Sanftes Bewegen bei Fibromyalgie (eBook)
160 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-4267-2 (ISBN)
Dipl. Sportwissenschaftler und Mental-Coach langjähriger Leiter des 'Gesundheitspark Trier'. Seit dreißig Jahren betreut er ambulante Herzgruppen und ist als Referent und Speaker für zahlreiche Insti- tutionen unterwegs. Seit vielen Jahren widmet er sich auch der Problematik des Fibromyalgie-Syndroms und betreut seit 2001 eine Fibromyalgie-Sportgruppe im Gesundheitspark Trier.
2 Was kann eine Bewegungstherapie beim Fibromyalgie – Syndrom (FMS) leisten?
Bewegungsmangel als Risikofaktor
Der homo erectus, der erste aufrechtgehende Mensch, hatte seine „Hoch“ - Zeit vor ca. 400.000 Jahren. Seine Entwicklung bis heute dauerte aber etwa 1,5 Mio. Jahre. Innerhalb dieser Zeitspanne war sein Leben von Bewegung bestimmt. Er musste sich bewegen, um überhaupt existieren zu können, um das Überleben für sich und das seiner Familie erst zu ermöglichen. Stress konnte er nur über die Bewegung abbauen, durch Angriff bzw. Flucht. Nur so konnten Stresshormone abgebaut und die Existenz gesichert werden. Wissenschaftler entdeckten im Jahre 1974 in Äthiopien den homo australopithecus, auch liebevoll „Lucy“ genannt, der bereits drei Millionen Jahre vor dem homo erectus lebte. 2008 wurde bewiesen, dass dieser Vorfahr bereits aufrecht ging. Die Zeitspanne lebensnotwendiger Bewegung ist demnach rund drei Millionen Jahre länger. Die natürlichen Kompensationsmechanismen durch körperliche Aktivität fehlen heute, obwohl unser Organismus – nach der so unglaublich langen Zeit von 3 Millionen Jahre der Entwicklung – noch immer darauf programmiert ist, hauptsächlich durch Bewegung Stress bewältigen zu können. Schließlich sind es erst siebzig Jahre in denen uns die Bewegung schleichend aberzogen wird. Ein im Vergleich zur Evolution sehr kurzer Abschnitt.
Auch heute – und das wird immer wieder verkannt – sichert die Bewegung unsere Gesundheit und damit unser Überleben. Den Stress, in einer Autoschlange stehend in Zeitnot zu geraten, kennen wir alle. Wir können nicht angreifen oder weglaufen. Wir müssen diesen psychischen Druck bewegungslos bewältigen und fressen so den Ärger in uns hinein.
Die Folgen des chronischen Bewegungsmangels sind bekannt:
Bewegungsmangel ist ein von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannter
Risikofaktor für
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Bluthochdruck, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Arteriosklerose, Venenerkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall
- Wirbelsäulenerkrankungen: Osteoporose, Rückenschmerzen
- Adipositas (Fettsucht)
- Dementielle Erkrankungen
- Psychische Erkrankungen
Organisierter Sport
Entsprechend ist ein dosiert angewandter Sport bei den genannten Erkrankungen in der Therapie höchst wirksam und wird auch in eigens dafür gegründeten Gruppierungen angewendet. Man denke dabei zum Beispiel an die Herzsportgruppen, die sich fast flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland etabliert haben. In über 6300 Gruppen bewegen sich bundesweit mehr als 100.000 Menschen mittlerweile mit dem einzigen Ziel: ihre Gesundheit zu erhalten, bzw. zu verbessern. Ein solches Konzept auch auf den Fibromyalgie – Patienten zu transferieren, sollte den Betroffenen eine Hilfe sein, aus der Isolation auszubrechen, in die der Schmerz sie manövriert hat.
Unvereinbar: Schmerzen und Sport?
Zunächst klingt es paradox: Ständige Schmerzen an vielen neuralgischen Punkten des Körpers und dann an Bewegung oder gar an Sport denken? Man möchte zunächst annehmen, dass vor allem Ruhe hilft. Der typische FMS-Patient fühlt sich in seiner Mobilität und Bewegungskoordination stark eingeschränkt. Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen oder Schuhe-binden fallen ihm scheinbar schwer. Der FMS-Patient ist sich nicht im Klaren, zu was er eigentlich noch im Stande ist. Fachleute wie Dr. Eva Reinhold-Keller, Rheumatologin aus Hamburg, betont, dass Schonhaltung gänzlich falsch sei. „Ein wohldosiertes Fitness-Programm lindert Schmerzen und wirkt depressiven Verstimmungen entgegen“, so Dr. Reinhold-Keller. Genau hier kann ein gezielter, wohlgemerkt „moderater“ Sport, ansetzen:
- das Gefühl für den eigenen Körper und die körperliche Belastung wieder zu entwickeln,
- eine Bewegungssicherheit wieder aufzubauen und
- das Vertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit zurück zu gewinnen.
Überforderung unterstützt den Schmerz, Unterforderung lässt den gesamten Organismus degenerieren. Die richtige Mischung also macht`s, um zu der fehlenden muskulären Lockerheit zurück zu kommen. Der Schlüssel zu einer wirkungsvollen Bewegungstherapie bei Fibromyalgie-Patienten liegt in einer richtigen Dosierung und Durchführung der Übungsfolgen. Im Sinne eines interdisziplinären Ansatzes sollten Therapieformen mit hoher Reizintensität generell vermieden werden. In der neuen Leitlinie für das FMS wird empfohlen sportliche Aktivitäten mit meditativen Bewegungstherapien wie Tai Chi, Qi Gong oder Yoga zu kombinieren – oder auch mit Entspannungs- und Psychotherapie-Verfahren. Eine solche „multimodale Therapie zeigt die besten Ergebnisse.“ Gezielter, moderater Sport, am besten unter Gleichgesinnten innerhalb eigens dafür aufgebauter Gruppen, kann das Absprungbrett sein, um dem gezeigten Teufelskreis zu entfliehen. Dr. Ludwig Kalthoff, Vorstandsmitglied des Berufsverbandes Deutscher Rheumatologen und Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie in Herne betont: „Ein individuell angepasstes Ausdauer- und leichtes Krafttraining, zum Beispiel in Form von schnellem Spazierengehen, Walking oder Radfahren, zwei- bis dreimal in der Woche für jeweils eine halbe Stunde, wird in der neu überarbeitenden Leitlinie für das Fibromyalgie-Syndrom ausdrücklich empfohlen.“
Entscheidend ist am Anfang der Mut, aus seiner Inaktivität ausbrechen zu wollen. Die Erfahrung hat gezeigt: hat man erst einmal die Passivität satt und sehnt sich nach Aktivität, ist die erste Hürde schon genommen. Die zweite Hürde kann dann nur noch heißen: Jetzt beginnen!
„Wie denn?“ werden Sie sich fragen, „wenn einen ständig die Schmerzen quälen, wenn einen Müdigkeit und Abgeschlagenheit übermannen, wenn die Verdauung gestört ist, wenn die Leistungsfähigkeit sowieso bis auf den Nullpunkt gesunken ist und kleinste Belastungen, wie zum Beispiel Treppensteigen, zur Tortur werden und wenn es mir so oder so besser geht, wenn ich mich nicht anstrenge“ (Aussage einer Patientin). Denken Sie immer daran: Jede Form der Inaktivität oder Immobilisation führt zum Verlust an Muskelmasse. In der Muskelbiopsie findet man bei 80% aller Fibromyalgie-Patienten eine deutliche schmerzbedingte Inaktivitätsatrophie, das heißt ein sichtbares Zurückbilden der Gesamtmuskulatur, was wiederum zusätzliche Schmerzen verursacht. Jeder unserer 424 Muskeln verkümmert ohne Bewegung Schritt für Schritt. Dies wird sichtbar, wenn Sie zum Beispiel für einige Zeit einen Gips tragen müssen. Kommt der Gips dann weg, wundern Sie sich, wie dünn Ihr Arm oder das Bein geworden ist. Normale Handgriffe des Alltags, einfache Hausarbeiten, müssen aufgrund des immer schwerer aufzuholenden Trainingsdefizites mit immer größerem Aufwand „vollbracht“ werden. Aber nicht nur die Muskulatur des Bewegungsapparates, die man von außen sieht, bildet sich zurück, degeneriert. Auch der Herzmuskel baut ab, verliert an Leistungsfähigkeit. Kleinste körperliche Aktivitäten lassen Sie außer Puste kommen. Sehr schnell fühlen Sie sich überlastet, überfordert, verspannt und verkrampft, steif und schlapp. Es kommt zu neuen, zusätzlichen Schmerzen.
Ihr persönliches Trainingsprogramm
Daher ist es von großer Bedeutung, dass Sie Ihr persönliches Trainingsprogramm ganz bewusst langsam, Schritt für Schritt, angehen lassen. Je nach Ihrer körperlichen Verfassung, suchen Sie sich zunächst die Bewegung aus, bei der Sie sich wohl fühlen und die Ihnen Spaß macht. Haben Sie sich Monate- oder gar jahrelang nicht oder kaum bewegt, von einem körperlichen Training kann also keine Rede sein, fangen Sie am besten mit täglichen ausgedehnten Spaziergängen an. Versuchen Sie langsam das Geh-Tempo und die Strecke zu erhöhen. Fangen Sie bei mindestens 10 Minuten am Stück an und versuchen Sie langsam, ohne Zeitdruck, auf 45 Minuten zu steigern. So finden Sie langsam den Einstieg in ein systematisches, regelmäßiges, dauerhaftes, moderates körperliches Training, das Sie mit Freude und Genuss praktizieren können. Das fast vier Millionen Jahre alte, uns innewohnende, lebensbejahende und gesundheitsförderliche Bedürfnis zur Bewegung wird so geweckt und zeigt seine spürbaren Effekte nach regelmäßiger Teilnahme schon in wenigen Wochen.
Sonne und Luft
Der Genuss wird verstärkt, wenn Sie sich an der frischen Luft, am besten im Wald, bewegen, zu allen Jahreszeiten! Im Sommer bei zu hohen Temperaturen bleibt man am besten in der Halle, bzw. schraubt sein Bewegungs-Engagement zurück.
Im Herbst und Winter bewirkt Bewegung an der frischen Luft Abhärtung gegen Erkältungskrankheiten, im Frühling erfreut man sich an den ersten Sonnenstrahlen, es ist draußen hell und die Stimmung wesentlich besser als in der dunklen Jahreszeit. Unsere emotionale Situation hängt nicht unerheblich auch vom...
Erscheint lt. Verlag | 29.10.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport |
ISBN-10 | 3-7504-4267-3 / 3750442673 |
ISBN-13 | 978-3-7504-4267-2 / 9783750442672 |
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