Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes (eBook)

Von den Anfängen bis 1968

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
368 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-360-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes - Christoph Rass
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Dieses Buch gibt Antwort auf die Frage, wie biografische Prägungen aus der Zeit des Dritten Reiches den BND von den Anfängen 1946 bis 1968 beeinflusst haben. Auf der Grundlage von 3650 Lebensläufen rekonstruiert es darüber hinaus die soziale Zusammensetzung des Geheimdienstes und deren Veränderungen mit größter Detailschärfe über zwei Jahrzehnte hinweg. Die Studie bietet keine »Agentengeschichten«, sondern eine strukturanalytische Untersuchung der personellen Zusammensetzung einer wichtigen Behörde der jungen Bundesrepublik
und gibt einen tiefen Einblick in das Nachwirken der NS-Zeit. Mit dieser empirisch gut abgesicherten Sozialprofilanalyse liegt eine bislang einzigartige Grundlage für ein differenziertes Verständnis des Innenlebens eines Geheimdienstes vor.
(Band 1 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)

Jahrgang 1969, Professor für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung an der Universität Osnabrück, Mitglied des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Forschungsschwerpunkte: Gesellschaftsgeschichte organisierter Gewalt, Sozialgeschichte von Institutionen bzw. Organisationen, zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Jahrgang 1969, Professor für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung an der Universität Osnabrück, Mitglied des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS); Forschungsschwerpunkte: Gesellschaftsgeschichte organisierter Gewalt, Sozialgeschichte von Institutionen bzw. Organisationen; zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Gehlens Geheimdienst im Profil.
Eine Einleitung


»Gehlens Geheimdienst«1 betitelte am 26. Juli 1963 Marion Gräfin Dönhoff in der Wochenzeitung Die Zeit einen Artikel, in dem sie auf dem Höhepunkt der Krise um den »Verratsfall Felfe«2 voll Anerkennung und Lob, ja nicht ohne Bewunderung über Reinhard Gehlen und den Bundesnachrichtendienst sprach, um dann die Frage zu stellen, was die Anwesenheit von SS-Leuten in seinen Reihen für den westdeutschen Auslandsnachrichtendienst bedeute. Die Antwort hatte ihr der Nachrichtendienst über das Bundeskanzleramt in den Mund legen lassen.3 »Bei den SS-Leuten des BND«, folgte die Journalistin ihren Informationen, habe es sich vor allem um ehemalige Polizisten gehandelt, die ihren SS-Dienstgrad infolge der Rangangleichung nur nominell getragen hätten. »Das eine Prozent«, also etwa 40 von 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das in diese Kategorie gefallen sei, seien »Kriminalkommissare und Polizeibeamte mit SS-Rang« gewesen.

Ein Prozent, 40 Männer, Polizeibeamte, die pro forma einen Dienstgrad der SS oder des SD getragen hätten – eine zeittypische Strategie des Wegkonstruierens einer Hinterlassenschaft des Dritten Reiches: Als belastet galten in den 1960er-Jahren Personen, die zur SS gehört hatten. Ganze Institutionen und Tausende Täterinnen und Täter ließen sich so systematisch ausblenden. Die Zahl der aus den Reihen der SS übernommenen Bediensteten setzte man so niedrig wie möglich an. Wie lächerlich und unglaubwürdig hätte eine Zahl unter einem Prozent gewirkt? Die Exkulpation schließlich erfolgte über den Hinweis der nominellen Zugehörigkeit von Polizisten, die eigentlich stets – so die Implikation – nur ihre Polizeiarbeit getan hätten.

Im Jahr 2016 steht im Artikel »Bundesnachrichtendienst« der Online-Enzyklopädie Wikipedia nachzulesen, in den 1950er-Jahren habe der Anteil der vormaligen NSDAP-Mitglieder am Personal des Nachrichtendienstes zwischen »13 % und 28 %« gelegen, davon seien auch 5 bis 8 % Angehörige von »SS, SD oder SA« gewesen. Die Aussage stützt sich auf im Internet kursierende Dokumente, die eine entsprechende Untersuchung der Org. Gehlen (Organisation Gehlen) seitens der CIA dokumentieren.4 Das Fazit des Berichts: Im Geheimdienst gab es so viele alte Parteigenossen wie im zweiten Deutschen Bundestag.5 Es folgt im Lexikonbeitrag eine Aufzählung von Mitarbeitern des Nachrichtendienstes, die zur schlimmsten Kategorie von NS-Tätern zu rechnen sind: Alois Brunner,6 enger Mitarbeiter von Adolf Eichmann,7 Wilhelm Krichbaum,8 Chef der Geheimen Feldpolizei, Franz Rademacher,9 Leiter des Judenreferats im Auswärtigen Amt, Walter Rauff,10 Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes und »Erfinder« der Gaswagen, Konrad Fiebig,11 Offizier im Einsatzkommando 9 der Einsatzgruppe B, Franz Alfred Six,12 Kommandeur des Vorauskommandos Moskau der Einsatzgruppe B.13 Die Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission (UHK) wird diese Liste, auf die die Forschung bereits Dutzende weitere Namen gesetzt hat, erneut beträchtlich verlängern und differenzieren.14

Die Frage, wie stark der westdeutsche Auslandsgeheimdienst in den ersten Jahren seines Bestehens – und noch weit hinein in die 1980er- und 1990er-Jahre – geprägt war von Personal, das während des Dritten Reiches für Institutionen des NS-Staates gearbeitet oder sich über NS-Organisationen mit der Ideologie des Nationalsozialismus identifiziert hatte, wie auch durch Personen, die ganz konkret an Kriegsverbrechen und Holocaust als Täter beteiligt waren, begleitet Org. Gehlen und Bundesnachrichtendienst durch die Geschichte. Sie war schon immer ebenso eine politische wie eine historische Frage. Und so lassen sich auch alle Antworten, die inzwischen gegeben wurden, nur in ihren jeweiligen Kontexten lesen.15 Zugleich sagt jede Antwort – auch die in dieser Studie vorgelegte – etwas aus über den Zustand der Gesellschaft, die sie hervorbringt. Denn jede Antwort konstruiert aus Vergangenheit Geschichte. Eine empirische Annäherung an die eigentlichen Verhältnisse, die Zahl, die Verteilung, die Eigenschaften von Personen mit biografischen Verbindungen in die NS-Zeit und die Qualität dieser Vergangenheiten trägt daher nicht allein zu einem Verständnis einer Organisation bei, die im Nachkriegsdeutschland entstand und doch so eng mit der Zeit vor 1945 verbunden blieb. Daten zu Zahl und Anteil, Verteilung und Verweildauer der Nazis, die BND (Bundesnachrichtendienst) und Org. Gehlen über die Zeit in ihren Reihen aufnahmen, sind auch ein zentraler Anhaltspunkt für die Auseinandersetzung mit der beunruhigenden Frage, was das für die Arbeit des Geheimdienstes der zweiten deutschen Republik bedeutete.16

Diese Studie setzt an, eine neue Antwort zu geben. Wie haben biografische Resonanzen des Dritten Reiches – von einer einfachen Mitgliedschaft in der Hitlerjugend bis zu langjähriger Tätigkeit im Herzen der NS-Bürokratie, dem Dienst in den Streitkräften des NS-Staates oder der Täterschaft im Kontext von Vernichtungskrieg und Völkermord – das Sozialprofil der Organisation Gehlen bzw. des Bundesnachrichtendienstes zwischen 1946 und 1968 geprägt?17 Die Grundlage dieser Arbeit bildet weder eine Außenperspektive noch eine Selbsteinschätzung, sondern eine Zufallsstichprobe aus den personenbezogenen Akten aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, die vor dem 31. Dezember 1968 eine hauptamtliche Tätigkeit bei der Org. Gehlen bzw. dem BND aufgenommen hatten. Auf der Grundlage von 3650 Lebensläufen rekonstruiert sie die soziale Zusammensetzung des Geheimdienstes und deren Veränderung in großer Detailschärfe und mit hoher Genauigkeit.18

Versuche, personelle Kontinuitäten in Institutionen, Berufsfeldern oder regionalen Kontexten nicht allein exemplarisch, sondern über quantifizierende Untersuchungen systematisch zu analysieren, haben sich seit dem Aufleben einer stärker kritischen und sozial- bzw. gesellschaftsgeschichtlich ausgerichteten Auseinandersetzung mit diesem Erbe des Dritten Reiches in den 1970er-Jahren zunehmend ausgeweitet und differenziert. Erkundungen über das Handeln bestimmter Kollektive zwischen 1933 und 1945, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst einer kritischen Befragung hatten entziehen können, führten bald zu der Frage, was aus den identifizierten Akteuren nach der »Stunde null« geworden sei. Die Erkenntnisse waren vielfach niederschmetternd, und die Aufarbeitung der aufschimmernden Kontinuitätslinien erwies sich als ein schwieriges und auf zahlreiche Widerstände treffendes Unterfangen, nicht selten auch als eine Generationenfrage.19 Neben einer akteursorientierten Institutionengeschichte20 und einzelbiografischen Studien21 hat sich vor allem der kollektivbiografisch orientierte Zugriff als Forschungsmodus etabliert.22 Flankierend konnte sich eine stärker an sozialhistorischen Positionen angelehnte quantifizierende Betrachtung von Lebensläufen sowie daraus aggregierten Sozialprofilen von Organisationen entwickeln.23

Als mit dem Auftrag an eine Historikerkommission zur Untersuchung der Geschichte des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich eine neue Serie von Projekten begann, die sich der NS-Vergangenheit von Behörden und anderen Institutionen widmen und dabei nicht nur zurück auf die Zeit vor 1945 blicken, sondern auch institutionelle und personelle Kontinuitäten in die BRD oder die DDR verfolgen sollten, lag also ein ganzes Spektrum bereits erprobter Methoden bereit.24 Neben Untersuchungen zu Ministerien25 und obersten Bundesbehörden26 haben sich inzwischen auch zahlreiche andere Institutionen, etwa die Parlamente von Niedersachsen, Bremen oder Hessen, entschlossen, personelle Kontinuitätslinien über die Zäsur von 1945 hinweg auszuleuchten.27 Dabei kommt das gesamte gerade umrissene Spektrum von Methoden zur Anwendung. Entsprechend akzentuiert präsentieren sich die Ergebnisse, denn jeder Zugriff hat seine Stärken und Schwächen. Richtet sich der Blick auf das Kollektiv in seinen institutionellen Rahmungen, verschwimmen im Narrativ häufig konkret handelnde Personen. Einzel- und selbst kollektivbiografische Tiefenbohrungen können zwar gerade die Akteure scharf zeichnen und in ihren Beziehungsgeflechten verorten, müssen notwendigerweise aber exemplarisch bleiben. Quantifizierende Lebenslauf- und Sozialprofilanalysen strukturieren Institutionen und biografische Muster, verlieren aber den Zugriff auf Kausalität und Handeln. Die begrenzte Leistungsfähigkeit jeder Methode gilt es anzuerkennen und zu benennen. Es lässt sich auch versuchen, methodisch hybride Studien zu erstellen, die letztlich allerdings meist Kompromisse mit sich bringen. Befriedigende Lösungen erfordern einen sich ergänzenden Methodenmix, bei dem jeder Ansatz seine Stärken entfalten kann und sich die Ergebnisse ineinander verschränken. Diesen Weg ist die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes und seiner Vorgängerorganisationen gegangen. Ihr Forschungsprogramm verbindet den einzelbiografischen Zugriff28 mit kollektivbiografischen Ansätzen29 und ergänzt diese durch eine mit diesem Band vorliegende, empirisch breit angelegte Sozialprofilanalyse auf der Basis von Lebenslaufdaten. Der Preis...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2016
Reihe/Serie Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission
Zusatzinfo 115 Illustrationen und 3 Karten/Tabellen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Bayern • BND • Bundesnachrichtendienst • Fremde Heere Ost • Geheimdienst • Nachrichtendienst • NSDAP • NS-Regime • Pullach • Reichssicherheitshauptamt • Reinhard Gehlen • Sozialprofilanalyse • Spionage • Waffen-SS • Wehrmacht
ISBN-10 3-86284-360-2 / 3862843602
ISBN-13 978-3-86284-360-2 / 9783862843602
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