerin FA und Autorin. Sie leitet das Institut für Hochsensibilität IFHS in Altstätten in der Schweiz und ist seit mehr als 15 Jahren in eigener psychologischer Beratungspraxis tätig. Brigitte Küster ist auf die Begleitung und Beratung hochsensibler Menschen spezialisiert und hält regelmäßig Kurse, Seminare, Vorträge und Workshops in der Schweiz, Deutschland und Liechtenstein. Sie hat bereits mehrere Bücher zum Thema Sensibilität veröffentlicht, die unter dem Namen Brigitte Schorr erschienen sind.
Ein Ausflug in die Geschichte der Sensibilität
Lange Zeit meines Lebens war ich der Meinung, dass mein Dasein nur mir selbst gehörte. Es begann bei meiner Geburt und würde eines – hoffentlich noch fernen – Tages mit mir enden. Erst in meinem reiferen Erwachsenenalter begann ich zu verstehen, dass ich in einer langen Ahnenreihe stehe, obwohl ich fast nichts über meine Familie weiß. Ich begann mich für Geschichte zu interessieren, denn ich bin überzeugt davon, dass wir nicht verstehen können, wer wir sind, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen. Damit meine ich nicht, dass wir unseren Stammbaum bis in die hundertste Generation aufsagen können, sondern ein Gefühl des Eingebundenseins in geschichtliche Zusammenhänge. In allen Epochen existierten nämlich Menschen, von denen Sie abstammen, sonst wären Sie heute nicht hier.
Jeder von uns hat eine sehr lange Ahnenreihe – auch wenn wir nicht viel von unseren Vorfahren wissen. Und interessanterweise lassen sich auch Charaktereigenschaften oder Wesenszüge zurückverfolgen. Ich denke, dass die Geschichte der eigenen Empfindsamkeit sich bereichern lässt durch das Wissen darum, wie zu anderen Zeiten und in früheren Epochen über Empfindsamkeit und Sensibilität gedacht wurde.
Ich lade Sie also ein, einen kleinen Ausflug in die Geschichte mit mir zu unternehmen, schließlich habe ich Ihnen eine Reise versprochen – auf geht’s.
Sensibilität, Pflanzen, Tiere und mechanische Reizbarkeit
Als ich mich auf die Spurensuche nach der Sensibilität begab, bin ich reich beschenkt worden durch Menschen, die vor über zweitausend Jahren gelebt haben. Es ist ein tröstlicher Gedanke, in den überlieferten Schriften der griechischen und römischen Philosophen Hinweise darauf zu finden, wie man mit Empfindsamkeit umgehen soll, sodass sie einem nützt und nicht etwa im Wege steht. Die Weisheit in diesen Schriften, durch viel Lebenserfahrung und Nachdenken erworben, berührt mich tief. Marc Aurel zum Beispiel, römischer Kaiser und auch »kaiserlicher Philosoph« genannt, entwarf in seinen Selbstbetrachtungen folgendes Bild: Er verglich den Menschen mit einer Klippe, an der sich die Brandung bricht. Er ermutigte dazu, unerschüttert durchzuhalten, sich weder vom gegenwärtigen Unglück zerbrechen zu lassen noch Zukünftiges zu fürchten. Eine solche Situation sei kein Unglück, sondern eine Chance, Haltung zu zeigen, und damit ein Glücksfall.2
Klingt das nicht wie ein ermutigender Zuruf aus der Vergangenheit? Und ist dies nicht etwas, das vielen sensiblen Menschen heutzutage eine Richtung vorgeben kann, in die sie ihre Gedanken lenken können? Wir können davon ausgehen, dass ein römischer Kaiser zu Zeiten Marc Aurels schon aufgrund seiner Position viele Feinde hatte. Und trotz Lebensbedrohung und seines sicher schwierigen Jobs war er in der Lage, das Gute im Schlechten zu sehen, eine Haltung, die man durchaus üben kann. Marc Aurel gehörte zur Schule der Stoiker, die Denken und Handeln, nicht Schreiben und Reden, in den Vordergrund stellte.3 Es ist ein praktisch orientierter Ansatz, der heutigen Hochsensiblen einen Leitfaden bieten kann.
Ich finde es sehr interessant, dass im Altertum sehr viel über die Unterschiede zwischen den Menschen und über verschiedene Charaktere nachgedacht wurde, obwohl es speziell zur Sensibilität nicht viele schriftliche Belege gibt. Manchmal ist es einfach auch bemerkenswert, wenn etwas nicht erwähnt wird, wie zum Beispiel in den Charakteren von Theophrast. Er beschreibt darin menschliche Ausprägungen wie den ›Redseligen‹, den ›Gerüchtemacher‹, den ›Aufschneider‹, den ›Hochmütigen‹ und noch viele andere mehr, nicht aber den ›Sensiblen‹4. Gleichzeitig wurde aber in den privilegierten Gesellschaftsschichten Sensibilität, Nachdenklichkeit und Differenziertheit durchaus zelebriert. Es gehörte zum guten Ton, anlässlich von Gastmählern differenzierte Diskussionen über philosophische Fragen zu führen. Ein berühmtes Beispiel ist das Gastmahl zu Ehren des Dichters Agathon, bei dem unter anderem Sokrates seine bekannte Rede zur ursprünglichen Verfassung des Menschengeschlechts hielt.5 Bei solchen Gelegenheiten wurde empfindsame Rede sehr geschätzt und ihr ein fester Platz eingeräumt, während es bei anderen Gelegenheiten galt, nicht zu sensibel zu sein.
Schon vor über zweitausend Jahren galt es als wichtig, das Gegenüber in seinen grundlegenden charakterlichen Prägungen zu erkennen, damit der Umgang, die Lehrmethoden und das Verhalten darauf abgestimmt werden konnten. Die Grundidee mutet sehr modern an: Menschen unterscheiden sich in ihren Eigenschaften, und die Lehrmethoden und der Umgang müssen darauf abgestimmt sein, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Kommen wir wieder zur Empfindsamkeit zurück: Das Wissen um die Verschiedenheit der Temperamente galt durchaus nicht nur für den Menschen, sondern für alle Lebewesen. Es beschäftigten sich im Altertum kluge Köpfe ernsthaft mit der Frage, ob zum Beispiel Pflanzen Empfindsamkeit besitzen. Die Beobachtung, dass gewisse Pflanzen sich der Sonne zuneigen, sich morgens öffnen und mittags wieder schließen, war Anlass genug davon auszugehen, dass diese pflanzlichen Organismen über Empfindung verfügen müssten. Man vermutete, dass es dafür einen Sitz, ein Organ geben müsse, das diese Empfindung hervorrufen und steuern könne.
Theophrastos von Eresos (ca. 371 v. Chr. bis 287 v. Chr.) schließlich, Schüler des Aristoteles, griechischer Philosoph und Naturforscher, widerlegte diese Ansicht. Er behauptete, dass Empfindung ohne Bewusstsein nicht möglich sei und Pflanzen nicht über ein derartiges Bewusstsein verfügten. Er war der Meinung, dass allein Menschen zur Sensibilität fähig sind, weil sie als einzige Gattung der Lebewesen über ein Bewusstsein verfügen.
Außerdem unterschied er Sensibilität von einer, wie er es nannte, »mechanischen Reizbarkeit«6.
Heutzutage ist aber das, was unter Empfindsamkeit verstanden wird, auch bei über hundert Tierarten nachgewiesen worden.7 8 9 10 Jeder Tierbesitzer, der in seinem Leben bereits mehrere Hunde oder Katzen betreut hat, wird wahrscheinlich bestätigen können, dass die Tiere jeweils einen ganz eigenen Charakter hatten. Es gibt Tiere, die lärmempfindlicher sind als andere, die eher scheu auf Menschen oder Artgenossen reagieren, die sich mehr »sichern« müssen, bevor sie an ihren Futternapf gehen, die mit Stresssymptomen auf Umzüge oder Ferienabwesenheiten ihrer Besitzer reagieren, während andere diese Umstände relativ gelassen und unbeschadet hinnehmen.
Die Stoiker im Altertum riefen zur Mäßigung in allen Dingen auf. Eine übermäßige Emotionalität galt als charakterliche und geistige Schwäche, der entgegengesteuert werden musste. Das rechte Maß zu finden ist für hochsensible Menschen tatsächlich ein wichtiges Ziel. Im täglichen Erleben scheinen sie allzu oft zwischen den Extremen hin- und hergerissen zu sein. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – dieses Sprichwort trifft oft auf sehr sensible Menschen zu. Aristoteles beobachtete dies unter seinen Zeitgenossen mit Sorge und legt in seiner Nikomachischen Ethik dar, dass die wahre Tugend in der Mitte zwischen zwei ungünstigen Extremen liege. Es gelte deshalb, nach dieser Mitte zu streben, alles Extreme zu vermeiden und so seinen Charakter zu bilden. Die Fähigkeit zur Mäßigung betrachtete er als etwas, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Mit der Unmäßigkeit sei derjenige unserer Sinne verbunden, der allen Tieren, aber nicht dem Menschen gemeinsam ist.11 Im dritten Teil dieses Buches werde ich noch einmal ausführlicher auf das »rechte Maß« zu sprechen kommen.
Halten wir fest: Das Wissen um die Verschiedenheit der Temperamente ist alt. Heute weiß man, dass eine hohe Empfindsamkeit in vielen Spezies vorkommt.
Es lohnt sich, die Schriften von Aristoteles, Marc Aurel, Platon und Theophrast zu lesen. Viele Denkansätze dieser Philosophen bieten Hilfestellungen zur Charakterformung und können für empfindsame Menschen eine gute Unterstützung sein.
Die »dunkle Epoche«, Minne und Hildegard von Bingen
Das Mittelalter ist ein faszinierender geschichtlicher Zeitraum. Dass sich viele Menschen von dieser Zeit angezogen fühlen, belegen die populären Mittelalterfeste, auf denen man in historischen Gewändern mittelalterliches Handwerk, Speisen und Turniere erleben kann, oder die unzähligen Historienromane, die in dieser Zeit angesiedelt sind. Die Epoche des Mittelalters, die einen Zeitraum zwischen 500 bis 1450 n. Chr. umfasste und eine Brücke schlug zwischen der Antike und der Neuzeit, wird trotzdem gerne auch als die »dunkle Epoche« voller Gewalt, Krieg, Brutalität und Krankheit bezeichnet. Tatsächlich waren humanistische Gelehrte des 15. und 16. Jahrhunderts der Ansicht, dass Kultur und Bildung der Antike im Mittelalter einem dramatischen Verfall ausgesetzt waren.12 Es stimmt schon: Diese tausend Jahre waren geprägt von Folter, Krieg und Pest. Aber darüber hinaus gab es auch institutionalisierte Bereiche, in denen Sensibilität ihren Platz hatte, zum Beispiel bei der Werbung um die Liebste. Es wurde dabei deutlich unterschieden zwischen niederer und hoher Minne. Die niedere Minne war ausgerichtet auf das Begehren und die körperliche Erfüllung der Liebenden, während die hohe Minne das Ideal der Anbetung verfolgte, ohne nach...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Brigitte Schorr • dünnhäutig • eBooks • empfindlich • Empfindsamkeit • Empowerment • Hochsensibel • Hochsensibilität • Hochsensible Menschen • HSP (higly sensitive persons) • Hypersensibilität • Motivation • Persönlichkeitsentwicklung • Positives Denken • Potenzialentfaltung • Psychologie • Ratgeber • Rolf Sellin • Selbstwert • Sensibilität • sylvia harke |
ISBN-10 | 3-641-23691-6 / 3641236916 |
ISBN-13 | 978-3-641-23691-5 / 9783641236915 |
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