Generation Beziehungsunfähig (eBook)
240 Seiten
Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-8419-0440-9 (ISBN)
Michael Nast, geboren 1975, landete mit »Generation Beziehungsunfähig« den Bestseller des Jahres 2016 und wurde zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Mit seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe ergründet er Situationen und Tatsachen wie kein anderer. 2018 erschien mit »#EGOLAND« sein erster Roman, 2019 das Sachbuch »Vom Sinn unseres Lebens«. Michael Nast lebt und arbeitet in Berlin als freier Kolumnist, Buch- und Drehbuchautor.
Michael Nast, geboren 1975, landete mit »Generation Beziehungsunfähig« den Bestseller des Jahres 2016 und wurde zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Mit seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe ergründet er Situationen und Tatsachen wie kein anderer. 2018 erschien mit »#EGOLAND« sein erster Roman, 2019 das Sachbuch »Vom Sinn unseres Lebens«. Michael Nast lebt und arbeitet in Berlin als freier Kolumnist, Buch- und Drehbuchautor.
Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden
Es gibt hin und wieder Augenblicke, in denen ich auf meine Beziehungen zurückblicke und mich frage, ob ich meine Exfreundinnen geliebt habe. Ich meine, wirklich geliebt. Ob ich ein Gefühl gespürt habe, wie ich es erwartet habe. Ein Gefühl, wie es eigentlich hätte sein sollen. Am letzten Montag gab es einige solcher Augenblicke.
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat in seinen Tagebüchern einen Fragebogen mit 25 Fragen aufgestellt, die inzwischen weltberühmt sind. Zwei dieser Fragen lauten: „Lieben Sie jemanden? Und falls ja, woraus schließen Sie das?“ Tja, das ist eine sehr gute Frage. Die Frage danach, wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden. Eine Frage, die sich wohl jeder einmal stellen sollte.
Beispielsweise Christian, der Freund von Jasmin. Vor einigen Tagen habe ich mich mit Jasmin getroffen. Sie wirkte ganz verstört, schon als wir uns begrüßten. „Alles okay?“, fragte ich.
„Na ja, nicht wirklich“, sagte sie. „Ich hatte vorhin eine Meinungsverschiedenheit mit meinem Freund.“
„Ach?“, sagte ich, denn ich ahnte schon, dass der Begriff „Meinungsverschiedenheit“ wohl eine eher milde Umschreibung ihrer Auseinandersetzung war, ein harmloses Wort, mit dem sich Jasmin vor allem selbst beruhigen wollte. Es war eine Ahnung, die sich bestätigen sollte. In ihrer Auseinandersetzung ging es nämlich ums Fremdgehen.
„Er meinte: Fremdgehen kann passieren, das liegt nun mal in der Natur des Menschen“, sagte Jasmin. „Sex hätte nichts mit Liebe zu tun. Das machen doch alle.“
„Ach?“, sagte ich noch einmal und spürte, wie sich meine Züge verhärteten.
„Er hat gesagt, er wäre in seiner letzten Beziehung ja auch betrogen worden, also kann er auch betrügen“, sagte sie. „Aber man sollte schon früh darüber reden, und den anderen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, wenn es dann einmal passiert ist.“
„Okay“, sagte ich gedehnt. „Und wie seid ihr auseinandergegangen?“
„Er hat gesagt: Du hast deine Meinung und ich hab meine, machen wir das Beste draus“, sagte Jasmin mit Tränen in den Augen.
Ich warf ihr einen fassungslosen Blick zu. Noch vor einem Monat, als sich Jasmin von ihm trennen wollte, hatte Christian schließlich um sie gekämpft. Er hatte ihr seine Liebe beteuert, täglich mindestens dreißig Nachrichten auf ihrer Mailbox hinterlassen, er hatte gebettelt. Sie wäre die Liebe seines Lebens. Ein Gefühl, das nur einen Monat darauf auf den Satz: „Du hast deine Meinung und ich hab meine, machen wir das Beste draus“ zusammengeschrumpft war.
Christian empfand natürlich keine Liebe, als er um sie kämpfte, und das sagte ich ihr auch. Seine „Liebe“ war ein Ego-Trip. Er pflegte eine „Liebe“, in der es nie um Jasmin ging, sondern ausschließlich um ihn selbst. Er war auf ihre Gefühle angewiesen, um sich selbst zu bestätigen. Es hatte nie etwas mit ihr zu tun.
Christian ist in seiner Empathielosigkeit natürlich ein drastisches Beispiel, ein Prototyp, aber im Ansatz geht es ihm wie den meisten. Sie lieben wie er. Sie pflegen eine narzisstische Liebe. „In der Liebe geht es Ihnen eher darum, sich selbst zu schmeicheln, als ein tiefes Gefühl zu befriedigen.“ Ein Satz, der es übrigens auch in ein dreißigseitiges Persönlichkeitshoroskop geschafft hat, das eine ehemalige Kollegin mit einer speziellen Astrologie-Software für mich erstellt hat, obwohl ich das gar nicht wollte, weil mir ja eigentlich der Zugang zu Horoskopen fehlt. Wenn es nach den Sternen geht, ist Christian also wie ich, dachte ich, was bei mir schon ein ziemlich unangenehmes Ziehen in der Magengegend verursachte.
„So gesehen sind die meisten wie du“, sagte Till lachend, als ich ihm einige Tage darauf in der Goldfischbar von dieser beunruhigenden Gemeinsamkeit erzählte. Till hat Betriebswirtschaftslehre und Philosophie studiert, eine originelle Kombination, die ihm einen aufschlussreichen Blick auf die Dinge ermöglicht.
„Das ist natürlich gesellschaftlich bedingt“, sagte er. „Wir sind nun mal Konsumenten in einer Konsumgesellschaft. Wir leben in einer Bedarfsweckungsgesellschaft. Wir brauchen kein Telefon, wir brauchen das neueste iPhone. Der Kauf von Produkten schenkt uns einen kurzen Moment Befriedigung, einen kurzen Moment Glück sozusagen. Aber das ist nun mal kein nachhaltiges Gefühl, darum müssen wir immer weitere Produkte kaufen. Wir müssen permanent unzufrieden mit uns selbst sein, damit das System funktioniert. Leider wenden wir das auch im zwischenmenschlichen Bereich an.“
„Im zwischenmenschlichen Bereich?“, fragte ich. „Inwiefern?“
„Es ist das Gefühl, sich selbst nicht glücklich machen zu können, dass andere Dinge oder Menschen für die eigenen Gefühle verantwortlich sind – ob es nun das neueste iPhone ist oder ein Mensch, der etwas für einen empfindet. Es schmeichelt unserer Eitelkeit, mehr nicht. Letztlich haben wir verlernt, uns selbst zu lieben. Wir verwechseln Selbstliebe mit Narzissmus.“
Ich dachte an Erich Fromm, für den die Fähigkeit, sich selbst zu lieben, die Voraussetzung dafür war, überhaupt jemand anderen lieben zu können. Tja, dachte ich, aber wer liebt sich schon selbst? Wer ist mit sich vollständig im Reinen, mit seinen Vorzügen – und vor allem mit seinen Fehlern? Ich kenne niemanden. Wir leben nun mal in einer narzisstischen Gesellschaft, und Narzissmus ist ein Zeichen von Unsicherheit, ein überhöhtes Selbstbild, in dem alle Schwächen ausgeblendet werden. Eine Selbstdarstellung, die auf permanente Bestätigung der eigenen Vorzüge angewiesen ist. Narzisstische Liebe ist die Sehnsucht nach einem wohlwollenden Spiegel, in dem man ein Bild sieht, das einem schmeichelt. Man sehnt sich nicht nach dem Anblick seiner Fehler, man sehnt sich nach Bestätigung. Man projiziert ein Bild auf den anderen und verliebt sich letztendlich in eine Illusion, die perfekt zu einem passt, die mit dem Menschen aber selbst nichts zu tun hat. Man will sich in sich selbst verlieben, in das Bild, das man von sich hat, wie man sich selbst sehen möchte.
„Narzisstische Verliebtheit ist einfach mal nichts anderes als der verzweifelte Versuch, sich selbst zu lieben“, sagte Till.
Wenn man es mal aus dieser Perspektive betrachtet, ist es schon sehr aufschlussreich zu sehen, warum wir uns überhaupt verlieben. Inwieweit unsere Gefühle etwas mit dem anderen zu tun haben. Wir verlieben uns in die Schnittmengen, die Gemeinsamkeiten zweier Leben, darum wird auf Dates auch so krampfhaft nach Gemeinsamkeiten gesucht. Darum gleichen sich Dates so sehr. Man verliebt sich nicht in einen Menschen, man verliebt sich in den Teil eines Menschen, der einem selbst ähnelt. Der in Ansätzen, Haltungen und Wünschen ein Ebenbild zu sein scheint.
„Liebe entsteht ja generell aus einer Illusion“, sagte Till. „Liebe ist die Sehnsucht nach absoluter Identität. Und absolute Identität gibt es natürlich nicht. Insofern entsteht Liebe nur aus einem großen Missverständnis. Kennst du den Satz: ‚Wir irrten aneinander, es war eine schöne Zeit?‘ Vielleicht liegt in diesem schönen, tragischen Satz eine der großen Wahrheiten unserer Zeit. Wir verlieben uns in eine Illusion, in ein Trugbild, in etwas Falsches, das uns Kraft und Halt gibt. Die Illusion ist für uns wahrer als die Wirklichkeit.“
Till machte eine Pause, während er gedankenverloren auf seinen Drink schaute. Dann hob er seinen Blick und sagte: „Im Grunde ist nur das Falsche wirklich echt. Alles andere ist ein armseliger Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist.“
Puh, dachte ich. Vielleicht ist es ein Fehler, zu sehr über die Dinge nachzudenken. Ich blickte zu Till, der gerade an seinem Drink nippte, und spürte, dass das gerade einer dieser Momente war, in denen ich auf meine Beziehungen zurückblickte und mich fragte, ob ich je geliebt habe.
„Ich habe immer nur Talent für Dinge, die mich interessieren.“ Das hat Karl Lagerfeld einmal gesagt, und das ist ein sehr wahrer Satz. Eine der Überschriften über meinem Leben sozusagen. Lagerfeld bezieht sich natürlich auf seine Arbeit, aber wirklich interessant wird es, wenn man diesen Satz auf das Zwischenmenschliche anwendet. Auf die Frauen, mit denen man zusammen war. Nach dem Gespräch mit Till war ich mir nämlich nicht mehr so sicher, ob ich wirklich Talent für meine Exfreundinnen hatte. Vielleicht war ich rückblickend gesehen einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um Talent für sie haben zu können. Oder drastischer formuliert: Vielleicht war ich zu wenig an ihnen interessiert, um mich wirklich auf sie einzulassen.
Wie wir alle bin ich ja auch in dem Bewusstsein aufgewachsen, etwas Besonderes zu sein, etwas Einzigartiges, anders als die Anderen. Es ist ein Bewusstsein, dass es uns immer schwerer macht, uns auf einen anderen einzulassen. Ich glaube, genau dieses Problem zu bewältigen, das ist die Aufgabe der Liebe. Wenn man sich verliebt, also wirklich verliebt, lässt man die Strukturen, die gesellschaftlichen Konventionen hinter sich. Wirkliche Liebe gibt uns die Möglichkeit, wieder Mensch zu sein, kein degeneriertes Produkt dieser Gesellschaft. Liebe ist die Möglichkeit auszubrechen, die Strukturen zu verlassen, die Perspektive zu ändern. Sie ist unsere Chance, der Ausweg, den Egoismus hinter sich zu lassen, den unsere Gesellschaft von uns verlangt.
Auf Max Frischs Fragen „Lieben Sie jemand? Und woraus schließen Sie das?“ antwortete der Schriftsteller Jonathan Franzen: „Mein Herz sagt es mir, und mein gesunkenes Maß an Selbstsucht liefert verlässliche...
Erscheint lt. Verlag | 15.2.2016 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Generation Maybe • Gesellschaft • Leben • Liebe • Paare • Selbstoptimierung • Sex • Single • Thirtysomethings • Unterhaltung |
ISBN-10 | 3-8419-0440-8 / 3841904408 |
ISBN-13 | 978-3-8419-0440-9 / 9783841904409 |
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